Die Prävalenz multiresistenter Erreger in Krankenhäusern und Pflegeheimen ist hoch. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2013 waren 32% der Patienten geriatrischer Kliniken und 18% der Pflegeheimbewohner mit einem multiresistenten Erreger (MRSA, VRE oder ESBL) besiedelt, bei den Besuchern ambulanter Pflegeeinrichtungen waren es 15% (Gruber et al. 2013;
Kap. 5.3). Insbesondere funktionell eingeschränkte, multimorbide und hochaltrige Menschen haben durch Pflegebefürftigkeit und Kontakt zu medizinischen Einrichtungen ein erhöhtes Risiko für eine Kolonisation mit multirestistenten Erregern (Becket et al. 2015). Häufige Hospitalisierungen und Rückverlegungen in Langzeitpflegeeinrichtungen begünstigen die Ausbreitung multiresistenter Erreger (Werner und Kuntsche 2000).
1.7.2 Invasive diagnostische und therapeutische Maßnahmen
Invasive medizinische Maßnahmen gehen mit einem Risiko für nosokomiale Infektionen einher, sie werden mit zunehmendem Lebensalter häufiger durchgeführt (Werner und Kuntsche 2000;
Kap. 5.1).
Transurethrale und suprapubische Blasenkatheter sind mit einem deutlich erhöhten Risiko für asymptomatische Bakteriurien (
Infobox: Asymptomatische Bakteriurie) und Harnwegsinfektionen verbunden (
Kap. 9.2). Bei mindestens 25% aller Patienten mit einem Harnwegskatheter lässt sich nach zehn Tagen eine Bakteriurie nachweisen, 25% der Patienten mit harnwegskatheterassoziierter Bakteriurie entwickeln symptomatische Harnwegsinfekte (Katheterassoziierte Infektionen der Harnwege; CA-UTI). Diese können schwerwiegende Folgen für den Patienten haben, bei etwa 3–4% der Patienten mit CA-UTI kommt es zu einer Bakteriämie bzw. Urosepsis (
Kap. 13) (Simon et al. 2015).
Durch periphervenöse Verweilkanülen (PVK) kann es zu lokalen Infektionen an der Einstichstelle und zu Thrombophlebitiden kommen, aber auch zu potenziell lebensbedrohlichen Blutstrominfektionen. Mindestens 10% aller nosokomialen Blutstrominfektionen sind PVK-assoziiert (RKI 2017a). Bei zentralen Venenkathetern (ZVK) ist das Risiko für Blutstrominfektionen noch höher (
Kap. 13.1).
Beatmungsassoziierte Pneumonien (VAP) haben bei invasiver Beatmung eine Inzidenz von 1–3% pro Beatmungstag, bei nicht-invasiver Beatmung ist die Inzidenz etwa um den Faktor 3 geringer (
Kap. 8.1). Alter ≥ 65 Jahre stellt einen Risikofaktor für eine VAP dar (RKI 2013).
Nach operativen Eingriffen besteht die Gefahr einer postoperativen Wundinfektion bzw. Infektion im Operationsgebiet (
Kap. 11.4).
Nosokomiale Infektionen haben einen negativen Einfluss auf die Funktionalität (
Kap. 2.4) während des stationären Aufenthaltes und sind mit einer höheren Mortalität verbunden (Marzahn et al. 2018).
Zahlreiche intrinsische und extrinsische Faktoren beim älteren Menschen haben eine Relevanz für Infektionskrankheiten:
• Immunoseneszenz
• Organspezifische Alterungsprozesse
• Veränderungen des Mikrobioms
• Erkrankungen und Multimorbidität
• Medikamente und Polypharmazie
• Geriatrische Syndrome
• Wohnumfeld und Kontakte zu medizinischen und pflegerischen Einrichtungen
• Invasive medizinische Maßnahmen
2 Epidemiologie, Verlauf und Folgen von Infektionskrankheiten bei älteren Menschen
2.1 Erhöhte Anfälligkeit für Infektionskrankheiten
Infektionen stellen ein häufiges und schwieriges Problem bei Personen im höheren Lebensalter und insbesondere im klinischen Alltag in der Geriatrie dar. Infektionskrankheiten sind mit fast 30% der häufigste Grund für Krankenhauseinweisung von ≥ 65-jährigen Pflegeheimbewohnern und nach kardiovaskulären Erkrankungen der zweithäufigste Grund für eine Krankenhauseinweisung zu Hause lebender Personen ≥ 65 Jahre (16,2 %) (Spector et al. 2012). In einer älteren Studie hatten 54% der selbständig im häuslichen Umfeld lebenden ≥ 65-Jährigen innerhalb von 24 Monaten mindestens eine Infektionskrankheit.
Die Inzidenz und Prävalenz fast aller bakterieller Infektionen im Erwachsenenalter, d. h. das Neugeborenen-, Kindes- und Jugendalter ausgenommen, nimmt mit ansteigendem Alter zu. Pneumonien und Harnwegsinfektionen sind die häufigsten Infektionskrankheiten im höheren Lebensalter, gefolgt von Haut- und Weichteilinfektionen und gastrointestinalen Infektionen (
Kap. 8– 11). Reaktivierungen von latenten Infektionen treten im höheren Lebensalter häufiger auf (z. B. Herpes zoster (
Kap. 6.5), Tuberkulose). Auch andere Infektionskrankheiten, die sonst nur bei Immunsupprimierten eine Rolle spielen, sind bei älteren Personen relevant.
Ältere Menschen haben ein besonders hohes Risiko für nosokomiale Infektionen, das mit zunehmendem Lebensalter wächst (
Kap. 1.7;
Kap. 5.1;Werner und Kuntsche 2000; Dugdale et al. 2019). Die Prävalenz nosokomialer Infektionen ist daher in geriatrischen Kliniken besonders hoch (18/1.000 Krankenhaustage), am häufigsten handelt es sich hier um Harnwegsinfekte, Gastroenteritiden und Infektionen des unteren Respirationstrakts. Von nosokomialen Ausbruchsgeschehen (
Kap. 5.2) sind ältere Menschen in besonderem Maße betroffen.
Tabelle 2.1 zeigt exemplarisch den Anstieg der Inzidenzen ausgewählter Infektionskrankheiten im höheren Lebensalter.
Tab. 2.1: Vergleich der Inzidenzen verschiedener Infektionskrankheiten bei jüngeren und älteren Menschen (RKI 2019b; Ewig et al. 2009; Angus et al. 2001)
Infektionskrankheit (Auswahl)Inzidenz bei jüngeren Menschen <60 Jahre (pro 100.000 und Jahr)Inzidenz bei älteren Menschen (pro 100.000 und Jahr)
Immobilisation/Bettlägerigkeit (
Kap. 1.6.5), Malnutrition (
Kap. 1.6.2), Dysphagie (
Kap. 1.6.4), invasive Prozeduren (
Kap. 1.7.2) und Länge des Krankenhausaufenthaltes (
Kap. 1.7.1) sind unabhängige Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen in geriatrischen Kliniken. Hieraus leiten sich wichtige Präventionsansätze für nosokomiale Infektionen in Krankenhäusern und Pflegeheimen ab (Teil II:
Kap. 4und
Kap. 5).
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