Hedwig Courths-Mahler
Hans Ritter und seine Frau
Saga
Hans Ritter und seine Frau
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1919, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950311
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
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Felicitas Wendland sass in ihrem kleinen Stübchen, das Tante Laura, die Frau Hofrat Schlüter, ihr angewiesen hatte, als sie nach dem Tode ihres Vaters in deren Hause Aufnahme fand. Hofrat Schlüter bewohnte mit seiner Familie eine Amtswohnung in einem ausser Betrieb gesetzten alten fiskalischen Gebäude. Es sah von aussen nicht sehr freundlich aus, aber die Räume, die der Familie des Hofrats zur Verfügung standen, waren behaglich und reichlich. Es gehörten sogar zwei grosse Säle dazu, deren Fussböden Frau Hofrat blitzblank hatte bohnern lassen, so dass man bei festlichen Anlässen famos darauf tanzen konnte.
Felicitas besass aber nur dies winzige Stübchen für sich allein. Tante Hofrat hatte gemeint, die junge Dame müsse sich bescheiden lernen. Felicitas war ja jetzt nicht mehr das einst so gefeierte Generalstöchterchen, das im Hause des Vaters eine grosse Rolle gespielt hatte, sondern nur eine arme Waise, die froh sein musste, bei ihren Verwandten Aufnahme gefunden zu haben.
General Wendland war der Bruder der Frau Hofrat, auf den sie bei Lebzeiten sehr stolz gewesen war. Jetzt dachte sie aber nicht gern an ihn, jetzt sagte sie nur immer seufzend: „Mein Bruder hätte kein so grosses Haus führen, sondern lieber ein bisschen für die Zukunft sorgen sollen, damit seine Tochter nicht auf uns angewiesen wäre.“
Nach aussenhin berief sie sich aber nach wie vor gern auf „ihren Bruder, den General Wendland“.
Dieser war nun schon über ein Jahr tot, und feit dieser Zeit lebte feine Tochter im Hause der Hofrätin.
Man war nicht gerade feinfühlig ihr gegenüber. Am nettesten zu ihr war der Hofrat selbst, aber der war meist abwesend und spielte ausserdem in seinem Hause eine ziemlich untergeordnete Rolle. Tante Laura gab den Ton an, und sie tat das mit einem kolossalen Aufstand von Stolz und Würde.
Sie behandelte Felicitas so, das diese nicht einen Augenblick im Zweifel bleiben konnte über die Grösse des Opfers, das man ihr brachte.
Auch Lorchen und Bärbchen, die beiden erwachsenen Töchter des Hofrats, waren nicht besonders liebenswürdig gegen sie. Früher, als ihr Vater noch lebte, waren sie freilich eitel Liebe und Anhänglichkeit gewesen. Aber damals hatte sich das auch gelohnt. Onkel General war sehr freigebig; und gab immer so reizende Feste, auf denen sich die jungen Offiziere auch gegen Sie Nichten des Generals sehr zuvorkommend benahmen.
Lorchen und Bärbchen waren durchaus keine hässlichen Mädchen — o nein, es waren hübsche, blonde, frische Dinger. Aber ein wenig Durchschnittstypus. Sie besassen nicht die elegante Schlankheit, die edlen Linien und die graziösen Bewegungen ihrer Cousine. Ihr blondes Haar sah direkt fahl aus gegen den satten, metallischen Goldton, der Felicitas Haar eigen war.
Lorchen und Bärbchen besassen überdies wässerige, blaue Augen mit weissblonden Wimpern, und da diese Augen nicht sehr ausdrucksvoll waren, sahen fast alle Menschen — hauptsächlich natürlich Die Herren — viel lieber in die wundervollen braunen Augen Der Cousine, als in die von Lorchen und Bärbchen. Und das war doch nicht sehr angenehm.
Ausserdem — wie sich Felicitas zu kleiden verstand! In den schlichtesten Trauerfähnchen hatte sie schon wie eine Prinzessin ausgesehen, und nun legte sie die Trauer ab und würde wieder farbige Kleider tragen. Besonders in Weiss sah sie immer unerhört schön aus.
Nun sollte sie wieder mit in Gesellschaft gehen, da das Trauerjahr zu Ende war. Lorchen und Bärbchen fanden zwar, dass die arme Felicitas dazu gar nicht berechtigt sei, aber die Hofrätin meinte, der Leute wegen könne man sie nicht mehr zu Hause lassen.
Einen Trost hatten die Schwestern jetzt aber. Sie hatten für das bevorstehende grosse Ballfest, das Hofrats jeden Winter gaben, um sich für zahlreiche Einladungen zu revanchieren, neue „himmlische“ Roben bekommen. Felicitas aber musste sich ein altes Kleid aufarbeiten. Sie befass zwar aus der Glanzzeit im Hause ihres Vaters noch eine Menge sehr schöner und zum Teil auch kostbarer Toiletten, aber die waren doch nicht mehr modern.
So sass nun Felicitas in ihrem Stübchen und mühte sich mit flinken, geschickten Händen, eine Toilette aus elfenbeinfarbigen Spitzen und Chiffon auf gleichfarbiger Seide zu modernisieren, und während sie eifrig, mit glühenden Wangen an ihrem Kleide nähte, flog immer wieder ein glückliches, sehnsüchtiges Lächeln über ihr schönes Gesicht.
Wozu brauchte sie teure, glänzende Toiletten — dies Kleid tat es auch! In kurzer Zeit würde sie doch ein ganz anderes Leben beginnen und noch mehr sparen — ein Leben, in dem es keine grossen, glänzenden Gesellschaften geben würde, aber dafür ein reiches, stilles Glück, ein frohes Genügen.
Ach, wie sie sich darauf freute, in einem eigenen, kleinen Heim schalten und walten zu können!
Sie lachte glücklich in sich hinein und nahm schnell aus einem verschlossenen Kästchen, das neben ihr auf dem Tische stand, die Photographie eines jungen Offiziers. Mit leuchtenden Augen blickte sie in das schöne Gesicht und küsste es innig. Harry — mein Harry! Nun werden wir uns bald — bald angehören dürfen für immer,“ flüsterte sie.
Glückstrahlend legte sie das Bild wieder in das Kästchen und verschloss es. Dann nähte sie eifrig weiter.
„Schön will ich aussehen, Harry! Du sollst stolz auf mich sein! Und wenn ich mir auch in Zukunft meine Kleider selbst arbeiten muss, so will ich darin nicht weniger hübsch aussehen. Wozu habe ich so geschickte Hände? Dies Kleid hier soll auch in neuer Pracht erstrahlen! Hier die breite Chiffonlage verbirgt den Ansatz des Ärmels, den man nach der neuen Mode nicht mehr sehen darf. Und der Rock ist etwas enger geworden, wie es die Mode heischt. Das Stück Spitze, das ich herausnehmen musste, gibt einen wirkungsvollen Revers auf mein blaues Seidenkleid, das ich bei nächster Gelegenheit trage. Nun noch eine duftige Chiffonrosette an den Gürtelschluss — und die modernste Robe ist fertig!“
Sie freute sich sehr auf diesen ersten Ball, den sie nach des Vaters Tode besuchen würde. Ehrlich und tief hatte sie diesen Betrauert, der ihr immer ein liebevoller, zärtlicher Vater gewesen war, wenn er auch nicht verstanden hatte, für ihre Zukunft zu sorgen. Sie würde ihm immer ein liebevolles Andenken bewahren. Aber nun regte sich doch wieder die Jugendlust in ihrem Herzen.
And vor allem — sie würde Harry Forst auf diesem Feste im Hause der Tante sehen! Er war eingeladen worden und hatte zugesagt, das wusste sie nun von ihm selbst. Als sie ihm neulich auf der Promenade begegnet war, und sie, anscheinend nur einige höfliche Worte wechselnd, sich begrüsst hatten, hatte sie ihn danach gefragt.
Ach, wie sie sich danach sehnte, einmal wieder eine Weile ungestört mit ihm plaudern zu können! Nur selten waren sie in dem Trauerjahr zusammengetroffen, immer nur einige verstohlene Worte wechselnd. Das würde nun anders werden. Nun würde er sein Schweigen brechen und offiziell um ihre Hand anhalten. Eigentlich war das ja gar nicht mehr nötig. Sie waren längst einig, und da sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren mündig war, Hätte ihr niemand dreinzureden. Aber der Form halber musste Harry dem Onkel und der Tante Mitteilung machen von ihrer Verlobung.
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