In dieser Zeit planten wir für die kommenden Jahre Dreierkombinationen: eine Städte-, eine Erholungs- und eine größere Bildungsreise. Die erstere, 2010, führte nach Budapest, wo wir Francescas Geburtstag feierten. Wir waren von den Herrlichkeiten der Donaumonarchie tief beeindruckt und kamen rasch zum Schluß, daß Wien nicht mithalten könne und Budapest die schönste Stadt Europas sei (von Italien abgesehen). Ausflüge ins Umland, wie wir es mit Prag und Theresienstadt vorhatten, planten wir nicht ein. Die Stadt bot uns genug, die Burg, die Museen, die Bäder und nicht zuletzt die umwerfend schmuckvolle Oper, wo wir Il barbiere di Siviglia sahen, nicht unbedingt unser Geschmack, aber es paßte zur launigen Ferienstimmung. Die taufrisch restaurierte Synagoge, die größte auf dem europäischen Kontinent, war so überwältigend, daß wir kurz meinten, sie sei Anlaß, nochmals zu heiraten. Am letzten Tag entdeckten wir die Antiquariate, denen wir aus dem Wege gehen wollten. Francesca kaufte wieder ein, darunter eine Leusden-Bibel auf Hebräisch von 1705.
Die letzte Bildungsreise mit Führer und Fahrer vor Ort führte uns, unmittelbar vor Francescas unerwartetem Tod, nach Jordanien, eine Reise, die wir seit langem geplant hatten. Letztlich ging es um die Nabatäerfelsenstadt Petra. Aber zuerst wohnten wir in Amman, wieder in einer arabischen Stadt, und das während des arabischen Frühlings. Tunesien und Ägypten hatten den Wechsel geschafft, die NATO-Unterstützung der libyschen Rebellen begann just während dieser Reise. Wir befanden uns auf der anderen Seite von Israel, das 93 Prozent des Jordanwassers für sich beansprucht. Wir erwähnten unserem hilfreichen Fahrer gegenüber unsere Israelerfahrungen nicht. Wir spürten den Nahostkonflikt, diesmal von der anderen Seite aus. Wir erlebten das Land und vor allem die Hauptstadt als ausgesprochen liberal, ja zweisprachig, das Englische war weit verbreitet. Hier scheint das Königtum eine integrierende Rolle zu spielen. Wir fuhren nach Jerasch, der riesengroßen Anlage aus der römischen Zeit. Francesca, die Römerin, erklärte mir alles en detail. Wir sahen den Mount Nebo, die Mosaiken von Madaba, die Anlage von Karak. Dann nach Gadara, dem heutigen Umm Qais, mitten in der Landschaft gelegen. Schließlich ging es über die Wüstenschlösser nach Süden. Am Vorabend kamen wir in Petra an.
Petra – wie häufig hatte Francesca davon in den zehn Jahren zuvor gesprochen. Nun waren wir eingetroffen. Wir nahmen uns einen ganzen Tag vor, neun Stunden waren wir auf den Beinen, das Gelände ist riesig. Früh morgens machten wir uns auf den Weg. Wir liefen ehrfurchtsvoll den Siq entlang, jene etwa 1500 Meter lange und bis zu 200 Meter tiefe und sehr enge Felsschlucht, gleichsam ein Läuterungsweg zur einer verwunschenen Welt. Dann, plötzlich, ein Platz mit dem Blick auf das berühmteste Denkmal, das Khazne al-Firaun. Es erschlug uns geradezu. Fassungslos bestaunten wir die Fertigkeiten der Nabatäer. Wir durchwanderten die Gegend und liefen sogar hoch zum Kloster mit dem Felsgrab Ed-Deir, von wo aus man einen Blick nach Westen auf das Jordantal hat und der sehr bizarren Bergformation ansichtig wird. Wir dachten unwillkürlich an Kants Definition des Erhabenen in der Natur als des Übergroßen. Erschöpft, aber zutiefst befriedigt begannen wir den Abstieg.
Am letzten Tag wohnten wir in einem luxuriösen Ressort am Toten Meer. Tief gelegen konnten wir auf der anderen Seite hoch oben die Heilige Stadt Jerusalem nächstens leuchten sehen. Wer kann, sollte in diesem Salzwasser baden. Alle Schwimmkünste versagen. Es ist, als habe man das Schwimmen nie gelernt. Das Wasser war thermalbadwarm, kein Wind, keine Wellen störten uns an diesem Tag. Es lag Frieden über uns. Mehr als eine Stunde lagen wir auf dem Wasser wie auf einer Luftmatratze und fühlten uns wie Kinder. Francesca, die sich in einem früheren Leben als Fisch glaubte, war überglücklich. Wir beschlossen, eines fernen Tages, im Alter, hierher zurückzukehren. Am Abend flogen wir über Wien nach Berlin, in Francescas Heimatstadt. Heimat? Sie erklärte einmal, wohl anspielend auf das Diasporaschicksal ihres Volkes, daß sie keine Heimat habe, außer Berlin und Jerusalem, wobei sie aber sofort hinzufügte, daß diese beiden Städte strenggenommen heimatlose wären. So hatte sie, die sich Yardenit, Tochter des Jordans, nannte, sich am Ende ihres kurzen Lebens sowohl den langgehegten Wunsch Petra erfüllt als auch, von der Ferne, nochmals ihre zweite Wahlstadt gesehen: Jerusalem.
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