80Leistungs- und Teilhaberechte vermitteln subjektive Rechteund sind daher mit einem Rechtsbehelf durchsetzbar, wenn sie verletzt werden. Wie bei Schutzansprüchen muss das subjektive Recht auch hier im Rahmen der Widerspruchs- oder Klagebefugnis (vorrangig aus einfachem Recht 14) hergeleitet werden.
Hat ein Rechtsbehelf Erfolg, wird – insb. beim Teilhaberecht – selten ein konkreter Leistungs- oder Teilhabeanspruch zugesprochen, sondern regelmäßig nur die Verpflichtung zur erneuten Entscheidungder Verwaltung. Im Fall des Teilhabeanspruchs wird dann das Auswahlverfahren neu durchgeführt. 15
81Als weitere Funktionen der Grundrechte gelten etwa die Mitwirkungsrechte, die sog. Freiheit am Staat ( status activus ). Sie wird hauptsächlich durch die Teilnahme an Wahlenausgeübt, aber auch der Zugang zu öffentlichen Ämternaus Art. 33 Abs. 1 bis 3 GG zählt hierzu.
82Darüber hinaus enthalten bestimmte Grundrechte Einrichtungsgarantien. Der Staat stellt gewisse (privatrechtliche) Institute 16und (öffentliche-rechtliche) Institutionen 17zur Verfügung und gewährleistet deren (Kern-)Bestand. Das bedeutet nicht, dass diese Einrichtungen nicht geregelt oder ihr Handeln beschränkt werden können. Dabei sind jedoch – ähnlich einer abwehrrechtlichen Grundrechtsprüfung – die Maßnahmen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.
Verletzt werden diese Garantien jedenfalls, wenn die Einrichtungen komplett abgeschafftoder derart beschränkt werden, dass nur noch eine „ leere Hülse“ übrig bleibt. Das kommt allerdings nur durch Gesetz und nicht durch Verwaltungshandeln in Betracht.
Zu den Einrichtungsgarantien zählen nicht nur Grundrechte (innerhalb der Art. 1 bis 19 GG), sondern auch die Parteien (Art. 21 GG), die Gemeinden (Art. 28 Abs. 2GG), das Berufsbeamtentum (Art. 33 Abs. 4, 5 GG), die Richterschaft (Art. 92, 97 GG).
Beispiel:Beschließt das Land, kommunale Aufgaben wie die Trägerschaft für Grund- und Hauptschulen (§ 28 Abs. 1 SchG BW) aus dem Aufgabenbereich der Gemeinden herauszunehmen und auf die nächsthöhere Verwaltungsebene (etwa die Landratsämter) zu übertragen, spricht man von „Hochzonung“. Diese Hochzonung greift in die kommunale Selbstverwaltung der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 GG) ein. Für diese Maßnahme bedarf es einer Rechtfertigung oder jedenfalls muss die Mitwirkung der Gemeinden in wirksamer Weise vorbehalten bleiben. 18
83Zuletzt kommt in den Grundrechten auch eine objektive Wertentscheidungzum Ausdruck. Abgesehen von den daraus abgeleiteten Schutzpflichten, hat dies für die öffentliche Verwaltung kaum Relevanz. Sie kommt insb. bei der Auslegung privatrechtlicher Normen im Lichte der Grundrechte zum Tragen. Zwischen Privaten finden Grundrechte keine Anwendung ( keine unmittelbare Drittwirkungder Grundrechte). 19Eine Berücksichtigung der Grundrechte findet nur in sog. „Einbruchstellen“, also unbestimmten Rechtsbegriffen oder Generalklauseln (vor allem §§ 138, 242, 826 BGB) statt ( mittelbare Drittwirkungder Grundrechte). 20
Der Unterschied wirkt sich insb. dort aus, wo der Gesetzgeber vorrangige oder abschließende Regeln getroffen hat. In diesen Fällen liegt grundsätzliche Bindung an die gesetzgeberische Entscheidung vor, 21sodass auch keine mittelbare Drittwirkung mehr in Betracht kommt. Außerdem ist die Prüfung nicht so streng wie in der Abwehrkonstellation gegen staatliches Einschreiten, denn im Privatverhältnis stehen sich immer zwei Grundrechtsträger gleichberechtigt gegenüber. Die Freiheit des einen überwiegt hier nur selten die Freiheit des anderen.
B.Prüfung der Grundrechte
I.Zur Reihenfolge der Grundrechtsprüfung
84In welcher Reihenfolge die Verletzung von Grundrechten zu prüfen ist, richtet sich nach der Art der möglicherweise betroffenen Grundrechte. In einem ersten Schritt muss daher überlegt werden, welche Grundrechte im konkreten Fall für welchen Adressaten überhaupt betroffen sein könnten.
Grundsätzlich gilt: Für jeden Adressaten und jedes Grundrecht ist hierbei eine gesonderte Prüfung erforderlich. Das meint auch die verkürzte, „kleine Grundrechtsprüfung“, bei der nur die Verhältnismäßigkeit geprüft wird: je Grundrecht und Adressat muss eine eigene Verhältnismäßigkeitgeprüft werden. 22Nur bei erkennbarem Gleichlauf (etwa bei Allgemeinverfügungen) verschiedener Adressaten oder absolut identischem Prüfungsinhalt kann die Prüfung in den Prüfungsarbeiten (aber auch nur dort) ausnahmsweise zusammengezogen werden. Im Zweifel ist stets getrennt zu prüfen.
85Exkurs
Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist hierbei stets auch an die vorrangigePrüfung der Grundfreiheitendes Unionsrechts zu denken. Diese müssen also zuerst geprüft werden. Die Prüfung der EU-Grundfreiheiten ersetzt aber nicht die Prüfung der Grundrechte des Grundgesetzes, diese werden unmittelbar danach geprüft (Stichwort: nur Anwendungsvorrang, kein Geltungsvorrang).
Daneben können die Grundrechte der europäischen Grundrechtecharta zu prüfen sein. Sie sind gem. Art. 51 der Charta anwendbar, wenn die nationalen Verwaltungsbehörden Unionsrecht durchführen. Das setzt nicht voraus, dass eine unionrechtliche Norm (etwa eine Richtlinie oder Verordnung) unmittelbar angewendet wird. Vielmehr genügt es, dass die nationalen Normen das Unionsrecht umsetzen. Das ist vor allem im Umweltrecht der Fall.
Subsidiär ist an die Grundrechte aus der EMRK zu denken.
86Das Verhältnis dieser Prüfungen zueinander wird aufgrund der fortschreitenden Europäisierung und der mittlerweile aufgestellten Grundsätze des BVerfG zunehmend komplexer. 23Inwiefern sich dies auf die Prüfungsreihenfolge und Darstellung auswirkt, ist noch nicht vollumfänglich beantwortet. Im Zweifel gilt, dass in einem Gutachten stets zunächst alle in Betracht kommenden Grundrechte und Grundfreiheiten zu prüfen sind. Sollten diese Prüfungen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, ist anschließend daran zu erörtern, welches Ergebnis „sticht“.
87Kommen für einen Adressaten mehrere Grundrechte des Grundgesetzes in Betracht, so gilt zunächst die Regel, dass Freiheitsgrundrechte vor Gleichheitsgrundrechtenzu prüfen sind. Innerhalb der Gruppe der jeweiligen Grundrechte (das gilt für Freiheitsgrundrechte und Gleichheitsgrundrechte) gilt dann, dass das speziellste Grundrecht zuerst zu prüfen ist.
Bei den Freiheitsgrundrechten entfällt eine Prüfung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), wenn der Schutzbereich eines speziell(er)en Freiheitgrundrechts eröffnet und ein Eingriff in diesen bejaht wurde. Unbeachtlich ist dabei, ob das speziellere Grundrecht verletzt wurde oder nicht. Art. 2 Abs. 1 GGtritt als subsidiäres Auffanggrundrechtzurück und kommt nur dann zur Anwendung, wenn kein anderer Schutzbereich – bezüglich des konkreten Adressaten – eröffnet ist. Dazu zählt insb. der Fall, dass ein Deutschen-Grundrecht (bspw. Art. 8 Abs. 1 GG) nur deswegen nicht anwendbar ist, weil der Adressat kein Deutscher i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG ist. 24
88Bei den übrigen Freiheitsgrundrechten sollte mit der Prüfung des jeweils sachnächsten Grundrechtsbegonnen werden. Kann aufgrund des Sachverhalts das sachnächste Grundrecht nicht sicher bestimmt werden, so beginnt man mit der Prüfung des Grundrechts mit der strengsten Schrankenregelung(also Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt vor Grundrechten mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt vor Grundrechten mit einfachem Gesetzesvorbehalt).
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