Dagmar Hager
Schöner sterben in Wien
Kriminalroman
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Teresa Storkenmaier
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © aleksandr khomenko / unsplash.com
ISBN 978-3-8392-6984-8
Für dich, Papili
Sie war ein Monster.
Die Haut aufgequollen, übersät mit Quaddeln, entzündet und vernarbt, der Kopf im Verhältnis zum Körper riesig. Die Wangen blähten sich, die Augen tränten ununterbrochen. Da, wo sich einst ihr Hals befunden hatte, rollten sich Fleischwülste. Der Arzt meinte, sie sei für immer entstellt.
Sie hätte sich das billige Silikon vom Schwarzmarkt nicht selbst ins Gesicht injizieren sollen. Und schon gar nicht das viele Speiseöl. Aber sie hatte doch keine Wahl gehabt! Man hatte sich geweigert, ihr noch einmal zu helfen. Sie solle lieber zum Psychiater gehen, anstatt sich erneut unters Messer zu legen. Außerdem sei die Haut bereits maximal ausgedehnt, nahe am Platzen.
Also hatte sie sich selbst behandelt. Es war gar nicht so schwierig gewesen, das Silikon aufzutreiben. Viel mehr Probleme hatte es ihr bereitet, vor dem Spiegel mit der Nadel die richtigen Stellen zu treffen. Und als sie feststellte, dass das Zeug nicht ausreichen würde, füllte sie kurzerhand die noch übrigen Stellen mit Speiseöl auf. Im Internet hatte gestanden, es würde funktionieren.
Hatte es aber nicht. Sofort war ihr Gesicht angeschwollen, die Schmerzen hatten begonnen und waren schlimmer und schlimmer geworden.
Sie wollte doch nur schön sein!
Mit 18 hatte sie ihre Brüste machen lassen und mit Botox und Säurepeelings angefangen. Dazu kamen Fettabsaugungen, Laserbehandlungen, aufgespritzte Lippen. Aber das hatte noch lange nicht gereicht. Sie gierte nach mehr, das änderte sich auch nach den richtig heftigen Operationen nicht. Jetzt allerdings, Jahrzehnte später, hatte sich das Blatt gewendet. Aus dem Spiegel blickte ihr ein aufgedunsener Fleischklumpen entgegen. Unwiderruflich verstümmelt und von allen entsorgt.
Sie ging kaum noch vor die Tür. Die Kinder vom Hof waren unbarmherzig, riefen ihr böse Dinge nach. »Gulaschgesicht! Netzhautpeitsche! Hackfresse!« Außerdem musste sie starke Schmerzmittel schlucken, die sie müde und unaufmerksam machten, weshalb sie zuletzt nach dem Einkaufen den Haufen Kot vor ihrer Tür nicht gesehen hatte und hineingetreten war. Direkt vor den Handykameras einiger grölender 14-Jähriger, die das Video umgehend ins Netz gestellt hatten. Unauslöschlich und viel geklickt.
Heute war sie allerdings nicht nur wegen ihrer hässlichen Fratze und der Beschwerden niedergeschlagen, denn heute hatte sie wieder ihren Termin mit den Schatten aus der Vergangenheit.
Es läutete.
Niemand kam sie je besuchen. Gewiss waren es nur wieder die herzlosen Gören, die eine Fortsetzung ihrer Grausamkeiten für YouTube drehen wollten. Aufseufzend schnitt sie noch mehr Karotten klein.
Erneutes Klingeln.
Sie legte das Messer zur Seite, zögerte, näherte sich der Wohnungstür und lugte, nun doch ein wenig neugierig, durch den Spion.
Erschrak furchtbar.
Brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fangen.
Und wusste: Nichts würde mehr so sein wie zuvor.
Mein Grab.
Es war schlicht, eine grasbewachsene Fläche mit ein paar Vergissmeinnicht darauf und einem Findling am Fußende. Keine Kerzen. Keine Einfassung. Kein Name. Eine Wand aus mannshohen Thujen rahmte es ein.
Ich kam gerne hierher an den nördlichen Stadtrand von Wien. Die unzähligen Bäume und vor allem die Einsamkeit beruhigten mich, halfen mir beim Grübeln und Nachdenken über meine furchtbaren Fehler.
Heute war wieder einer dieser Tage. Prinzipiell ein wunderbar sonniger Juli-Mittwoch. Pure Idylle. Wie üblich zeigte sich keine Menschenseele – der Hauptgrund dafür, mir diesen Friedhof auszusuchen.
Doch die zauberhafte Stimmung prallte an mir ab.
Wie so vieles.
Mein Grab war bisher das einzige in diesem Bereich des Gottesackers. Es lag direkt an einer hohen Steinmauer, in die eine eiserne Pforte eingelassen war. Wer hindurchschritt, traf auf einen schmalen Pfad, der 30 Meter weiter in einer Sackgasse endete, in der stets mein Auto parkte. So konnte ich ungesehen und auf kürzestem Weg hierhergelangen. Und ich kam oft. Um ehrlich zu sein, fast täglich.
Über ein Jahr lang hatte ich gesucht, bis ich diesen Ort gefunden hatte – die für meinen Zweck perfekteste der über 600.000 Wiener Grabstellen. Die Fläche war frisch parzelliert worden. Ich hatte das Nutzungsrecht für zehn Jahre bezahlt und bei der Friedhofsverwaltung den Hinweis, auf jeden Fall verlängern zu wollen, deponiert. Was allerdings nichts hieß. Wer in Wien auf den fristgerechten Antrag vergaß, dem konnte blühen, dass das Grab plötzlich verschwunden war.
Ich würde also gut aufpassen.
Nachdenklich nahm ich eine Handvoll Erde, ließ sie durch meine Finger rieseln und rief mir die Heidenarbeit in Erinnerung, die trotz der lockeren Erde nach einigen Regentagen nötig gewesen war, um die flache Grube auszuheben. Alles natürlich möglichst unauffällig. Die ganze Zeit über waren die vielen Vergissmeinnicht fröhlich vor sich hingewelkt. Ein riesiger Rollwagen voll, zur Tarnung.
Als alles fertig war, hatte ich die Blumen ab- und Georg aufgeladen, nachdem ich ihn zuvor, gut versteckt unter den Thujen, hierhergeschleppt hatte – verpackt in einen extra reißfesten, glänzend schwarzen Plastiksack.
Zum Schluss musste ich nur noch den Findling aus dem Kofferraum rollen. Weil er so schwer war, konnte ich nicht genau zielen, sodass er knirschend auf Georgs Unterschenkeln landete, gefolgt von meinem Frühstück Sekunden später. Entsetzt starrte ich auf meine nun vollgekotzte Grabdekoration. Aber ich hatte Glück. Niemand schien etwas bemerkt zu haben, niemandem musste ich vorlügen, lediglich die noch leere Gedenkstätte verschönern zu wollen. Mit den Blumen. Den Sträuchern. Und dem Stein.
Als es mir etwas besser ging, hatte ich eine Trauerfeier im intimsten Kreis abgehalten und geflüstert: »So, mein Geliebter, fast zwei Jahre lang musstest du in meiner Gefriertruhe im Keller ausharren, jetzt bist du angekommen! Ruhe sanft!«
Das Grab war also schon besetzt. Mein verstorbener Mann hatte darin seine voraussichtlich letzte Ruhestätte gefunden. Es sei denn, man würde noch vor meiner eigenen Beerdigung herausfinden, was ich getan hatte.
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