25 1.1. Begriffliche Annäherungen Die Frage nach einer Beschreibung von dem, was ›Kreatives Schreiben‹ begrifflich bedeutet, führt bei genauerem Blick auf eine Entwicklung innerhalb zeit- und wissenschaftskritischer Strömungen und Tendenzen; die Frage, was ›Kreatives Schreiben‹ ist, führt zwangsläufig zu etablierten Diskursen der Geisteswissenschaften bzw. der New HumanitiesNew Humanities26Kulturwissenschaft und den mit ihnen hier verbundenen Fragen wiederum begrifflicher Natur: Was ist Literatur?Was ist Literatur?27 Was ist das Wesentliche am Prozess der KreativitätKreativität? Und was dasjenige an dem künstlerisch-gestalterischen Schaffens? Für das ›Kreative [21]Schreiben‹ hinzu kommt ein pädagogischer Aspekt, denn gefragt wird in diesem Zusammenhang immer auch, wie sich ›Literatur‹, ›Kreativität‹ bzw. ›Kunst‹ und ›GestaltungGestaltung‹ erlernen lassen.28New Humanities Dazu hat die Begriffsgeschichte des ›Kreativen Schreibens‹ eine bedeutende historische Hinweisfunktion, denn seine Theoretisierung setzt etwa zur selben Zeit ein, in der sich auch die Literatur- und SprachwissenschaftenSprachwissenschaft im anglo-amerikanischen Raum in einer für sie zentralen Krise befanden und sich die Verwendung des Ausdrucks ›Kreatives Schreiben‹ in seiner ursprünglich englischen FormForm als Creative Writing Creative Writingim genannten Sprachraum in der heutigen Bedeutung zu etablieren beginnt.29BuchBereiter, Carl Dazu parallel verlief das Bestreben, das Studium der ›Literatur‹, das in den Vereinigten Staaten oft Criticismgenannt wird, mit demjenigen seiner Praxis, was dort in der Regel unter dem Schlagwort Creativityfungiert, im Sinne eines geisteswissenschaftlichen Erkennntnisfortschritts beim Verstehen ästhetischen30HandlungÄsthetik Schreibens zu verbinden. Naheliegend war, dass diese Neugewichtung praktischer BedeutungshorizontePraktische Bedeutungshorizonte des Schreibens mit der Privilegierung von ›Theorie‹ als eine internationale lingua francader KulturwissenschaftenKulturwissenschaft einhergegangen ist.31New Humanities Die theoretische Herausbildung des ›Kreativen Schreibens‹ trug dazu bei, die praktischen Methoden bei der Auseinandersetzung sowohl mit literarischen/sprachlich-[22]textlichen Kunstwerken wie mit deren genuiner Konstruiertheit als ästhetische Kategorien nicht aus den Augen zu verlieren.32New Humanities 1.1.1. Was ist KreativitätKreativität? In seiner heute vertrauten Alltagsbedeutung hat sich der deutsche Ausdruck ›Kreatives Schreiben‹ also als Lehnübersetzung aus dem Englischen herausgebildet. Der wortgeschichtliche Vergleich der beiden Ausdrücke ›KreativitätKreativität‹ und ›Schreiben‹ bzw. ursprünglich Creativityund Writinglässt dabei eine Spannung deutlich werden: Kreativitätkann, im 19. Jahrhundert vom lateinischen creare(hervorbringen/er-schaffen, zeugen/gebären, schaffen/ins Leben rufen, verursachen/bewirken) herkommend, wovon sich u.a. das deutsche aktive ›Neu-Schöpfen‹ herleitet, auch ein passives Geschehen-Lassen (lat. crescere) bezeichnen.33 Gegenüber der Nicht-Kreativitätwerden darunter bestimmte Kriterien gefasst, die die bereits oben erwähnten Faktoren Originalität/Neuartigkeit, aber auch Flexibilität, Einfallsreichtum und OffenheitFlexibilität, Einfallsreichtum und Offenheit betreffen. Paul J. GuilfordGuilford, Paul J. spricht beispielsweise in einem stark beachteten Vortrag aus dem Jahr 1950 von Creativityals einem ›Arbeitsbegriff‹ und versteht darunter ein Verhaltensmuster, unter das ein Sensorium für aufkommende Probleme, d.h. Einfühlungsvermögen, ebenso fällt wie ›flüssiges‹ Denken, d.h. geistige Flexibilität beim – mühelosen – Wechseln von Bezugssystemen, oder analytische Fähigkeiten, die zur Umorganisation respektive Neudefinition des Wahrgenommenen anleiten; zudem zählt er das Verstehen der Komplexität begrifflicher und symbolischer Strukturen sowie individuelle Motivationsmöglichkeiten zu diesem Bereich.34Guilford, Paul J. Der Begriff ›Kreativität‹ verweist auf eine grundsätzliche kulturelle Problematik: auf den Wunsch eines jeden innerhalb der GegenwartskulturGegenwartskultur [23]kreativ sein zu wollen, einerseits und andererseits auf den Umstand, nicht kreativ sein zu können; Lösungsperspektiven bietet jedoch die in dieser Diskussion immer mitgedachte Überzeugung, solche Schwierigkeiten mit Hilfe von Training und Übung zu überwinden.35Kreativität Andreas Reckwitz, der diesen sozialen ProzessKreativitätKreativität als sozialer Prozess aus kultursoziologischer Sicht ausführlich beleuchtet hat, betont noch einmal zusammenfassend die hierfür enorm wichtigen Momente des Neuen, der Innovation sowie der Schöpfung und weist der Kreativität eine doppelte Bedeutung zu: Zum einen verweist sie auf die Fähigkeit und die Realität, dynamisch Neues hervorzubringen. KreativitätKreativität bevorzugt das Neue gegenüber dem Alten, das Abweichende gegenüber dem Standard, das Andere gegenüber dem Gleichen. Diese Hervorbringung des Neuen wird nicht als einmaliger Akt gedacht, sondern als etwas, das immer wieder und auf Dauer geschieht. Zum anderen nimmt Kreativität Bezug auf ein Modell des ›Schöpferischen‹, das sie an die moderne FigurFigur des Künstlers, an das Künstlerische und ästhetische insgesamt zurückbindet. Es geht um mehr als um eine rein technische Produktion von Innovationen, sondern um die sinnliche und affektive Erregung durch das produzierte Neue. Das ästhetisch Neue wird mit Lebendigkeit und ExperimentierfreudeLebendigkeit und Experimentierfreude in Verbindung gebracht, und sein Hervorbringer erscheint als ein schöpferisches Selbst, das dem Künstler analog ist. Das Neuartige im Sinne des Kreativen ist dann nicht lediglich vorhanden wie eine technische Errungenschaft, es wird vom Betrachter und auch von dem, der es in die Welt setzt, als Selbstzweck sinnlich wahrgenommen, erlebt und genossen.36Kreativität Dass die KreativitätKreativität, wie sie hier erklärt wird, heute das Zentrum eines dominanten »sozialen Kriterienkatalogs« darstellt, der einen »ästhetischen Kapitalismus«37 innerhalb von Creative Class,38 Creative Industriesund deren Creative Cities,39 ein » Kreativitätsdispositiv[24]«40KreativitätDer Imperativ des Kreativen hervorgebracht hat, ist mit Blick auf das Kreative Schreiben eine wichtige Beobachtung: Die Orientierung der GegenwartskulturGegenwartskultur an der Kreativität betrifft Arbeitstechniken des Schreibens in gleicher Weise wie Organisationen und Institutionen des Kulturbetriebs, des literarischen Lebens, des Bildungssektors oder der MassenmedienMassenmedium und des DesignsDesign.41Kreativität Das kritische Potential einer »universalisierten Kreativitätsorientierung« einschließlich deren »Imperativen«,42Kreativität worauf bereits Niklas Luhmann Ende der 1980er Jahre hingewiesen hat,43Kreativität darf für die Bestimmung und Abgrenzung des Konzepts ›Schreiben‹ nicht unterschätzt werden; vom Impuls der Kreativität lässt sich ein kritischer Bogen zu dessen näherer Begriffsbestimmung schlagen. 1.1.2. Was ist Schreiben? Die SchreibforschungSchreibforschung hat eine Vielzahl an Bestimmungsmöglichkeiten vorgeschlagen, die in ihrer linguistisch-pragmatisch orientierten Ausprägung ›Schreiben‹ und ›TextproduktionTextproduktion‹ gegeneinander diskutieren44Ludwig, Otto und in ihrer literaturwissenschaftlich-medienkulturtheoretischen Erscheinung die Frage, was ›Schreiben‹ (tatsächlich) ist, in verschiedenen Phänomenologien philosophischer Provenienz ausführen.45Stingelin, Martin Während die erstgenannte das Schreiben in vier DimensionenDimensionen des Schreibens bestimmt – als Handwerk (technologische Dimension), ZeichenproduktionZeichenproduktion (semiotische Dimension), sprachliche HandlungHandlung (linguistische Dimension) und Integration in einen Handlungszusammenhang (operative Dimension) –, hebt zweitgenannte dessen »handwerkliche, technologische Dimension [25]als unabdingbare Voraussetzung« hervor.
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