2.6.4.Chénoa wird nicht die einzige Nachkomme von Artemis bleiben, die auf natürliche Weise gezeugt wird, nach der Art, wie das die Menschen tun. Sie werden in ihrer äußeren Form ganz den Erdlingen gleichen, und sich damit nicht von anderen Menschen unterscheiden, aber sie werden Talente und Fähigkeiten entwickeln, die anderen Menschen weit überlegen sind. Es ist für die Cantara die ideale Tarnung.
Die Tochter des damaligen peruanischen Ministers für Fremdenverkehr und Archäologie, der ein Angehöriger der weißen Oberschicht ist, die verliebt sich einige Jahre später ausgerechnet in diesen Indio Nakoma, der sich inzwischen Nakoma del Sol nennt. In bestimmten Gesellschaftskreisen gilt eine solche Verbindung zwischen den Rassen als Skandal. Doch auch ohne seinen Adoptivvater Leon hat sich Nakoma mittlerweile einen Namen gemacht, als genialer Fremdenführer, als Tierflüsterer und als blutjunger Leiter der Indioschule, so wie des neu entstandenen Kulturzentrums in Ciudad del Sol. Er hat ein ausgesprochen glückliches Händchen im Umgang mit Tieren und Menschen.
Mercedes und Nakoma beschließen gegen den Willen ihres strengen Vaters zusammenzubleiben. Was zunächst ein riskantes Spiel ist, das entwickelt sich bald zu einer Love Story. Während Mercedes Tiermedizin studiert, absolviert Nakoma eine Ausbildung als Tier-Heilpraktiker. Er hat eine seltene Gabe, die Sprache der Tiere zu verstehen und sie von allen möglichen Krankheiten zu heilen. Warum also soll er diese Fähigkeit nicht nutzen, und sich einen Rahmen schaffen, der ihm ermöglicht, diese Tätigkeit offiziell ausüben zu dürfen.
Seine Fähigkeiten als Tierflüsterer gewinnen schon bald Anerkennung in konservativen Kreisen, denn auch in Peru gibt es sehr wertvolle Tiere. Hunde, Koys, Angorakatzen, Rennpferde. Nach anfänglicher Ablehnung nimmt man gern die Dienste dieses Indios in Anspruch, der ausgesucht höflich und kompetent ist, und der inzwischen über ungewöhnlich gute Manieren verfügt. Tatsächlich hilft ihm auch die Adoption durch Leon, und weil Nakoma bereits einer der Direktoren der Stiftung ist, verschließt sich der Minister der Verbindung zwischen Nakoma und Mercedes nicht länger. Dennoch ist diese gesellschaftliche Verbindung ungewöhnlich. Ein Sakrileg eben, Talent hin oder her, zumindest dann, wenn die Frau eine Angehörige der weißen Elite ist und der Ehemann "nur" ein Indio.
Anfangs war der Minister gegen diese Liebe. Er kennt den Sprengstoff dieser Verbindung. Durch seine gesellschaftlichen Verbindungen weiß er von diesen Goldfunden. Keine Einzelheiten. Auch die Lage der Adern ist nur in etwa zu umreißen. Durch geschicktes Taktieren könnte man diesen Besitz gewiss in die eigenen Hände bekommen. Es war seine Frau, die ihn lange angesehen hatte. "Wenn die Beiden heiraten, dann gehört dieser Fund automatisch auch unserer Tochter", hatte sie ihn beschworen, und sie hatte hinzugefügt, "ohne dass du einen Finger krumm machen musst. Außerdem solltest du lieber darauf achten, dass Mercedes glücklich wird. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie diesen Mann liebt, und auch ich habe meine Kontakte aktiviert, und diesen jungen Mann beobachten lassen." Sie hatte damals gelächelt. "Er scheint unsere Tochter aufrichtig zu lieben. Also verwende deine Kraft lieber dafür, die beiden zu beschützen, so lange das anhält. Wenn er ihr das Herz bricht, dann kannst deine heimlichen Pläne ja wieder aufnehmen." Sie hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt, und ihn hintergründig angesehen. Da hatte er sich gefügt. Er ist ein starker Charakter, aber die Frau an seiner Seite war ihm bisher stets eine gute und sichere Ratgeberin gewesen. Sie hatte bisher immer recht behalten.
Auch er weiß inzwischen, in welches ungeheure Talent seine Tochter da verliebt ist. Nakoma ist ein Leisetreter. Seine Überzeugungskraft und seine Aura sind effiziente Waffen. Seine Fähigkeiten als Tierflüsterer sind bereits weit über die Landesgrenzen Perus hinaus bekannt. Sie waren das bereits, bevor er seine Ausbildung zum Tierheilpraktiker überhaupt begonnen hatte, und das, obwohl er aus einer armen Familie stammt, in der nichts und überhaupt nichts besonders oder auffällig ist, außer der tiefen Armut, welche viele dieser Indianerfamilien in den Anden kennzeichnet.
Nicht lange nach der Hochzeit schenkt auch Mercedes einem gesunden Jungen das Leben. Auch bei ihm sind die innewohnenden Kräfte äußerlich nicht sichtbar, denn er ist - natürlich - auch ein Kind von Artemis.
Die Mutter von Mercedes hilft ihrem Schwiegersohn Nakoma, dem Staat in den Bergen ein großes Grundstück abzukaufen, zu dem auch mehrere Täler und Seitentäler mit Flüssen gehören, und das er als Ranch für die Zucht von Pferden ausbauen will. Er ist zwar noch sehr jung, aber die Gattin des Ministers spürt die ungeheure Kraft, die sich hinter der freundlichen Fassade verbirgt. Sie ist sich sicher, dass einmal etwas ganz Großes aus ihm werden wird. Offiziell gilt Nakoma jetzt immerhin als Mestize, weil sein Adoptivvater Leon del Sol ein weißer spanischstämmiger Geschäftsmann ist.
2.6.5.Niemand weiß von der Existenz des Volkes der Cantara und der Hilfe, die sie Leon, Nakoma, und ihren Kindern angedeihen lassen. Nicht nur ihnen, auch den nächsten Freunden in Peru und Berlin, so dass die Stiftung schon bald einen außerordentlichen Ruf begründet, eine Ansammlung von besonders talentierten jungen Leuten zu sein.
Niemand weiß, dass Artemis jetzt in der neu gegründeten Siedlung der peruanischen Indios lebt, die am Fuße der Ausgrabung entsteht, und die man Ciudad del Sol genannt hat.
Es ist äußerst praktisch, dass sich Leon, Mila und Nakoma jetzt alle del Sol nennen, und dass die Tochter des Ministers in die Familie del Sol einheiratet, die sich in Peru bereits einen Namen gemacht hat. Es ist inzwischen fast wie ein Adelstitel, denn den Indios der Aymara und der Quechua gelten Leon und Nakoma bereits als von Gott gesandte Boten, um ihnen zu helfen, in diesem Land eine neue soziale Stellung zu erringen, die auf Gleichberechtigung beruht.
Artemis wiederum kann sicher sein, dass die Xorx den weiten Weg zur Erde mit ihren Raumschiffen niemals finden werden. Zu weit, zu lang und zu gefährlich.
Er hat dafür gesorgt, dass seine Sippe auf diesem Planeten eine neue Bleibe gefunden hat. Heimlich und unsichtbar.
Er wechselt jetzt manchmal den Standort. Mal ist er in Berlin, mal in Peru. Er dockt sich einfach an Leon an, um ihn auf seinen Reisen zu begleiten. Völlig unerkannt. Er ist über seinen Energiefluss stets verbunden mit den Gehirnen von Leon und Nakoma, und jetzt auch mit Chénoa Maria de Sol, Nakomas Sohn Pedro Gonzales Eanathotès und seiner Tochter Ana Théla, die nur zwei Jahre später zur Welt kommt. Sie tragen alle die Kraft ihrer Väter in sich, durch den Akt der Zeugung, nun, genau genommen ist es die Kraft von Artemis. Sie sind die ersten Kinder zwischen einem Menschen und einem Außerirdischen. Würde man den Genstrang von Chénoa Maria de Sol, Pedro Gonzales, oder Ana Théla untersuchen, würde man Seltsames finden. Er hat nicht die übliche Spiralform, sondern die Form einer durchbrochenen Kugel, in der die verschiedenen Elemente auf mehreren Ebenen ineinander greifen und ständig ihre Position wechseln. Auch die Hirnmasse dieser Mutanten ist ein gutes Stück größer, als bei einem normalen Menschen, und sie wird viel effektiver genutzt. Es ist ein Privileg. Chénoa wird später 35 Prozent ihrer Gehirnmasse aktivieren, und das wird sie zu ungeheuren Leistungen befähigen. Ana Théla ist nicht viel weniger stark, aber sie bildet ihre Stärken auf ganz anderen Gebieten aus als ihre Schwester. Nun eigentlich sogar ihre Tante. Beides eben.
Im Vergleich zu den Fähigkeiten von Artemis ist das dennoch gering, und er steuert diese Prozesse. Er will die Kontrolle darüber behalten, was da geschieht. Er will die Entwicklung ganz in seinem Sinn beeinflussen.
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