Cengiz Günay - Geschichte der Türkei

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Das Spannungsverhältnis zwischen islamischer Tradition und Modernisierung durch Verwestlichung ist seit mehr als 200 Jahren konstanter Bestandteil gesellschaftlicher, kultureller und politischer Auseinandersetzungen in der Türkei. Das vorliegende Buch liefert einen differenzierten historischen Blick auf die Entwicklungsmuster dieses Landes am Rande Europas. Die Analyse der historischen Umbrüche soll zu einem besseren Verständnis aktueller Fragen und Probleme beitragen.

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Cengiz Günay

Die Geschichte der Türkei

Von den Anfängen der Moderne bis heute

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR · 2012

Dr. Cengiz Günay ist am oiip – dem Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien tätig und unterrichtet an der Universität Wien.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.deabrufbar.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de.

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com?Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld

Druck und Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH, Großburgwedel

Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier

Printed in Germany

UTB-Band-Nr. 3301 | ISBN 978-3-8463-3301-3 | ISBN Print 978-3-8252-3301-3

In Liebe für Oya

Sen sen olduğun için

Inhaltsverzeichnis

Cover

Impressum

Einleitung

I. Das osmanische Reich

Das Entstehen eines Großreiches

Die politische und wirtschaftliche Struktur

Die osmanische Gesellschaft

Staat und Religion

II. Modernisierung – ein Paradigmenwechsel

Zerfallserscheinungen

Lokale Machtfaktoren

Die ersten Zeichen der Öffnung

Die Neue Ordnung

Der Aufstieg Ägyptens

Die Tanzimat-Ära

Die Jungosmanen

Die erste Verfassungsperiode

Die hamidische Ära (1878 – 1908)

Die Jungtürken

Die zweite Verfassungsperiode

Die Balkankriege – der Anfang vom Ende

Die Geburt des türkischen Nationalismus

III. Die Republik

Die Lage nach dem Krieg

Mustafa Kemal betritt die Bühne

Der Befreiungskampf

Die Voraussetzungen für einen türkischen Nationalstaat werden geschaffen

Die Situation der Minderheiten

Die Konstruktion der Türk Ulusu

Die Errichtung einer Einparteiendiktatur

Atatürk Inkilaplari – Die kemalistische Kulturrevolution

Der türkische Laizismus

Die Tradition des paternalistischen Staates

Nach Atatürk

Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik – der Nährboden für Opposition

IV. Demokratie entlang gesellschaftlicher Bruchlinien

Übergang zum Mehrparteiensystem

Die Ära der Demokratischen Partei

Die Armee: Wächterin über das Modernisierungsprojekt

Die Rückkehr zur Demokratie

Demirel, ein Ingenieurspolitiker

Urbanisierung und wachsende Fragmentierung

Ethnisch-religiöse Bruchlinien und politisch-ideologische Identitäten

Rechts- und Links-Begriffe im türkischen Kontext

Die Mitterechts: Das Bollwerk gegen den Kommunismus

Das Auseinanderbrechen der Mitterechtskoalition

Die islamistische Bewegung

Die nationalistische Bewegung

Das Militär greift erneut „korrigierend“ ein

Links von der Mitte: Die Staatspartei erfindet sich neu

Die Zypernkrise

Die Nationalistische Frontregierung

V. Der Sieg der Rechten: Marktwirtschaft und Konservativismus – Die Türkei nach 1980

Der Coup der Generäle

Die Ära des Özalismus

Eine zersplitterte Parteienlandschaft entsteht

Der Kurdenkonflikt

Eine Frau an der Spitze

Der Aufstieg der Islamisten

Die Islamisten an der Macht

Der 28. Februar: ein anti-islamistischer Putsch

Die letzte Ära Ecevit – Das Ende des Projektes Links von der Mitte

Die Parteienlandschaft ordnet sich neu

Die AKP und das Projekt der „Konservativen Demokratie“

Die Ära der AKP

Eine lange und beschwerliche Reise nach Europa

VI. Schlussfolgerungen

VII. Bibliographie

Register

Rückumschlag

Einleitung

Die neuere Geschichte der Türkei ist geprägt durch das Streben nach Modernisierung. Modernisierung stellte den Versuch dar, Antworten auf Herausforderungen der westlichen Moderne in der schrittweisen Eingliederung und Anpassung an diese zu finden. Die Moderne umfasst in diesem Zusammenhang kein präzises Konzept. Der Begriff beschreibt vielmehr eine ganze Palette an Phänomenen, die die Verbreitung des Kapitalismus und die Integration immer weiterer Weltregionen in die revolutionären Prozesse, die damit verbunden waren, begleiteten. (Vgl. Zubaida, 2011) Modernität bezeichnet aber nicht nur einen Prozess, sondern auch eine Periode, die Ende des 18. Jahrhunderts begann und sich bis zum heutigen Tag auf verschiedene Arten fortgesetzt hat. (Bayly, 2004: 26) Im Falle der Türkei ging die Modernisierung (modernleşme) von den bürokratischen Eliten im Zentrum aus. Sie betrachteten Modernisierung als einen linearen Entwicklungsprozess. In der Anpassung an westliche Normen, Konzepte, Denk- und Verhaltensweisen sahen sie eine Chance, um den schwachen Staat stärker, zentralisierter und damit widerstandsfähiger gegen die Herausforderungen der westlichen Moderne zu machen. Modernisierung wurde dadurch mehr als in anderen Ländern zu einem durch die Staatseliten vorgegebenen politischen und zivilisatorischen Reformprogramm.

Das Aufeinandertreffen der autochthonen Wirtschaftssysteme und der traditionellen gesellschaftlichen und politischen Strukturen mit der europäischen Moderne erfolgte in den meisten Fällen nicht friedlich. Die Hegemonie der europäischen Moderne war meist mit militärischer Eroberung, zumindest aber mit massiver wirtschaftlicher und kultureller Expansion verbunden.

Im Gegensatz zu anderen Gesellschaften der Peripherie geriet das Osmanische Reich nie unter direkte koloniale Herrschaft. Das

[<<11] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe

Aufeinandertreffen mit der westlichen Moderne war daher nicht, wie z. B. in Ägypten oder Indien durch Fremdherrschaft und Unterdrückung geprägt.

Das Osmanische Reich, das an seinem Höhepunkt weite Teile Ost- und Südosteuropas sowie den gesamten Mittelmeerraum beherrschte, war ab dem 17. Jahrhundert zusehends ins Hintertreffen geraten. Seit der misslungenen Belagerung Wiens 1683 befand sich das Reich in einem Prozess des territorialen Rückzugs. Mit dem Ende der Expansion, die ein wichtiger Bestandteil des osmanischen Systems gewesen war, geriet das Reich in eine Krise. Die staatlichen Strukturen, die Wirtschaft und vor allem das Militär befanden sich im Verfall.

Die Geschichte der Modernisierung im Sinne der Anpassung an die westliche Moderne setzte hier an. Ende des 18. Jahrhunderts rief Selim III. ein Reformprogramm mit dem programmatischen Namen „Neue Ordnung“ aus. Vorrangiges Ziel war die Wiederherstellung der geschwächten staatlichen Autorität. Es galt das Reich neu zu ordnen, der Korruption und Misswirtschaft den Garaus zu machen, die Effizienz der Administration zu steigern und die Steuereinnahmen zu erhöhen. Dabei orientierte man sich an den erfolgreichen Erfahrungen in europäischen Staaten wie Frankreich, England und Österreich. Als Vorlage dienten umfassende Berichte osmanischer Diplomaten über die militärischen, administrativen und technischen Entwicklungen und Neuerungen in den jeweiligen europäischen Ländern, in die sie entsandt worden waren.

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