Wittenberge an der Elbe. Der Boss und die Praktikantin.
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Leon del Sol ist jetzt 47. Er steht im Versuchslabor der Mac Best Food Corporation in Brandenburg und bespricht sich mit seinem Chefchemiker, den er seit nunmehr 13 Jahren mit seinem Nickname anredet, Dan. So lange arbeitete Dr. Daniel Koslowski schon für den Lebensmittelkonzern Mac Best.
Die Mac Best Food Company ist ein multinationales Unternehmen mit über 130.000 Schnellrestaurants, 75.000 davon alleine in den USA. Leon und seine Freunde hatten das Unternehmen vor Jahren übernommen und den Namen einfach belassen, weil man einen Markennamen nicht ändert, ohne triftigen Grund. Der Name passt auch ganz zur Unternehmensphilosophie, beste Nahrung zu verkaufen. Es geht hier allerdings nicht um Sterneküche für Gourmets, beste Weinlagen und Jahrgänge, sondern um "Food for the World", um Essen für alle, um die Sicherstellung eines bezahlbaren, aber gleichwohl guten und gesunden Essens für möglichst viele Menschen auf der Welt. Mac Best bietet kein Junk Food, sondern eine ausgewogene Nahrungspalette aus ausgesuchten Anbaugebieten und mit dem Anspruch, möglichst großer Transparenz, dem Erhalt nachwachsender Energien und der wirtschaftlichen Produktion und Vermarktung. Damit ist Mc Best anders als alle anderen Restaurants, und anders als alle anderen Fast Food Ketten, oder die Hersteller von Massenware im Bereich von Fleisch, Gemüse oder Süßprodukten.
Wegen der phonetischen Nähe zu Shakespear's Mc Beth werden immer mal Witzeleien gemacht, aber damit kann Leon gut leben, weil es im Endeffekt den Umsatz sogar steigert. Wohin geh'n wir heute? Zu Mac Beth... (Lacher). Nun ja. Nicht Jeder hat in seinem Leben einmal von Shakespears Dramen gehört, oder sie gar gelesen, aber solche Namensveränderungen machen schnell die Runde, vor allem dann, wenn solche Ableitungen bereits von Vorschulkindern verwendet werden, die das irgendwo aufgeschnappt haben, und dann spielerisch verändern: Mac Bean, Mac Salad, Mac Sausage, Mac Tomato-sauce, Mac Strawberry icecream, Mac Plumpudding... (Kicher kicher)...
Die Kinder sind für Mac Best fast die wichtigste Zielgruppe. Wenn man die begeistern kann, dann kann man diese Verbraucher ein Leben lang an den Konzern binden. Natürlich verändert sich das Essverhalten im Laufe der Zeit. Die Kleinen wollen vor allem Fritten, Sauce, Burger, Würstchen, Eis, Säfte, gegrillte Marshmallows und Cola, bunt garniert und mit Sonnenschirmchen, Strohhalmen und auf Tabletts mit Kindermotiven. Mac Best hat eigene Kinderabteilungen eingerichtet, mit kleinen Tischen, innenliegender Rutsche, Bällen, Clowns, und Stühlen in Form von Treckern, Lastwagen, oder Dreirädchen. In einigen Restaurants gibt es eine Eisenbahn, die rund um das Lokal fährt, und eine Haltestelle direkt im Kinderparadies hat. So nennt sich das bei Mc Best. Von den Decken hängen lustige Lampions, die in allen Farben leuchten und blinken. Man kann diese Einrichtungsgegenstände für die heimischen Kinderzimmer sogar kaufen. Es gibt einen Online-Katalog, der voll ist mit bunten Bildchen. Es gibt darin sogar Tapeten, Kopfkissen, Bettbezüge, Puzzles, Brettspiele, Sammelbildchen, Sticker und verschiedene Baukästen. Es gibt Malpapier, Stifte, Schulranzen, Kinderbekleidung. Natürlich gibt es auch Artikel aus dem Food-Bereich. Nahrung in Dosen, Nahrung in Flaschen, Schokoriegel, Müsli, Chips. Die bestellten Artikel werden dann direkt mit dem Lieferwagen oder der Drohne nach Hause gebracht, und dieses Sortiment floriert, besonders in den USA, aber auch in China, Japan, Thailand, Australien und Europa. Das Programm ist ausbaufähig.
Irgendwann hatte sich Leon an Weihnachten mal einen besonderen Werbegag einfallen lassen. Es gab ja schon lange Tomatenmark, Senf und Mayonnaise in Tuben. Er ließ jetzt Sahnekäse, Kräuterfrischkäse, Mischungen mit Leberwurst, Sardellen-, Paprika- oder Lachsgeschmack, aber auch Marmelade-, Erdbeer- oder Bananemischungen in Tuben abfüllen, und machte daraus einen Werbefilm. Man konnte mit den Tuben wunderbare bunte Bilder auf Brot oder auf Fleischstücke malen, und gut schmeckte das auch noch. Die Grafikabteilung entwickelte verschiedene Muster. So bekam man in den Restaurants jetzt Cracker, Schwarzbrot, Laugenbrezeln, Pizzatörtchen, aber auch Mürbegebäck, Blätterteigstückchen oder auch Apfeltörtchen mit leckeren Malereien, mal als Clown, mal als Fisch, mal als Smily. Je nach Wunsch süß, sauer oder salzig.
Wer wollte, konnte das Ganze mit dem Löffel, dem Messer oder dem Finger verstreichen. Eines seiner Promoter Teams probte das an einem Kindergeburtstag in einem der Restaurants. Leons Tochter Eva war damals schon eine begnadete Videokünstlerin. Sie drehte, mischte den Ton ab, ließ Kommentare dazu sprechen und machte noch einen weiteren Werbefilm daraus. Seitdem waren diese Tuben in jedem Restaurant, jedem Haushalt und auf jedem Kinder-geburtstag der Renner. Zu Weihnachten wurden Christbäume auf Teller gemalt, manche süß, mit vielen bunten Zuckerperlen. Aus dieser Aktion, die zunächst nur als Gag geboren war, entwickelte sich ein wahrer Hit, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in Fernost. Es gab Tuben mit blauem, gelbem, schwarzem, roten oder violetten Inhalt. Die Farbe von Beeren, Wurzeln, Schalen, Früchten oder auch Lebensmittelfarben machten das möglich. Heute findet man diese Tuben in jedem Supermarkt, und die Mitbewerber waren auch schon längst auf diesen Zug gesprungen. Nichts funktioniert in diesem Geschäft langfristig so sicher, wie die Kinder an den eigenen Konzern zu binden.
Anfangs waren die Tuben nur in den üblichen Größen einer 200 ml-Senftube. Das bemalen der Speisen wurde eigenhändig von den Mitarbeitern vorgenommen. Man wollte in den Restaurants keine Sauereien und keine Essensschlachten. Schon bald wurde das Sortiment durch 20ml-Probetübchen ergänzt, mit einem Griff aus Plastik in Form einer Banane, einer Erdbeere, einer Paprika oder einer Leberwurst... Es gab 10er Päckchen in verschiedenen Geschmacksrichtungen, süß oder salzig, um damit die Cräcker oder Stückchen selbst zu bemalen. Die Inhalts-Menge ist so gering, dass man Sauereien im Restaurant gut verhindern konnte. Auch die Kinder, die noch nicht lesen konnten, die erkannten an den bunten Griffen sofort, was in der Tube drin ist, und das entfachte einen wahren Begeisterungssturm.
Jede Aktion findet irgendwo noch eine Steigerung. Im nächsten Jahr gab es einen heißen Sommer. Leon ließ in einem der US-Restaurants auf der grünen Wiese ein Planschbecken aufstellen und lud die Kinder zu einer Garden-Party ein. Man konnte im Freien essen und malen. Die Kinder mit nacktem Oberkörper und Sonnenhütchen. Natürlich gab es Cräcker, Salzgebäck oder auch Plätzchen. Dazu gab es Eiscreme, Shakes, Säfte und Limonade. Die Kinder konnten sich die leckeren Tubeninhalte direkt in den Mund spritzen, vom Teller lecken, oder vom Finger schlecken. Anschließend wurde gebadet und abgeduscht. Das Restaurant stellte Badehandtücher mit bunten Motiven zur Verfügung. Die Kindermöbel in der Außenfläche waren aus Plastik, damit man sie mit dem Schlauch abspritzen und desinfizieren konnte.
Was als Einzelfall und als Werbegag gedacht war, für Partys Zuhause oder gelegentliche Events, entwickelte sich zum Verkaufsmagneten. Immer mehr Restaurants mussten jetzt solche Gardenpartys anbieten, wenn sie denn eine Freifläche besaßen.
Solche Ereignisse und Matschorgien bleiben positiv in der Erinnerung der Kinder haften. Noch Jahrzehnte später.
Einige Eltern waren anfangs entrüstet. Das Matschen mit Speisen war nicht schicklich. Es gab heftige Diskussionen um Regeln. Kinder müssen lernen, anständig zu essen, aber die Idee setzte sich durch. Die Kinder bestimmten diesen neuen Trend. Sie wollten das, was ihnen schmeckt, mit allen Sinnen genießen. Es geht aber nicht, dass man andere Kunden verschreckt und vertreibt. Ein Drahtseilaktakt, weil sich Kinder nicht immer an das halten, was die Eltern verlangen. Irgend-wie hatten die geschulten Mitarbeiter von Mac Best diesen Spagat hingekriegt. Auch die konservativen Eltern waren beruhigt.
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