Moderate – radikale Verbesserungen
Als wichtig erachtet wird oft auch der Gegensatz von „moderatenEnhancementmoderates“ und „radikalenEnhancementradikales“ Verbesserungen (vgl. AgarAgar, Nicolas 2014, 2f./GesangGesang, Bernward, 39f.): Bei moderaten Verbesserungenwerden die beim Menschen bereits vorhandenen Eigenschaften und Fähigkeiten in moderaten, d.h. bescheidenen oder gemäßigten Schritten gesteigert, sodass sie innerhalb oder nahe an den bereits menschenmöglichen bleiben. Die etwa von Trans- oder Posthumanisten anvisierten radikalen Verbesserungensind demgegenüber extreme Steigerungen auf Spitzenwerte, die bisher von Menschen noch nicht erreicht wurden. So könnte beispielsweise eine Steigerung der Intelligenz bis etwa 10 Punkte im IQ-Test als moderat, die um 100 Punkte hingegen als radikal bezeichnet werden. Die Verteidiger dieser begrifflichen Abgrenzung geben zwar zu, dass die Trennlinie zwischen moderatem und radikalem Enhancement nur vage und grob angegeben werden kann (vgl. Agar 2014, 3/GesangGesang, Bernward, 41). Sie sei aber aus ethischen Gründen außerordentlich wichtig, weil nur moderate Verbesserungen ethisch erlaubt werden könnten. Dafür werden zum einen moralische Gründe geltend gemacht, die auf negative Folgen eines radikalen Enhancements für andere Menschen oder die Gesellschaft aufmerksam machen: Da solche radikale Verbesserungen durch traditionelle Methoden wie Training und Bildung nicht mehr kompensiert werden können, wären Naturbelassene stark benachteiligt und es könnte schlimmstenfalls zu einer Spaltung der Gesellschaft kommen (vgl. Agar 2014, Kap. 8/GesangGesang, Bernward, 52f.). Zum anderen werden individualethische, das Glück der Einzelnen betreffende Gründe angeführt (vgl. AgarAgar, Nicolas, Kap. 2–5): Obwohl objektiv betrachtet jede Steigerung wünschenswerter Fähigkeiten eine Verbesserung darstelle, nehme die Bedeutung von neuen, sich von bisherigen Standards weit entfernenden Erfahrungen für die Menschen selbst von einem bestimmten Punkt an notwendig wieder ab (vgl. 3f.; 17). Allerdings erfolgen selbst die von Posthumanisten angestrebten radikalen Verbesserungen faktisch immer schrittweise im Laufe einer längeren technischen Entwicklungsphase, während der sich menschliche Vorstellungskraft, Tätigkeitsfelder und Normen kontinuierlich anpassen können. Individualethisch fatal wären nur eher unwahrscheinliche Identitätsverluste oder Entfremdungserfahrungen infolge radikaler plötzlicher Veränderungen (vgl. ebd., Kap. 4). Gegen die angeblich ethisch zentrale Unterscheidung zwischen radikalem und moderatem Enhancement spricht außerdem, dass moderates Enhancement prinzipiell kumulierbar ist und viele moderate Verbesserungen ein radikales Enhancement ergeben. Um die erwähnte moralische Gefahr zu bannen, müsste die Grenze eines moderaten EnhancementsEnhancementmoderates daher absolut angegeben und staatlich kontrolliert werden können (vgl. GesangGesang, Bernward, 65).
Intrinsische – extrinsische Verbesserungen
Zumeist eher implizit werden „intrinsische“ und „extrinsische“ Optimierungsziele und damit „intrinsische“ und „extrinsische Verbesserungen“ voneinander abgegrenzt (vgl. Agar, 18; 26/ GesangGesang, Bernward, 47): Enhancementintrinsisches Intrinsische Verbesserungentragen ihren Wert in sich selbst, indem sie den optimierten Individuen zu in sich wertvollen Eigenschaften und Fähigkeiten oder zu dadurch ermöglichten selbstzweckhaften Tätigkeiten verhelfen.Tätigkeitenintrinsische/praxisorientierte Intrinsische Güter sind Zustände oder Tätigkeiten, die wie z.B. Freude, Lust, Spazieren oder Musizieren ungeachtet ihrer nützlichen Folgen um ihrer selbst willen gewünscht werden und zu einem guten Leben beitragen (Kap. 2.1). Enhancementextrinsisches Extrinsische Verbesserungenjedoch haben lediglich instrumentellen Wert und werden aufgrund „externer“ äußerer Vorteile für die Betroffenen selbst oder andere Personen geschätzt. Tätigkeitenextrinsische/ergebnisorientierteTypische externe Ziele sind äußere Belohnungen, soziale Anerkennung und beruflicher Erfolg. Diese begrifflich scharfe Entgegensetzung suggeriert jedoch fälschlicherweise eine Aussließlichkeit. Denn die meisten im Rahmen der Selbstoptimierung vorgenommenen Veränderungen stellen ebenso intrinsische wie auch extrinsische Verbesserungen dar, weil die erreichten besseren Eigenschaften oder Fähigkeiten sowohl von intrinsischem als auch extrinsischem Wert sind: So können z.B. pharmakologisch optimierte kognitive Fähigkeiten nicht nur die Karriere befördern, sondern auch viel Freude und Zufriedenheit beim effizienteren Erlernen neuer Sprachen, beim verfeinerten Kunstgenuss oder wissenschaftlichem Arbeiten mit sich bringen. Infolgedessen greift der häufige Vorwurf gegen das Selbstoptimierungsstreben insgesamt oder gegen ein radikales Enhancement zu kurz, es gehe dabei statt um intrinsische lediglich um extrinsische Güter. Da individuelle Optimierungsmaßnahmen prinzipiell auch wegen intrinsischer Güter vorgenommen werden können, sind Selbstoptimierung und Enhancement nicht notwendig auf externeEnhancementextrinsisches, Enhancementmoderatesinstrumentelle Gütern eingeschränkt. Lediglich bestimmte Formen oder Mittel der Selbstoptimierung wie beispielsweise die digitale Selbstvermessung drohen die intrinsische Motivation etwa am Laufen zu schmälern, sofern sie zu einer permanenten Fokussierung auf die angezeigten Zahlenwerte oder Lob bzw. Ermahnungen durch die Geräte verleiten (Kap. 3.2). Nicht überzeugend begründen oder belegen lässt sich auch die abstrakt-allgemeine These, nur der instrumentelle Wert nehme mit einem Enhancement immer weiter zu, wohingegen der intrinsische bei radikalen Veränderungen irgendwann notwendig abnehme (vgl. AgarAgar, Nicolas, 28/oben).
Absolute, nichtkompetitive – relative, kompetitive Verbesserungen
Unmittelbar verknüpft mit dem Gegensatzpaar „intrinsisch“ und „extrinsisch“ ist dasjenige von „absoluten, nichtkompetitiven“ und „relativen, kompetitiven“ Verbesserungen, wobei „kompetitiv“ so viel wie „wetteifernd, sich mitbewerbend“ meint: Enhancementabsolutes, nichtkompetitives Absolute, nichtkompetitive Verbesserungensind intrinsische Verbesserungen, deren Wert oder Nutzen völlig unabhängig von einem Vergleich mit anderen Menschen für sich besteht. Demgegenüber bemisst sich der Wert oder Nutzen von Enhancementrelatives, kompetitives relativen, kompetitiven Verbesserungenin Relation zu Eigenschaften oder Fähigkeiten der Konkurrenten. Da es also um einen Vergleich mit der „Position“ oder Stellung der Mitmenschen geht, spricht man statt von kompetitiven auch von positionalen Güternin Unterschied zu absoluten Gütern(vgl. RanischRanisch, Robert u.a., 46f./AchAch, Johann 2016, 124). Typische Beispiele für solche positionale Güter sind Körpergröße, Schönheit oder geistige Leistungsfähigkeit, deren Nutzen sich einem „Mehr“ gegenüber Menschen mit geringerer Körpergröße, Schönheit oder Leistungsfähigkeit zu verdanken scheint. Der gängige Vorwurf gegen Enhancement allgemein oder speziell ein solches relatives, kompetitives Enhancement lautet, dieses sei unfair und selbstwidersprüchlich (vgl. BrockBrock, Dan 1998, 60/SchleimSchleim, Stefan, 200f.): Aus moralischer Perspektive sei das Enhancement in Wettbewerbssituationen verwerflich, weil sich nicht alle die Optimierungsmaßnahmen leisten könnten und der Nutzen des einen zwangsläufig auf Kosten anderer gehe (vgl. dazu oben/Kap. 4.4). Wenn sich hingegen alle Menschen gewisse Verbesserungen wünschten und auch erzielen könnten, wäre das Enhancement widersprüchlich und selbstzerstörerisch. Denn in diesem Fall würde niemand von der vermeintlichen Verbesserung profitieren, weil es zu einem sinnlosen „Wettrüsten“ käme, bei dem niemand seine Position verbessern könnte. Würden beispielsweise alle Menschen ihre Körpergröße manipulieren oder ihr Hirn „dopen“, würde sich lediglich die Durchschnittsgröße bzw. die Leistungsgrenze nach oben verschieben und alle müssten die Kosten für den Aufwand sowie allfällige Risiken der Medikamente tragen. Bei dieser Kritik wird aber einseitig der außenorientierte Leistungsaspekt hervorgehoben und fälschlicherweise unterstellt, alle Formen von Enhancement würden nur extrinsische, kompetitive Vorteile mit sich bringen. Neben den oben erwähnten absoluten privaten Vorteilen wie Freude an der Schönheit oder Wertschätzung des differenzierteren Denkens könnten zudem noch absolute gesellschaftliche Vorteile erzielt werden, indem geistig leistungsfähigere Gesellschaftsmitglieder einen objektiv größeren Beitrag zum Allgemeinwohl z.B. durch wissenschaftliche Entdeckungen leisten.
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