Claus-Steffen Mahnkopf
Deutschland oder Jerusalem
Das kurze Leben der
Francesca Albertini
zu Klampen
© 2013 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe
info@zuklampen.de· www.zuklampen.deUmschlaggestaltung: michon, hofheim Satz: michon, hofheim 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013 ISBN 9783866742871
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
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Titel Claus-Steffen Mahnkopf Deutschland oder Jerusalem Das kurze Leben der Francesca Albertini zu Klampen
Impressum © 2013 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe info@zuklampen.de · www.zuklampen.de Umschlaggestaltung: michon, hofheim Satz: michon, hofheim 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013 ISBN 9783866742871 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.d-nb.de › abrufbar.
Widmung All denen, die Francesca mochten
Vorwort Dieses Buch legt Zeugnis ab, es erzählt die lebenssatte, am Ende jedoch traurige Geschichte der Francesca Yardenit Albertini, einer römischen Jüdin, die in jungen Jahren nach Deutschland kam, um für die Idee eines anderen, besseren, jüngeren Verhältnisses zwischen Deutschen und Juden zu werben und zu kämpfen. Einer jungen Frau, die einen deutschen Avantgardekomponisten heiratete, der eine außergewöhnlich steile Karriere als Hochschullehrerin und Intellektuelle gelang, einer jungen Frau, die mit 36 Jahren viel zu früh starb. Francesca stellt einen exemplarischen Fall unserer Zeitgeschichte da: eine Grenzgängerin zwischen Italien und Deutschland, zwischen Israel und den USA. Eine literarisch-sprachliche Hochbegabung mit einer in Deutschland unüblichen Renaissance-Bildung und einem Politikverständnis, das auch einem Pier Paolo Pasolini verpflichtet ist. Eine Frau mit einem Heißhunger auf Realität und Leben. Eine Denkerin mit einem messianischen Blick auf die Zukunft der Menschheit. Und zugleich eine Frühbegabung, die sich wie eine auf beiden Seiten brennende Kerze rasch verbrauchte. Eine ihrer Heldinnen in der Geschichte war Simone Weil, sie starb ähnlich jung. Francesca ist eine ausgesprochen interessante Frau gewesen, die Biographie allein rechtfertigte ein Buch, trotzdem stehen das intellektuelle Porträt, die politische Mission, das geistige Profil im Vordergrund. Ein Mensch und seine Ideen werden gezeichnet. Und zwar zentriert auf die deutsch-jüdische Frage. Vielleicht kann nur ein jüngerer Vertreter des Judentums mit dem nötigen Abstand zum Holocaust uns einen anderen Blick auf das Judentum lehren. Nur wer aus einem anderen Land kommt und doch emphatisch Deutscher wird, vermag uns zu zeigen, daß Judentum mehr ist als der tragische Komplex aus Shoah, Zweitem Weltkrieg, Israel und der Schuldfrage. Das war eines der vielen Anliegen meiner Frau. Ihr Erbe kann nur mit Erinnerung gelingen, dem einzigen Mittel, Verstorbenen den zweiten Tod, das Vergessen, zu ersparen.
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Tod
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All denen, die Francesca mochten
Dieses Buch legt Zeugnis ab, es erzählt die lebenssatte, am Ende jedoch traurige Geschichte der Francesca Yardenit Albertini, einer römischen Jüdin, die in jungen Jahren nach Deutschland kam, um für die Idee eines anderen, besseren, jüngeren Verhältnisses zwischen Deutschen und Juden zu werben und zu kämpfen. Einer jungen Frau, die einen deutschen Avantgardekomponisten heiratete, der eine außergewöhnlich steile Karriere als Hochschullehrerin und Intellektuelle gelang, einer jungen Frau, die mit 36 Jahren viel zu früh starb.
Francesca stellt einen exemplarischen Fall unserer Zeitgeschichte da: eine Grenzgängerin zwischen Italien und Deutschland, zwischen Israel und den USA. Eine literarisch-sprachliche Hochbegabung mit einer in Deutschland unüblichen Renaissance-Bildung und einem Politikverständnis, das auch einem Pier Paolo Pasolini verpflichtet ist. Eine Frau mit einem Heißhunger auf Realität und Leben. Eine Denkerin mit einem messianischen Blick auf die Zukunft der Menschheit. Und zugleich eine Frühbegabung, die sich wie eine auf beiden Seiten brennende Kerze rasch verbrauchte. Eine ihrer Heldinnen in der Geschichte war Simone Weil, sie starb ähnlich jung.
Francesca ist eine ausgesprochen interessante Frau gewesen, die Biographie allein rechtfertigte ein Buch, trotzdem stehen das intellektuelle Porträt, die politische Mission, das geistige Profil im Vordergrund. Ein Mensch und seine Ideen werden gezeichnet. Und zwar zentriert auf die deutsch-jüdische Frage. Vielleicht kann nur ein jüngerer Vertreter des Judentums mit dem nötigen Abstand zum Holocaust uns einen anderen Blick auf das Judentum lehren. Nur wer aus einem anderen Land kommt und doch emphatisch Deutscher wird, vermag uns zu zeigen, daß Judentum mehr ist als der tragische Komplex aus Shoah, Zweitem Weltkrieg, Israel und der Schuldfrage.
Das war eines der vielen Anliegen meiner Frau. Ihr Erbe kann nur mit Erinnerung gelingen, dem einzigen Mittel, Verstorbenen den zweiten Tod, das Vergessen, zu ersparen.
Der erste Eindruck prägt. Anfang April 1998 als neuer Stipendiat der Villa Massimo in Rom angekommen, fest entschlossen, die schöne italienische Sprache zu erlernen, und zwar richtig: mit einem privaten Lehrer, finde ich an der Pforte eine Notiz: »Italienischunterricht von examinierter Philosophin, günstige Preise«. Ich rufe an und vereinbare einen Termin für den kommenden Tag. Es klingelt, ich durchschreite das weiträumige Anwesen, öffne das Tor, und da steht sie: Francesca Albertini, keine 24 Jahre jung, aber doch so bestimmt auftretend, geradezu professionell, mit dem klaren Ethos der Lehrerin, daß ich sie auf dreißig schätze. Ich bin beeindruckt. Der erste Blick ihrer ausdrucksvollen Augen trifft mich.
Wir haben immer zweistündige Sitzungen angesetzt. Als die erste zu Ende ist, gehe ich zu meiner Komponistenkollegin, die zum Abendessen eingeladen hat. Etwas benommen von den ersten Eindrücken, erzähle ich von der neuen Lehrerin. »Francesca? Die ist klasse, nicht?«, bekomme ich zur Antwort, Francesca unterrichtet auch sie. Am nächsten Tag wird der Unterricht fortgesetzt, wie immer unternimmt Francesca die mühevolle Fahrt durch den unberechenbaren Straßenverkehr Roms. Sie hat gleich beim ersten Mal, als sie das großzügige Atelier betrat, im Bücherregal die Adornobände und ein Buch über mittelalterliche Ritualmordprozesse entdeckt, auf dessen Umschlag hebräische Schriftzeichen stehen. Sie spürt sofort, daß etwas in der Luft liegt. Nachdem ich sie auf ihre universitäre, auf ihre philosophische Arbeit anspreche, beginnt sie mit einem langen Vortrag in einem mir unverständlichen Italienisch über das Thema ihrer Abschlußarbeit. Ich verstehe nichts, im doppelten Sinne nichts. Aber hier spricht eine Person so bestimmt, so konzentriert, so mit der Sache eins, daß ich sie nicht zu unterbrechen wage. Es ist eine Faszination, ihr zuzuhören, dem Klang der Stimme, der Rhythmik ihrer Sätze.
Francesca wurde zur persönlichen Führerin, einer Art Vergilius, der mich durch die verschlungene, immer auch chaotische Stadt und Kultur geleiten wird. Zweimal die Woche kommt sie für eine Doppelstunde, aber man sieht sich häufiger, denn sie unterrichtet auch andere Stipendiaten. Diesen Job macht sie seit längerem. Sie hat in der Villa Mirafiori, dem Sitz der Philosophie der Universität La Sapienza, studiert, die ein paar hundert Meter von der Villa Massimo entfernt liegt. Francesca suchte immer die Nähe zu Deutschen, der deutschen Kultur und vor allem der deutschen Sprache. Sie unterrichtet privat auch in der Stadt und übersetzt, wenn es sich anbietet. Sie hat sogar einen Didaktikkurs für den Italienischunterricht besucht. Und ihre Stunden sind streng – sie duldet keine Nachlässigkeiten –, aber begeisternd zugleich. Man spürt, daß sie ihre italienische Sprache mit der rationalen Grammatik und dem musikalischen Klang liebt. Ihre Aussprache ist perfekt und vor allem nicht schnell, was uns Ausländern zupaß kommt.
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