Hans Ritter war der Sohn eines schlichten Handwerkers, der seinem Beruf zum Opfer fiel, als sein Sohn zehn Jahre alt war. Die Mutter hatte dann für sich selbst und ihr einziges Kind Brot schaffen müssen und sich redlich gemüht, dass Hans die Realschule, auf die fein Vater ihn geschickt hatte, weiter besuchen konnte. Schwer war es ihr manchmal geworden, aber sie hatte es durchgesetzt, weil es des Satten und des Sohnes Wunsch gewesen war.
Nachdem Hans die Realschule mit vorzüglichen Zeugnissen verlassen hatte, kam er zu einem kleinen Bankier in die Lehre. Dieser erkannte bald die hervorragende Begabung des jungen Mannes und verschaffte ihm nach beendeter Lehrzeit eine gute Stellung in einem englischen Bankhause. In dieser Stellung vermochte Hans seinem Chef durch kühnes Erfassen des Augenblicks einen grossen Dienst zu erweisen, wodurch derselbe vor dem Verlust einer kolossalen Summe bewahrt blieb. Man beförderte ihn und zahlte ihm eine Gratfikation von 2000 Pfund. Diese Summe, also zirka vierzigtausend Mart, war der Grundstein zu feinem jetzigen Vermögen. Nach einigen Jahren wurde ihm ein führender Posten an einer grossen deutschen Bank angeboten. Er kehrte zurück und nahm diese Stellung an.
Sein Vermögen vermehrte er durch kluges, vorsichtiges Handeln. Sein grosser Fleiss, seine eminente Tüchtigkeit, brachten ihn schliesslich als Direktor an die Spisse seiner Bank.
Dann kaufte er eines Tages, als er zum Besuch seiner Mutter wieder einmal in seiner Vaterstadt weilte, ein grosses, weites Wiesengelände für billiges Geld. Kurze Zeit darauf wurde dieses Gelände, in dem Hans Ritter fast sein ganzes erworbenes Vermögen angelegt hatte, zu industriellen Zwecken gebraucht. Hans Ritter verkaufte es — fast für den zehnfachen Preis — und war ein reicher Mann geworden.
Seine Stellung als Bankdirektor gab er nun auf, er wollte frei sein für grosszügiges Wirken und Schaffen, wozu ihm in seiner emporblühenden Vaterstadt Gelegenheit geboten wurde. Die wenigsten Menschen wussten, dass er in dieser Stadt seine Laufbahn begonnen hatte. Sein Lehrmeister, der alte Bankier, war längst gestorben und sonst erkannten ihn wenig Menschen wieder. Er sprach auch nie von seiner Vergangenheit.
Man hatte ihn in den Aufsichtsrat verschiedener Gesellschaften gewählt, und trotz seiner noch jungen Jahre war er schon eine einflussreiche Persönlichkeit. Niemand fragte ihn, aus welchen Kreisen er stammte, alle Türen standen ihm offen.
Er war aufwärts gestiegen mit zäher Beharrlichkeit und unentwegter Zielsicherheit. Nicht einmal hatte er dabei das Gefühl des Schwindels gehabt. Je höher er stieg, desto sicherer wurde sein Blick. Er hatte etwas von einem unwiderstehlichen Eroberer an sich.
Neben seiner genialen Begabung, seinem klugen, scharfen Blick und seiner beispiellosen Schaffenskraft war ihm auch das Glück dienstbar gewesen, ohne das er wohl kaum so weit gekommen wäre.
Hans Ritter bewohnte jetzt eine sehr schöne, in ihrer Einfachheit vornehm wirkende Villa, die er sich hatte bauen lassen. Dieser Villa eine Herrin zu geben, war sein Wunsch, aber bisher hatte er die rechte noch nicht gefunden.
Dass die Hofrätin Schlüter für ihre Töchter auf seine Hand spekulierte, wusste er nicht. Er wurde von vielen Müttern und beiratsfähigen Töchtern mit begehrlichen Blicken betrachtet; es gab viele junge Damen, die gern Herrin in Villa Ritter geworden wären.
Lorchen und Bärbchen flogen im Tanz dahin — und Hans Ritter verliess den Saal.
Um Ausgang desselben, der zu den Nebenzimmern führte, streifte eine schlanke, weissgekleidete Mädchengestalt an ihm vorüber — Felicitas Wendland.
Ihr duftiges Spitzenkleid verfing sich in einer abstehenden Klammer des schönen Brillantringes, den Hans Ritter als einzigen Schmuck trug. Ein seines Spitzenfädchen blieb in der goldenen Klammer hängen und fesselte die beiden Menschen einen Augenblick aneinander.
Mit einer Entschuldigung löste Hans Ritter behutsam das zarte Gewebe aus der Gefangenschaft und sah bittend in die braunen, sonnig leuchtenden Augen des jungen Mädchens.
Ein Lächeln huschte um ihren Mund.
„Es hat nichts zu sagen, Herr Ritter, ich bin ohne Schaden davongekommen, wie ich sehe. Im übrigen hätte ich selbst auf mein Kleid achten müssen,“ sagte sie freundlich.
Hans Ritter sah mit einem eigentümlichen Blick in das reizende Mädchengesicht. Ein seltsames Gefühl hatte ihn durchrieselt, als er den Stoff ihres Kleides festhielt und dabei zufällig mit ihren Händen zusammenstreifte. Ganz dicht musste sie eine Weile bei ihm stehen, der feine, diskrete Duft der vornehmen Dame stieg aus ihren Kleidern zu ihm auf. Aber er blieb ruhig und beherrscht, wie immer.
„Nein, nein, gnädiges Fräulein, ich allein bin schuld, dass Ihr Kleid gefangen wurde. Mein Ring ist der Attentäter. Ich muss ihn unschädlich machen,“ sagte er und zog den Ring vom Finger, um ihn in der Westentasche zu bergen.
Sie lachte leise.
,,Also lassen wir die hochnotpeinliche Schuldfrage offen,“ sagte sie und ging mit einem anmutigen Neigen des goldblonden Köpfchens weiter.
Er blieb stehen und sah ihr nach. Das leise Rauschen ihres seidenen Unterkleides war noch einen Augenblick vernehmbar. Seine Augen folgten ihrer elastischen und graziös ausschreitenden Gestalt. Wie anmutig und stolz zugleich der schöne Kopf auf ihren klassischen Schultern ruhte! Jetzt neigte sich ihr Nacken in wahrhaft königlicher Haltung vor einem hochgewachsenen, jungen Offizier mit einem herrlichen Adoniskopf, der mit einem Lächeln auf sie zutrat.
Hans Ritter wandte sich, wie unangenehm berührt, ab. Das Lächeln dieses Offiziers schien ihn zu reizen. Er sah noch, wie der Offizier seinen Arm um die schlanke Mädchengestalt legte und mit ihr davontanzte.
Mit einem finsteren Gesicht begab sich Ritter in das Nebengemach, in dem einige ältere Herren plaudernd beisammen sassen. Er war bekannt in den Räumen der hofrätlichen Wohnung und durchschritt schnell mehrere Zimmer. So kam er endlich in den kleinen Salon der Hausfrau, der nur durch eine rotverschleierte Lampe matt erleuchtet wurde. Dieser Salon lag so abseits, dass er hoffen konnte, eine Weile ungestört zu bleiben.
Vorsichtig liess er sich in einer der durch die dicken Mauern gebildeten Fensternischen nieder, in denen Sessel standen, und zog die Fensterportieren hinter sich zusammen, so dass er nun sicher in seinem Versteck ruhen konnte.
Mit einem Seufzer der Erleichterung lehnte er sich in den Sessel zurück und streckte sich behaglich aus. Den Kopf zurücklegend, schloss er die Augen.
Er dachte an Felicitas Wendland. Ganz deutlich stand ihre lichte Erscheinung vor seinem geistigen Auge. Alle Einzelheiten ihrer Person hatte er im Gedächtnis — den lockigen, goldigen Scheitel über der klaren, weissen Stirn, den feingeschwungenen Mund, der so lieblich lächeln konnte, und die stolz und zugleich gütig blickenden Sonnensaugen — sogar das winzige, braune Mal über dem linken Mundwinkel, der so entzückend weich in dem Oval der Wangen verlief, sah er ganz deutlich vor sich.
Zum ersten Male hatte Ritter Felicitas Wendland an einem Sommermorgen von leuchtender Schönheit gesehen. Auf dem Reitwege des nahen Waldes war sie, an der Seite ihres Vaters, umgeben von mehreren Offizieren, stolz zu Ross an ihm vorbeigezogen. Er hatte sie lachen hören. Es war ein goldiges Lachen, das ihm das Herz warm machte und das er ebensowenig vergessen konnte, wie den Anblick der eleganten Reiterin in dem knapp sitzenden, schwarzen Tuchkleid.
Sie war ihm damals als eine sehr schöne und beneidenswert glückliche junge Dame erschienen.
Wenige Wochen später hörte er, dass General Wendland nach kurzer Zeit gestorben sei, und abermals einige Wochen später war ihm Felicitas flüchtig bei einem Besuch von der Hofrätin vorgestellt worden.
Auch in ihrem Trauerkleid machte sie ihm den Eindruck einer stolzen, unnahbaren jungen Dame. Sie sprach kaum einige Worte mit ihm und verschwand. Hier in diesem Salon war es gewesen, Hans Ritter wusste es noch ganz genau.
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