Malnutrition trägt zur Dysregulation des Immunsystems bei älteren Menschen bei und führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen (El Chakhtoura et al. 2017). Infolge von Proteinmangel kommt es beispielsweise zur Reduktion von zirkulierendem IgA und zur Reduktion zirkulierender T-Zellen (Pasini et al. 2018). Veminderte Zytokinproduktion, verminderte Phagozytose und verminderte Aktivität von NK-Zellen sind mit Malnutrition assoziiert (Aiello et al. 2019). Ein schlechter Ernährungsstatus geht mit dem vermehrten Auftreten von Harnwegsinfektionen bei Pflegeheimbewohnern einher und ist ein wesentlicher Risikofaktor für Wundinfektionen (
Kap. 11.4) und andere nosokomiale Infektionen (Thibault et al. 2015). Bei Vorliegen einer Malnutrition ist das Risiko für schwere bzw. tödliche Verläufe von Infektionskrankheiten, u. a. COVID-19 (
Kap. 8.3), erhöht (Recinella et al. 2020).
Auch bei adipösen Personen und Kalorienüberernährung kann ein Proteinmangel vorliegen. Adipositas geht mit einem erhöhten inflammatorischen Status resultierend aus der Infiltration des Fettgewebes durch Makrophagen mit erhöhter Produktion von proinflammatorischen Zytokinen (z. B. IL-6, TNF-alpha) einher (El Chakhtoura et al. 2017), trägt damit zur »Metaflammation« und zum Inflamm-Aging (
Kap. 1.1.3) bei und kann möglicherweise Alterungsprozesse beschleunigen.
Malnutrition ist eng verknüpft mit den geriatrischen Syndromen Sarkopenie (
Kap. 1.6.2), Frailty und Immobilität (
Kap. 1.6.5), die wiederum mit einer erhöhten Infektionsanfälligkeit und einem schwereren Verlauf von Infektionskrankheiten einhergehen.
Mikronährstoffdefizite sind in der deutschen Allgemeinbevölkerung eher selten, bei geriatrischen Patienten haben sie jedoch eine höhere Prävalenz und Relevanz. Sie sind oft assoziiert mit einer Protein-Energie-Malnutrition und können durch Erkrankungen oder Medikamente bedingt sein. Bei vorliegenden Infektionen und inflammatorischen Prozessen, insbesondere bei Sepsis, besteht ein hoher Verbrauch von Mikronährstoffen und damit ein erhöhter Bedarf (Belsky et al. 2018).
Vitamin C, ein essenzieller Mikronährstoff und ein potentes Antioxidanz, unterstützt die Funktionen verschiedener Zellen des innaten und adaptiven Immunsystems, u. a. die Phagozytose und das Abtöten von Erregern, und trägt zur Immunabwehr bei. Vitamin C-Mangel geht mit einer erhöhten Infektionsanfälligkeit einher. Über 10% der geriatrischen Krankenhauspatienten zeigen niedrige Vitamin C-Serumspiegel und klinische Zeichen eines Vitamin C-Mangels. Im Rahmen von Infektionen und inflammatorischen Prozessen kommt es zu einem vermehrten Verbrauch von Vitamin C und damit häufiger zu einem Mangel (Carr und Maggini 2017).
Bei Patienten in geriatrischen Kliniken in Deutschland und Japan bestand kein genereller Mangel an Thiamin (Vitamin B1). Allerdings stellen Alkoholismus, Niereninsuffizienz, Diuretika (insbesondere Schleifendiuretika) und unausgewogene Ernährung mit hohem Kohlenhydratgehalt Risikofakatoren für einen Thiaminmangel dar. Auch Thiamin wird im Rahmen inflammatorischer Prozesse verbraucht, was sich z. B. durch Abnahme der Thiamin-Serumkonzentrationen bei Sepsispatienten zeigt (Akashi et al. 2018).
Vitamin D-Mangel, meist definiert als 25-Hydroxy-Vitamin D (25-OH-Vitamin D)-Serumkonzentration < 30 ng/ml, ist sehr häufig bei älteren Personen, insbesondere bei Pflegeheimbewohnern und hospitalisierten Patienten. 98% der Patienten in einer geriatrischen Aktuklinik in Italien hatten einen Vitamin D-Mangel (Boccardi et al. 2019). Vitamin D beeinflusst die Funktion verschiedener Immunzellen, u. a. die Phagozytosefähigkeit von Mikrogliazellen (Djukic et al. 2014). Die Auswirkungen des Vitamin D-Mangels auf die Infektionsresistenz und den Verlauf von Infektionen sind Gegenstand experimenteller und klinischer Studien. Vitamin D-Mangel geht mit einem erhöhten Risiko für ambulant erworbene Pneumonien einher (Zhou et al. 2019;
Kap. 8) und scheint generell mit einer verminderten Infektionsresistenz assoziiert zu sein. Einige Studien zeigen eine erhöhte Mortalität bei kritisch Kranken und Sepsispatienten mit Vitamin D-Mangel (Lang und Aspinalli 2017).
Das geriatrische Syndrom Sarkopenie bezeichnet den altersassozierten übermäßigen Abbau von Muskelmasse, Muskelkraft und Muskelfunktion (Cruz-Jentoft et al. 2019). Unterschieden wird die rein durch Alterungsprozesse bedingte primäre Sarkopenie von der sekundären Sarkopenie. Pathophysiologisch spielen entzündliche Prozesse (Inflamm-Aging,
Kap. 1.1.3), Hormone, Mangelernährung (
Kap. 1.6.1), reduzierte körperliche Aktivität und neurodegenerative Ursachen (Schädigung des zweiten Motoneurons, Degeneration der neuromuskulären Endplatte) eine Rolle (McCormick und Vasilaki 2018). Die Prävalenz der Sarkopenie in der Allgemeinbevölkerung beträgt etwa 5% bei den ≥ 65-Jährigen, 16% bei den ≥ 80-jährigen Frauen und 8% bei den ≥ 80-jährigen Männern. Beim älteren Menschen führt bereits eine kurze Immobilisierung/Bettlägerigkeit (
Kap. 1.6.5) in Verbindung mit unzureichender Ernährung, z. B. postoperativ oder im Rahmen von Infektionen oder anderen Erkrankungen, zu einer rapiden Zunahme der Sarkopenieschwere (Drey et al. 2018).
Die Sarkopenie geht mit einer Beeinträchtigung von Alltagsfunktionen, Bewegung, Ausdauer, Belastbarkeit, körperlicher Aktivität, Mobilität und Lebensqualität einher. Sie ist zudem assoziiert mit einer erhöhten Sturz- und Frakturgefahr und mit einer erhöhten Mortalität. Ist die Muskulatur der Zunge, des Pharyx und Ösophagus betroffen, kommt es zur »sarkopenen Dysphagie« (
Kap. 1.6.4). Sarkopenie der Zwerchfell- und Atemmuskulatur führt zu Einschränkungen bei der Atmung (Bordoni et al. 2020). Metabolische Veränderungen bei der Sarkopenie begünstigen einen proinflammatorischen Zustand, durch den die Entstehung verschiedener Erkrankungen gefördert wird und der Auswirkungen auf die Infektionsresistenz und -bewältigung hat (
Kap. 1.1.3). Das Risiko für postoperative Gelenkinfektionen (
Kap. 12.2) ist beispielsweise bei Vorliegen einer Sarkopenie erhöht (Babu et al. 2019). Studien an Patientenkollektiven mit Lebererkrankungen zeigen bei Vorliegen einer Sarkopenie ein erhöhtes Risiko von Pneumonien und Septitiden (
Kap. 13.2) (Lucidi et al. 2018).
Читать дальше