Das zu diesem Zweck auf Ebene der Europäischen Union implementierte Emissionshandels-System (EU ETS), das auf der Vergabe und dem Handel von Zertifikaten beruht, die den vom System erfassten Erzeugungsanlagen gleichsam das Recht zubilligen, eine bestimmte Menge an CO 2zu emittieren, wird kritisch analysiert.
Zum einen wird überhaupt nur bestenfalls die Hälfte aller Emissionen in Europa von diesem System erfasst, wesentliche Bereiche, wie etwa die gesamten Sektoren Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft, fallen gar nicht unter das System.
Zum anderen funktioniert das System nach dem Prinzip des so genannten „burden sharing“ was bedeutet, dass das 20-%- bzw. 40-%-Reduktionsziel nur kumulativ für die gesamte EU gilt. Wirtschaftlich hochentwickelte Mitgliedstaaten der Union, so auch Österreich, müssen seit 2012 deutlich mehr Emissionen reduzieren als weniger entwickelte Länder, die zum Teil sogar nach wie vor nicht einsparen müssen, sondern mehr Emissionen verursachen dürfen.
Dasselbe Prinzip gilt auch für die nicht unter das Emissionshandels-System fallenden Sektoren, die mehr als 50 % der Emissionen verursachen. Auch hier müssen entwickelte Industrienationen zur Erreichung des EU-weiten Gesamtreduktionsziels deutlich mehr Emissionen reduzieren als weniger entwickelte Länder. Die große, beispielhafte Übung europäischer Solidarität wird in diesem Bereich „effort sharing“ genannt.
Kapitel 8 widmet sich der Umsetzung der auf globaler und europäischer Ebene in den wesentlichen Grundzügen vorgegebenen energiepolitischen Ziele in Österreich und der von der zum Zeitpunkt der Verfassung dieser Arbeit nicht mehr im Amt befindlichen Bundesregierung verfolgten Strategie der ausgewogenen, immer einen harmonischen Ausgleich sicherstellenden Bestrebungen nachstehender dreier zentraler energiepolitischer Ziele:
• Ökologische Nachhaltigkeit und Ausbau erneuerbarer Energien
• Versorgungssicherheit, Energieinfrastruktur und Netzstabilität
• Wirtschaftlichkeit, Leistbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit
Zentraler Inhalt dieses Kapitels ist weniger die Beschreibung und Analyse dieser drei Ziele als vielmehr die sich in der Verfolgung und Umsetzung derselben ergebenden Herausforderungen. Folgende sieben große Herausforderungen werden spezifiziert und dazu jeweils die besonderen Problemstellungen analysiert und entsprechende Lösungsansätze konzipiert.
• Herausforderung 1: Ersatz der fossilen Energieträger
• Herausforderung 2: 100 % Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030
• Herausforderung 3: Netzstabilität bei Volatilität von Windkraft und Photovoltaik
• Herausforderung 4: Speicherung von sauberem Strom
• Herausforderung 5: Sektorkopplung
• Herausforderung 6: Dezentralisierung, Prosumer, Digitalisierung
• Herausforderung 7: Wirtschaftlichkeit, Leistbarkeit für Haushalte und Unternehmen
Ergänzt wird dieses Kapitel durch eine kurze Beschreibung der relevanten Passagen im Regierungsprogramm 2020 der aktuellen Bundesregierung zwischen ÖVP und Grünen.
Kapitel 9 verzeichnet die verwendeten Literaturquellen und Onlinequellen. Eine umfangreiche Erfassung der Rechtsgrundlagen in Kapitel 10 listet themenrelevante Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union und Gesetze und Verordnungen der Republik Österreich auf.
EU-ENERGIEPOLITIK UND ELEKTRIZITÄTSWIRTSCHAFT
EINLEITUNG
Die Elektrizitätswirtschaft hat sich in Europa über einen Zeitraum von über 100 Jahren zuerst in den Städten und in der Folge auf regionaler und nationaler Ebene entwickelt. Die Energiewirtschaft im Allgemeinen und die Elektrizitätswirtschaft im Besonderen haben in der Vergangenheit und der Gegenwart und werden auch in der Zukunft immer einen sehr hohen Stellenwert in der sicherheitspolitischen Betrachtung auf Ebene der Nationalstaaten haben. In diesem Zusammenhang ist das Vorhandensein entsprechender Kompetenzen zur Wahrung der sicherheitspolitischen Interessen der Nationalstaaten von nicht unerheblicher Bedeutung.
Wenn man sich der Frage der Kompetenzverteilung zwischen nationalstaatlichen Institutionen und supranationalen europäischen Institutionen in den obengenannten Bereichen Energiewirtschaft und Elektrizitätswirtschaft nähert, lohnt sich zum besseren Verständnis der heutigen Situation ein Blick auf die historische Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg.
Einleitend darf festgestellt werden, dass der Bereich der Elektrizitätswirtschaft/Strom neben dem Bereich der Gaswirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg für lange Jahrzehnte auf europäischer Ebene nicht im Geringsten interessiert hat und lange Jahrzehnte zur Gänze Sache der Nationalstaaten war. Für den Bereich Elektrizitätswirtschaft/Strom brachten der Vertrag von Maastricht 1992 hinsichtlich der Tatsache, dass die Europäische Union sich des Bereiches erstmalig inhaltlich annahm, und der Vertrag von Lissabon 2007, der die Grundlage für weitreichende Änderungen im Rahmen des 3. Energiebinnenmarktpakets darstellte, die einschneidendsten Zäsuren.
EUROPÄISCHE ENERGIEPOLITIK 1951 BIS 1973
Die europäische Energiepolitik der 1950er- und 1960er-Jahre war geprägt von den Anforderungen des Wiederaufbaus Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und der Sicherstellung der dafür notwendigen Ressourcen im Energiebereich. Sie fokussierte sich deshalb auf die Energieträger Kohle, Erdöl und Nuklearenergie.
So kam es 1951 zur Gründung und 1952 zum Inkrafttreten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1, oft auch „Montanunion“ genannt, als erster supranationaler Organisation und Vorläuferin der heutigen Europäischen Union. Ziel war es, für Kohle und Stahl als wichtigste Ressourcen für den Wiederaufbau Europas Bedingungen einer Freihandelszone ohne Zölle zu schaffen. Mit der „Hohen Behörde“, die gemeinsame Regelungen für alle Mitgliedstaaten treffen konnte, wurde erstmalig eine supranationale Institution mit Entscheidungskompetenzen geschaffen. Der EGKS-Vertrag wurde 1952 für eine Zeitdauer von 50 Jahren geschlossen und lief 2002 aus.
Zu Beginn der 1950er-Jahre betrug der Anteil der Kohle an der Primärenergieerzeugung in Europa nahezu 90 %. Die steigende Bedeutung des Energieträgers Erdöl in den folgenden Jahren und die durch die Suezkrise 1956 ausgelösten großen Sorgen hinsichtlich der energiewirtschaftlichen Versorgungssicherheit Europas führten in weiterer Folge dazu, die Nuklearenergie in Europa als Alternative ernsthaft zu fördern, um einerseits billige Energie für eine wachsende Wirtschaft zu bekommen und andererseits Europas Abhängigkeit von Ölimporten aus politisch unsicheren Regionen zu minimieren.
Dies führte 1957 mit den so genannten „Römischen Verträgen“ 2zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM). Mit dem EURATOM-Vertrag 3wurde ein klares Bekenntnis zur friedlichen Nutzung der Atomenergie abgegeben mit den Zielen, diese Energiequelle künftig effizient zu nutzen, gemeinsame Sicherheitsstandards zu entwickeln und einen Rahmen für die Forschung in diesem Bereich zu implementieren.
Gleichzeitig wurden mit den Römischen Verträgen 1957 zwei weitere für die europäische Integration wichtige Abkommen geschlossen. Erstens der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und zweitens das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften (EG). Mit den Römischen Verträgen 1957 wurden somit als „Dach“ die Europäischen Gemeinschaften (EG) in Leben gerufen, die aus drei Gemeinschaften und gemeinsamen Organen bestanden:
• der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS),
• der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM),
• der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG),
• einer gemeinsamen parlamentarischen Versammlung (dem Vorgänger des heutigen Europäischen Parlaments), einem gemeinsamen Gerichtshof und einem gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialausschuss.
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