2.2 Erhöhte Sterblichkeit bei Infektionskrankheiten
Bakterielle Infektionen verlaufen bei älteren Menschen oft schwerer und komplikationsreicher als bei jüngeren Menschen, Bakteriämien und septische Verläufe sind häufiger (
Kap. 13). Die Sterblichkeit infolge von Infektionskrankheiten ist bei älteren Personen im Vergleich zu jüngeren Personen erhöht, bei Pneumonien, Harnwegsinfekten, Septitiden und bakteriellen Meningitiden mindestens um den Faktor 3 (Werner und Kuntsche 2000). 17% der ≥ 90-Jährigen, die wegen einer akuten Infektionskrankheit stationär aufgenommen werden, versterben im Krankenhaus (Huang et al. 2019).
Infektionskrankheiten gehören zu den häufigsten Todesursachen. Eine Infektionskrankheit ist die primäre Todesursache bei bei 1/3 aller Personen ≥ 65 Jahre und bei 45% der Patienten in einer internistischen Klinik. Bei vielen anderen Patienten tragen Infektionen zum Tode bei (Briongos-Figuero et al. 2015).
Die erhöhte Sterblichkeit bei Infektionskrankheiten im höheren Lebensalter ist Folge der in Kapitel 1.1–1.7 beschriebenen altersassoziierten infektionsrelevanten Veränderungen (
Kap. 1) und der zum Teil hierdurch bedingten erschwerten und oft verzögerten Diagnosestellung (
Kap. 3.2). Die Letalität der Sepsis steigt beispielsweise mit jeder Stunde Zeitverzögerung der Antibiotikatherapie (Kumar et al. 2006;
Kap. 13.2). Das möglichst frühe Erkennen und damit die frühe Diagnosestellung von Infektionserkrankungen ist essenziell für eine möglichst frühe Therapie (High et al. 2009).
Im Rahmen von Ausbrüchen und Epidemien von Infektionskrankheiten stellen ältere Personen eine besonders vulnerable Gruppe dar. Dies zeigt sich eindrucksvoll am Beispiel der Influenza: In den letzten Jahren lag der Altersmedian der gemeldeten Influenzafälle bei etwa 40 Jahren, der Altersmedian der im Rahmen einer Infuenzainfektion Verstorbenen hingegen bei etwa 80 Jahren (RKI 2019a;
Kap. 6.3). Die SARS-CoV-2-Pandemie rückte die erhöhte Vulnerabilität und Sterblichkeit älterer Menschen im Rahmen von Infektionserkrankungen ins gesellschaftliche Bewußtsein (
Kap. 8.3).
Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Infektionen sind daher für Menschen im höheren Lebensalter von besonderer Relevanz (Teil II:
Kap. 5und
Kap. 6).
2.3 Auswirkungen auf die Entstehung und den Verlauf von Erkrankungen
Infektionen erhöhen das Risiko für verschiedene Akuterkrankungen, insbesondere kardiovaskuläre Erkrankungen. Das Risiko für akute kardiovaskuläre Ereignisse, u. a. Myokardinfarkt, akutes Koronarsyndrom, akute Herzinsuffizienz, Arrhythmien oder Schlaganfall, ist beispielsweise während und nach einer ambulant erworbenen Pneumonie erhöht (Tralhao und Povoa 2020). Hierbei scheinen u. a. eine infektionsassoziierte Plaquedestabilisation, erhöhte Serumkonzentrationen proinflammatorischer Zytokine und infektionsassoziierte Veränderungen im Gerinnungssystem eine Rolle zu spielen. Auch für Influenzainfektionen (
Kap. 6.3) und Herpes zoster-Infektionen (
Kap. 6.5) wurde eine Assoziation mit ischämischen Schlaganfällen und Myokardinfarkten nachgewiesen (Doherty et al. 2019).
Infektionen gehören zu den typischen Auslösern eines Delirs (
Infobox: Delir). Bei Patienten mit Delir sind CRP-Konzentrationen im Serum und IL-6-Konzentrationen im Liquor erhöht (Neerland et al. 2016). Post mortem zeigen sich in Gehirnen von Patienten aktivierte Mikrogliazellen (van Munster et al. 2011). Durch diese Beobachtungen wird die Inflammationshypothese des Delirs gestützt. Die Vermeidung und adäquate Behandlung von Infektionskrankheiten gehört zu den essenziellen Maßnahmen der Delirprävention (
Infobox: Delir).
Ein Delir ist eine akut auftretende Störung der cerebralen Funktionen, d. h. des Bewusstseins und der Kognition inklusive Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Gedächtnis, Orientierung und Auffassung. Häufig kommt es zu Störungen der Psychomotorik und des Schlaf-Wach-Rhythmus sowie zu wahnhaften und affektiven Symptomen. Typischerweise fluktuieren diese Symptome in ihrer Ausprägung. Man unterscheidet je nach Symptomprägnanz das hyperaktive, das hypoaktive und das gemischte Delir. Das Delir hat eine hohe Prävalenz bei stationär behandelten älteren Patienten ≥ 65 Jahre, insbesondere in der Neurologie (28,5 %) und der Geriatrie (24,7 %) (Bellelli et al. 2016). Die Genese des Delirs ist mulitfaktoriell. Ursachen können neben Infektionen (
Kap. 3.1.2) auch andere Akuterkrankungen, Operationen, Exsikkose oder Elektrolytstörungen sein. Wesentliche Risikofaktoren für ein Delir sind vorbestehende kognitive Defizite, vorbestehende Demenz und hohes Lebensalter. Das Auftreten eines Delirs ist mit einer reduzierten Funktionalität (
Kap. 2.4), oft persistierend reduzierter kognitiver Leistungsfähigkeit und erhöhter Sterblichkeit assoziiert. Das Risiko für Infektionskrankheiten, insbesondere für Pneumonien und Harnwegsinfektionen, ist im Rahmen eines Delirs erhöht (
Kap. 1.4). Der Delirprävention kommt daher bei der Behandlung älterer Patienten eine große Bedeutung zu.
Auch in der Pathogenese verschiedener chronischer Erkrankungen spielen Infektionen eine Rolle. Hier sind insbesondere die Atherosklerose und die damit verbundenen vaskulären Erkrankungen, die Alzheimer-Demenz und der Diabetes mellitus zu nennen. Diese Erkrankungen mit inflammatorischen Komponenten in ihrer Pathogenese werden auch durch das Inflamm-Aging begünstigt (
Kap. 1.1.3). Hierauf basiert u. a. die Inflammationshypothese neurodegenerativer Erkrankungen (Patrick et al. 2019).
Infektionskrankheiten beeinflussen zudem die Symptomatik bzw. den Verlauf von chronischen Erkrankungen. So führen sowohl bakterielle als auch virale respiratorische Infektionen häufig zu Exazerbationen einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) (
Kap. 8.4), die mit einer beschleunigten Abnahme der Lungenfunktion und einem Anstieg der Mortalität assoziiert sind (Linden et al. 2019).
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