Bärbchen lachte spöttisch auf. „Aber Fee, sprich doch nicht gleich von einem Talent! Es ist doch höchstens eine Fingerfertigkeit.“
Fee lächelte. ,,Gut, Bärbchen, nennen wir es so. Aber nun entschuldigt mich, bitte. Ich will dies Festkleid ablegen und in meinem Zimmer die Spuren meiner Tätigkeit entfernen.“
Damit ging sie hinaus.
„Fee ist ein sonderbares Geschöpf, Mama. Was die zuweilen für Einfälle hat,“ sagte Lorchen kopfschüttelnd.
„Und unverschämt ist sie obendrein. Sie spricht immer in einem so überlegenen Ton mit uns, als wären wir von ihr abhängig, nicht sie von uns. Daft du ihr mokantes Lächeln bemerkt, Mama? Ich finde, sie nimmt sich ziemlich viel heraus,“ ereiferte sich Bärbchen unmutig.
Die Hofrätin Hob vornehm die Hand. Keine Emotionen. Bärbchen! Eine Dame soll sich niemals erregen. Lassen wir Fee jetzt beiseite. Ich möchte etwas anderes mit Euch besprechen. Ihr wisst, welche Hoffnung ich auf das morgige Ballfest setze. Und ich möchte Euch nochmals ermahnen, recht vernünftig zu sein. Herr Ritter verkehrt nun schon seit einem Jahre bei uns; ich weiss ganz bestimmt, dass er in keiner anderen Familie so oft zu Gaste ist, als bei uns — ich meine, ohne festliche Anlässe. Er hat mir selbst gesagt, dass er die Absicht hat, zu heiraten. Mir scheint, er wäre nicht abgeneigt, eine von Euch zur Frau zu nehmen, wenn man es ihm bequem machen würde. Solche Herren, die schon die Mitte der Dreissig überschritten haben, sind ja meist zu bequem geworden, den entscheidenden Schritt zu tun. Also seid klug! Und vor allem — kommt einander nicht ins Gehege. Sobald eine merkt, dass er sich mit der anderen beschäftigt, muss sie sich zurückziehen. Ihr wisst, Ritter ist ein sehr, sehr reicher Mann! Man schätzt ihn als Millionär ein; ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, dass es für uns alle von Vorteil wäre, wenn Ritter durch Familienbande an uns gefesselt würde. Ihr seid zwanzig und einundzwanzig Jahre alt, und es wird Zeit, dass Ihr Euch verheiratet.“
Die Schwestern hatten verstohlen gekichert.
„Aber Mama! Hans Ritter ist so schrecklich langweilig, so ernst und gründlich. Es ist schwer, ihn zu fesseln,“ meinte Lorchen.
„Wenn es leicht wäre, brauchte ich Euch nicht erst Verhaltungsmassregeln zu geben. Aber bedenkt, dass Ihr immerhin Chancen habt, eine glänzende Partie zu machen. Ich habe beobachtet, dass er sich selten mit einer anderen Dame beschäftigt, die als Frau für ihn in Frage käme, ausser mit Euch. Also seid klug, nützt Eure Chancen.“
„Und wenn uns nun Fee dazwischenkommt?“ fragte Bärbchen.
Die Hofrätin schüttelte den Kopf.
„Er hat sie ja schon öfter in unserem Hause gesehen, aber sie hat keinen Eindruck auf ihn gemacht. Er spricht nur selten ein höfliches Wort mit ihr, während er mit Euch oft scherzt und lacht. Also vernünftig, Kinder!“
Damit schloss die Hofrätin ihre Ermahnung.
***
Hans Ritter stahl sich fort aus dem geselligen Treiben, das in den beiden Festsälen des Hofrats Schlüter herrschte. Er konnte nie grosses Gefallen finden an dem bunten Durcheinander einer grossen Gesellschaft. In seiner harten, entbehrungsreichen Kindheit und ersten Jugend war er im Herzen ein Einsamer geworden, ein Mensch, der in sich selbst Genüge findet, weil er es von früh auf in sich finden musste.
Früher, als er noch ausserhalb des Gesellschaftskreises stand, dem er jetzt angehörte, hatte er oft Sehnsucht nach dem bunten, glänzenden Treiben gehabt. Aber jetzt, da er eine glänzende Lebensstellung einnahm und durch eigene Kraft reich und unabhängig geworden war, jetzt, da er sich durch anstrengendes, unermüdliches Schaffen und durch geniales Erfassen des Augenblicks auf eine Höhe emporgeschwungen hatte, die ihn weit über seine ursprüngliche Sphäre hinaushob — jetzt wusste er, dass sein Sehnen in diesem Treiben feine Erfüllung fand.
Es kostete ihn jedesmal Überwindung, einer Einladung Folge zu leisten. Er tat es auch nur, weil er sich selbst zwingen wollte, sich in jeder Lebenslage, in jeder Gesellschaft, zurechtzufinden und zu behaupten.
Niemand hätte ihm anmerken können, dass er sich im Innern unfrei fühlte in der Gesellschaft, dass er ein Empfinden hatte, als bewege er sich ungeschickt. Nur er selbst war sich bewusst, dass ihm diese gesellschaftliche Sicherheit nicht aus der später in strenger Selbsterziehung von ihm erworben worden war. Allein niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass Hans Ritter sich nicht ganz selbstverständlich in den besten Formen bewegte.
Heute hatte er wieder einige Zeit seine geselligen Pflichten erfüllt, und nun sehnte er sich nach einigen Minuten des Aufatmens, des Alleinseins.
Bärbchen und Lorchen hatten ihm, den Ermahnungen ihrer Mutter folgend, abwechselnd Gesellschaft geleistet, aber nun hatte die Tanzlust die jungen Damen erfasst, und sie waren untergetaucht in den fröhlichen Reigen. Die Hofrätin thronte in einem der Nebenzimmer im Chor der Mütter, und die Schwestern benützten ihre Abwesenheit im Saal, um fahnenflüchtig zu werden. Hans Ritter konnte nicht tanzen. Da hielten es die tanzlustigen Mädchen an seiner Seite nicht aus. —
Langsam ging er an den tanzenden Paaren vorüber. Er hätte sich wohl mit seinen achtunddreissig Jahren noch zu der tanzlustigen Jugend rechnen können und vielleicht hätte er gern die eine oder die andere im Tanz umschlungen, wenn er nur des Tanzens kundig gewesen wäre.
Seine Augen ruhten jedoch wohlgefällig auf den Frauen und Mädchen, die so leicht beschwingt über den blanken Fussboden dahinglitten. Er hatte schon damals eine unbeschreibliche Vorliebe für schöne, elegante Frauen gehabt, als er noch für ein bescheidenes Monatsgehalt auf dem Kontorschemel sass, hinter seinem Pult in dem Kassenzimmer des grossen Bankhauses. Schon damals war stets ein seltsames Sehnen in ihm erwacht, wenn er seidene Frauenkleider rauschen hörte, wenn er elegante Frauen, in kostbare Pelze und duftige Spitzen gekleidet, an sich vorübergehen sah, oder wenn er einen schmalen, elegant beschuhten Frauenfuss auf dem Trittbrett eines Wagens erblickte. Dann hatte sein Herz geklopft, vor seinen Augen war ein rosiger Rebel gewesen und er hatte sich in leuchtenden Farben ausgemalt, wie es sein müsse, wenn man solch ein zartes, feines, wohlgepflegtes Geschöpf in den Armen halten könne.
Und wenn ihn etwas noch hätte anspornen können, zu seinem rastlosen Schaffen, so wäre es wohl der Gedanke gewesen, eines Tages ein Ziel zu erreichen, das ihn gleichberechtigt an die Seite einer solchen Frau stellte. Er hatte später genug elegante Frauen kennen gelernt und sah, dass viele von ihnen nur hohle, gedanken- und herzlose Puppen waren. Er wollte aber ein Weib besitzen, das nicht nur ein schönes, elegantes Äussere, sondern auch einen hohen inneren Wert befass, ein Weib mit einer reichen Seele. Und die hatte er bisher nicht gefunden. Da blieb er lieber einsam.
Man merkte diesem Mann nicht an, dass er auch Träumen und Idealen nachstreben konnte. Alle, die ihn kannten, wussten, dass er ein Mann der Tat, des kühnen Erfassens war. Er erschien kurz entschlossen, unbewegt, fast hart — ein Mensch, der unbeirrt seinem Ziele zustrebt, der klar und nüchtern seinen Vorteil abwägt. Er besass eine kantige Stirn, die sich über tiefliegenden, stahlblauen Augen wölbte, ein breites Kinn und einen herben, schmallippigen Mund, dessen charakteristische Linien durch einen sehr kurz gehaltenen Lippenbart nicht verdeckt wurden. Dieser Mund war fast immer fest geschlossen.
Seine Gestalt war gut proportioniert, seine Bewegungen hatten etwas Beherrschtes, Gezügeltes an sich.
Meist blickten seine Augen scharf und fühl. Sie funkelten wie geschliffner Stahl, wenn er erregt war, und sahen kühn und zufassend ins Leben, zugleich auch scharf abwägend. Niemand wusste, dass diese Augen in seltenen Stunden auch weich und zärtlich blicken konnten — nur seine Mutter wusste das — und die verriet es niemandem, denn sie stand seinen jetzigen Gesellschaftskreisen fern und kam mit keinem dieser eleganten Menschen zusammen.
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