Seine eigene Zukunft eingeschlossen.
In einer eleganten Rechtskurve schwebte der Regierungsjet in den Queranflug der Landebahn 32 des Aransas County Airport ein. Jane sah den Wechsel zwischen den Lichtern der Stadt Fulton auf der linken Seite und rechts das tiefschwarze Wasser der Aransas Bay, die durch die vorliegende Inselkette eine natürliche Barriere zum Golf von Mexiko erhielt. Aransas County Airport war nach der fast völligen Zerstörung durch einen Hurrikan mit seinen beiden langen Landebahnen wieder in bestem Zustand. Trotzdem blieb er auch weiterhin ein kleiner Flugplatz, ideal für die Nutzung verschiedener Militärflugzeuge und der Privatjets wohlhabender US-Amerikaner, die, wie der Milliardär Halim Mansur, Luxusimmobilien auf Mustang Island ihr Eigen nannten.
Jane versuchte sich etwas zu entkrampfen. Sie legte die Handrücken auf beide Sitzlehnen und schloss die Augen. Es war nicht Flugangst, sondern die Anspannung dessen, was war und der anstehenden Entscheidung. Robert und sie waren in der schwersten Krise ihrer Ehe. Er litt sichtbar darunter, dass er, der Präsidentenberater, bei seinem Schwiegervater so gut wie gar nicht zum Einsatz kam und vergrub sich in Studien oder entschwand, wie auch jetzt, auf eine Auslandsreise.
In den letzten beiden Jahren hatte er sich gänzlich verändert. Sein Charme und seine Gelassenheit waren dahin und seine unverhohlene Abneigung gegenüber seinem Schwager David, der vom Präsidenten bevorzugt wurde, war inzwischen schon peinlich. Bei gemeinsamen Familientreffen schmollte er oder spielte den Kasper. Zudem kam er mit dem gelebten Judentum in dieser Familie nicht zurecht. Die Umwelt tat sein verändertes Verhalten als Midlife-Crisis ab, denn man kannte Robert durchaus anders.
Bevor er nach Europa abgeflogen war, hatte es eine heftige Auseinandersetzung gegeben. Er hatte sie angebrüllt, was mit ihr los sei, ob sie einen Anderen hätte. Sie würde sich ihm seit Monaten entziehen, sie würden eigentlich nur noch funktionieren. Jane hatte versucht, ihn zu beschwichtigen, aber das brachte ihn nur noch mehr in Wut. An diesem Tag war Robert zum ersten Mal handgreiflich geworden.
Jane hörte, wie die Triebwerke leicht gedrosselt wurden und vernahm das bekannte kleine Ruckeln, als das Fahrwerk ausgefahren wurde.
Sie fasste sich an die linke Schulter und spürte sofort den unverändert heftigen Schmerz. Robert hatte nach dem Ausbruch versucht, sich für den Schlag zu entschuldigen, aber sie hatte ihn nur angewidert angeschaut und kurz gesagt: „Es reicht, mein Lieber. Das war ein Schlag zu viel.“
Den ganzen nächsten Tag hatte sie sich zurückgezogen, und als sich die Haut blau färbte, fotografierte sie das Hämatom.
Vor seinem Abflug gab es ein gemeinsames Frühstück mit den Kindern.
„Mom, hast du geweint?“, hatte ihre achtjährige Tochter Florence gefragt. „Habt ihr euch wieder gestritten?“
Ihr zehnjähriger Bruder William hatte nur den Teller angestarrt. Er hatte den Streit gehört und auch, wie Mom die Holztreppe hoch in ihr Zimmer gelaufen war. William hatte entsetzliche Angst, dass die Eltern sich trennen würden.
„Macht euch keine Sorgen“, hatte Robert erwidert, „Mom und ich haben gerade keine gute Zeit. Aber wir haben uns lieb, und wir haben euch lieb. Ich bin jetzt nur ein paar Tage fort, und ihr beiden fliegt mit Mom zu Onkel Halim an den Strand. Und wenn wir wieder zusammen sind, ist alles wieder gut!“
Das Flugzeug glitt wie auf einer Schiene vollkommen ruhig dem Landepunkt entgegen, um nach wenigen Augenblicken sanft aufzusetzen.
Als der Jet die Landebahn herunterrollte, wusste sie, dass sie mit ihren dreiunddreißig Jahren vor einer Lebensentscheidung stand: Ihre Ehe zu beenden oder die intensive geheime Liebesbeziehung mit Halim Mansur.
Oder beides.
„Marion, was ist passiert?“, fragte George F. Summerhill.
„George, hast du einen Augenblick? Wir müssen reden.“
Der Präsident zuckte unwillkürlich zusammen. Sollte etwa jemand von gestern etwas mitbekommen haben? Unmöglich! Nur seine Sekretärin wusste, wer zu seinem bilateralen Jour Fix im Weißen Haus gekommen war.
Der Fehltritt mit Anne Brown, der Sprecherin des Repräsentantenhauses, war unverzeihlich. Beide schätzten sich, beide lebten allein in dem Washingtoner Machtzirkus, der keinen Raum für Ehrlichkeit oder gar eine versteckte Zweitbeziehung ließ.
Es war nach dem Essen mit einem sechs Jahre alten toskanischen Rotwein einfach passiert. Da waren zuerst Blicke, dann flüchtige Berührungen. Er konnte noch nicht einmal sagen, wer als erster aufgestanden war, um in das Schlafzimmer zu gehen.
Sie war im Bad, während er sich entkleidete und dabei kurz darüber nachgedacht hatte, was sich hier abspielte. Es war kein politisches Kalkül, überhaupt nicht. Anne war eine bezaubernde, hocherotische Frau. Er begehrte sie einfach in diesem Augenblick. Es war der Wunsch nach Sex. Mehr nicht. Als sie nackt aus dem Bad gekommen war, lag er bereits im Rosenholzbett und fand sie unglaublich attraktiv. Er wusste, dass er kein begnadeter Liebhaber und auch ziemlich aus der Übung war. Sie waren nicht einmal eine halbe Stunde zusammen. Währenddessen hatte er den Eindruck, irgendetwas an der Tür gehört zu haben. Er wollte zu seiner Brille greifen, aber gab mit Anne im Arm auf und verdrängte das Geräusch. Sie versprachen einander sofort danach, dass es nie wieder vorkommen sollte.
„Bilde dir nicht ein“, hatte sie noch im Hinausgehen gesagt, „dass ich dich jetzt politisch schonen werde.“
Er hatte ihre Hand geküsst und sich verabschiedet: „Es wird mir eine Freude sein, Mrs. Sprecherin.“
Danach hatte er ein extrem schlechtes Gewissen und wusste, dass ihm das nie hätte passieren dürfen.
Marion und George hatten schon seit Jahren keinen Sex mehr miteinander. Trotzdem hatten sie einen Status für einen liebevollen und wertschätzenden Umgang gefunden. Jeder lebte sein Leben, nur eben nicht zu eng. Er schätzte sie so ein, dass sie sich im Zweifelsfall bei Bekanntwerden des unverzeihlichen Ereignisses hoffentlich mehr um seine Reputation als Präsident Sorgen machte, als um das Ereignis an sich. Sie ließ in den Medien und den vielfältigen Pflichten keinen Zweifel aufkommen, dass sie sich trotz der räumlichen Abwesenheit als First Lady verstand, aber auch als eine Person mit Recht auf Privatleben, wenngleich das in der Klatsch- und Tratsch-Szene und Washington immer wieder zu Diskussionen führte.
„Es geht um unsere Tochter, Darling. Sie hat mich angerufen und meint, ihre Ehe stände wohl vor dem Aus.“
George fühlte augenblickliche Erleichterung, die aber sofort in echte Sorge wechselte. Jane und seine beiden Enkelkinder waren sein Ein und Alles. Er wusste, dass es seit langer Zeit zwischen Jane und Robert nicht gut lief; ein Grund mehr, warum er ihn vom Oval Office überwiegend fernhielt. Eheprobleme gehörten nicht in die Administration. Abgesehen davon, konnte er mit seinem verbissenen, viel zu ehrgeizigen und intellektuell auch nicht gerade begnadeten Schwiegersohn als Berater ziemlich wenig anfangen. Er hatte ihm den Job nur gegeben, weil Jane ihn so sehr darum gebeten hatte.
„Darling, was ist passiert?“
„Ich kann es nicht genau beurteilen. Die beiden haben sich offensichtlich auseinandergelebt! Es gab wohl auch eine handfeste Auseinandersetzung. Jane wollte aber nicht über Einzelheiten sprechen. Robert ist auf einer Dienstreise, wie du sicher weißt. Sie ist mit den Kindern Richtung Golf in das Resort der Mansurs.“
Читать дальше