»Ich bin ehrlich gesagt ziemlich durcheinander. Es ist eine Weile her, dass ich die Nacht mit einem Mann verbracht habe, den ich kaum kenne.«
Sein Herz klopfte plötzlich. »Du bereust es doch nicht?«
»Was? Nein!« Sie lächelte. »Wir hatten doch jede Menge Spaß! Du bist ein interessanter Mann und ich möchte noch viel mehr über dich wissen. Aber jetzt muss ich erst mal Pipi und dann schleunigst zurück zu Tina.« Sophie ging ins Bad.
Er sah ihr nach. Ihr Körper war bei Tageslicht genauso umwerfend wie im Kerzenschein. Ben fuhr sich durch die Haare und beschloss, Kaffee zu machen. Ob sie das wirklich ernst gemeint hatte? Mochte sie ihn wirklich? Ben stellte einen Topf mit Wasser auf die Gasflamme und löffelte löslichen Kaffee in zwei Becher. Seine Hände zitterten leicht. Diese Frau machte ihn wirklich nervös. Sie war schön und clever. Die Nacht mit ihr war unglaublich gewesen. Er würde sich ins Zeug legen müssen. Nach all den langweiligen Frauen war sie eine echte Herausforderung.
Sophie schloss aufgewühlt die Badezimmertür hinter sich. Was für eine Nacht! Sie musste komplett verrückt geworden sein. Anders war es wohl kaum zu erklären, dass sie mit einem mehr oder weniger obdachlosen Womanizer ins Bett gegangen war. Die Sache mit Felix hatte zwar auch mit einer spontanen Nacht angefangen, aber sonst hatten die beiden Geschichten nichts gemein. Sie konnte Ben immer noch riechen. Wenn sie an seine kräftigen braunen Arme dachte, kribbelte es in ihrem Bauch. Und er küsste fantastisch, unter anderem. Was auch immer geschehen würde, sie hatte jetzt zumindest eine Erinnerung, die den Sex mit Felix übertraf. Allein dafür war es doch gut, sagte sie sich und sah in den Spiegel. Eine zerzauste Frau grinste ihr dämlich entgegen. »Ach du meine Güte!«, murmelte Sophie. Sie sah tatsächlich aus wie ein verknalltes Mädchen. Sie sollte schleunigst abhauen und einen klaren Kopf bekommen. Sophie setzte sich auf die Toilette und sah sich um. Das Badezimmer war viel größer, als sie gedacht hatte, und hervorragend ausgestattet. Es gab eine kleine Badewanne, die auch als Duschkabine diente, ein Waschbecken und natürlich das Klo. Auf einem modernen Regal aus Edelstahl lagen Duschgel, Zahnpasta und Zahnbürste. Sogar zwei exklusive Rasierwasser standen dort. Olli hat es wirklich nicht schlecht hier. Das Badezimmer ihrer ersten Studentenbude war nicht größer gewesen. Olli! Hatte die Polizei wirklich ihn in Verdacht? Das war doch lächerlich! Wahrscheinlich gab es eine ganz einfache Erklärung, warum Stefan persönlich auf die Insel gekommen war. Olli konnte zwar ein Hitzkopf sein, das hatte sie selbst zu spüren bekommen, aber doch kein Mörder. Außerdem waren zwei Frauen tot und die Todesursache hatte nichts mit einer spontanen Tat zu tun. Die Morde waren genau geplant gewesen. Warum war Olli nur so dumm und lief davon? Das machte doch alles keinen Sinn. Sophie ließ sich kaltes Wasser über das Gesicht laufen, bis sie sich wieder frischer fühlte. Dann griff sie nach der Zahnpasta und putzte mit dem Finger.
»Bist du ins Klo gefallen?«, fragte Ben durch die dünne Tür.
»Nein! Ich bin gleich da.« Plötzlich wurde sie unsicher. Es war eine tolle Nacht gewesen, doch jetzt im Sonnenlicht sah die Welt ganz anders aus. Ben passte wirklich nicht in ihr Leben und sie nicht in seins. Auf der anderen Seite wollte sie ihn nicht gleich heiraten. Sophie schlüpfte schnell in ihre Klamotten und sah noch einmal in den Spiegel. Ihre Lippen formten einen stummen Satz. ›Du bist eine dumme Kuh!‹ Ein Lächeln umspielte ihren Mund und sie bekam es nicht weg. Das Ganze war doch total verrückt! Energisch drehte sie sich zur Tür. Dann blieb sie ruckartig stehen. Ollis Zahnbürste! Sie müsste reichen, um eine DNA-Analyse machen zu können. Hastig ließ sie die Zahnbürste in ihrer Hosentasche verschwinden.
Olli erwachte verwirrt. Irgendwer hatte seine Schulter gepackt und schüttelte ihn.
»Steh endlich auf! Ich komm nun schon das dritte Mal vorbeigefahren, um dich wachzurütteln.«
Olli öffnete die Augen. Ach ja, er war in Hamburg.
»Hier! Aspirin!« Tobias und reichte ihm ein Glas. Olli setzte sich stöhnend auf und trank gierig, ohne einmal abzusetzen. »Danke! Ich hab vielleicht nen Schädel. Wie spät ist es?«
»Es ist nach acht und ich muss um neun im Laden sein. Wenn du noch mit mir frühstücken möchtest, dann steh endlich auf! Bagels mit Räucherlachs warten auf dich. Dazu wunderbarer Milchkaffee und frisch gepresster Orangensaft. Hast du den Rotwein noch plattgemacht?«
Olli nickte. Er war nicht stolz drauf und ärgerte sich, dass er so neben der Spur war. »Sorry, ich bin ein Idiot. Ich spring schnell unter die Dusche.«
10 Minuten später zog Olli sich seinen Jogginganzug an. Seine Beine waren wie Brei, doch er musste an die frische Luft. Er musste sich bewegen und den Kopf klar bekommen. Wenn er sich immer nur zuschüttete, würde er nicht weiterkommen. Er musste es endlich mal verarbeiten, statt sich zu betäuben. Olli ging in die Küche. Tobias blätterte in einer Surfzeitschrift.
»Jogginganzug wegen Sofavormittag vor der Glotze? Oder hast du wirklich vor ein bisschen Sport zu machen?«
»Ich will mich tatsächlich ein bisschen um die Häuser quälen. Ich muss wieder fit werden. Ach, Tobias. Ich lass mich hier gehen und dabei bist du derjenige, der Grund zu jammern hätte.«
»Ich?« Tobias sah ihn mit gespieltem Entsetzen an. »Mir geht es prächtig! Mein Geschäft läuft bombig. Olli, deine Freundin ist tot. Du hast jeden Grund, dir eins auf die Lampe zu gießen, aber ich freu mich, dass du jetzt den Arsch hochkriegst.«
Olli schluckte. »Sie war nicht so richtig meine Freundin … Sie hat Schluss gemacht.«
»Mensch, Olli, das macht doch keinen Unterschied. Ihr seid euch mal sehr nah gewesen. Wir frühstücken jetzt erst mal und dann lässt du dir die Birne freipusten. Ich koch uns später was Feines!«
Olli nickte und trank einen Schluck Kaffee. Eigentlich war er sich sicher gewesen, dass er keinen Bissen runter bringen würde, aber als er die üppig belegten Bagels sah, lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
»Du hast geduscht. Du isst.« Tobias grinste ihn an und nickte. »Lass dir das von einem Mann mit Erfahrung sagen, du bist auf dem Weg der Besserung.«
Olli atmete tief durch. Er konnte sich wirklich glücklich schätzen, Freunde wie Ben und Tobias zu haben. »Du bist ein Schatz. Wirklich!«
Tobias machte ein entsetztes Gesicht. »Du wirst dich jetzt aber doch nicht in mich verlieben, oder? Ne Olli, vergiss es. Ich habe es vielleicht mal nötig, aber du bist nicht mein Typ!«
Olli sah ihn erschrocken an. Erst als Tobias anfing zu lachen, stimmte er erleichtert mit ein. »Du Arsch! Warum bist du nicht Schauspieler geworden. Mann! Eine Sekunde dachte ich, du meinst das ernst!«
Tobias wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. »Dein Gesichtsausdruck eben! Wenn ich könnte, würde ich mit den Beinen trampeln.« Es dauerte noch ein paar Minuten, bis Tobias sich wieder im Griff hatte. »Olli, das hier meine ich wirklich ernst. Ich möchte eine zweite Filiale eröffnen und ich brauche einen Mann, dem ich absolut vertrauen kann. Ich kann schwer von einer Ecke der Stadt in die andere fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Zumindest noch nicht. In zwei Jahren habe ich hoffentlich die Kohle für ein behindertengerechtes Auto zusammen. Wird aber leider eher ein Golf und kein Mustang. Egal jetzt. Vielleicht ist das eine Alternative zu deinem jetzigen Leben? Ich muss jetzt los. Wir sehen uns heute Abend.«
Die Tür fiel ins Schloss. Olli trank seinen Orangensaft und dachte nach. Vielleicht war das wirklich eine Chance, aus allem rauszukommen und eine echte Perspektive zu haben. Geschäftsführer in einem Laden, voll mit Equipment, mit dem er sich wirklich auskannte. Eigentlich wollte er Fehmarn nie verlassen. Aber jetzt? Er war doch bereits dabei, verrückt zu werden.
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