Sie richtete sich hastig im Sessel empor und sah ihn befremdet, fast erschrocken, an. „Harry, du sprichst so seltsam — so kalt und ruhig — so ganz anders als sonst. Vernünftig soll ich sein? Dich ruhig anhören? Was hast du mir zu sagen?“
Ihre Augen blickten ihn bang und forschend an. Er wich ihrem Blicke aus. „Herrgott, Fee, es hat sich doch so vieles in unserem Verhältnis geändert, seit deines Vaters Tod! Dass du das nicht von selbst begreifen kannst,“ stiess er schroff hervor.
Sie umfasste krampfhaft die Lehne ihres Sessels und ihr Gesicht wurde starr. „In unserem Verhältnis? Nein, Harry — sage das nicht! Du und ich — wir lieben uns doch so, dass daran nie etwas geändert werden kann, nicht wahr? Die äusseren Verhältnisse — ja, die haben sich geändert seit dem Tage, da du mir von deiner Liebe sprachst. Aber das kann doch auf unsere Beziehungen zueinander keinen Einfluss haben.“
Er wich ihrem angstvollen Blick aus.
„Beides ist nicht voneinander zu halten, Fee. Als ich dir damals von meiner Liebe sprach, da — nun ja — da glaubte ich, du seiest reich. Eure ganze Lebensführung deutete darauf hin. Und dann — dein Vater hatte eine einflussreiche Stellung, er hätte wohl manches für mich tun können, wenn ich sein Schwiegersohn geworden wäre. Deshalb war ich leichtsinnig — und sagte dir, dass ich dich liebte.“
Sie sah ihn starr an.
„Deshalb — warst du — leichtsinnig? Leichtsinnig? Deshalb warbst du um mich — weil du mich für reich hieltest — weil mein Vater —?„
Tonlos kam das über ihre blassen Lippen.
„Nun ja doch,“ unterbrach er sie hastig. „Du weisst doch, dass ich arm bin. Nie hätte ich gewagt, dich in eine so ernste Lage zu bringen, wenn ich gewusst hätte, dass du arm bist wie ich und dich an mein armseliges Dasein gebunden.“
Sie atmete auf, wie von einer furchtbaren Last befreit, und lächelte tapfer.
„Ach, nur meinetwegen sorgst du dich? O, du weisst ja nicht, wie wenig mir das alles gilt, wie anspruchslos ich sein kann! Ich werde glücklich sein mit dir auch in den bescheidensten Verhältnissen; deine Liebe wird mich für alles entschädigen.“
,,Aber bedenke doch — ich besitze kaum dreissigtausend Mark Vermögen. Die Zinsen davon sind meine knappe Zulage.“
Sie lachte sorglos. „Und ich besitze zwanzigtausend Mark — das sind schon fünfzigtausend.“
„Das würde noch nicht einmal zu der üblichen Kaution reichen,“ wehrte er ab.
„Oh, die fehlenden zehntausend Mark bekommen wir schon zusammen, mein Harry. Da sind die Möbel meines Vaters, die in einem Speicher lagern. Wir suchen uns davon aus, was wir brauchen, um uns ein bescheidenes, trauliches Heim einzurichten. Den Rest verkaufen wir. Du siehst, es wird alles gehen. Du kannst mir glauben, dass ich dir ein sehr praktisches, sorgsames Hausmütterchen sein werde.“
Es lag eine frohe Zuversicht in ihren Worten.
Er rückte unruhig auf seinem Sessel.
„Das sieht alles ganz leicht, ganz durchführbar aus. Aber in Wirklichkeit ist es anders. Wir find beide nicht geschaffen, uns in so kleinlichen Verhältnissen wohlzufühlen. Und weil ich das klar übersehe, deshalb muss ich für uns beide vernünftig sein. Ich darf nicht leiden, dass du mir Opfer bringst. Und deshalb bitte ich dich — gib mir mein Wort zurück! Wir können uns unter den obwaltenden Umständen nicht angehören. Verzeihe mir, dass ich mich damals von meiner Liebe hinreissen liess. Hätte ich Eure Verhältnisse besser gekannt, hätte ich gewusst, dass dein Vater so bald sterben würde — ich hätte meinem Gefühl keine Worte gegeben.“
Blass, mit erloschenen Augen sah sie ihn an.
,,Das — kann doch — dein Ernst nicht sein — nach alledem, was zwischen uns war? Harry — mein Gott, Harry — liebst du mich denn nicht mehr?“
„Doch, Felicitas — ich liebe dich — und ich bedaure unendlich, dich aufgeben zu müssen.“
Sie presste die Hände ans Herz. „Müssen? Du musst ja nicht — du musst ja nicht! Wir können auch in bescheidenen Verhältnissen glücklich sein. Ach — Du weisst ja nicht, wie gering meine Ansprüche ans Leben geworden sind! Sieh dies Kleid — ich habe es selbst modernisiert. Ich kann mir alles selbst arbeiten, denn ich bin sehr geschickt. Du sollst sehen, wie billig und hübsch ich mich kleiden werde. Und sparsam wirtschaften will ich! Wir können doch gar nicht voneinander — Harry — das kann dein Ernst nicht sein!“
Es lag eine heisse Angst, ein banges Mahnen in ihren Worten, und dieser Ton schnitt dem Lauscher ins Herz.
Ein heisser Zorn auf Harry Forst erfüllte Hans Ritter — ein heisser wilder Zorn. Auch Forst blieb nicht unbewegt bei Felicitas Flehen. Er liebte sie wirklich, so weit sein Charakter einer Liebe fähig war. Aber so, wie sich das junge Mädchen von ihm geliebt glaubte, so wie sie ihn liebte — so liebte er sie nicht. Er wollte jetzt um jeden Preis los von ihr, wollte die Fessel lösen, die er sich in falschen Voraussetzungen übergestreift hatte.
Da er nun sah, dass sie nicht verstand, was er wollte, beschloss er, ganz schroff und rücksichtslos vorzugehen. Viel Zeit blieb ihm nicht. Er musste dieses Haus heute abend als freier Mann verlassen — um jeden Preis. Und es war auch für sie das Beste. Sie kam am schnellsten über die Enttäuschung hinweg.
Und so sagte er endlich nach einem tiefen Aufatmen hart und kalt:
„Liebe Felicitas, ob du in Wirklichkeit solch ein Los erträglich finden würdest, weiss ich nicht. Ich glaube es kaum. Ganz bestimmt aber weiss ich, dass ich nicht dafür geschaffen bin. Ich kann nicht in die Misere einer solchen Ehe untertauchen und will auch dich davor bewahren. Und deshalb bitte ich dich: Lass uns in Frieden auseinander gehen. Lass uns die Erinnerung an unsere Liebe wie einen schönen Traum bewahren. Wir wollen ein Verhältnis lösen, das unter andern Voraussetzungen geschlossen wurde — das heisst: gebunden waren wir ja im Grunde beide noch nicht — nicht wahr?“
Sie starrte mit entsetzten Augen in sein Gesicht, ihre Lippen zuckten in unterdrückter Qual.
„Nicht gebunden? Nicht gebunden — also — was — was war ich dir da — wenn nicht deine Braut?“
Er fuhr sich nervös über die Stirn. Herrgott! — sei doch vernünftig, nimm es nicht so schwer, es weiss ja kein Mensch darum, als wir beide. Ich kann nicht anders handeln, als ich tue, Deinetwegen und meinetwegen nicht! Es wäre Wahnwitz, wollten wir uns fürs Leben binden! Es ist auch schon zu spät — ich habe mir den Rückzug abgeschnitten, ich darf mich nicht in meinem Beschluss beirren lassen. Ich will es kurz machen, Felicitas. Weiss Gott — es wird mit schwer, es dir zu sagen, dass — dass ich — nun — dass ich um die Hand von Ellen Volkmar angehalten habe. Morgen früh hole ich mir das Jawort ihres Vaters — morgen abend soll unsere Verlobung proklamiert werden, gelegentlich der Soiree im Hause ihrer Eltern. Nur, um dich schonend vorzubereiten, bin ich heute abend hierher gekommen, denn ich weiss, du bist mit deinen Verwandten morgen dort eingeladen. Ich wollte dich nicht unvorbereitet hingehen lassen. Und ich bitte dich herzlich: sei vernünftig und beherrsche dich! Ellen weiss natürlich nichts von unseren Beziehungen — deinetwegen verschwieg ich sie ihr. Nimm es nicht tragisch, Fee; glaube mir, es ist das beste für uns beide. Du wirft es mir noch Dank wissen. Gib mir deine Hand zum Abschied.“
Die letzten Worte sprach er bewegt, es überkam ihn nun doch etwas Weiches, Schmerzliches, als er sie so zusammengesunken vor sich sitzen sah.
Aber jetzt sprang Felicitas plötzlich mit einem Ruck auf. Ihr blasses Gesicht war erstarrt in Schmerz und Pein. Mit einem halb unterdrückten Wehlaut presste sie die Hände zusammen und wich vor ihm zurück. Und dann streckte sie abwehrend die Hand aus und rief, ausser sich vor Scham und Zorn:
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