Griechische Vorstellungen
Inkarnation als griechische Vorstellung
Von Anfang an stand im Zentrum des Glaubens der neuen Bewegung auch eine genuin griechisch-hellenistische Vorstellung: Gott ist in Jesus von Nazareth Mensch geworden. Die Inkarnation von Göttern bzw. gottähnlichen Wesen (und der Vergöttlichung eines Menschen) ist eine genuin griechische Anschauung (s.o. 3.2/3.2.1) und verweist auf kulturgeschichtliche Vorgaben, die bei der Ausbildung und der Rezeption der frühesten Christologie eine wichtige Rolle gespielt haben 34. Die Vorstellung eines sowohl göttlichen als auch menschlichen Mittlerwesens wie Jesus Christus war gerade für Griechen und Römer auf ihrem eigenen kulturellen Hintergrund rezipierbar. Die pagane Erzählkultur um Götter in Menschengestalt, um Helden wie Herakles oder andere Heroen gehörte zur Sozialisation vieler Völkerchristen, vor allem in den Städten Kleinasiens und Griechenlands. Für Juden hingegen war der Gedanke unerträglich, dass Menschen wie der römische Kaiser Caligula sich anmaßten, als Götter zu gelten und verehrt zu werden 35.
Neues Denken
Das Kreuz als Anstoß
Neben der bleibenden Verankerung der Christusgläubigen in der jüdischen Tradition und der Aufnahme griechischer Vorstellungen bestimmt aber auch ein neues Denken die früheste Theologie, das mit jüdischen und auch griechischen Anschauungen nicht wirklich kompatibel war. Vor allem die Behauptung, ein Gekreuzigter sei der Messias, wurde im Kontext von Dtn 21,22f („… denn der am Holz Hängende ist von Gott verflucht …“) aus jüdischer Perspektive als Blasphemie empfunden (vgl. Gal 3,13) und von den Griechen als ‚dummes Zeug‘ beurteilt (1Kor 1,23: „Wir aber verkündigen Christus als Gekreuzigten, für Juden ein Anstoß, für Heiden eine Torheit“). Einen Gekreuzigten als Gottessohn zu verehren, erschien den Juden als theologischer Anstoß 36und der griechisch-römischen Welt als Verrücktheit 37. Mit der zentralen Stellung eines Gekreuzigten in der frühchristlichen Sinnwelt wird jede geläufige kulturelle Plausibilität auf den Kopf gestellt, indem nun das Kreuz als zentrales Kennzeichen göttlicher Weisheit erscheint.
Jesus Christus als Gott
Hinzu kommen weitere gravierende Unterschiede 38: 1) Die oben erwähnten personifizierten göttlichen Attribute in der jüdischen Überlieferung waren keine Gott gleichwertigen bzw. gottgleichen Personen mit eigenständigen Handlungsfeldern, die zudem kultisch verehrt wurden. Von Anfang an wurde aber Jesus in eine einzigartige Nähe zu Gott gerückt. Ihm wurde der Name Gottes verliehen (Phil 2,9f), er ist Gott gleich bzw. das Abbild Gottes (Phil 2,6; 2Kor 4,4) und Träger der Herrlichkeit Gottes (2Kor 4,6; Phil 3,21). In Röm 9,5 setzt der ehemalige Pharisäer Paulus den aus Israel stammenden
mit Gott gleich („Von den Vätern, von denen Christus dem Fleisch nach abstammt, der Gott ist über allem; gelobt sei er in Ewigkeit“) 39. Als präexistentes Wesen war er am göttlichen Schöpfungshandeln beteiligt (Phil 2,6; 1Kor 8,6), ihm gelten nun Wendungen und Zitate, die eigentlich auf Gott bezogen sind (vgl. 1Kor 1,31; 2,16; Röm 10,13). Sein Platz ist im Himmel (1Thess 1,10; 4,16; Phil 3,20) zur Rechten Gottes (Röm 8,34), von dort aus herrscht er über das All (1Kor 15,27; Phil 3,21) und über die himmlischen Mächte (Phil 2,10). Von Gott gesandt, wirkt er gegenwärtig in der Gemeinde (Gal 4,4f; Röm 8,3), er ist der göttliche Bevollmächtigte bei dem mit seiner Parusie einsetzenden eschatologischen Gericht (1Thess 1,10; 1Kor 16,22; 2Kor 5,10). Im Gottesdienst wurde er angerufen wie Gott (vgl. 1Kor 12,3; 16,22: ‚Maranatha‘ = „unser Herr, komm!“) 40. Er ermöglichte den neuen Zugang zu Gott, der im geistgewirkten Gebetsruf
(‚Abba‘ = „Vater“: Gal 4,6; Röm 8,15; Mk 14,36) im Gottesdienst bekannt wird. In der liturgischen Praxis galt: „Rühmet Gott und den Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Röm 15,6). Taufe, Herrenmahl und Akklamationen stehen in exklusiver Beziehung zum Namen Jesu; neben die theologische Reflexion trat somit die gottesdienstliche Anrufung und rituelle Verehrung Jesu als ein weiterer Haftpunkt für die Herausbildung, Entfaltung und Verbreitung früher christologischer Vorstellungen.
Der neue Diskursgründer
Am Anfang der neuen Bewegung stand ein überaus kreativer Prozess: Mit Jesus Christus führten die Christusgläubigen nicht weniger als einen neuen Diskursgründer in die bestehenden religiösen Welten ein und schrieben ihm eine uneingeschränkte soteriologische Kompetenz zu. Ihm wurden Attribute zugelegt, die im jüdischen Denken bis dahin exklusiv Gott vorbehalten waren. Damit wurde nicht nur Mose als jüdischer Diskursgründer relativiert, sondern indem Jesus Christus als Gekreuzigter und Auferstandener Gegenstand göttlicher Verehrung wurde, überschritten die Christusgläubigen die Grenzen jüdischen Denkens und etablierten in Lehre und Kult eine eigene, neue Diskurswelt 41. Hinzu kommt als zweiter Aspekt: Die Menschwerdung Gottes und die Gottwerdung eines Menschen ist ein griechischer Gedanke, der sich in seiner Fremdheit und Anstößigkeit für jüdische Ohren nicht relativieren lässt. Aber auch gegenüber dem griechisch-römischen Denken setzte die früheste Christologie eigene Akzente, denn die Gottessohnschaft eines Gekreuzigten blieb auch hier ein fremdartiger und anstößiger Gedanke (vgl. 1Kor 1,23). Ebenso widersprach Jesu exklusive soteriologische Stellung griechisch-römischer Tradition, wo Gottheiten jeweils für einzelne Bereiche zuständig waren.
Mit dem neuen Diskursgründer Jesus Christus und den neuen Wissensformen der Christologie war im Keim bereits angelegt, was sich später herausbildete: das frühe Christentum als eigenständige Bewegung. Es gab keine Möglichkeit, den gekreuzigten Gottessohn bruchlos in eine bestehende religiöse Wissenswelt einzuführen; weder die jüdische noch die griechisch-römische Wissenstradition ließen dies zu. Das Christuszeugnis wurde vom Judentum gerade nicht als eine mögliche Form der Pluralisierung des Alten Testaments akzeptiert. Dies zeigt sich bereits kurz nach Ostern in Jerusalem; obwohl die Christusgläubigen sich als ein legitimer Teil Israels verstanden, wurden sie von Anfang an nie als ein solcher akzeptiert. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass bereits die Jerusalemer Gemeinde in tiefgreifende Konflikte mit dem offiziellen Judentum hineingezogen wurde.
1Die lukanische Darstellung, wonach sich die Jünger aus Angst vor den Juden in einem Haus versteckten (vgl. Lk 24,36–49) und in Jerusalem verblieben, dürfte sekundär sein; vgl. LUDGER SCHENKE, Die Urgemeinde, 13f.
2Anders GERD LÜDEMANN, Die Auferstehung Jesu, 63f, der in der Überlieferung von Josef von Arimathäa bereits bei Markus eine christliche Legende sieht und Joh 19,31–37 für historisch ansieht (die Juden bitten um den Leichnam Jesu). Nach Joh 19,31 bitten die Juden zwar, Jesus die Beine zu brechen und ihn vom Kreuz abzunehmen, durchgeführt wird diese Abnahme aber nach V. 38 auch bei Johannes durch Josef von Arimathäa.
3Diese Frage beschäftigte schon die frühe Überlieferung, eine Antwort gibt Mt 27,60: Josef von Arimathäa bestattete Jesus in seinem eigenen, neuen Grab.
4Vgl. Tacitus, Annalen 6,29.
5Vgl. Philo, In Flaccum 83.
6Vgl. dazu HEINZ WOLFGANG KUHN, Der Gekreuzigte von Giv cat hat-Mivtar, in: Theologia Crucis – Signum Crucis (FS E. Dinkler), hg. v. Carl Andresen/Günter Klein, Tübingen 1979, 303–334.
7Anders GERD LÜDEMANN, Die Auferstehung Jesu, 67, der behauptet, die früheste Gemeinde habe nicht gewusst, wo Jesus beigesetzt wurde. Als Argument führt er an, dass sich keine Traditionen über das Grab Jesu entwickelt hätten.
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