Oliver Ruf - Kreatives Schreiben

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Was heißt Kreatives Schreiben? Wo ist es entstanden? Was umfassen dessen Theorien und wie gestaltet sich seine Praxis? Für welche Felder ist Kreatives Schreiben relevant und in welcher Form? Der Band liefert eine medien-, kultur- und literaturwissenschaftlich orientierte Einführung, die nicht nur handwerkliche Aspekte behandelt, sondern auch die systematische Geschichte seines Gegenstands skizziert – von den Anfängen des Creative Writing in den Vereinigten Staaten Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zu seiner akademischen (Neu-)Entdeckung in Fachwissenschaft, Fachdidaktik und gestalterischer Anwendung. Dazu wird in die Systematik wie in die Methodik und das grundlegend interdisziplinäre Potential des Kreativen Schreibens vor dem Hintergrund der theoretischen Beschäftigung eingeführt, um Fragen der Ästhetik ebenso zu berücksichtigen wie Modelle und Prozesse der Schreibvermittlung, der Pädagogik bzw. der ästhetischen Bildung.

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Ende des 19. Jahrhunderts dominiert WendellsWendell, Barret Schreib-Methodik die Universitätslandschaft Amerikas.162 Barrett WendellWendell, Barret wurde am 23. August 1855 in Boston als Sohn von Jacob und Mary Bertholdi Wendell geboren, schloss seine universitäre Ausbildung 1877 in Harvard ab, wo er 1880 Dozent im Fach Englische Sprache und Literatur wurde. Von 1888 bis 1898 war er dort als wissenschaftlicher Assistent von Adam Sherman Hill, dem Inhaber der Bylston-Professur für RhetorikRhetorik, von 1898 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1917 als Professor tätig. Als einer der ersten Hochschullehrer der Vereinigten Staaten lehrte Wendell amerikanische Literatur als Gegenstand eines systematisch historischen und literaturkritischen Studiums. Nachdem seine Romane Emilia(1885) und Rankell’s Remains(1887) beim Publikum durchgefallen waren, konzentrierte er sich auf sein akademisches Engagement und konzipierte eine Fülle von disziplinären Neuerungen, die das literarische Schreiben als Bestandteil der KompositionslehreKompositionslehre zu einer Säule des US-amerikanischen Universitätssystem werden ließen. Zu seinen Schülern zählten u.a. George Rice Carpenter und Robert Herrick. Wendell starb am 8. Februar 1921 in Boston. Werke u.a.: The Duchess Emilia. A romance(1885) – Rankell’s Remains(1887) – English composition. Eight lectures given at the Lowell Institute(1891) – A literar history of America(1901) – The privileged classes(1908) – The mystery of education, and other academic performances(1909). Es ist also die Praxisfeindlichkeit der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft, die zur Ausformung, Institutionalisierung und Etablierung des Kreativen Schreibens führt; dessen Entstehung fungiert damit als Reflexionsinstanz der neueren Philologien, als Praxislehre, jedoch auch als Kritik: als Wissenschaftskritik. Die Vertreter curricularer SchreibvermittlungSchreibvermittlungCurriculare Schreibvermittlung versuchen, einen neuen Umgang mit Texten bereitzustellen, um deren ›Gemachtheit‹ zu unterstreichen. In der Nachfolge von WendellsWendell, Barret KompositionslehreKompositionslehre taucht der Begriff des Kreativen Schreibens zum ersten Mal Mitte der 1920er Jahre in den Schriften Hughes Mearns’Mearns, Hughes auf, der vor allem in zwei viel gelesenen [53]Büchern163 seine Schreib-Lehre an der New Yorker Lincoln School exemplifiziert. Mearns entwirft ein Programm für die systematisierende Schulung von Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverwirklichung und eigenem künstlerischen Ausdrucksvermögen mittels Schreiben (und nicht für die Ausbildung von Berufs-Schriftstellern).164 Darin wird noch einmal deutlich, wie sehr sich die Anfänge des Kreativen Schreibens in den USA an die reformpädagogischen Überlegungen John DeweysDewey, John anlehnen,165Dewey, John dem Mearns auch sein BuchBuch Creative Youthwidmet. Deweys Pädagogik liefert der Entwicklung des Kreativen Schreibens nicht nur den Ansatz; bis heute verläuft die Formfindung des institutionalisierten Kreativen [54]Schreibens in den Vereinigten Staaten in permanenter und auffälliger Auseinandersetzung mit dessen Konzepten.166Glindemann, Barbara John DeweyDewey, John war einer der wichtigsten US-amerikanischen Philosophen und Pädagogen des 19. und 20. Jahrhunderts. Geboren am 20. Oktober 1859 in Burlington (Vermont) graduierte er 1879 an der dortigen Universität und arbeitete zwei Jahre als High School-Lehrer, bevor er 1884 an der John Hopkins University promovierte. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten der Begründer der experimentellen Psychologie, Granville Stanley Hall, sowie der Begründer der modernen SemiotikSemiotik, Charles Sanders Peirce. Dewey unterrichtete Philosophie in Michigan und Minnesota und wurde 1894 Vorsitzender der Abteilung für Philosophie, Psychologie und Pädagogik an der University of Chicago. Von 1904 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1930 war er Professor an der Columbia University in New York. Philosophisch vertrat er einen empiristischen Ansatz, der den gesellschaftlich gewordenen Menschen zum Gegenstand hat; pädagogisch wurde er durch seine Theorie der demokratischen Erziehung mit ihrem starken Handlungsbezug bekannt, bei dem das Lernen ganz und gar auf Erfahrung aufgebaut ist. Dewey starb am 1. Juni 1952 in New York. Der erzieherische Wert von Literatur liegt dabei darin, dass diese als adäquates Mittel erscheint, das eigene Leben zu bedenken und zu verstehen. Wenn dem so ist, kann Literatur nur in ihrem ›Innern‹ erkannt und eigenständig praktiziert werden. Derjenige, der Literatur studiert, muss, wie MearnsMearns, Hughes ausführt, eine ›literarische Persönlichkeit‹Literarische Persönlichkeiten sein, jemand, der Literatur ›macht‹.167Mearns, Hughes Grundlage ist die Überzeugung des Learning by doingim Sinne DeweysDewey, John,168Dewey, John dass Lernen nur mittels eigener Anwendung, Ausführung und Erfahrung funktionieren kann. Studierende des Kreativen Schreibens lernen nicht ausschließlich von Lehrenden, nicht durch genaues [55]Studium oder vielfältiges Lesen; sie lernen durch die kontinuierliche Erfahrung, sich zu jenen ›literarischen Persönlichkeiten‹ und ›Machern‹ von Literatur zu entwickeln, von denen Mearns spricht.169Myers, D.G. Kreatives Schreiben erscheint damit als Indikator, zu erkennen, wofürliterarische Werke nützlich bzw. geeignet sind, und außerdem warumsie hierfür nützlich bzw. geeignet sind, d.h. als Mittel, ihre ästhetische Qualität – »the text’s greatness«170 – zu verstehen. Kreatives Schreiben ist einInstrument literarischer Kanonisierung,171 wenngleich man (nach D.G. MyersMyers, D.G.) besser von ›Nützlichkeit‹ und ›Tauglichkeit‹ statt von Kanonizität sprechen sollte.172Myers, D.G. MearnsMearns, Hughes Absicht ist es daher nicht, Kreatives Schreiben isoliert vom Studium literarischer Texte zu vermitteln;173Mearns, Hughes er ist davon überzeugt, einen geradezu ›alten‹ Weg, Literatur zu lehren, wiederentdeckt und handhabbar gemacht zu haben, eine Methode, die er Creative ReadingCreative Reading Creative ReadingCreative Readingnennt – »a new term for a very old art.«174 Kreatives Schreiben – und das gilt auch für dessen weitere Ausformung in jüngerer und jüngster Zeit – erfasst deswegen, wie R.V. Cassill sagen würde, reading as a writer.175 Hughes MearnsMearns, Hughes (1875–1965) wurde 1920 als Leiter der Lincolm School an die Columbia University in New York berufen, die AbrahamAbraham, Ulf Flexner gegründet hatte und sich in erster Linie der Lehrerausbildung widmete. Hier konnte er bis 1925 durchsetzen, dass Creative Writing Bestandteil des Curriculums wurde. Nicht nur als Schreiblehrer, auch als einflussreicher Publizist konnte er – nach einer Reihe erfolgloser literarischer Werke – das Literaturstudium in Amerika maßgeblich reformieren. Seine Vorstellungen sind vornehmlich in zwei Büchern ausformuliert, die zu den meist gelesenen Lehrwerken des eingehenden 20. Jahrhunderts zählen: Creative Youth(1925) und Creative Power(1929). In erstgenanntem taucht zu ersten Mal der Begriff ›Creative Writing‹ auf. Seinen Universitätsabschluss erhielt Mearns an den Universitäten von Harvard und Pennsylvania. Ab 1905 lehrte er als Professor an der Philadelphia School of Pedagogy. Für seine Studentinnen und Studenten konzipierte er einen Studiengang, der nicht auf historische Analyse oder grammatikalische Besonderheiten abhebt, sondern auf Selbstverwirklichung, Persönlichkeitsentwicklung und Ausdrucksvermögen. Werke u.a.: Vinegar Saint(1919) – I Ride in My Coach(1923) – Lions in the Way(1927) – Creative Youth. How a School Environment Set Free the Creative Spirit(1928) – Creative Power. The Education of Youth in the Creative Arts(1958). Unter dem Einfluss von MearnsMearns, Hughes avanciert das Kreative Schreiben zu einem integrativen akademischen Ansatz, angesiedelt zwischen dem stark LektüreLektüre geleiteten Literaturstudium und der Praktizierung von Schreibübungen, die durchaus literarischen Charakter aufweisen, diesen jedoch keineswegs forcieren. Durch das selbständige Schreiben von Literatur, insbesondere in lyrischer FormForm, soll weniger SchreibkompetenzSchreibkompetenz vermittelt werden als ein VerständnisVerstehen, was »gute« Literatur ist dafür, was einen literarischen Text ›gut‹ macht; Ziel war nicht die Ausbildung von professionell Schreibenden, sondern von profunden Lesern.176Myers, D.G. Das enorme Interesse seitens der US-amerikanischen Studierenden gibt diesem Bestreben Recht: [56]Bis 1900 werden an zwölf Universitäten in den USA eigenständige Schreibstudiengänge für die Bereiche Dichtung, Short StoryStory und Drama gegründet; gleichzeitig erscheinen erste Lehrbücher – auch mit schriftstellerischem Erfolg: heute berühmte AutorenAutor wie Thomas WolfeWolfe, Thomas oder Eugene O’Neill zählen in Harvard ebenso zu den frühen Schreibstudenten wie F. Scott FitzgeraldFitzgerald, F. ScottThomas Wolfe und F. Scott Fitzgerald als frühe Schreibstudenten in Princeton.177 Bis 1931 haben schließlich bereits 41 Colleges und Universitäten in den Vereinigten Staaten ›Elemente‹ als formale wie inhaltliche Facetten des Kreativen Schreibens in ihre Curricula aufgenommen, wenn auch damals die entsprechenden Kurse noch zur Hälfte aus Kompostionslehre und zur Hälfte aus Selbstfindungsgründen bestehen[57]; MyersMyers, D.G. sagt dazu, dass die ›Form‹ dieser Kurse von WendellWendell, Barret, ihr Inhalt aber von Mearns geprägt sei.178Myers, D.G. 2.1.2. Norman FoersterFoerster, Norman und die School of LettersSchool of Letters Einen neuen Impuls in Richtung der Entstehung einer eigenständigen Disziplin erhält das Kreative Schreiben in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts an der staatlichen Universität von Iowa. Dort übernimmt 1930 Norman FoersterFoerster, Norman die Leitung der neu gegründeten School of LettersSchool of Letters School of LettersSchool of Letters,179 in der und für die er in den nachfolgenden 14 Jahren eine eigene Schreib-Schule aufbauen kann.180 Durch Foerster wird das Studium des Kreativen Schreibens neben demjenigen des Literary Criticism,181 d.h. der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft im US-amerikanischen Verständnis als dessen Senior-Partner, erstmalig eigenständig etabliert.182Foerster, Norman Für das Literaturstudium sollen beide komplementär sein; Literatur soll aus einer kreativenund einer kritischenPerspektive studierbar werden, d.h. diese vom ›Innern‹ her erschließen, sie mithin mit den Augen eines ›kreativen Künstlers‹ betrachten.183Foerster, Norman Kreatives Schreiben wird aufgefasst als der Versuch, aus den Bedingungen der literarischen Praxis zu einem tieferen, vor allem auch kritischen Verständnis literarischer Kunstwerke zu gelangen.184 Der Schreibende, so Foersters Überzeugung, benötige deshalb vor allem auch eines: Geist bzw. Seele, den Verstand des Kritikers.185Myers, D.G. Kreatives Schreiben übernimmt auch hier eine bestimmte Art von Wissen durch bestimmte Verfahren der Praxis, aber es erweist sich nicht als Ausbildung für eine oberflächliche Weise der Lebensführung.186Foerster, Norman Kreatives Schreiben wird in Iowa als selbständiger ›Zweig‹ des Studiums von LiteraturEin »gründliches« Studium des Kreativen Schreibens entwickelt, um Angebote für alle Arten von ›Literatur-Studenten‹ bereit zu halten: für angehende [58]Kritiker wie für zukünftige SchriftstellerSchriftsteller, für zukünftige Wissenschaftler wie für angehende Lehrer.187Myers, D.G. Ein solches gründlichesStudium des Kreativen Schreibens bedeutet für FoersterFoerster, Norman, eine ganze Reihe von Kompetenzen zu aktivieren: philologisches wie historisches Vermögen, künstlerische Einfühlungskraft wie ästhetisches Geschmacksurteil, kritisches Gespür wie Sicherheit im schriftlichen Ausdruck und ein ›Gefühl‹ für Sprache, Literatur und literarisches Leben.188 Kreatives Schreiben kann und soll curricular nicht von anderen künstlerischen Fächer losgelöst werden, zumal, wie Foerster feststellen muss, damalige Schriftsteller häufig zu undifferenziert, auch ungebildet und naiv mit der LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte umgegangen sind.189Foerster, Norman Norman FoersterFoerster, Norman wurde am 14. April 1887 in Pittsburgh (Pennsylvania) geboren und starb am 1. August 1972 in Palo Alto (Kalifornien). Mit akademischen Qualifikationen der Harvard University (1910), der University of Wisconsin (1912), der University of the South (1931), des Grinnell College (1946) und der University of North Carolina unterrichtete er Englisch u.a. in Wisconsin, North Carolina und vor allem Iowa. Dort war er lange Jahre Direktor der School of LettersSchool of Letters und reformierte in dieser Funktion grundlegend dessen Curriculum (vor allem im Hinblick auf die Integration des Kreativen Schreibens). Foerster gilt als einer der prominentesten Vertreter des so genannten New Humanism zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Werke u.a.: The Chief American Prose Writer(1916) – American Ideals(1917) – American Poetry and Prose(1925) – American Criticism(1928) – The American Scholar(1929). Damit unterscheidet sich FoerstersFoerster, Norman KonzeptSchreib-FormenForm und kulturelle Werte des Kreativen Schreibens von demjenigen MearnsMearns, Hughes’. Foerster steht äußerst feindselig solchen Vorstellungen gegenüber, die mittels Schreib-Lehre die Persönlichkeitsentwicklung bzw. das Ausdrucksvermögen des [59]›Selbst‹ fördern wollen; Schreiben zu lernen bedeutet für ihn stattdessen, Schreib-Formen ebenso zu erlernen wie tradierte kulturelle Werte: Jeder Student soll zwar die Chance haben, kreativ tätig werden zu können; er soll sich (nach Foerster) aber insbesondere für eine Ideengeschichte der Kritik und der Literatur engagieren.190Myers, D.G. Lehrende des Kreativen Schreibens können somit nicht ausschließlich etablierte SchriftstellerSchriftsteller sein; Kreatives Schreiben muss, so die Stoßrichtung der School of LettersSchool of Letters, von Wissenschaftlern gelehrt werden, speziell von solchen aus den Geschichtswissenschaften und den Philologien.191Myers, D.G. Am Ende sollten alle genannten Professionen – Kritiker, Historiker, Literaturwissenschaftler und Lehrer – ebenso wie professionelle Schreiber eine solide Grundlage für ihre späteren Berufe erhalten; Lernen vonund Lernen durchLiteraturLernen vonund Lernen durchLiteratur ist Foersters großes Gesamtanliegen, das mit denjenigen WendellsWendell, Barret (im Hinblick auf dessen Konzentration auf persönliche Schreib-Erfahrung) sowie jenen Mearns’ (mit Blick auf dessen Überlegungen zum ›kreativen‹ Ausdruck des Selbst) die Geschichte des Kreativen Schreibens angestoßen hat.192 Die Etablierung »ästhetische[r] Sensibilisierung, des »Umgangs mit IdeenIdee« und der »Förderung der kritischen Fakultäten« in diesem disziplinären ›Werden‹ ist das wichtigste Verdienst Norman Foersters.193Glindemann, BarbaraFoerster, Norman Beflügelt durch die School of Lettersbefassen sich die Lehr- und Studienpläne des Kreativen Schreibens nun immer stärker mit Faktoren des SchreibprozessesSchreibprozess, der Essayform, der Recherche, dem expressiven Schreiben und dem kritischen Denken.194 Es entsteht ein »akademischer Raum«, um die »verschiedenen Schreibdiskurse« interdisziplinärInterdisziplinäre Integration verschiedener »Schreibdiskurse« zu integrieren: »technisches, wirtschaftsbezogenes und wissenschaftliches Schreiben, FeatureFeature Writing, journalistisches Schreiben, Literatur- und KulturkritikKulturkritik, [60]AutobiographieAutobiographie, BiographieBiographie, expositorisches [–] und literarisches Schreiben«.195Glindemann, Barbara 2.1.3. Associated Writing ProgramsAssociated Writing Programs (AWP)/National Writing ProjectNational Writing Project (NWP) Es zeigt sich, dass die Grenzen zwischen ›Composition‹, dem ursprünglich expositorischen Schreiben, und ›Creative Writing‹, dem literarischen Schreiben, in den Vereinigten Staaten im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts immer mehr aufgelöst werden – eine Tendenz, die verschärft wird, als beide Bereiche in der Ende der 1960er Jahre aufkommenden Bewegung des Writing Across the CurriculumWriting Across the Curriculum (WAC)(WAC) Writing Across the CurriculumWriting Across the Curriculum (WAC)(WAC) noch näher zusammengebracht werden sollen. GlindemannGlindemann, Barbara führt aus: Von nun an kommen dieselben Methoden über die Kursgrenzen hinaus zum Einsatz. Kreatives Schreiben wird zum Leitbegriff einer auf persönliche Erfahrung der Studierenden ausgerichteten Pädagogik, die die schriftliche Geläufigkeit zunächst einmal generell fördert. Die zugrundeliegende These lautet, daß ein gutes schriftliches Ausdrucksvermögen dem Menschen in jedem künftigen BerufsfeldBerufsfeld zugute kommt. Zunächst wird das Lernen individualisiert. Die Studenten werden zum persönlich experimentellen Umgang mit dem Lehrmaterial angehalten. Die neue pädagogische Tendenz wendet sich ab vom faktisch-unpersönlichen Reproduzieren der Lehrinhalte als Leistungskontrolle und stellt die individuelle Verarbeitung des Fachwissens in den Vordergrund. Schriftliche Geläufigkeit verbessert die soziale Kommunikationsfähigkeit in umfassender Hinsicht.196 Der soziale Aspekt des Kreativen SchreibensDer soziale Aspekt des Kreativen Schreibens sei, so GlindemannGlindemann, Barbara weiter, hier rein methodologisch zu verstehen und nicht mehr an bestimmteInhalte – schon gar nicht an literarische – gebunden; es zeige sich erneut diskursbildender Einfluss der Schriften DeweysDewey, John: DeweyDewey, John betont das kognitive Moment der SchreiblehreSchreiblehre, das besagt, daß akademische Inhalte besser verinnerlicht werden können, wenn sich der Lernende ihrer schriftlichen Ausformulierung widmet. Der Student erlebt seine Erkenntnisaneignung als Prozeß und lernt Inhalte besser begreifen durch die persönliche Erfahrung der Verschriftlichung. Deweys umfassendes pädagogisches System stellt eine Theorie bereit, aus der zwei unterschiedliche Schienen des Kreativen Schreibens hervorgehen. Die themenübergreifenden, auf kreativen Selbstausdruck ausgerichteten Kurse verstehen Schreiben als Lernmedium [61]der sozialenKommunikation. […] Die gleichen personalisierten Lehrmethoden kommen in den stärker literarisch, rhetorisch und kritisch orientierten Programmen zum Einsatz. Allerdings verschiebt sich hier die Zielsetzung in Richtung themenabhängiger literarischerKommunikation.197 Schreib-Zentren ( Writing CentreWriting Centres) werden jetzt immer häufiger an Universitäten gegründet, nicht zuletzt auch zu dem Zweck, ein ums andere Mal die allgemeinen Schreibfähigkeiten der StudierendenAllgemeine Schreibkompetenzen verbessern zu verbessern.198 Weiterführende Schreibseminare ergänzen die Basiskurse in KompositionslehreKompositionslehre und Kreativem Schreiben; Organisationen und Konferenzen bauen ein Netzwerk auf, um die unterschiedlichen Interessen und neuen Erkenntnisse dieser Schreibförderungs-›Welle‹ auszutauschen und zu verbreiten – Gerd BräuerBräuer, Gerd hat dieses Gefüge näher beschrieben und festgestellt, wie neben der oben bereits erwähnten WAC-Bewegung auch universitäre WAC-Programme aufgekommen sind, die 1967 in der Dachorganisation Associated Writing ProgramsAssociated Writing Programs (AWP)(AWP, gegründet 1967) und 1974 im Lehrerfortbildungsinstitut National Writing ProjectNational Writing Project (NWP)(NWP) münden, die mit der jährlich stattfindenden Conference for College Composition and CommunicationConference for College Composition and Communication (CCCC)(CCCC) Conference for College Composition and CommunicationConference for College Composition and Communication (CCCC)(CCCC) eine neue US-amerikanischer Schreibpädagogik auf den Weg gebracht haben.199Bräuer, Gerd Daran wird der Fluchtpunkt der Geschichte des Kreativen Schreibens in den USA ersichtlich: Gestartet aus dem Bedürfnis, eine grundlegende Reform der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft zu erreichen, hat dieses eine wechselhafte Karriere in der dortigen Hochlandschaft hinter sich gebracht; das Schreiben für jedermannwurde ebenso sein Thema wie die literaturhistorisch fundierte Hervorbringung [62]von literarischen AutorenAutor; auf seiner Basis zudem ausgebildet haben sich letztendlich pädagogische Tendenzen, die ganz im Geiste DeweysDewey, John eine Lernforschung für die schulische und die universitäre Didaktik bedingen, zu der das Kreative Schreiben mitunter als Unterbereich hinzu gezählt wird – ein Unterbereich, der, so GlindemannGlindemann, Barbara mit BräuerBräuer, Gerd, ein breites Spektrum von Bildungsfunktionen therapeutischer NaturBildungsfunktionen (auch kunst- bzw. poesietherapeutischer Natur) umfasst:200Glindemann, BarbaraBräuer, GerdPoesie Eine derartige didaktische Methodik minimiert den Unterschied zwischen kreativen und expositorischen Texten. Andere Bereiche, in denen die selben produktions- und erfahrungsorientierten personalisierten Methoden zum Einsatz kommen, sind z.B. Psychologie, Malen, Musik, Theater, PerformancePerformance und die übrigen bildenden und darstellenden Künste.201Glindemann, Barbara Eine Konsequenz dieser Erfolgsgeschichte ist seit den 1960er und 1970er Jahren die Konstruktion solitärer Literaturseminare an Hochschuleinrichtungen in den USA, die ausschließlich literarische Schreibstudiengänge anbieten.202 An den Universitäten bildet sich dadurch auch eine neue literarische KulturLiterarische ZirkelLiterarische Zirkel und literarische Szene, indem SchriftstellerSchriftsteller und Publizisten Dozentenstellen und sogar Lehrstühle besetzen, die das künstlerische Moment des Kreativen Schreibens mit professionellen Ansprüchen und Forderungen in Hinsicht auf formale und adressatenorientierte Qualitäten präferieren.203 Literarische Zirkel und eine literarische Szene entfaltet sich und blüht [63]dort gleichsam bis heute, durch Lehraufträge und Lesungen wie durch so genannte poet in residence-Programme.204 Der professionelle Charakter dieser Studiengänge lässt sich mit der Gleichberechtigung von handwerklicher Schreib-Methodik, rhetorisch-stilistischen Techniken und literaturwissenschaftlicher Theorie auf den Punkt bringen. Wie GlindemannGlindemann, Barbara prognostiziert, muss dieses Gleichgewicht unbedingt gegeben sein, um literarischen Standards wie akademische Erwartungen in gleicher Weise zu entsprechen, mithin Literatur-Praktiker und Literatur-TheoretikerLiteratur-Praktiker und -Theoretiker versöhnen miteinander zu versöhnen; dies garantiere die Ausgewogenheit der Beschäftigung mit eigenen und fremden kreativen Texten im Studium,205Glindemann, Barbara was aber auch bedeutet, dass das Kreative Schreiben keine ›Spaß‹-Disziplin, sondern ein ernst zu nehmendes Studienfach mit ›harten‹ Studieninhalten geworden ist. Die, wie Greg KuzmaKuzma, Greg sie nennt, ›Katastrophe des Kreativen Schreibens‹206Kuzma, Greg The Catastroph of Creative Writingtritt dann ein, wenn es zu einem Ungleichgewicht zwischen den genannten ›Säulen‹ des Kreativen Schreib-Studiums kommt: Die hastige Einrichtung von immer mehr Schreibprogrammen an allen möglichen Universitäten konfrontiert die Lehrenden mit administrativer Arbeitslast – sie verlieren Zeit für ihre eigene kreative Arbeit und den Kontakt zur außeruniversitären literarischen Welt. Die Studenten eines hastig eingerichteten Studiengangs driften in die Selbstreferentialität ab und sind vornehmlich an ihren eigenen Texten interessiert, ohne ein allgemeines Literaturverständnis zu entwickeln. Es besteht die Gefahr, daß Lehrende und Studierende unter diesen ungünstigen Bedingungen sogenannte »workshop poetry« verfassen. Es handelt sich um selbstreferenzielle Texte, die den kreativen Akt thematisieren und die offenen Optionen, mit denen der Schreibende sich verzweifelt konfrontiert sieht. Solchen Texten fehlt jedoch die Essenz, die Literatur ausmacht, sie sind nicht an sich einzigartig, sondern formelhaft simpel und imitierbar. Die unmittelbare Reaktion des Lesers auf diese workshop poetry ist: »Das kann ich auch!«»Das kann ich auch!«.207Glindemann, Barbara Jegliches Kreatives Schreiben bildet den Höhenkamm zwischen Kunst und Kitsch mit geradezu gefährlichem Risiko ab: Entweder [64]man erreicht als Könner die andere, die ›gute‹ Seite, – oder man stürzt unhaltbar ab. 2.2. Creative Writing in Großbritannien ›Creative Writing‹ erscheint im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts als Schlüsselbegriff der praxisorientierten literarischen Studienfächer – hauptsächlich im anglo-amerikanischen Raum: Ab 1970 übernehmen die Universitäten von East Anglia und Lancaster in Großbritannien zum ersten Mal den diesem mittlerweile immanenten Grundzug als eigene, studierbare Disziplin; bis 1992 entstehen vereinzelt sechs weitere Masterstudiengänge und im Zusammenhang mit der Umformung der britischen polytechnischen Hochschulen zu Universitäten (was einen neuen Anwendungsschub bedeutet) werden noch mehr SchreibstudiengängeNoch mehr Schreibstudiengänge gegründet.208 Ihnen liegt die Einsicht zugrunde, den Literaturdiskurs in diejenigen der Pädagogik, Psychologie, Linguistik, RhetorikRhetorik und KompositionslehreKompositionslehre im Sinne der New RhetoricNew Rhetoricnochmals zu integrieren:209 Diese Neue RhetorikRhetorik erst erlaubt die Betrachtung von Creative Writing zugleich als repräsentative Kunstform und als Methode, soziale Strukturen und Agenten zu untersuchen. Sie ermöglicht eine SchreiblehreSchreiblehre, die sich auf den Schreibprozeß in allen seinen Aspekten bezieht. Creative Writing ist umfassender als die herkömmliche Schreiblehre, die eine korrekte Anwendung von GrammatikGrammatik und OrthographieOrthographie betont und auf Thesensätzen, Absätzen und dem Dreigestirn »unity, coherence, and emphasis« basiert […]. Die traditionelle Schreiblehre geht davon aus, daß lediglich StilStil, Organisation und »usage« lehrbar seien, während bestimmte Aspekte des Kompositionsprozesses mysteriös und daher nicht lehrbar seien. Diese Ansicht ist in den britischen Schreibstudiengängen überholt. Hier hat man erkannt, daß ein Schreibstudium neben dem akademisch-rationalen Lernen auch das personal-individuelle Lernen gezielt fördern muß. Neben der Intelligenz als praktisches Lerninstrument gelten auch Instinkt und Zweifel als Stimulus und Lernhilfe. Die kritisch-kreative Doppelnatur macht das Fach eklektisch, [65]sowohl im Hinblick auf die Lehrinhalte als auch auf die Ansätze und Methoden.210Glindemann, Barbara In der Konsequenz wird in Großbritannien eine KompostionstechnikKompositionstechnikKompositionstechnik als Teil des Kreativen Schreibens als immanenter Teil des Kreativen Schreibens gelehrt; FormForm und Inhalt sollen dabei eine strukturelle Einheit bilden, bei der sich Bedeutung und Effekt der entstehenden Texte erst im Kompositionsprozess anhand des sprachlichen Ausdrucks herausbilden, in jedem Schreib-Stadium verändern, revidiert und neu in Form gebracht werden kann: »Das Zusammenwirken von kritischen und kreativen Fakultäten führt zur Annäherung von intendierter Bedeutung und sprachlichem Ausdruck.«211 GlindemannGlindemann, Barbara verweist auf David LodgeLodge, David, der hierfür das Bild einer ›chemischen‹ oder gar ›alchemistischen‹ Reaktion zwischen Form und Inhalt verwendet, die die Qualität eines Romans ausmache.212Lodge, David In dieser Privilegierung des SchreibprozessesSchreibprozess, der keinem Selbstzweck dient, sondern an dessen Ende ein literarischer bzw. literarisch ambitionierter Text steht, macht sich bemerkbar, wie sehr das Kreative Schreiben in Großbritannien von Anfang an sehr vehement die Professionalisierung im Hinblick auf den literarischen Markt in den Fokus genommen hat, ohne der Organisation in den einzelnen Lehrveranstaltungen ein all zu starres Korsett vorzugeben, ihnen Unabhängigkeit hinsichtlich der Lehrinhalte wie der Methodenwahl zu gewährleisten; die britischen Schreibseminare bieten ein »unterstützendes Lernumfeld«Ein »unterstützendes Lernumfeld«.213Glindemann, Barbara 2.2.1. Composing – Creating –EnablingEnabling Hin und her gerissen zwischen zwei extremen und noch immer vorherrschenden Überzeugungen, die auf der einen Seite besagen, literarische Fähigkeiten könnten nicht weitergegeben werden, und auf der anderen Seite verkünden, jeder könne schreiben,214 lässt sich das Schreiblehrkonzept in Großbritannien in einem Schlagwort [66]zusammenfassen: Es lautet ›befähigen‹ ( enabling)›Befähigen‹ ( enabling), was bedeutet, dass die Schreibstudierenden zum Schreiben angeleitet und ermutigt werden sollen; »ihre Texte werden diskutiert, kritisiert und lektoriert.«215 Zur Erläuterung dieser Entwicklung zitiert GlindemannGlindemann, Barbara u.a. folgende Positionen: One cannot teach a person to write but one can enable their writing and I think you do that by creating the right circumstances, a supportive atmosphere with time to write and you have, above all, to encourage. […] The course is about enabling people to push their work out, to cut the cord. […]216 Was genau unter diesem ›Befähigen‹ zu verstehen ist, wird einsichtiger, wenn man sich die didaktische Situation vergegenwärtigt, die bis heute Creative Writing-Kurse (über alle Landes- und Kulturgrenzen hinweg) prägen: Man lernt nicht allein, indem ein Lehrender Wissen an einen Lernenden weitergibt, sondern indem Lehrende und Lernende sowie die Lernenden untereinander voneinander lernen. Dadurch entsteht eine kooperative wie produktive ArbeitsgemeinschaftEine kooperativ-produktive Arbeitsgemeinschaft, in der eigene und fremde Texte vorgestellt, besprochen, analysiert, ggf. auch interpretiert werden – dies allerdings nicht primär im Hinblick auf einebestimmte LesartLesart des jeweiligen Textes. Vielmehr steht der Austausch über die individuellen Schreibbedingungen und -strategien sowie über deren allgemeinen Rahmen (das literarische Um-Feld) im Mittelpunkt, um die Förderung individueller Fähigkeiten und/oder Begabungen zu intensivieren.217 Ein solches Lehr- und Lernprogramm vollzieht sich in Großbritannien neben der curricularen Lehre mittels Einsatz von Gastdozenten aus dem Literatur- und bzw. allgemeinen Schreib-Betrieb; konzentriert wird sich in diesem »Course Writing«218 vor allem auf »technischen Fertigkeiten«.219Glindemann, Barbara Damit ist das britische Schreibstudium weit davon entfernt, zu vermitteln, jeder könne SchriftstellerSchriftsteller werden (oder dies sogar zu garantieren), eine Ansicht, die [67]hier auch gar nicht diskutiert wird.220Glindemann, BarbaraForm Vielmehr setzen die dortigen Schreiblehrer auf die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer LiteraturAuseinandersetzung mit zeitgenössischer Literatur, damit die Studierenden ihre eigenen Fähigkeiten in Konfrontation mit einem vertiefenden, mithin insbesondere kritischen literarischen Verständnis im Sinne eines »creative criticism« verbessern: Jede Schreibarbeit geht notwendig aus dem Zusammenspiel kritischer und kreativer Fakultäten hervor, die Schreibstimme ist daher rational-akademisch und persönlich zugleich – und dies gilt für alle Texte. In akademischen EssaysEssay ist die persönliche Meinung und Bewertung durchaus erwünscht und angebracht. Auch beim literarischen Schreiben geht es nicht um das reine Vermitteln abstrakter Techniken und Methoden, die zur Teilnahme an einem bestehenden Diskurs befähigen. Statt dessen wird im praktischen Studium von zeitgenössischen Beispieltexten die abstrakte Technik mit konkreten Inhalten gefüllt, um sie fühlbar und nachvollziehbar werden zu lassen. Kritisches Lesen und Kreatives Schreiben sind im Schreibstudium komplementär zu verstehen […].221Glindemann, Barbara Die Überzeugung, dass die Kenntnis von literarischen Genres, rhetorischen FigurenFigur, narratologischen Grundlagen und poetischen Möglichkeiten zur Ausprägung eines eigenen »Handwerksstil«»Handwerksstil«222 führt, geht davon aus, dass literarische respektive lyrische, erzählerische oder dramatische Technikenam Besten durch das Studium literarischer respektive lyrischer, erzählerischer oder dramatischer Beispieleerlernt werden können. Dieser Lernprozeß führe in Großbritannien zur Entwicklung einer persönlichen PoetikPoetik, die das Ziel dieses Creative Writing-Studiums ausmache: Es ist kein rein kreativer Lernprozeß, sondern eine dialektische Schwingbewegung des kritischen Umgehens mit Vorgaben und deren kreativer Umsetzung: Möglichkeiten dazu bieten z.B. Analyse, Kombination, Spiegelung, Umkehrung, Verdoppelung, Fragmentarisierung, Übertreibung, Untertreibung, etc. Das literarische Schreiben gilt in Großbritannien nicht als »Sprache«, die zu erlernen wäre wie etwa die Fachsprache der Juristen. Unter dieser Voraussetzung entstünden lediglich standardisierte, formelhafte Texte. Britisches Creative Writing bedeutet immer kritischen, reflektierten [68]Umgang mit vorhandenen Regeln und Techniken in einem praktischen und aktiven Prozeß des Zu-Eigen-Machens. Handwerkliche Techniken sind vor allem »Inspirationshilfe«»Inspirationshilfe«, sie stellen Anknüpfungspunkte bereit und intensivieren die Lust am Schreiben. Derartige Anknüpfungspunkte erlösen den Schreibenden von dem hohen Anspruch, alles selbst neu erfinden zu müssen und befähigen ihn, sich beruhigt hinzusetzen und vom Bestehenden auszugehen.223 Neben dem in dieser Beschreibung zum Ausdruck kommenden Befund, Kreatives Schreiben als eine Kombination aus »Selbst-Lesen, Andere-Lesen-Sehen, Selbst-Schreiben und Andere-Schreiben-Sehen, Besuchen von Lesungen, Diskussionen über das Schreiben und Diskussionen über Literatur«224Glindemann, Barbara zu verstehen, entwickeln sich in Großbritannien darauf rekurrierende berufspraktische Studieninhalte, die hervorheben, wie sehr ein angehender AutorAutor auch als eine Art Geschäftsmann und damit als Selbstvermarkter handeln muss.225Lodge, David Damit werden jene Aspekte konkreter BerufsperspektivenBerufsperspektiveAspekte konkreter BerufsperspektivenBerufsperspektive angesprochen, die zum ›Leben‹ eines SchriftstellersSchriftsteller seit der Ausdifferenzierung eines literarischen Marktes immer schon dazu gehören226BuchBuchhandel und gerade auch hinsichtlich einer Konkurrenz um Aufmerksamkeit bis heute nicht an Bedeutung eingebüßt haben:227 Kontakt und KooperationKooperation mit literarischen Verlagen und Medien, Verhandlungsgeschick für Vorschüsse, Honorare und Verträge, Organisation und GestaltungGestaltung von Lesungen der eigenen Werke und anderweitigen öffentlichen Auftritten.228Glindemann, Barbara Für die akademische Implementierung des Kreativen Schreibens in Großbritannien wird darauf dadurch reagiert, dass an den jeweiligen Hochschulen literarische Veranstaltungen und Wettbewerbe entstehen, dass studentische Literaturzeitschriften gegründet und die Zusammenarbeit [69]mit literarischen bzw. allgemein kulturellen Institutionen bereits im Studium gesucht wird. 2.2.2. Kritische Positionen GlindemannGlindemann, Barbara weist in ihrer historischen Darstellung des Kreativen Schreibens zu Recht darauf hin, dass dessen skizzierte Entwicklung in Großbritannien zu einer wenn nicht vollends kommerzialisierten, dann doch zumindest zu einer auf kommerziellen Erfolg abzielenden universitären Ausprägung zuläuft. Damit sind Konflikte mit den bestehenden PhilologienKonflikte mit den bestehenden Philologien vorprogrammiert, da deren Erforschung literarischer Traditionen sich lange Zeit auf kanonische literarische Werke konzentriert hat. Nur solche Texte, die Eingang in einen literaturwissenschaftlich begründeten KanonKanon gefunden haben, werden als relevant und d.h. als forschungswürdig akzeptiert.229 Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass nicht nur ursprünglich in Deutschland, sondern vor allem auch in Großbritannien kanonisierte ›Groß‹-AutorenAutor wie ShakespeareShakespeare, William oder Jane AustenAusten, Jane die Lehrpläne dominieren und wiederum auch nur dieser literarische Höhenkamm akademische Anerkennung findet. Das Kreative Schreiben mit seiner Infragestellung eines eigentlichenKanonsKanon und seiner Stärkung gegenwärtiger Literatur läuft diesem Wissenschaftsdiskurs naturgemäß entgegen. Dessen Ablehnung seitens der britischen LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaftAblehnung seitens der britischen LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft fußt zugleich darauf, dass die Kompetenz der britischen Schreibdozenten angezweifelt wird, da sie sich, so die Sicht ihrer Kritiker, »Shakespeare oder Jane Austen ebenbürtig zu halten« scheinen, »sonst würden sie nicht schreiben«, dabei seien »sie ganz offensichtlich (bisher) völlig unbedeutend«; wenn ein Literaturprofessor »wahrhaftig« zum Schreiben berufen sei, was mache er dann »immer noch an der Universität«?230 Der Grundkonflikt, der sich hinter derartigen Vorbehalten und Vorwürfen gegenüber dem hochschulisch institutionalisierten [70]Kreativen Schreiben verbirgt, liegt in einem Streit um Zu- und Abhängigkeiten begründet. Die Hochschulentwicklung in Großbritannien ist hierfür das beste Beispiel, denn wenn die Vertreter kreativen Schreibens hier dasselbe Lehrgebiet wie die LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft bzw. der Literary Criticism Literary Criticismbeanspruchen und dabei aber über deren Inhalte in praktischer Hinsicht hinausgehen, sich als unabhängig von diesen erklären, entsteht zwangsläufig eine konfliktgeladene Situation. Wie kann sich ein Student des Kreativen Schreibens auf eine literaturgeschichtlich verbürgte literarische Tradition beziehen und zugleich mit dieser brechen, sie in Frage stellen und sich auf sich selbst fixieren? Die Antwort vieler Creative Writing-Lehrer lautet, es handele sich lediglich um einen Perspektivenwechsel; betrachtet werde die LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte mit den Augen der Literaturproduzenten, wobei jeder Schreibende der Literaturtradition notwendigerweise kritisch gegenüberstehen müsse, um seine eigene Position als Literaturschaffender klar zu definieren.231Glindemann, Barbara Daneben stellt es auch in Großbritannien ein Problem innerhalb des akademischen Lehrsystems dar, dass mit dem Kreativen Schreiben und dessen den SchreibprozessSchreibprozess entauratisierenden Strukturen gleichsam das Allerheiligste der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaftDas Allerheiligste der Literaturwissenschaft (das Numinose der Literatur) unwesentlich wird. Gefragt wird gegendas Kreative Schreiben nach der Authentizität des Geschriebenen: Woher genau nimmt der literarisch kreativ schreibende Mensch seinen StoffStoff und ist dieser aus dem Leben gegriffen oder frei erfunden? Diese Frage wird immer wieder an die Lehrenden und Studierenden des Creative Writing gerichtet, genau wie sie auf jeder Autorenlesung unvermeidlich die Diskussion einleitet. Wie hat in der Literatur überhaupt das Verhältnis von Realität und Fiktion auszusehen? Inwieweit befindet die zeitgenössische Gesellschaft das Erfundene moralisch fragwürdig oder zumindest verdächtig? Und inwieweit gilt das Reale als zu persönlich, um archetypische Bedeutungen zu transportieren? Ein Text, in dem Objektivität und überprüfbare Fakten überwiegen, gilt als journalistisch, während ein fiktiver Text von subjektiv-imaginativer Färbung als literarisch gilt. Dennoch gibt es fließende Übergänge zwischen diesen Bereichen.232Glindemann, Barbara [71]Zu den diskursiven Verfahren, die einen AutorAutor hervorbringen, gehört auch die Erwartung, dass dieser etwasAuthentisches, Ehrliches, Glaubhaftes hervorbringt – eine Tendenz, mit der GlindemannGlindemann, Barbara die immer weiter zunehmende Popularität narrativer »Non-fiction«Popularität narrativer »Non-fiction«,233Glindemann, Barbara d.h. von Autobiographien und Memoiren, sowie die abnehmende Nachfrage nach rein fiktiver Erzählliteratur begründet, da diese erfinde bzw. lüge.234 Ob dies allerdings tatsächlich ein Vorwurf ist, der gegenüber dem Kreativen Schreiben geäußert werden kann (oder eher ein Trend, der gesellschaftliche Umorientierungen aus rezeptionsorientierter Sicht widerspiegelt) bleibt zu hinterfragen. Letztendlich handelt es sich bei dem »Schreibstudium nach britischem Modell« in jedem Fall um eine wichtige Weiterentwicklung gegenüber seinen US-amerikanischen Ursprüngen: Indem hier nicht die Erziehung »zur Unabhängigkeit von der Literaturtradition, sondern zum selbstbestimmten Umgang mit literarischen Techniken und Genres« im Mittelpunkt steht,235 können handwerkliche undliteraturwissenschaftliche Herangehens- bzw. Umgangsweisen mit Literatur und literarischem Schreiben stärker miteinander verbunden werden. Sie bereiten das vor, was den Erfolg des Kreativen Schreibens in Deutschland avant la lettreKreatives Schreiben avant la lettrevorbereitet. 2.3. Kreatives Schreiben in Deutschland Mag es auf den ersten Blick scheinen, als seien Kreatives Schreiben, SchreibvermittlungSchreibvermittlung und deren Produktionsdiskurse erst nach Überwindung großer Hemmnisse nach Deutschland gelangt – zu verweisen wäre dazu etwa auf die Darstellungen Mattenklotts236 und LudwigsLudwig, Otto237Ludwig, Otto –, so lässt sich für den Verlauf des 20. Jahrhunderts gleichwohl eine Engführung von ästhetischen Strömungen, literarischer [72]Praxis und pädagogischen Bestrebungen, Schreiben (kultur-) technischzu lehren, für den deutschsprachigen Sprachraum feststellen: »Vor dem Hintergrund von DadaDada und SurrealismusDadaDada und Surrealismus entstanden experimentelle und z.T. an der Psychotherapie orientierte Schreibtechniken, u.a. Sprachcollagen, écriture automatique und Traumtexte.«238Böttcher, Ingrid Die Geschichte des Kreatives Schreiben in Deutschland wird, verhindert durch die radikal-diktatorische Kulturpolitik des Dritten Reichs,239DadaSchreibverfahren mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges jäh unterbrochen und erst nach 1945 wieder aufgegriffen – allerdings vornehmlich im Kontext einer Neuorientierung des traditionellen AufsatzunterrichtsAufsatzunterricht in der Schule: Hatte im preußischen Obrigkeitsstaat die schulische Behandlung entsprechend so genannter ›preußischer Tugenden‹ die im 19. Jahrhundert aufkommende Abhandlungbzw. Erörterungabgelöst und war von den Nationalsozialisten der Besinnungsaufsatz als »ausdrückliches Mittel der (faschistischen Charakterbildung instrumentalisiert« worden, konzentriert sich der SchreibunterrichtSchreibunterricht in Deutschland zunächst auf die Aufwertung des so genannten » sprachschaffendenbzw. – gestaltenden Aufsatz[ es]«.240Becker-Mrotzek, MichaelBöttcher, IngridSchreibkompetenzIdeeForm Jedoch wird man sich in der schulischen Wirklichkeit schließlich über die Unzulänglichkeiten dieser Konzepte [73]bewusst, in deren Konsequenz Gegenbewegungen entstehen, die unter den Bezeichnungen ›freier Aufsatz‹ (in der Volksschule), ›prozessorientierte SchreibdidaktikSchreibdidaktik‹›Freier Aufsatz‹ und ›prozessorientierte Schreibdidaktik‹ (in der Hochschule) und – letztendlich – Kreatives Schreiben(in Schule, Hochschule und Gesellschaft) bekannt geworden sind.241 2.3.1. Aufsatzlehre und kommunikative Wende Die Forschung betont in diesem Zusammenhang in der Regel die kommunikative Wende der SprachdidaktikSprachdidaktikDie kommunikative Wende der Sprachdidaktik in den 1970er Jahren, die – parallel zur Entwicklung in Großbritannien – eine erste Etablierung kreativen Schreibens in Deutschland initiiert:242Glindemann, Barbara In einem zugegebenermaßen kühnen Bogen könnte man ›Praxis‹ dem auf den Erwerb einer ›kommunikativen Kompetenz‹ ausgerichteten Deutschunterricht der 70er und 80er Jahre zuordnen: Ob im ›Umgang mit Texten‹ oder bei der Förderung mündlicher Kommunikation – im Vordergrund stand und steht das Lernziel, Schülern ›Kommunikation im Vollzug‹ erfahrbar zu machen. So wichtig dieses Lernziel ist, so ergänzungsbedürftig ist es durch einen ›herstellungsorientierten‹, einen ›poietischen‹ Ansatz: Ziel dieses Ansatzes ist es, Schüler eigene Texte herstellen und damit schriftliches Formulieren als wichtigste FormForm angewandter Sprachreflexion einüben zu lassen. Nichts kann die Auseinandersetzung mit der eigenen, aktiv betriebenen TextproduktionTextproduktion ersetzen. Denn sie erfordert und fördert zentrale allgemeine Fähigkeiten: Planeneiner komplexen HandlungHandlung, Antizipationsfähigkeitbezüglich der Wirkungsintention, selektive Bereitstellung und Strukturierung von Wissen[…], Kritikfähigkeitbei der Revision des Geschriebenen und schließlich Identitätsbildungqua »Selbstbetrachtung des Schreibers in seinem Produkt« […]. In der Ausbildung dieser Fähigkeiten liegt der eigentliche Sinn des Schreibens.243 Im Verlauf der 1970er Jahre entsteht in Deutschland mithin ein neuer AufsatzunterrichtAufsatzunterrichtEin neuer Aufsatzunterricht unter kommunikativen Vorzeichen; das Konzept dieser Aufsatzdidaktik akzentuiert die »soziale Funktion der schriftlichen TextproduktionTextproduktion.«244Glindemann, Barbara Kreatives Schreiben hat hier (noch) nichts mit einer universitär geleiteten Ausbildung professionell [74]Schreibender gemeinsam; vielmehr geht es, wie 100 Jahre zuvor in den Vereinigten Staaten, um die Schulung allgemeiner Schreibfertigkeiten, die jedoch von einer solitären, ein Gegenüber oder eine Gruppe von Lesenden ignorierenden SchreibtätigkeitSchreibtätigkeit streng abgegrenzt wird. Da es sich bei einem schulischen SchreibseminarSchreibseminar stets um eine geschlossene, überschaubare KommunikationssituationKommunikationssituation, eine »Gruppenkonstellation des literarischen Schreibens«»Gruppenkonstellation des literarischen Schreibens« handelt, lassen sich bei diesem leicht weitere Anschlüsse an seine US-amerikanischen Vorläufer finden. Die Aufsatzlehre, die kreative Schreibaufträge aufgreift und aufgibt, findet im Rahmen jener literarischen Geselligkeit statt, die bereits um 1880 die ›Erfindung‹ des Kreatives Schreibens als akademische Disziplin in den USA hervorgebracht hat. Eine derartige Situation gilt als Basis aller historischen FormenForm der literarischen Geselligkeit, mit der sich auch im Klassenzimmer Arbeitsatmosphären bilden, die die Schreibenden wechselseitig inspirieren und sie zu einer eigenen Schreibsprache führen.245 Absicht und Anliegen der DeutschdidaktikDeutschdidaktik ist es daher nicht, mittels Kreativem Schreiben schriftstellerische Talente zu suchen oder zu finden und auch nicht, Unterstützung bei potentiellen Veröffentlichungen zu leisten. In den einzelnen Unterrichtseinheiten soll regelgeleitet undkreativ-spontan geschrieben werden, um auch die Wahrnehmungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu schulen; literarische Ansprüche an die entstehenden Texte werden bewusst ausgeklammert; Schreibhemmungen und -blockadenSchreibhemmungen und -blockaden sollen erst gar nicht aufkommen: »Die Didaktiker prüfen beide Linien und erklären die Kombination von Bindung und Freiheit zum konzeptionellen Grundstein des Kreativen Schreibens.«246Glindemann, Barbara Es entsteht, befördert durch schreibtheoretische Arbeiten in England und den USA, in Deutschland letzten Endes eine interdisziplinäre SchreibforschungSchreibforschung, an der sich Fachvertreter der Linguistik wie der Sprach- und LiteraturdidaktikLiteraturdidaktik sowie der Psychologie intensiv beteiligen.247SchreibdidaktikBecker-Mrotzek, MichaelBöttcher, IngridSchreibkompetenz Einzig die Neuere Deutsche LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft [75]verhält sich wie schon ihr britisches Pendant skeptisch und vorsichtig gegenüber einer fachlich vertretbaren Ansicht, eine Produktfixiertheit und Orientierung an ›fertigen‹ literarischen Texten vollständig zu überwinden; man tut sich schwer damit, Literatur grundsätzlichals im Entstehen begriffene ästhetische Erscheinung aufzufassen, wenn auch die Editionsphilologie seit jeher Textvorstufen, HandschriftenHandschrift und EntwurfsprozesseTextvorstufen, HandschriftenHandschrift und Entwurfsprozesse in ihren Forschungen berücksichtigt.248 Insbesondere die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Literatur aus der Perspektive des Literaturproduzenten ist dem Kreativen Schreiben auch in Deutschland inhärent.249 Dort hat dieses also zwar einen didaktisch guten Ruf, sieht sich zugleich aber einer Reihe von Vorurteilen seitens der Literaturwissenschaft ausgesetzt. Dem steht eine zunehmende Popularität gegenüber – auch und besonders außerhalb des Hochschulsektors. 2.3.2. Die SchreibbewegungSchreibbewegung der 1980er Jahre Die 1980er Jahre sind im Hinblick auf die (Erfolgs-)Geschichte des Kreativen Schreibens in Deutschland die Zeit freier, d.h. (hoch-)schulisch unabhängiger ›Schreibbewegungen‹›Schreibbewegungen‹, die sich beispielsweise 1982 in der Gründung des so genannten Segeberger KreisSegeberger Kreises, einer vereinsmäßig organisierten Gesellschaft für Kreatives Schreiben, konzentrieren und die den Charakter von Gruppenzirkeln annehmen, in der gemeinsam kreativ geschrieben werden soll.250 Es bildet sich eine Art zurückgenommener oder ›reduzierter‹ Öffentlichkeit, die sich ausdrücklich gegen den etablierten (marktgerecht organisierten) literarischen Betrieb wenden will.251Werder, Lutz von [76]Wertung und Beurteilung der entstehenden Texte treten deshalb in den Hintergrund – zugunsten einer ›Gelegenheitsschriftstellerei‹›Gelegenheitsschriftstellerei‹, in der die »traditionellen Gesetze«252 der Literatur umgangen werden sollen und die durch eine antiautoritäre Tradition das literarische Establishmentablehnen.253 Das Bestreben, durch das Kreative Schreiben zu sich selbst zu finden, ist hier besonders deutlich ausgeprägt,254 um eine Gegen- und Alternativkultur zum kommerziellen Literatursystem zu inszenieren. Gleichzeitig rückt die therapeutische Funktion des Kreativen Schreibens in den Vordergrund. Dieser ist darum zu tun, psychische Erkrankungen mit Hilfe angeleiteten, vor allem autobiographischen Schreibens (etwa zur Stabilisierung des Ichs) zu behandeln.255 Nach und nach wird dennoch das Kreative Schreiben in Deutschland in die eigentliche Literaturproduktion überführt.256Glindemann, Barbara Dem gegenüber stehen zwar nach wie vor die Vorbehalte der deutschen Universitätsgermanistik, doch allmählich werden SchreibworkshopsSchreibworkshop im akademischen LehrbetriebSchreibworkshopsSchreibworkshop im akademischen Lehrbetrieb häufiger,257 um das herkömmlich philologische Studium mit einer Produktionsperspektive zu ergänzen. Kreatives Schreiben wird allerdings noch nicht als eigenes Fach unterrichtet und es wird eher ein theoretischer sowie didaktischer Zugang betont. Eine Ausnahme stellt Hermann Kinder dar, der seit 1983 Schreibseminare an der Universität Konstanz anbietet, um sprachliche KreativitätKreativität, Textsensibilität und eine gemeinsame Schulung des literarischen Geschmacks zu vermitteln.258Schreibgruppe An den Universitäten formiert sich im Zuge dessen eine vorsichtige Annäherung an das Konzept und die IdeeIdee des Kreativen Schreibens. Literarisches Leben findet nicht nur verstärkt Anschluss an das akademische MilieuAnschluss an das akademische Milieu; es bilden sich schließlich auch Strukturen, die am Ende eigene Creative Writing-Sudiengänge ermöglichen. Sie bleiben zunächst lange Zeit auf die schulische [77]Praxis des Deutschunterrichts über alle Schulformen hinweg bezogen; sie beziehen dennoch ebenfalls literaturwissenschaftliche und rhetorische Ansätze mit ein: Diese deuten die Entwicklung vom Ergänzungsstudium zum eigenständigen Fachbereich an. Immer mehr aufeinander aufbauende Seminarkomplexe in Kreativem Schreiben werden angeboten. Die Studierenden sehen ihre Texte nicht länger als Repräsentanten einer Alternativkultur; sie schließen die Möglichkeit nicht aus, mit Texten, die in der kleinen Öffentlichkeit der Werkstatt bestehen, an die große literarische Öffentlichkeit zu treten. Literatur wird als phantasievolle symbolische Entsprechung innerer Befindlichkeit, eingebettet in HandlungHandlungsschemata betrachtet, nichtmehr als Verlängerung oder Resultat eines psychologisch subjektiven Prozesses der Betroffenheit. Erzählerische oder literarische Texte schreibt man nicht nur für sich selbst, sie werden komponiert, um von einem (fiktiven oder realen) Publikum gelesen zu werden. Der Erzähler erfindet Konzepte und sendet ImpulseDer Erzähler erfindet Konzepte und sendet Impulse an seine Leser, er gewinnt Kontrolle und wird nicht länger vom Zwang zur Selbstentblößung kontrolliert. Der AutorAutor literarischer Texte nimmt »Anleihen« bei der Wirklichkeit auf und macht diese zu seinem Arbeitsmaterial, die literarisch dargestellte »Wirklichkeit« muß nicht auf die reale Wirklichkeit verweisen. Indem er literarische Mechanismen einsetzt, verwandelt der Verfasser sein MaterialMaterial in literarisch-fiktionale Erzähltexte. Der Schreibende wählt bewußt bestimmte Sprach- und Formmittel aus und kombiniert Wirklichkeit und Phantasie anhand von literarischen Regeln.259Glindemann, Barbara Die SchreiblehreSchreiblehre der 1990er Jahre in Deutschland findet somit wiederum Anschluss an den literarischen Diskurs; neben therapeutischem und pädagogischem Effekt findet zunehmend eine Betonung des ursprünglich hohen künstlerischen Potentials des Kreativen Schreibens statt.260Glindemann, BarbaraWerder, Lutz von Dessen ›Abstand‹ zur LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft wird geringer, auch wenn es jenen bis heute nicht überwunden hat. 2.3.3. Kreatives Schreiben heute Mittlerweile werden – als Ergebnis der geschilderten Vorhaben und Voranschreitungen – Konzepte der Literatur- und Schreibförderung in bestehende (und neu entwickelte) Studiengänge ebenso integriert wie Methoden literarischer KreativitätKreativität erprobt [78]und Multiplikatoren des LiteraturbetriebsMultiplikatoren des Literaturbetriebs (in erster Linie Kulturjournalisten und Lektoren) ausgebildet werden.261 Derartige universitäre Aktivitäten dienen auch der Förderung eines Kreativen Schreibens, das sich vom wissenschaftlichen Schreiben distanziert, das dieses aber nachträglich leserlicher machen kann, indem es jenes literarisiert.262 Sie vermitteln ferner eine »andere Art des literarischen Wissens«263 und fundamentieren den Kontakt zwischen Studierenden, Professoren, BuchmarktBuchmarkt und einem allgemeinen LesepublikumKontakt zwischen Studierenden, Professoren, BuchmarktBuchmarkt und einem allgemeinen Lesepublikum.264 Anders formuliert: Sie bringen kulturelles Leben an die Universität bzw. Hochschule. So gibt [d]as angloamerikanische Modell […] viele konkrete Beispiele für den Erfolg einer Ausbildung in Kreativem Schreiben […] und auch in Deutschland verzeichnen universitäre Schreibseminare erste Erfolge. Dennoch diskutiert man hierzulande nach wie vor darüber, obSchreiben lehr- und lernbar sei, anstatt sich auf die Frage zu konzentrieren, in welchem Rahmen und mit welchen Methoden die Schriftstellerausbildung sinnvoll institutionalisiert und in den Fächerkanon integriert werden kann. […] Vor diesem Hintergrund bilden sich zwei Fronten heraus; auf der einen Seite die »philologiescheuen AutorenAutor«, die separate Institute oder Akademien für SchriftstellerSchriftsteller fordern, auf der anderen Seite die »aufgeschlossenen Wissenschaftler«, die eine Integration von Schreibkursen in die traditionellen Universitäten befürworten.265Glindemann, Barbara Auf der Suche nach praktikablen Modellen zur Autorenausbildung bietet sich auf der einen Seite wiederum das anglo-amerikanische Modell des poet-in-residencein FormForm von Gastdozenturen für PoetikPoetik an,266 wie es an vielen deutschen Universitäten mittlerweile umgesetzt wird; auf der anderen Seite bleibt das Kreative Schreiben aktuell in Deutschland durch eine Erscheinungsweise definiert, die auf die angeleitete und reflektierende Vermittlung von Formen und Techniken literarischer ExpressionTechniken literarischer Expression zurückgreift.267Ortheil, Hanns-Josef ›Erfunden‹ wurde dieses Phänomen, wie ausgeführt worden ist, um [79]1880 im Zuge einer neuen Praxisorientierung der neueren Philologien bzw. der New HumanitiesNew Humanities New HumanitiesNew Humanitiesinnerhalb der US-amerikanischen Hochschulen und deren Curricula268New Humanities und als neuer akademische Lehr- und Lernbereich beginnt die Etablierung wissenschaftlich praktizierten Kreativen Schreibens in den Praxis-Laboratorien des auslaufenden 19. Jahrhunderts.269 Heute erfolgt die ›deutsche‹ Betrachtung des Kreativen Schreibens in ähnlicher Weise aus der Tendenz, LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft als KulturwissenschaftKulturwissenschaft270LiteraturwissenschaftKulturwissenschaft aufzufassen und sich diesem als »komplexer KulturtechnikKulturtechnik«»Komplexe Kulturtechnik« und »kultureller SchreibraumSchreibraum« einschließlich des entsprechenden »kulturellen Schreibraum[s]« zuzuwenden, in dem das materielle/mediale/performative Wiedes Schreibens, sein intentionales Warum, sein formales/inhaltliches Wasund sein Wozu(Zielorientierung) in »einem bestimmten historischen Moment aufgenommen und zugleich variiert«271Porombka, Stephan werden.272Spinner, Kaspar H. Zwar hat die kulturwissenschaftliche Wende der Geisteswissenschaften die LiteraturwissenschaftenLiteraturwissenschaft umorientiert;273 das Kreative Schreiben steckt aber trotz der skizzierten Erfolge noch immer regelrecht in den Kinderschuhen. Dennoch existieren zwei Vollzeit-Studiengänge, die für die universitäre Schriftstellerausbildung vorgesehen sind: an der Universität HildesheimHildesheim, Universität der Bachelorstudiengang KulturjournalismusKulturjournalismus und Kreatives Schreiben274Ortheil, Hanns-JosefKulturjournalismusPorombka, Stephan sowie der Masterstudiengang Literarisches Schreibenund am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig der Bachelor- und [80]Masterstudiengang Literarisches Schreiben.275 In seiner kulturwissenschaftlichen Verortung findet das Hildesheimer enge Verzahnung in einer theoretisch ambitioniert und praktisch berufsorientiert vermittelten sowie auch medienwissenschaftlich geleiteten SchreibwissenschaftSchreibwissenschaftMedienwissenschaftlich geleitete Schreibwissenschaft;276 in Leipzig forciert die institutionelle Lehre starke poetologische und literaturtheoretische Inhalte und erhält nicht zuletzt durch die fortlaufende Integration wechselnder literarischer Gastdozenten sowie durch eine Vielzahl an Werkstattmodulen konzentrierten AnwendungscharakterAnwendungscharakter. Die Installierung des Kreativen Schreibens in den deutschen Studienbetrieb hat also durchaus begonnen. Es bleibt allerdings die Aufgabe, zukünftiger Studiengangsgestalter, aus diesem Beginn eine ausdifferenzierte und vielseitige Curriculumsbildung zu machen, die jedemSchreib-Interesse gerecht wird: denjenigen, die beruflich-professionell schreiben wollen, denjenigen, die ›Schreiben‹ in der Schule richtig thematisieren möchten und denjenigen, deren Anliegen es ist, ihr eigenes Schreiben in welcher Hinsicht auch immer grundlegend zu verbessern. [81]3. Theorie(n) des Kreativen Schreibens Kreatives Schreiben verlangt immer auch die »intensive Arbeit an Kontexten«Die »intensive Arbeit an Kontexten«: »[E]s geht um das Lesen vordem Schreiben, um das Lesen währenddes Schreibens und um das Lesen nachdem Schreiben, das ja eigentlich nichts anderes als das Lesen vordem Wieder-Weiterschreiben ist.«277Porombka, Stephan Was aber soll für einen letztlich produktionsästhetischen Zweck gelesen werden?278Produktionsästhetik Bei MearnsMearns, Hughes sind es zumindest nicht die so genannten Klassiker, die in seinen Creative Writing Classesdie Lektüren bedingen, nicht »the reiterated dead giants of the past«,279Mearns, Hughes sondern zeitgenössische Autorinnen und AutorenAutor,280 die als Vorbilder dienen können und deren Werke vor der Folie ihres Nutzwertes, literarisch Schreiben zu lehren, selektiert werden. Das erfordert naturgemäß, den ›üblichen‹ literarischen KanonKanon permanent zu erweitern.281Myers, D.G. Gerade deswegen steht heute Kanonisierung vor allem in englischsprachigen Creative Writing-Programmen unablässig auf dem Prüfstand. Sandra Lea Meek etwa führt mit Verweis auf Frank KermodesKermode, Frank These, Kanonbildung sei eine strategische Konstruktion gesellschaftlicher GruppierungenEine strategische Konstruktion gesellschaftlicher Gruppierungen, die dadurch ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen,282Kermode, FrankInterpretation folgendes aus: […] the »society« of the creative writing program is usually controlled by a small group of professors, who may believe that they can best serve their own interests – self-serving or altruistic – by constructing a canon that fits their own aesthetic preferences. While writers may have an interest in the propagation of their own aesthetics, there is nothing inherently calculated and self-serving in teaching what one sees as good writing. The problem occurs when the poet takes on a too narrowly evangelical role. In the workshop, such zeal raises a complicated issue; how can the proponent of a particular [82]belief system – aesthetic or religious – judge if a student-writer, a potential aesthetic convert, is doing well in his own belief system when that »leader« believes her won to bet he true, the chosen one? This kind of missionary attitude, common enough, can be limiting and even debilitating for the student, the potential artist in whom the writing program is supposed to encourage individual artistic growth.283 Fasst man nun auch ins Auge, dass in Deutschland (wie sich gezeigt hat) Creative Writingnach US-amerikanischem Muster noch regelrecht in den Kinderschuhen steckt und außerdem, dass auf dieses (wie sich ebenfalls bereits erwiesen hat) aufgrund von vor allem genieästhetischer Überzeugungen284Ortheil, Hanns-JosefKulturjournalismusHildesheim, Universität und Vorbehalten gegenüber diesem als selbst-therapeutisches Instrumentarium285PoesieWerder, Lutz von seit jeher äußerst zurück haltend reagiert wird, stellt sich die Frage nach der Bedeutung eines theoretischen Gehalts des Creative Writing?Der theoretische Gehalt des Creative Writing? 3.1. Die Perspektiven der Theorie Hanns-Josef OrtheilOrtheil, Hanns-Josef hat erläutert, aus welchen FormenForm speziell der PoetikPoetik sich dieses herleiten ließe und was es in der Gegenwart mit diesen Formen zu tun habe; Ortheil greift dazu auf »einige Ahnherren der Poetik wie AristotelesAristoteles oder HorazHoraz« zurück, die er so versteht, »als wären es Abhandlungen, die auch das ›Kreative Schreiben‹ betreffen«: Weil die Literatur über das »Kreative Schreiben« weitgehend ohne ein solches begriffliches oder historisches Denken auskommt, bleibt sie oft blass und ist kaum fundiert. Vielleicht ist das auch der Grund, warum »Kreatives Schreiben« die LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft bisher noch nicht interessiert hat. […] Es ist also an der Zeit, das »Kreative Schreiben« ernst zu nehmen und ihm eine Geschichte zu geben. Deshalb gehe ich hier bis zur Antike zurück, um nach seiner Herkunft und seinen Ursprüngen zu fragen. Indem ich das tue, [83]verorte ich das »Kreative Schreiben« als eine Spiel- und vor allem LesartLesart von PoetikPoetik.286Ortheil, Hanns-JosefAristoteles Hanns-Josef OrtheilOrtheil, Hanns-Josef wurde am 5. November 1951 als fünfter Sohn von Maria Katharina und Josef Ortheil in Köln geboren. Traumatische Erlebnisse ließen seine Mutter verstummen, so dass er im Alter von drei Jahren selbst für gewisse Zeit mit dem Sprechen aufhörte. Seit frühester Kindheit spielt Ortheil Klavier, machte Abitur in Mainz und studierte schließlich Musikwissenschaft, Philosophie, Germanistik und Vergleichende LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft. 1976 wurde er mit einer Arbeit zur Theorie des Romans im Zeitalter der Französischen RevolutionRevolution promoviert. Drei Jahre später erfolgte sein literarisches Debüt. Seit 1990 lehrt er – noch immer als einziger deutscher Universitätsprofessor – Kreatives Schreiben an der Universität HildesheimHildesheim, Universität. Hanns-Josef Ortheil gilt heute als einer der bedeutendsten SchriftstellerSchriftsteller der deutschen Gegenwart. Werke u.a.: Fermer(1979) – Hecke(1983) – Köder, Beute und Schatten(1985) – Römische Sequenz(1993) – Das Element des Elephanten(1994) – Blauer Weg(1996) – Lo und Lu(2001) – Die geheimen Stunden der Nacht(2004) – Das Verlangen nach Liebe(2007) – Die Erfindung des Lebens(2009) – Die Moselreise(2010) – Das Kind, das nicht fragte(2012) – Die Berlinreise(2014). Es ließe sich die Position Kaspar H. SpinnersSpinner, Kaspar H. hinzufügen, der gezeigt hat, in welcher Weise die kreativen Verfahren auch literaturwissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln vermögen, so daß nicht von einem notwendigen Widerspruch zwischen der Freude am Spielerischen, der Entfaltung von Phantasie und der Kundgabe persönlicher Erlebnisse einerseits und der theoretischen Reflexion und der Analyse und InterpretationInterpretation von Texten andererseits ausgegangen werden muß.287Spinner, Kaspar H. Damit steht das Creative Writingim Übrigen auch im Kontext des New Historicism New Historicism, indem es dazu anleitet, einen Text als »›Gewebe[84]‹ von ›Zitaten‹ aus dem Text der Kultur«288 aufzufassen: »Er verdichtet nicht Inneres, sondern etwas, das mit sozialer Energie präformiert und als Image konstruiert worden ist.«289 Auch dem Kreativen Schreiben kann dabei ein intimes Verhältnis zu KörperlichkeitKörperlichkeit und Identität zugesprochen werden. Denn dieses äußert sich ja explizit auf der Ebene der Ausführung in einer Bewegung oder GesteGeste, die einerseits ein haptisches Instrumentarium benötigt (zuallererst HändeHand oder FingerFinger, dann ein Instrumentarium, eine zu beschreibende Oberfläche etc.); andererseits können dessen Tätigkeiten sowohl als spezielle Manifestationen von Selbstpräsenz betrachtet werden als auch von Markierungen eines SelbstverlustesMarkierungen eines Selbstverlustes.290Stingelin, Martin Auch aus theoretischer Perspektive hilft der Akt des Kreatives Schreibens nicht nur bei der Orientierung oder der Gliederung von IdeenIdee; er manifestiert zudem geradezu die Erscheinungen und mithin Ergebnisse ästhetischer Literatur. Insbesondere die neuere Tendenz des Kreativen Schreibens lässt sich in diesem Zusammenhang dahingehend beschreiben, sich etablierten literarischen Gefügen zu entziehen und grenzüberschreitend übergriffig zu werden. Dieser Befund gewinnt angesichts der wiederum theoretischen Implikationen der so genannten Postmoderne291 vor der Folie von Autorschafts- und TextgewebetheorienAutorschafts- und Textgewebetheorien an Deutlichkeit;292Barthes, RolandAutorFoucault, Michel vor allem aber zeichnet sich hier eine neue Beschäftigung damit ab, was eine Theorie des Kreativen Schreibens überhaupt ist, was [85]es bedeutet, impliziert und welche Beziehungen es als literarische Praktik einzunehmen vermag.293Schreibprozess 3.1.1. PoetikPoetik und Kreatives Schreiben Damit sind Fragen aufgeworfen, denen dadurch nachgespürt werden kann, indem die literaturpraktische und schreibreflexive ›Arbeit‹ mit Theorien explizit postmoderner Provenienz darstellend untersucht werden soll. Diese diskursive Konstellation ist ein Ausgangspunkt, der das Thema zum wiederholten Male im Kontext der PoetikPoetik sieht, zumal diese als ›DichtkunstDichtkunst‹ im Sinne einer ›Theorie der PoesiePoesie‹,294Meier, CordulaPoetik als »Reflexionen über Dichtung, über Voraussetzungen, Funktionen und Effekte dichterischer Texte, über poetische Gattungen, Darstellungsweisen und Kommunikationsformen«295 nach dem ›Wesen‹ der LiteraturDas ›Wesen‹ der Literatur und des Schreibens wie des Schreibens fragt. Die Forschung hat sich bislang intensiv mit ihrer Geschichte296Poetik auseinandergesetzt und einzelne ihrer Stationen intensiv betrachtet.297 Wird der Blick in einer solchen Perspektive auf die Literatur der Gegenwart gerichtet,298Gegenwartsliteratur werden zunehmend eine Reihe poetologischer Erscheinungsformen fokussiert, die eine »wichtige Rolle im LiteraturbetriebLiteraturbetrieb« spielen, namentlich »Poetikvorlesungen, Abhandlungen über das Schreiben, seine Bedingungen, Funktionen und Effekte, poetologisch-reflexive Schreibweisen sowie Strategien der Interaktion dichtungstheoretischer Begriffe und Konzepte in fiktionalen Werken«.299 Insbesondere der [86]erstgenannte Gegenstand dient oftmals dazu, den ›poetologischen Diskurs der Gegenwart‹Der ›poetologische Diskurs der Gegenwart‹ zu erklären.300 Im Fokus stehen hier die in Theorien wie Poetologien verhandelten und ins Bild gesetzten Phänomenologien des allgemeinen literarischen Schreibens, die auf ihren konkreten AnwendungscharakterAnwendungscharakter imKreativen Schreiben hin abgeklopft werden können – insbesondere im Hinblick auf eine PoetikPoetik der Literatur der Gegenwart. Hier geht es darum, die Funktion des Kreativen Schreibens als eine literarische ›Arbeit‹ mit Theorie bzw. genauer: insbesondere mit Medien-Theorie zu betrachten. Werden diese theoretischen, postmodernen Überlegungen gegen poetologische Positionen in Stellung gebracht und subvertieren sie somit einen seit dem 18. Jahrhundert vorherrschenden AutorAutor- bzw. Künstlermythos, so stellt sich insgesamt auch die Frage, welche literarischen undtheoretischen Automatismen dadurch ins Wanken geraten. Diese Stoßrichtung ist für eine tiefer gehende Explikation des Kreativen Schreibens, wie sie im vorliegenden BuchBuch versucht werden soll, in zweifacher Hinsicht interessant: Zum einen kann damit jenen ›SpurenSpur‹ nachgegangen werden, die in der Rezeption von (Medien-)TheorienRezeption von (Medien-)Theorien innerhalb poetologischer Ausführungen auffindbar sind, nicht ohne die begriffliche Problematik eines solchen Projekts bewusst zu machen.301Spur Zum anderen ist es auf diese Weise möglich, der Funktion von Theorie fürdas Kreative Schreiben sowie ihrer Weiterentwicklung inder GegenwartsliteraturGegenwartsliteratur exemplarisch nachzugehen.302 [87]3.1.2. ›SpurenSpur‹ zum Kreativen Schreiben Der Begriff der ›SpurSpur‹303SpurGrimm, Jacob taucht in der Philosophie des 20. Jahrhunderts an prominenter Stelle in BenjaminsBenjamin, Walter Passagen-WerkPassagen-WerkBenjaminsBenjamin, Walter Passagen- WerkPassagen-Werk auf; er wird darin dem Begriff der ›Aura‹ gegenüber gestellt:304Spur »Spur und Aura. Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.«305Benjamin, WalterPassagen-Werk ›Spur‹ und ›Aura‹ opponieren bei Benjamin, sind aber wenigstens in gleichem Maße aufeinander verwiesen;306 sie bilden eine »dialektische Einheit«, sofern Benjamin »hinter den Spuren und Zeugnissen des Vergangenen das Lebendige des Augenblicks gegenwärtig zu machen sucht«.307SpurBenjamin, Walter Der ›Spur‹-Begriff bei Benjamin bezieht sich, wie er in seinem Passagen-Werkweiter erläutert, auf etwas, das – als »Witterung einer Schwelle« oder eines »Tastbewußtseins«308Benjamin, WalterPassagen-Werk – naheist und gleichzeitig auf etwas Fernesverweist, von dem es herrührt; es handelt sich um die »Spur eines Abwesenden«,309 die »entziffert«310 werden muss. ›Spuren‹ sind, so Benjamin, »Winke und Weisungen«, die ein »Ort«, »schon rege geworden, sprachlos, geistlos gibt«; sie zeigen nicht auf etwas ihnen »Vorgängiges«, sondern wecken »eine erstaunliche Resonanz«.311Benjamin, WalterPassagen-Werk Ob ›SpurenSpur‹ solchermaßen zu einem Anderen ihrer selbst führen312 oder ob darin, um eine Überlegung DerridasDerrida, Jacques aus La differánceDerridas La differánceaufzugreifen, der Ausdruck einer sich jeweils entziehenden bzw. niemals vollständig einholbaren ›Präsenz‹ zu sehen ist, ist [88]zu unterscheiden; Derrida spricht von etwas sich Aufschiebendem, von etwas aus Differenzen Gewebtem, das Repräsentanten entsendet, wobei keine Möglichkeit besteht, »daß der Vertretene ›selbst‹ irgendwo ›existiert‹, gegenwärtig ist, und noch weniger, daß er bewußt wird«: »Diese radikale Andersheit im Verhältnis zu jeder möglichen Gegenwart äußert sich in irrediziblen Effekten des Nachher, der Nachträglichkeit«.313Derrida, Jacques ›Spuren‹ können für Derrida »selbst nie auftreten, erscheinen und sich als solche in ihrem Phänomen offenbaren«:314 Da die SpurSpur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur. Nicht nur jenes Erlöschen, dem sie stets muß unterliegen können, sonst wäre sie nicht Spur, sondern unzerstörbare und monumentale Substanz, vielmehr jenes Erlöschen, welches sie von Anfang an als Spur konstituiert, als Ortsveränderung einführt und in ihrem Erscheinen verschwinden, in ihrer Position aus sich hinausgehen läßt. […] Paradox an einer solchen Struktur ist […]: das Anwesende wird zum Zeichen des Zeichens, zur Spur der Spur. Es ist nicht mehr das, worauf jede Verweisung in letzter Instanz verweist. Es wird zu einer Funktion in einer allgemeineren Verweisungsstruktur. Es ist Spur und Spur des Erlöschens der Spur.315 ›SpurenSpur‹ setzt DerridaDerrida, Jacques in ein Bild, indem er sie mit dem »Draußen eines Textes«Das »Draußen eines Textes« vergleicht, das er »[m]ehr oder minder als sein[ en] eigene[ n] Rand« denkt316 – auch dies ein deutlicher Hinweis auf deren theoretische Bedeutung für das Kreative Schreiben. Es geht Derrida um die Bezeichnung der endlichen Anwesenheit des ›supplementierten‹ Abwesenden, was »weder als bloßes Anzeichen noch als – bereits unmöglich gewordener – Ausdruck [89]angesehen wird«317Spur – und dies innerhalb der ›Schrift‹.318Derrida, JacquesKulturtechnik In De la grammatologieführt er aus: Es gilt […] zu erkennen, daß die Differenzen im spezifischen Bereich jenes Eindrucks und jener SpurSpur – in der Temporalisation eines Erlebten, welches weder inder Welt noch in einer »anderen Welt« ist, und inder Zeit nicht eher als imRaum ist – hier zwischen den Elementen in Erscheinung treten, besser noch, sie produzieren, sie als solche an die Oberfläche dringen lassen und Texte, Ketten und Systeme von Spuren konstituieren. Diese Ketten und diese Systeme können sich nur im Gewebe jener Spur, jenes Abdrucks einzeichnen. Die unerhörte Differenz zwischen dem Erscheinenden und dem Erscheinen (zwischen der »Welt« und dem »Erlebten«) ist die Bedingung für alle anderen Differenzen, alle anderen Spuren, sie ist selbst schon eine Spur.Und dieser Begriff ist schlechthin und rechtens »älter« als das ganze physiologischeProblem der Natur des Engramms, als das ganze metaphysischeProblem des Sinns der absoluten Präsenz, deren Spur sich damit entschlüsseln läßt. In Wirklichkeit ist die Spur der absolute Ursprung des Sinns im allgemeinen[…]. Die Spur ist die Differenz, in welcher das Erscheinen und die Bedeutung ihren Anfang nehmen.319Derrida, Jacques Emmanuel LevinasLevinas, Emmanuel bedient sich des Begriffs der ›SpurSpur‹, um den Unterschied zwischen einer dem Ich wahrnehmbaren Welt und Eine unbegreifliche Transzendenzeiner unbegreiflichen Transzendenz zu beschreiben (darin ist er sich mit BenjaminBenjamin, Walter und DerridaDerrida, Jacques – grundsätzlich – einig); gleichwohl grenzt ihn Levinas ab vom Zeichenbegriff, um die ›Spur‹ »aus der Fixierung auf begreifbare Phänomene herauszulösen«320 [90]und die Begegnung mit dem transzendent ›Anderen‹ zu denken.321Levinas, Emmanuel In De Dieu qui vient à l’idéeLevinas’ De Dieu qui vient à l’idéeheißt es entsprechend: Das Andere des Anderen ist nicht eine verstehbare FormForm, die im Prozeß des intentionalen ›Enthüllens‹ an andere Formen gebunden ist, sondern ein Antlitz, die proletarische Nacktheit, die Mittellosigkeit; das Andere ist der Andere; das Herausgehen aus sich selbst ist die Annäherung an den Nächsten; die Transzendenz ist Nähe, die Nähe ist Verantwortung für den Anderen, Stellvertretung für den Anderen, Sühne für den Anderen, Bedingung – oder Un-Bedingung – der Geiselschaft; die Verantwortung als Antwort auf das vorgängige Sagen; die Transzendenz ist Kommunikation […].322Levinas, Emmanuel Die wahrgenommene Andersheit ist für LevinasLevinas, Emmanuel ›spurenhaft‹; der Andere, der, so Levinas in Le Temps et l’Autre, »erreicht wird, ohne sich als berührt zu erweisen«,323Spur offenbart sich als »Bedeuten jenseits von Bedeutsamkeit«, als ›Antlitz‹: »Kraft seiner Epiphanie als Antlitz hört der Andere auf, eine wahre Vorstellung, ein Zeichen zu sein, über welches das Identitätsprinzip des Bewusstseins zu verfügen in der Lage wäre.«324 Nach dem Antlitz des Anderen zu sein, bedeutet für Levinas, »sich in seiner SpurSpur [zu] befinden«; zu »ihm hingehen heißt nicht, dieser Spur, die kein Zeichen ist, [zu] folgen, sondern auf die Anderen zu[zu]gehen, die sich in der Spur halten.«325Levinas, EmmanuelSpur Derartige ›SpurenSpur‹ als ›Winke und Weisungen‹ im Sinne BenjaminsBenjamin, Walter, als ›anwesendes Abwesendes‹ im Sinne DerridasDerrida, Jacques wie als ›Zugehen auf die Anderen‹ im Sinne LevinasLevinas, Emmanuel sind in der PoetikPoetik der GegenwartsliteraturGegenwartsliteraturPoetikPoetik der GegenwartsliteraturGegenwartsliteratur und damit für eine Theorie des Kreativen [91]Schreibens auf verschiedenen Ebenen identifizierbar; derartige ›Spuren‹ kommen darin auf zweifache Weise vor: ganz konkret, wenn diese namentlich benannt und/oder von ihnen aus Reflexionen zur Konstitution von Schrift, Sprache und Schreiben unternommen werden, und sozusagen getarnt, wenn Topoi der SchreibtheorieSchreibtheorie als MedientheorieMedientheorie aufgerufen sind. Diese poetologischen Ausführungen sind mehr oder weniger dicht durchzogen von direkten undindirekten Zitaten, die im engeren oder weiteren Zusammenhang mit schreib- bzw. medientheoretischen IdeenIdee stehen. Конец ознакомительного фрагмента. Текст предоставлен ООО «ЛитРес». Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.Читать дальше
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