Dagmar Nedbal - Zitronatszitronen

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Jeden Herbst fährt Raffaele, seit vielen Jahren Wahl-Münchner, nach Mori, ein Ort an der italienischen Riviera, um seinem Bruder Luca bei der Olivenernte zu helfen.
Doch diesmal geht es nicht nur um Olivenöl und Familiengeschichten, denn im elterlichen Olivenhain finden die beiden Brüder die Exfreundin Lucas, Chiara, tot auf. Raffaele unterstützt die Ermittlungen von Carabinieri und Polizia mit seinen botanischen Kenntnissen, ist er doch als Agrartechniker in der bayerischen Landeshauptstadt tätig. Ihm war aufgefallen, dass die bei der Leiche gefunden Früchte nicht im elterlichen Garten wachsen. Diese Entdeckung und Erkenntnis ist der entscheidende Hinweis für die weiteren Ermittlungen und die Auflösung des Krimis. Es handelt sich um Zitronatszitronen, eine in Ligurien – und auch grundsätzlich – äußerst selten vorkommende Art.
In «Zitronatzitronen» werden die Bewohner der Riviera Ligure und ihr Leben auf ironische und authentische Weise beschrieben – aus der Sicht eines Liguren und mit der Distanz eines Münchners. Es geht um Deutsche und Italiener, Liebe und Eifersucht, Zitrusfrüchte und Tod. Die kurze Kriminalgeschichte entführt die Leser in eine Welt zwischen Apennin und Tyrrhenischem Meer. Umgangssprachliche Redewendungen und lebendige Dialoge machen «Zitronatzitronen» zu einem echten Lokalkrimi voller italienischem Flair.
Italienische Redewendungen und Fachausdrücke werden in Fußnoten erläutert.

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Dagmar Nedbal

Zitronatszitronen

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Inhaltsverzeichnis Titel Dagmar Nedbal Zitronatszitronen Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Dagmar Nedbal Zitronatszitronen Dieses ebook wurde erstellt bei

Einleitung

Chiara

Gian-Marino

Franco

Ernte

Kardinal Richelieu

Chiaras Tod

Zitronatzitronen

Daniela

Sant’Apolinare

Vernehmung

Tore

Anmerkungen

Impressum neobooks

Einleitung

Es würde noch einen ganzen, langen Winter dauern, bis es wieder warm werden würde. Im Garten würden dann wieder die Mimosen in leuchtendem Gelb blühen. Noch drückte der wintergraue Himmel der Riviera seinen Stempel auf. Üblicherweise regnete es und der Wind blies die salzgeschwängerte Luft nach oben, zum Hügel von Sant’Apolinare, genannt „Contra“, herauf. Seit Tagen hatte sich nun aber der Wind gedreht und wehte von Norden die hügeligen Ausläufer des ligurischen Apennins herab. Die Luft war kalt und glasklar und der Himmel azurblau, was das üppige Grün der Vegetation, der Olivenbäume, Palmen oder des Pittosporum geradezu erstrahlen ließ. „Tramontana i“, rief ihm der alte Gian zu, als Luca die Via Aurelia auf der Höhe des kleinen Altenheims mit dem klingenden Namen „Anni d‘ Oro“, was ungefähr mit „Goldene Jahre“ übersetzt werden könnte, am Vormittag überquert hatte, um einen kurzen Check beim Anwesen der Familie Ferra zu machen, deren kleinen Garten er pflegte. Es war Anfang November, die Zeit der Olivenernte, die Luca am allermeisten verabscheute – doch dazu später.

Jetzt stand er in der Küche, der Küche seiner Mutter Maria, und ließ den Blick im Raum umherschweifen. Diese ziemlich heruntergekommene Wohnküche seiner vierundachtzig-jährigen Mutter, über und übervoll mit Lebensmitteln, Haushaltsgeräten und Krims-Krams war das Herz des ganzen Hauses, das seine Schwester und Mutter den Mut hatten, „Villa“ zu nennen. Der Wasserhahn der Küchenspüle tropfte vor sich hin und füllte dabei beständig eine alte, grün-braune Plastikschüssel, die zu nichts anderen bereitgestellt war, diese ständig fallenden Wassertropfen aufzufangen. Denn nichts, kein technischer Defekt oder Umstand konnte seine Mutter aufhalten zu sparen, zusammenzuhalten, zu verwerten. Eben echt „ligure“. Nicht umsonst wurden die Liguren ja auch die Schotten Italiens genannt. Doch statt den Wasserhahn auszutauschen oder zumindest eine kleine Dichtung anbringen zu lassen, griff sie zu solchen Methoden. Typisch. Später dann würden mit dem Wasser aus der Schüssel die Blumen draußen auf der Terrasse gegossen oder der Boden aufgewischt oder sonst was getan werden. Alles, aber auch alles wurde zweit- bzw. wiederverwertet. „Gerade so, als wäre das recyceln hier erfunden worden“, dachte Luca. Neben den beiden Spülbecken aus Edelstahl, die auf einem altmodischen Unterschrank montiert waren, hatte er vor Jahren, auf Insistieren der Mutter hin, ein Kästchen bauen müssen, um die tote Ecke zum anschließenden Gasherd zu füllen. Daran schloss sich der Holzofen an, die einzige wirkliche Wärmequelle im ganzen Haus. Hier wurde im Winter über den ganzen Tag und vor allem abends geheizt, was das Zeug hielt, was jedoch nicht wirklich behagliche Wäre brachte. Unter der Küche nämlich, dort wo sich einst der Stall des alten Bauernhauses befunden hatte, lag heute der sogenannte Keller. Eine heilloses Chaos an weggeworfenen Möbeln, Werkzeugen, landwirtschaftlichen Geräten und Gefäßen zur Olivenölaufbewahrung usw. und natürlich nicht die Spur einer Isolierung zur darüber liegenden Wohnung.

Das unvermutet einsetzende Surren des rostigen Kühlschrankes, der auf der gegenüberliegenden Küchenseite vor sich hinarbeitete, riss Luca aus seinen Gedanken. Was tat er eigentlich hier? Genau, er wollte etwas essen, eine belegte Semmel oder – mal sehen – vielleicht hatte seine Mutter ja ein Stück „torta ii“, „focaccia iii“ oder Ähnliches vom Vortag über. Da er auf dem Küchentisch, der immer, solange er denken konnte, mit einem bereits merklich zerschlissenen Wachstuch bedeckt war, nichts Brauchbares entdecken konnte und auch in der Fensternische über dem Spülbecken, dort, wo üblicherweise der kleine Elektrogrill stand, nichts Essbares war, öffnete er den alten Indesit und überprüfte seinen Inhalt: Eier, etwas Käse, Milch, Hefewürfel, etwas Gemüse und Salat, Flaschen voller Leitungswasser, ausgetrocknete halbe Zitronen. Nichts, was ihn wirklich anmachte. Nicht die Spur eines saftigen Schinkens oder leckerer Salami. War nicht Italien das kulinarische Schlaraffenland Europas? Hieß es nicht neuerdings in vielen angesagten Städten der Welt: „Eataly“? Kamen nicht tausende, ja Millionen Touristen jährlich über die Alpen hierher gepilgert, nicht zuletzt des leckeren Essens wegen? Auch sein Bruder Raffaele zählte übrigens dazu. Der hatte sich vor vielen Jahren mit seiner deutschen Frau aus dem Staub gemacht. Kam er in den ersten Jahren noch öfters und länger zu Besuch, wohnte hier in der Wohnung der Mutter in „seinem“ ehemaligen Zimmer und half im Garten mit, so wurden seine Besuche mit der Zeit immer seltener und kürzer und seit Jahren schlief er sogar in einem kleinen Hotel im benachbarten Touristenort Villanuova. Angeblich „um der Mutter nicht zu Last zu fallen“. Haha! In Wahrheit war es ihm hier zu unbequem und ungemütlich und obendrein gingen ihm die familiäre Nähe und die soziale Kontrolle auf den Geist. Oder beides. Doch wie jedes Jahr, kam er ein paar Tage zur Olivenernte Anfang November – auch um ein paar Liter Olivenöl abzustauben.

Auf der Kredenz fand Luca endlich, wonach er gesucht hatte. In einem der zahlreichen Papiertüten mit den Aufschriften „Alcese“ oder „Fossini“ befanden sich neben Brotresten ansehnliche Stücke „focaccia“ vom Vortag, die er nur ein paar Minuten in den betagten Elektrogrill schieben musste, um sie genießen zu können. Während die fettigen „focaccia“-Teile sich langsam erwärmten, suchte er in den Hängeschränken über der Anrichte noch nach Keksen, Waffeln oder sonstigem Süßen. Doch Fehlanzeige. Seine Mutter hatte wirklich nichts im Haus, was seinen Appetit hätte befriedigen können. So musste er sich wohl oder übel mit der aufgewärmten „focaccia“ begnügen. Immerhin. Um sich einen Espresso zu kochen, war Luca zu faul. Da natürlich auch kein Bier, keine Cola oder Limonade im Haus war, aß er eben ohne Getränk. „Was soll’s“, schmatzte er halblaut vor sich hin und schaute dabei aus dem Küchenfenster.

Ja freilich, der Blick von hier oben war schon gewaltig. Besser als in seiner Behausung ein paar Meter unterhalb im Garten gelegen. Er bewohnte die obere Etage der ehemaligen Scheune. Mitte der 2000-er Jahre war die alte Scheune umgebaut worden, eigentlich ein Ferienhaus-Projekt seines Bruders. Die alte Konstruktion aus dem Jahr 1918 aus Pfählen, Holz und Palmblättern als Abdeckung, war festen Ziegelmauern und einem ordentlichen Dach gewichen. Samt der Eintragung im Grundbuch, versteht sich. Und natürlich hatte er auch eine kleine Küchenzeile eingebaut, doch kochen wollte er freilich nicht. „Das lohnt sich doch für einen alleine nicht“, war eine seiner Standard-Ausreden. Seiner Mutter Maria war es einerseits ganz recht, dass er oben bei ihr aß und meist sogar seinen Kühlschrank ausgesteckt hatte. „Das spart Stromkosten und ich bin nicht alleine beim Essen“, wiederholte Maria oft. Andererseits beklagte sie sich genauso häufig, dass ihr Luca lag auf der Tasche, er doch eine ganze Menge aß und sie eine kleine Rente bezog. Raffaele dachte sich bei seinen Riviera-Besuchen oft, dass die beiden Züge eines alten Ehepaares aufwiesen und er – in dieser Hinsicht - um nichts in der Welt mit Luca tauschen wollte.

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