Barnabas
Ein Vermittler
Eine weitere herausragende Persönlichkeit der Jerusalemer Gemeinde war Barnabas (s.u. 6.2), nach Apg 4,36 ein Levit aus Zypern und griechisch sprechender Jude, der wahrscheinlich dem Kreis der Hellenisten nahestand. Von ihm wird berichtet, er habe ein Grundstück bei Jerusalem verkauft und den Erlös der Gemeinde zur Verfügung gestellt (Apg 4,36f). Diese Notiz ist wegen ihrer Nüchternheit als historisch zuverlässig anzusehen, zumal sie mit der in Apg 2,45 erwähnten allgemeinen Gütergemeinschaft in Spannung steht, denn in Apg 4,37 wird die Tat des Barnabas eigens hervorgehoben. Die besondere Leistung des Barnabas lag aber auf einem anderen Feld: Er war offenbar der Kontaktmann zwischen den beiden wichtigsten Gemeinden der ersten Zeit: Jerusalem und Antiochia. Nach Apg 11,22ff besuchte er die durch die Hellenisten gegründete Gemeinde in Antiochia im Auftrag der Jerusalemer; er holte Paulus nach Antiochia (Apg 11,25f) und führte ihn dort in die Gemeinde ein. Als führende Persönlichkeit (vgl. Apg 13,1) unternahm er mit Paulus zusammen von Antiochien aus die erste Missionsreise und er vertrat im Jahr 48 n.Chr. maßgeblich die antiochenische Gemeinde auf dem Apostelkonvent in Jerusalem. Da er an der Lösung schwieriger Grundsatzfragen wie der beschneidungsfreien Völkermission entscheidend beteiligt war, darf man annehmen, dass er sowohl in Jerusalem als auch später in Antiochien als bedeutender Missionar und Theologe (und Apostel?) geschätzt wurde.
Von einer Ämterstruktur wird man in der frühen Jerusalemer Gemeinde noch nicht sprechen können, wohl aber gab es einflussreiche Einzelpersonen (vor allem: Petrus, der Herrenbruder Jakobus) und Gruppen (vor allem: die ‚Zwölf‘, die Apostel, die Familie Jesu). Langfristig setzte sich in Jerusalem die persönliche Stellung zum irdischen Jesus durch, was zunächst für Petrus und den Zebedaiden Johannes galt, dann aber in zunehmendem Maß vor allem für den Herrenbruder Jakobus.
5.3 Orte: Der Tempel
Der unter Salomo (ca. 965–926/25 v.Chr.) vermutlich erstmals erbaute Jerusalemer Tempel wurde 587/86 v.Chr. von den Babyloniern zerstört (vgl. 2Kön 25,9) 86. Nach dem Exil erfolgte der Wiederaufbau des Tempels (ca. 520–515 v.Chr.), ab dem 4. Jh. v.Chr. rückte er immer mehr in das Zentrum des religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens von Judäa. Unter Herodes wurde der Tempel ab 20/19 v.Chr. umfangreich zu einem antiken Prachtbau um- und ausgebaut und seine Fläche auf fast 144 000m 2ausgedehnt.
Theologisch verbinden sich mit dem Tempelkult vor allem die Vorstellungen des Thronens Gottes bzw. seines Namens im Allerheiligsten (vgl. 1Kön 8,12ff); im Tempel erscheint Gott (vgl. Lev 16,2) und lässt sich begegnen (vgl. Ex 29,43–45). Der Tempel ist der Ort der Lade (vgl. 2Sam 6; 1Kön 8,1–6) und des Königtum Gottes (vgl. Ps 24; 68). In nachexilischer Zeit gewinnt das Motiv der Heiligkeit immer mehr an Bedeutung, nur der Hohepriester darf am Versöhnungstag das Allerheiligste betreten (vgl. Lev 16). Die Heiligkeit des Tempels untersagte es Nichtjuden bei Androhung der Todesstrafe, den eigentlichen Tempelbezirk zu betreten (vgl. Philo, Legatio ad Gaium 212; Apg 21,27–29; Josephus, Bellum 6,126).
Tempelsteuer
Weil es in der Antike keinen Kapitalverkehr nach heutigen Maßstäben gab, dienten die Tempel immer auch als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum und verfügten in der Regel über einen Tempelschatz. Dieser Schatz bestand in Jerusalem zum einen aus den zum Kult notwendigen Geräten und Opfermaterialien (vgl. 1Chr 26,20; 28,12) zum anderen aus Kriegsbeute und Geschenken der Jerusalemer Könige (vgl. 2Sam 8,11; 1Kön 7,51). Als regelmäßige Einnahmen kommen die Tempelsteuer und die Zehntabgaben dazu. Die Tempelsteuer musste von jedem männlichen Israeliten ab dem 20. Lebensjahr erbracht werden, sie galt einschließlich der Diaspora 87und betrug einen Dritt- bzw. Halbschekel (vgl. Ex 30,11–16; Neh 10,33–34; 2Chr 24,9). Die Jerusalemer Zehntabgaben dienten vor allem der Alimentierung (vgl. Neh 10,38) der am und im Tempel jeweils amtierenden Priester, Leviten, Torhüter, Sänger und Tempeldiener 88. Außerdem wurden private und staatliche Gelder im Tempel eingelagert, hinzu kamen weitere Einnahmen, z.B. aus Grundstücken (vgl. Philo, De Specialibus Legibus I 76). Als kultisches Zentrum war der Tempel Ziel von zahlreichen Pilgern zu den drei jüdischen Hauptfesten, denn jeder Jude war verpflichtet, am Passa-, Wochen- und Laubhüttenfest nach Jerusalem zum Tempel zu kommen und dort zu opfern (vgl. Dtn 16,1–17). Zu den Festen schwoll die Einwohnerzahl von Jerusalem erheblich an 89, wobei die notwendige Infrastruktur zur Beherbergung und Versorgung der Menschen, aber auch die erhebliche Zahl der vorzuhaltenden Opfertiere für Jerusalem eine wirtschaftliche Größe darstellte 90.
Auf diesem Hintergrund wird es verständlich, warum die Tempelreinigung Jesu (Mk 11,15–18par) 91vor allem von den Sadduzäern, aber auch den Römern als eine Aktion gegen die kultische, politische und wirtschaftliche Ordnung verstanden wurde. Das Ausmaß der Tempelreinigung lässt sich in ihren Einzelheiten nicht mehr genau rekonstruieren, aber Jesus scheint mit Gewalt gegen (einige) Tierverkäufer und Geldwechsler vorgegangen zu sein. Damit verbindet sich ein Drohwort gegen den Tempel, das den Kern von Mk 13,2 bildet: „Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht herausgebrochen wird.“ 92Tempelreinigung und Tempelwort zielten nicht auf eine Wiederherstellung eines gottgefälligen Tempelkultes, wie sie in der Geschichte des Judentums immer wieder gefordert wurde 93. Vielmehr war Jesus der Meinung, dass mit der Gegenwart und dem Kommen des Reiches Gottes der Jerusalemer Tempel seine Funktion als Ort der Sühne für die Sünden verloren hat. Weil die Herrschaft des Bösen zu Ende geht, bedarf es keiner Opfer mehr.
Wenn sich nun Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde nach dem Bericht der Apostelgeschichte in und um den Tempel herum versammelten (vgl. Apg 2,46: „Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel“) und auf dem Tempelareal lehrten (vgl. Apg 5,20f), dann verwundert es nicht, dass die Sadduzäer auch gegen sie als Anhänger Jesu vorgingen.
5.4 Konflikte
Der gewaltsame Tod Jesu bedeutete nicht das Ende seiner Botschaft und nicht das Ende seiner Bewegung. Im Gegenteil, schon sehr früh und offenbar sehr erfolgreich wurde in Jerusalem der gekreuzigte Jesus von Nazareth als Messias Israels und Sohn Gottes verkündigt. Dies rief alte und neue Gegner auf den Plan. Zweimal wird erzählt, dass Apostel vor dem Hohen Rat erscheinen mussten (Apg 4,1–22; 5,17–42), sie wurden geschlagen und ihnen wurde verboten, weiterhin im Namen Jesu zu reden (Apg 5,40). Von Anfang an galten die Christusgläubigen in Jerusalem als eine religiös illegitime und politisch destabilisierende Bewegung.
Die Sadduzäer als Gegner der neuen Bewegung
Die Passionsgeschichte lässt deutlich erkennen, dass die Sadduzäer die hartnäckigsten Gegner Jesu waren. In den Berichten über den Todesbeschluss gegen Jesus stehen jeweils die sadduzäischen
(„Oberpriester/Hohepriester“) an erster Stelle (vgl. Mk 11,18.27; 14,1; 15,31; Mt 26,3; Lk 22,2); es folgen zumeist die Schriftgelehrten (vgl. Mk 11,18; 14,1; 15,31; Mt 21,15; Lk 22,2) und/oder Ältesten (Mt 26,3 u. ö.; Apg 4,23; 23,14; 25,15). Diese Feindschaft setzt sich fort, denn nach Apg 4,1 sind es neben den Priestern und dem Tempelhauptmann die Sadduzäer 94, die gegen die neue Bewegung der Christusgläubigen vorgehen; nach Apg 5,17 ist es der Hohepriester „und alle, die mit ihm waren, nämlich die Partei der Sadduzäer“.
Geschichte der Sadduzäer
Die Ursprünge der Sadduzäer (
) liegen im Dunkeln. Nach den Textzeugnissen führten sich die Sadduzäer auf Sadok zurück, einen führenden Priester aus der Umgebung Davids, der in 2Sam 15,24.27.29.35; 17,15; 19,12 erwähnt wird. In den Auseinandersetzungen um die Nachfolge Davids steht der Priester Sadok auf der Seite Salomos, salbt diesen zum König (1Kön 1,32ff) und wird Oberpriester in Jerusalem (1Kön 2,35). Nach dem babylonischen Exil ist es ein Sadokide, der um 520 herum das sich nun herausbildende Amt eines Hohepriesters übernimmt (vgl. Hagai 1,1 mit 1Chr 5,40, wo Josua ben Jehosadak als Sadokide ausgewiesen wird; vgl. ferner Ez 40,46). Die Sadokiden hatten vermutlich das Hohepriesteramt bis zu den Auseinandersetzungen unter Antiochius IV. inne (s.o. 3.3). Mit der Usurpation des Hohepriesteramtes durch die Makkabäer setzte eine zweifache Entwicklung ein: Auf der einen Seite flohen Sadokiden aus Jerusalem und gingen in die Opposition zum Jerusalemer Tempel, so u.a. der Lehrer der Gerechtigkeit, der wahrscheinlich ein ehemaliger Hohepriester war und somit auch ein Nachfolger Sadoks 95. In den Qumran-Schriften finden sich gewichtige sadokidische Traditionen (vgl. CD IV 2–4: „Die Priester sind die Umkehrenden Israels, die aus dem Lande Juda ausgezogen sind; und die Leviten sind die, welche sich ihnen angeschlossen haben. Und die Söhne Zadoks sind die Erwählten Israels, die beim Namen Gerufenen, die am Ende der Tage auftreten werden“; vgl. ferner 1QS V 2,2 1QSa 1,2.24; 2,3). Auf der anderen Seite stand die große Mehrheit der in Jerusalem gebliebenen sadokidischen Familien. Sie waren die religiös, wirtschaftlich und politisch führende priesterliche Aristokratie, die nun die einflussreiche Religionspartei der Sadduzäer bildeten und im Synedrium über die größte Macht verfügten. Josephus bestätigt dies, wenn er über die Sadduzäer sagt: „Sie gewinnen nur die Wohlhabenden für sich, das Volk haben sie nicht auf ihrer Seite“ 96; „zu wenigen Männern ist diese Lehre gelangt, jedoch zu den Ersten an Ansehen.“ 97
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