3.7.3 Die Aufstände in der Diaspora (115–117 n. Chr.)
(Diasporaaufstände)
Trajans Vordringen nach Osten bis an den Persischen Golf, während dem die Parther 115/116 n. Chr. besiegt wurden, bot Diasporajudäern in Ägypten und der Kyrenaika und in der weiteren Folge auch auf Zypern und in Mesopotamien die Gelegenheit, Aufstände gegen die griechisch-römische Bevölkerung zu beginnen (vgl. Cassius Dio, hist. 68,32,1–3; Euseb, h. e. 4,2,1–5). Cassius berichtet von Massenmorden durch Judäer, die nach der Niederschlagung der Aufstände durch römische Truppen zu blutiger Rache führten. Das Diasporajudentum in Ägypten, der Kyrenaika und auf Zypern wurde 117 n. Chr. so gut wie ausgelöscht. Das hatte sicherlich auch Folgen für Christusgläubige, die entweder selbst judäischer Herkunft waren oder als Judäer betrachtet wurden. Unser mangelndes Wissen über die frühe Entstehung des Christentums in Nordafrika ist vor allem auf diesen radikalen Schnitt zurückzuführen.
3.7.4 Die Septuaginta
(Septuaginta)
Zwischen 250 und 100 v. Chr. entstand vor allem in Ägypten die Septuaginta (LXX), die griechische Übersetzung des Alten Testaments. Der Aristeasbrief beschreibt dies als Unternehmen des Königs Ptolemaios II., was bezweifelt werden kann. An der LXX lässt sich exemplarisch erkennen, wie wichtig griechische Kultur und Bildung für die in Alexandria und anderen Städten des hellenistischen Kulturraums wohnhaften Judäer war. Die heiligen Schriften wurden in der Diaspora nur noch in dieser Form gelesen und ausgelegt. So sind von dem hellenistisch-jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien (ca. 15 v. Chr.–50 n. Chr.) zahlreiche exegetische Werke erhalten, in denen er die LXX mit den Methoden der sog. alexandrinischen Schule auslegte. Aber auch Flavius Josephus und den neutestamentlichen Autoren galt die LXX als die Heilige Schrift.
3.7.5 Synagogen
(Die Bezeichnung Synagoge / Die Bezeichnung Proseuche / Die religiöse Funktion der Diasporasynagogen)
Zu den wesentlichen Errungenschaften des Diasporajudentums gehörte die Entwicklung der Synagoge als landsmannschaftlicher Vereinigung ab dem 3. Jh. v. Chr. (s. o. 2.2.3.3). Die Bezeichnung συναγωγή/synagōgē („Zusammenkunft“), die auch von nicht-jüdischen Gruppierungen verwendet wurde, konnte sowohl für die Personengemeinschaft als auch für deren Versammlungsgebäude verwendet werden. Die Synagoge, die auch als προσευχή/proseuchē („Gebetsstätte“; vgl. Apg 16,13) bezeichnet wurde, versammelte Mitglieder der judäischen Diaspora einer Stadt, wobei bei einer größeren Zahl an Judäern auch mehrere Synagogen an einem Ort möglich waren, z. B. in Damaskus (Apg 9,2), Salamis (Apg 13,5) oder Rom (s. o. S. 75). Die Treffen am Sabbat oder zu Festzeiten, deren genaue Rekonstruktion für das 1. Jh. n. Chr. unsicher bleiben muss, waren neben den Feiern in den Haushalten wesentliche Elemente des religiösen Lebens in der Diaspora. Zu ihnen gehörten die Lesung und Auslegung der Schrift, Gebete und Psalmen, Räucheropfer sowie gemeinsame Mahlzeiten (vgl. nur Lk 4,16; Apg 13,15; 15,21). Frauen nahmen an diesen Feiern ebenfalls teil (Lk 13,10–17; Apg 16,13; Josephus, ant. 14,260). Je nach ihrem lokalen Status waren Synagogen bzw. Politeuma (s. o. S. 75) auch berechtigt, interne Rechtsfragen zu entscheiden und Strafen zu vollziehen (2Kor 11,24). Die Leitung der Synagogen durch Vorsteher (άρχισυνάγωγος/archisynagōgos) sowie die Mitwirkung von Ältesten (πρεσβύτερος/presbyteros) und anderen Funktionären geschah analog zu paganen Vereinigungen. Auch Frauen trugen diese Titel.
(Synagogen in Palästina)
Auch in Palästina entstanden ab dem 1. Jh. v. Chr. Synagogen, deren Funktion allerdings deutlich weiter zu denken ist. Sie waren nicht nur Orte religiöser Feiern, sondern darüber hinaus Versammlungsräume der Bevölkerung. In Jerusalem bestanden zur Zeit des Zweiten Tempels keine Synagogen, mit Ausnahme jener, die von Diasporajudäern betrieben wurden (Apg 6,9), wie die Synagoge des Theodotos (CIJ II 1404).
3.8 Proselyten und Gottesfürchtige
Das antike Judentum, zum Teil in Palästina, vor allem aber in der Diaspora, hatte für einzelne Nicht-Juden eine gewisse Attraktivität. Die teilweise oder vollständige Übernahme jüdischer Religion und Kultur, das wird aus literarischen und inschriftlichen Quellen deutlich, war offenbar vor allem für gebildete Mitglieder der Eliten interessant. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem seltenen Fall des vollen Übertritts und anderen Formen der Annäherung.
(Proselyten)
Als Proselyten werden in der LXX Fremde bezeichnet, die im Land Israel wohnen (hebr. gēr; z. B. Ex 20,10; Lev 17; Num 15,14–16; Dtn 31,12). Während im hebr. Sprachgebrauch keine religiöse Bedeutung im eigentlichen Sinn zu erkennen ist, ist das in der LXX bereits verändert, da sich in der Diaspora auch Nicht-Juden dem Volk Israel anschlossen. Zahlreiche Texte, wie der Roman „Joseph und Aseneth“ oder Ausführungen bei Philo und Josephus, beschreiben solche Konversionen. Proselyten unterwarfen sich der Tora, verehrten ausschließlich den Gott Israels und wurden Mitglieder der Synagoge (vgl. Jdt 14,10; Tacitus, hist. 5,5,2). Für Männer schloss dies die Beschneidung ein. Obwohl Proselyten nach Rechten und Pflichten als Teil des judäischen Volkes galten, war ihr Status nicht dem geborener Judäer gleich. In Qumran galten sie als die geringste Gruppe der Israeliten (CD 14,3–6). Auch Philo konnte trotz allen Lobes für den Mut zur Konversion (virt. 216–219) auch distanzierende Töne anschlagen (vit. Mos. 1,147), und die rabbinischen Texte zeigen eine hochambivalente Haltung.
(Helena und Izates von Adiabene)
Von einem illustrativen Beispiel zwischen Sympathie und Konversion berichtet Josephus (ant. 20,17–53): Königin Helena von Adiabene am Tigris und ihr Sohn Izates waren so sehr dem Judentum zugeneigt, dass sich Izates eigentlich beschneiden lassen wollte. Das sei aber zunächst unterlassen worden, und sogar sein judäischer Lehrer Ananias habe dies befürwortet (20,38–42). Man könne Gott, so formuliert Josephus die Worte des Ananias, „auch ohne Beschneidung verehren“ (20,42). Später habe sich Izates allerdings doch noch beschneiden lassen, nachdem ihn nämlich ein anderer Judäer darüber belehrt habe, dass nur derjenige Gott wirklich verehre, der das ganze Gesetz einhalte. Dazu gehöre eben auch das Gebot der Beschneidung (20,43–48). Diese Geschichte, auch wenn sie von Josephus stilisiert erzählt wird, zeigt recht deutlich, dass die Frage nach dem Heil für Nicht-Juden im Judentum unterschiedlich beantwortet wurde.
(Sympathisanten des Judentums)
In der Apostelgeschichte verwendet Lukas für die Sympathisanten und Sympathisantinnen die Bezeichnungen „Gottesfürchtige“ (φοβούμενοι τὸν θεόν/phoboumenoi ton theon: Apg 10,2.22; 13,16.26) bzw. „Gottesverehrer“ (σεβόμενοι τὸν θεόν/sebomenoi ton theon: Apg 16,14; 18,7). Sie begegnen auch in späterer Zeit für Personen, die in einer mehr oder weniger ausgeprägten Art und Weise die Kultur der Judäer bzw. das Judentum schätzen (s. u.). Für sie war die intellektuelle und wortzentrierte Verehrung eines einzigen Gottes ein attraktives Gegenstück zu den paganen Kulten und dem damit verbundenen praktizierten Polytheismus. Hinzu kamen Lebensregeln wie die Zehn Gebote, die antiken Tugenden durchaus entsprachen. Und schließlich sind die – im Vergleich zu paganen Opferkulten – geradezu asketischen Feste der jüdischen Synagogen zu nennen, die auf Nicht-Juden einen gesitteten Eindruck machten.
(Formen der Sympathie für das Judentum)
Eine geringere Nähe, aber doch Sympathie oder Unterstützung wird vor allem durch Inschriften deutlich, die zeigen, dass auch Nicht-Juden die Interessen einer lokalen Synagoge förderten. Wie sehr dahinter eine inhaltliche Begeisterung für judäische Religion und Kultur stand, lässt sich selten bestimmen. So ehrten ein judäisches Politeuma in der Kyrenaika in Nordafrika einen Förderer namens M. Tittius (ca. 24 n. Chr.; CJZC 71) und möglicherweise eine Synagoge in Phrygien die Priesterin des Kaiserkults Julia Severa für die Stiftung eines Gebäudes (um 100 n. Chr.; IJO II 168). Aus dem 4. Jh. n. Chr. stammt eine Inschrift, die 54 Gottesfürchtige nennt, zusammen mit 68 Judäern und 3 Proselyten (Aphrodisias, IJO II 14). Nach Lk 7,5 erbaute der Hauptmann von Kapernaum aus Liebe zum judäischen Volk die lokale Synagoge. Bei Josephus finden sich einige Belege für diese Faszination an judäischer Kultur und Religion im syrischen Raum: So hätten sich in Damaskus fast alle Frauen dem Judentum angeschlossen (bell. 2,560), und in Antiochien seien zahlreiche Griechen so etwas wie ein Teil der Synagoge geworden (bell. 7,45). Josephus bezeichnet auch Poppaea Sabina, die Ehefrau von Kaiser Nero, als eine Frau, die Gott verehrte (ant. 20,195; vgl. 20,252).
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