,,Geh — geh! Du bist frei! — Lass mich allein!“
Er trat zu ihr und wollte ihre Hand fassen. „Fee — um Gotteswillen! Beruhige dich. Sei vernünftig?“
Sie zog ihre Hand hastig zurück und lachte schneidend auf: „Rühr mich nicht an! Geh — ich ertrage deinen Anblick nicht!“ stiess sie heiser hervor.
Er stand noch eine Weile unschlüssig. Sie zitterte am ganzen Körper und vermochte sich kaum aufrecht zu halten. Noch einmal wies sie stumm mit hastiger Abwehr, nach der Tür — da ging er langsam hinaus.
Felicitas starrte ihm eine Weile mit irren Blicken nach. In ihrem Gesicht zeigte sich ein Ausdruck, in dem Zorn, Schmerz, Scham uno Verachtung um die Herrschaft stritten. Dann schlug sie die Hände vor das Antlitz und brach in ihrem Sessel zusammen.
„Wie ich mich schäme, dass ich diesen Mann geliebt habe — wie ich ihn verachte!“ stiess sie zwischen den Zähnen hervor.
Sie krallte die Hände in das Polster der Sessellehne und ein qualvolles, trockenes Schluchzen erschütterte ihre Gestalt.
„Wer löscht die Schmach, die er mir angetan hat!“ rief sie verzweifelt.
Da trat Hans Ritter, unfähig, sich länger zurückzuhalten, aus seinem Versteck hervor und stellte sich an ihre Seite.
„Ich — wenn Sie es wünschen, mein gnädiges Fräulein,“ sagte er fest und ruhig, obwohl die Erregung in ihm tobte.
Sie zuckte erschrocken zusammen und blickte voll Scham und Entsetzen zu ihm auf.
„Sie — Sie hier?! — Was wollen Sie hier?“ stammelte sie fassungslos.
Er blickte voll warmer Teilnahme in ihr zuckendes Gesicht, blieb aber ganz ruhig und beherrscht.
„Ich war ungewollt Zeuge Ihrer Unterredung mit Leutnant Forst, mein gnädiges Fräulein. Ich konnte nicht aus jener Fensternische entweichen, ohne von Ihnen gesehen zu werden. Ihr Geheimnis wäre auf ewig in meiner Brust verschlossen gewesen, ich hätte mich nach Ihnen unbemerkt entfernt. Aber da vernahm ich Ihren Ausruf, uno da hielt es mich nicht länger. Und da bin ich nun, um Sie zu fragen: Wollen Sie meine Frau werden? Wollen Sie jetzt an meinem Arm zur Gesellschaft zurücklehren — als meine Braut? Wollen Sie mit Ihrer Verlobung der des Leutnants Forst zuvorkommen? Ich meine — das müsste Ihnen nach dieser Kränkung — nach dieser beispiellosen Kränkung eine kleine Genugtuung bereiten!“
Sie richtete sich langsam halb empor, die Augen in fassungslosem Staunen auf ihn gerichtet.
„Wie denn — wie ist mir denn — mein Gott, bin ich denn von Sinnen? Sie wollten — nachdem, was Sie gehört haben — Sie wollten? —“
„In aller Form in diesem Augenblick um Ihre Hand anhalten — ja,“ sagte er, ohne dass ein Zug seines Gesichts sich verändert hätte.
Sie erhob sich vollends und sah ihn mit brennenden Augen an.
,,Warum? Warum wollen Sie das tun — für mich, die ich Ihnen fast fremd bin? Was bin ich Ihnen?“
„Nichts, als ein wehrloses Weib, das ein Bube in seinen heiligsten Gefühlen gekränkt hat!“
„Und deshalb — deshalb allein — bieten Sie mir Ihre Hand? Sie, der, wie ich weiss, zu den begehrtesten Partien dieser Stadt gehört? Sie, der unter den Besten zu wählen — der die Hand nach jeder anderen nur auszustrecken braucht?“ stammelte sie ungläubig, ganz benommen.
„Ich strecke meine Hand nur nach Ihnen aus — gerade nach Ihnen.“
Sie stützte sich schwer auf ihren Sessel, weil ihre Knie zitterten.
„Und warum? Nur weil es Ihrem ritterlichen Empfinden zuwiderläuft, dass ein anderer mich beschimpfte?“
Seine Augen blitzten wie blanker Stahl, sonst merkte man ihm keinerlei Erregung an, trotzdem er wusste, dass er jetzt im Lebensspiel alles auf eine Karte gesetzt hatte.
„Vielleicht auch, weil mich die Tapferkeit Ihres Wesens, die Tiefe ihres Empfindens und die Opferfreudigkeit Ihrer Liebe für Sie einnahmen.“
Sie schüttelte verwirrt und verständnislos den Kopf.
„Die Opferfreudigkeit einer Liebe, die einem anderen galt? Sie waren doch Zeuge unserer Unterredung — haben gehört, wie ich mich an diesen anderen klammerte — wie ich mich demütigte, weil ich nicht verstand, dass er mich los sein wollte! Haben Sie nicht gehört, wie deutlich er werden musste, ehe ich begriff? Wie ich — ach — Sie wissen nicht, wie es jetzt in mir aussieht! Aber ich liebte diesen Menschen — ja — ich liebe ihn vielleicht noch — ich weiss ja nicht, was ich jetzt empfinde — es ist alles wie zerrissen in mir. Und trotzdem wollten Sie mir Ihre Hand bieten? O mein Herr — Sie sollten nicht so leichtsinnig sein! Wenn ich sie nun annähme — Ihre Hand — um mich zu rächen für diese Schmach? Wenn ich jetzt Ihre Stimmung nützte?“ rief sie voll Bitterkeit und Erregung.
„Ich wünsche, dass Sie es tun — es ist mir Ernst damit,“ sagte er ruhig.
Sie vergass einen Augenblick ihr Leid, in grenzenlosem Staunen über diesen Mann, den sie bisher wenig beachtet hatte. Mit grossen Augen sah sie in sein markiges, ehernes Gesicht.
„Was sind Sie denn für ein Mensch? Man hat mir gesagt, Sie seien ein kühner, unbeugsamer und nüchterner Mann mit vielen praktischen Tugenden — man hat mir gesagt, dass — doch einerlei — ich habe Sie jedenfalls auch stets nur kühl, beherrscht und unempfindlich gesehen. Aus solchem Stoff sind doch nicht Phantasten gemacht! Was sind Sie denn für ein Mensch, dass Sie einem Mädchen, an dem Sie bis heute kalt und fremd vorübergingen, ohne es zu beachten, solch ein grosses Opfer bringen wollen?“
Er sah, wie die Erregung in ihr bebte, wie sein Verhalten sie von dem ersten, Herbsten Schmerz ablenkte. Auch jetzt in dem vollsten Sturm ihres Empfindens blieb sie noch die anmutige, elegante Weltdame. Und nie war sie ihm schöner, vornehmer erschienen, als in dieser demütigenden Lage — nie war ihm ein Weib begehrenswerter erschienen, als dieses, von einem Gewissenlosen verlassene Mädchen.
Zugleich aber war auch ein gutes, weiches Empfinden für sie in seiner Brust.
Er strich sich langsam über die Stirn.
„Was für ein Mensch ich bin? Ich kann Ihnen darauf keine unparteiische Antwort geben. Wenn Sie auf meine Werbung eingehen, werden Sie es vielleicht eines Tages selbst herausfinden — wenn es Ihnen der Mühe lohnt. Ich kann Ihnen jetzt nur sagen, dass ich von dem Wunsch durchdrungen bin, Ihnen zu helfen, die Demütigung zu verwinden, die man Ihrem stolzen Sinn zugefügt hat. Im übrigen — ich habe schon seit geraumer Zeit die Absicht, mich zu verheiraten, ohne bisher eine Dame gefunden zu haben, deren Persönlichkeit meinen Wünschen entsprach. Ich wollte eine Frau aus der besten Gesellschaft — trotzdem ich — ein Emporkömmling bin. Das wissen Sie vielleicht nicht. Ich bin nämlich der Sohn eines Handwerkers. Mein Vater war Zimmermann; bis vor ungefähr zehn Jahren war ich ein Fremdling in der guten Gesellschaft. Das sage ich Ihnen, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.“
Es zuckte in ihrem Gesicht und ihre Augen blickten dunkel und schmerzlich in die seinen.
„Das alles ist so seltsam — so seltsam. Ich weiss nicht, was ich denken, was ich tun soll. Wenn ich jetzt Ihre Hand annähme — es lockt mich, es zu tun — so würde es nur geschehen, um — dem anderen zu zeigen — dass — dass ich mich nicht verzehren werde in verschmähter Liebe, nur, um ihm heimzuzahlen — was er mir getan. Und dann — vielleicht dann auch noch, um aus diesem Hause zu kommen. Ich bin meinen Verwandten eine Last — sie haben mit sich selbst zu tun. Unter anderen Umständen hätte ich für Ihre Werbung nur ein schroffes nein gehabt. Bedenken Sie wohl, aus welchen Gründen ich Ihre Hand annehmen würde. Wenn Sie mich trotz alledem zur Frau begehren — nun gut — ich bin in einer verzweifelten Stimmung und weiss nicht, ob ich morgen schon bereue, was ich heute tue. Auch Sie sollten sich fragen, ob Sie das nicht morgen tun werden.“
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