Martin Leuenberger - Segen
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Der vorliegende Band geht unterschiedlichen Segensvorstellungen in religionswissenschaftlicher, biblisch-historischer, judaistischer, kirchengeschichtlicher sowie systematisch- und praktisch-theologischer Perspektive nach.
So bietet er einen interdisziplinären Einblick in den gegenwärtigen Forschungsstand, der Theologie, Kirche und Gesellschaft zur Beschäftigung mit dem lebensweltlich ebenso grundlegenden wie attraktiven Thema einladen will.
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Martin Leuenberger (Hg.)
Segen
Mohr Siebeck GmbH & Co. KG
Themen der Theologie
herausgegeben von
Christian Albrecht, Volker Henning Drecoll, Hermut Löhr, Friederike Nüssel, Konrad Schmid
Band 10
[Zum Inhalt]
|1|Einleitung
Martin Leuenberger
Segen als Grundthema von Religion
Ein glückendes und gelingendes, gutes und sinntragendes Leben stellt wohl das zeit- und kulturübergreifend grundlegendste Ziel von Menschen dar, das sie für sich selbst und andere nach Kräften wünschen und erstreben, ohne es freilich je ganz in der eigenen Hand zu haben. Die ein solches Leben dynamisch tragende, sichernde und steigernde ›Energie‹ bildet typischerweise den Kern dessen, was man unter Segen versteht. Der Segen strahlt jedoch gleichsam sphärenhaft auf die dabei involvierten Lebensverhältnisse aus, die ebenso wie die etwa erlangten Güter auch zum Segen gehören, sodass insgesamt eine unterschiedlich dichte und verschiedene Reichweiten aufweisende Segenssphäre im Blick steht. Wie dabei die mit Segen implizierten Aspekte von Glück und Gelingen, von Gutem und Sinn im Einzelnen jeweils bestimmt werden, variiert bekanntlich in vielfältigster Weise. Hierfür erweisen sich nicht nur individuelle Präferenzen, sondern auch historische, kulturelle und religiöse Prägungen als ausschlaggebend. Versteht man Segen in der angedeuteten Weise als paradigmatische, terminologisch in einer spezifischen (altorientalischen und wirkungsgeschichtlich dann vorab biblischen) Tradition verwurzelte Abbreviatur für das erstrebte Leben, kommen außerordentlich breit gefächerte und inhaltlich vielgestaltige Phänomene in den Blick, die sich als Variationen eines Grundthemas der Kulturen, Religionen und Theologien verstehen lassen.
Eine in dieser Weise weit ausgreifend konzipierte Kulturgeschichte bleibt freilich ein Desiderat, das hier nicht eigenständig bearbeitet werden kann. Vielmehr wird im Folgenden – entsprechend |2|dem Anliegen der »Themen der Theologie« – eine Erschließung der Segensthematik von abendländischen, (evangelisch-)theologischen Standpunkten in Westeuropa zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus unternommen, sodass hauptsächlich religiös-theologische Segensvorstellungen aus der biblisch-christlichen Tradition behandelt werden. Doch auch für diese dezidiert perspektivischen und spezifischen Zugänge lohnt es sich, das breite kulturgeschichtliche Spektrum der Segensthematik wenigstens ansatzweise und exemplarisch in den Blick zu bekommen, weil es sich als höchst ertragreich herausstellt: Beispielhaft verdeutlichen dies im vorliegenden Band der religionswissenschaftliche Überblick einerseits (Kap. 2) und der judaistische Beitrag andererseits (Kap. 4), die je auch für theologische Segensverständnisse überaus wertvolle Einsichten erbringen und mithin gerade bei dieser Thematik nicht fehlen dürfen.
Aufs Ganze indes fokussiert das vorliegende Segensbuch sein Augenmerk – wie es auch die Herkunft und Entwicklung des Segensbegriffs nahelegen – auf Beiträge zum israelitisch-alttestamentlichen Ursprung der Segens-Vorstellung, zu ihrer verzweigten jüdischen, neutestamentlichen und kirchen- bzw. christentumsgeschichtlichen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte sowie zu ihrer gegenwärtigen, insbesondere systematisch- und praktisch-theologischen Relevanz. Auf diese Weise können aktuelle fachspezifische Zugänge zur Entstehung, Wandlung und Bedeutung von Segensvorstellungen geboten werden, die sich in ihrem interdisziplinären Zusammenspiel wechselseitig bereichern und sich zu einem die Einzelbeiträge synergetisch integrierenden Gesamtbild zusammenfügen.
Hierzu sollen einleitend einige elementare Annäherungen (vorwiegend im Erfahrungshorizont aktueller westeuropäischer Lebenswelten) erfolgen, die an das Phänomen ›Segen‹ heranführen (1.); anschließen können sich erste hermeneutisch-theologische Vertiefungen und Problemanzeigen (2.). Damit wird der Blick auf die folgenden fachwissenschaftlichen Beiträge eröffnet, die abschließend als Hilfestellung zur Orientierung kurz überblickt und resümiert werden (3.).
|3|1. Annäherungen an das Phänomen ›Segen‹
Im Unterschied zu manch anderen theologischen (Spezial-)Termini, die heutzutage hierzulande oft allererst in breitere Diskurszusammenhänge eingeführt werden müssen, gehört der Begriff des Segens und ein damit verbundener common sense zum allgemeinen Sprachgebrauch: Segen weist bis in die Gegenwart eine im Vergleich äußerst breite und stabile Verankerung in sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten auf und stößt entsprechend in zahlreichen Diskurshorizonten auf substanzielle Resonanzen. Das beginnt bei alten, ursprungsnahen Redewendungen wie »das Zeitliche segnen« (s. weiter etwa die Beispiele unter http://de.wikiquote.org/wiki/Segen) und führt bis zu nach wie vor beliebten Kombinationen von Segen mit bestimmten Gütern, Techniken, Errungenschaften usf. (»Geldsegen«, »Segen [und Fluch] des Computers, der Demokratie nsf.«). Der Begriff des Segens und seine Verwendung brauchen aus diesem Grund nicht eigens eingeführt oder in einer spezifischen Weise näher bestimmt zu werden. Vielmehr soll eine kurze begriffsgeschichtliche Erläuterung an die Herkunft des Begriffs erinnern (1), um dann mithilfe einigermaßen repräsentativ ausgewählter Beispiele für die Begriffsverwendung das Phänomen ›Segen‹ in seiner Breite annäherungsweise zu erschließen (2).
(1) Das deutsche Wort ›segnen‹/›Segen‹ geht etymologisch über das althochdeutsche ›seganōn‹ / ›segan‹ und das altnordische ›signa‹ : »(mit dem Kreuz) bezeichnen, »(Kreuzes-)Zeichen« auf das gleichbedeutende lateinische ›sīgnāre‹ / ›sīgnum‹ zurück (s. Kluge 2012: s.v. Segen und Spehr, in diesem Band S. 135f.
). In der lateinischen Sprachtradition (der Bibel) steht daneben ›benedicere‹ : »gut sprechen, loben, preisen, segnen«/ ›benedictio‹ : »guter Spruch, Lob, Preis, Segen«, welchen Bildungen in den romanischen Sprachen das französische ›bénir‹, das italienische ›benedire‹ und das spanische ›bendecir‹ sowie im Englischen ›to bless‹ entsprechen. Eben diese Begriffe werden für die Übersetzung der biblischen Lexeme ךרב brk II (in der Hebräischen Bibel [HB]/im Alten Testament [AT]): »segnen« bzw. εὐλογεῖν (in der Septuaginta [LXX] und dem Neuen Testament [NT]): »segnen« vorrangig benutzt, wogegen etymologische Äquivalente zu benedicere / benedictio im Deutschen |4|fehlen (während im Jiddischen »benschen«, v.a. für den Vollzug des Tischsegens, bekannt ist). Vielmehr haben in die deutsche (Bibel-)Sprache eben nur ›segnen‹ und ›Segen‹ Eingang gefunden (was jedoch im Unterschied zu den biblischen Begriffen üblicher- und meines Erachtens bedauerlicherweise nicht für Segensaussagen mit göttlichem Empfänger benutzt wird, wofür meist Ausdrücke wie ›loben‹ und ›preisen‹ verwendet werden).
Aufs Ganze ist sprachgeschichtlich auf jeden Fall die etymologische Herleitung von ›segnen‹ und ›Segen‹ aus dem Lateinischen zur Wiedergabe der biblischen Segensbegriffe evident; die biblische Traditionsprägung zeigt sich aber ebenfalls noch deutlich in den mit ›segnen‹ und ›Segen‹ ausgedrückten inhaltlichen Vorstellungen, auch wenn hier zunehmend auch abgeleitete, sich tendenziell emanzipierende Bedeutungs- und Verwendungsaspekte hinzugekommen sind, wie sich an dem als ›Segen‹ bezeichneten Phänomen sehen lässt.
(2) Wenn dabei von Segens-Phänomenen die Rede ist, so steht ein alltagssprachlicher Gebrauch des Phänomen-Begriffs im Blick, der sich schlicht auf entsprechend verstandene und/oder bezeichnete Vorgänge bezieht. Es wird also keineswegs ein gemeinsamer ›Grund‹ der Religionen und Kulturen insinuiert, wie es forschungsgeschichtlich in der (Religions-)Phänomenologie im 20. Jahrhundert der Fall war. Vielmehr werden – von den oben genannten, terminologisch und sachlich in der (auch) biblisch geprägten Tradition stehenden Standorten aus – bestimmte Vorgänge als Segens-Phänomene bezeichnet, um sie in komparativer Perspektive als funktional vergleichbare Vollzüge in sehr unterschiedlichen religiösen Praxen (mit durchaus je eigenen Kommunikationszusammenhängen) erfassen zu können (s. dazu näher Feldtkeller, in diesem Band S. 27f.).
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