Als Felicitas die letzten Stiche an ihrem Kleide nähte, wurde die Tür geöffnet und Bärbchen Schlüter trat ein.
„Mein Gott, Fee, du bist noch immer nicht fertig?“ rief sie erstaunt und entschieden missbilligend.
Felicitas hob lächelnd den Kopf. „Nur diese Nosette noch festnähen, Bärbchen, dann ist es geschehen.“
Bärbchen trat näher und sah mit recht neugierigem, gespanntem Ausdruck auf das Kleid herab.
„Wozu du dir nur die Menge Arbeit gemacht hast? Das Kleid war doch auch ohnehin noch sehr hübsch!“
,,Mir war es nicht schön genug, deshalb liess ich mich die Mühe nicht verdriessen.“
„Nun, ich an deiner Stelle hätte es lieber getragen, wie es war. Am Ende verdirbst du mit der Änderung nur den guten Sitz.“
Das klang eher hoffnungsvoll als befürchtend.
Fast übermütig blitzten Felicitas herrliche Augen in die blassblauen Bärbchens. „Keine Sorge, liebes Cousinchen, das tue ich gewiss nicht.“
„Nun, nun — sei nur nicht so sicher. Mama sagt immer, bei Änderungen kommt nichts heraus. Es wäre doch wirklich nicht so schlimm gewesen, wenn du nicht nach der allerneuesten Mode gekleidet gingst.“
Felicitas sah mit eigentümlichem Ausdruck in Bärbchens missvergnügtes Gesicht. „Du meinst, weil ich nur eine arme Waise bin, die in dem Hause ihrer Verwandten sozusagen das Gnadenbrot isst! Aber sieh mal, Bärbchen, es kostet mich nur ein wenig Mühe, dies Kleid zu modernisieren — warum soll ich es nicht tun?“
Bärbchen hielt es für gut, diese bitter gefärbten Worte zu ignorieren. „Na, weisst du, ich bin wirklich neugierig, wie dir das gelungen ist. Lorchen und ich, wir haben soeben unsere neuen Roben anprobiert. Sie sind entzückend ausgefallen und sitzen famos.“
„Das freut mich. Ich bin auch gleich fertig.“
Bärbchen hob mit spitzen Fingern die Taille des Kleides empor.
„Mein Gott — du hast ja wahrhaftig die ganze Taille geändert! Zieh doch das Kleid mal an, Fee,“ forderte sie ungeduldig. Sie wollte sich gern überzeugen, dass das Kleid ihrer Cousine nicht so schön war, wie das ihre.
„Sofort, Bärbchen,“ sagte Felicitas, sich erhebend.
„Also komm, wenn du es angezogen hast, ins Wohnzimmer hinüber, damit Mama und Lorchen es auch sehen.“
„Ja, Bärbchen, ich komme,“ erwiderte Felicitas.
Bärächen verschwand, entschieden missmutig. Sie ärgerte sich, dass Fee sich so viel Mühe gab, schön auszusehen. Das hatte sie doch wahrlich nicht nötig. Aber sie wollte eben immer die Schönste sein und wollte sie und Lorchen in den Schatten stellen.
Bärbchen beurteilte, wie viele andere das tun, die Menschen nach sich selbst. Als sie ins Wohnzimmer trat, sass ihre Mutter mit einer Handarbeit am Fenster, sah aber mehr auf ihre noch sehr schönen Hände herab als auf die Stickerei. Lorchen, das getreue Ebenbild Bärbchens, blätterte in einem Modejournal.
„Nun — wie weit ist Fee?“ fragte die Hofrätin.
„Gleich fertig, Mama. In ihrem Zimmer sieht es aber aus, wie in einer Schneiderstube — grässlich! Sie hat fast das ganze Kleid zertrennt und zerschnitten gehabt, nur, damit es modern wird.“
Die Hofrätin zuckte die Achseln.
„Sie will natürlich nicht hinter Euch zurückstehen. Im Grunde ist es mir auch lieb, wenn sie passabel aussieht — der Leute wegen. Sonst heisst es gleich, Fee spielt die Rolle des Aschenbrödels bei uns.“
Gleich darauf trat Felicitas ein.
Sie trug das geänderte Spitzenkleid. Es schmiegte sich in tadellosem Sitz um die jugendschöne Büste und um die schlanken Hüften. Der halbrunde Ausschnitt liess den wundervoll geformten Hals und Nacken frei. Auch die schlanken, weissen Arme waren bis zum Ellenbogen unbekleidet. Jedenfalls machte die Robe ganz den Eindruck, als stamme sie aus einem ersten Mode-Atelier. Die Damen waren starr. Felicitas sah so wunderschön aus, dass es ihnen die Rede verschlug.
Lorchen und Bärbchen stellten innerlich ärgerlich fest, dass das Kleid ihrer Cousine von dem ihren ganz gewiss nicht in der Schatten gestellt werden konnte. Dazu kam noch, dass Fees elegante Gestalt und ihre graziösen Bewegungen die Robe noch viel besser zur Geltung brachte.
Eine Weile blieb es stumm. Endlich brach die Hofrätin, die sich zuerst fasste, das Schweigen. „Du Haft wirklich ein unglaubliche Geschick, Fee, das muss man dir lassen. Das Kleid sieht ganz frisch und neu aus,“ sagte sie sauersüss.
„Ach, ich finde, der Rock ist zu eng, du hast zu viel Herausgeschnitten,“ kritisierte Lorchen, sich mühsam fassend.
Felicitas sah sie ein wenig überlegen an. „Ich wette, er ist keinen Zentimeter enger, als der deines neuen Kleides,“ antwortete sie ruhig.
„Aber die Ärmelgarnitur ist zu breit nach meinem Geschmack!“ rief nun Bärbchen, die sich wütend eingestehen musste, dass Fee entzückend aussah.
„Das ist, um den Ansatz zu verdecken, so schreibt die Mode es vor,“ erwiderte Felicitas.
„Mein Gott! Du müsstest Schneiderin werden bei deiner Veranlagung!“ rief Lorchen, ihr kurzes Näschen hochmütig emporhebend.
Fee wusste, dass man sie nur kränken wollte. Das war sie schon gewöhnt. Aber die Hoffnung, bald aus diesem Hause hinauszukommen, wo man ihr nur widerwillig und nur der Leute wegen eine Heimat bot, liess alles an ihr abgleiten. Sie konnte lächeln.
,,Nun — warum nicht Schneiderin?“ fragte sie im leisen Übermut. Wer weiss — vielleicht nütze ich einmal mein Geschick praktisch aus und gründe einen Modesalon. Das ist nichts neues mehr. Es gibt viele gebildete Damen, die das tun. Neulich habe ich sogar gelesen, dass die Witwe eines englischen Lords einen Modesalon eröffnet hat. Sie will ein Vermögen damit verdienen.“
Die Hofrätin sah sie strafend an. „Aber Fee, solch ein Gedanke! Das mag eine sonderbare Lady sein. In den Zeitungen steht viel, was nicht wahr ist. Die Tochter des Generals Wendland sollte so etwas nicht einmal denken, viel weniger aussprechen.“
Fee strich sinnend an ihrem Kleid Herab.
„Ist denn dieser Gedanke ein Unrecht, liebe Tante? Ich muss dir sagen, dass ich mich nicht scheuen würde, ihn auszuführen, wenn — nun ja — wenn ich nicht in Eurem Hause Aufnahme gefunden hätte.“
Die Hofrätin legte erregt ihre Handarbeit weg.
„Gottlob, dass wir dich davor behütet haben. Du weisst wirklich nicht, was du sprichst, Fee. Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen, könnte er dich hören.“
Fee seufzte leise. Aber dann flog ein sonniges Lächeln über ihr Gesicht.
„Ach, Tante Laura — Papa war ein frischfroher Augenblicksmensch, der solche Frage niemals tragisch genommen hätte. Trotzdem er mit Leib und Seele Soldat war, hatte er doch einen leisen, demokratischen Einschlag. Ich glaube nicht, dass er so entsetzt wäre, wenn er hörte, dass ich lieber mein Brot mit ehrlicher Arbeit selbst verdienen, als Euch zur Last fallen müsste. Ich weiss doch, dass ich das tue — Ihr seid ja selbst nicht vermögend.“
Die Hofrätin sah vornehm an der Nase herab. „Beenden wir dieses Thema, Fee! Ich fühle mich in deinem Vater, meinem Bruder, gekränkt, dadurch, dass du ihm demokratische Ansichten andichtest. Du selbst scheinst leider Gottes solche zu haben. Nie wieder will ich so etwas hören. Wenn wir auch nicht reich find — lieber schränken wir uns alle noch mehr ein, als dass wir erlauben würden, dass du derartigen Gelüsten nachgibst.“
Fee sah auf ihre edelgeformten Hände herab, die so sorgsam gepflegt waren und aussahen, als sei ihnen jede Arbeit fremd.
Sie dachte, dass sie schwerlich diese Erlaubnis einholen werde, wenn ihr Leben nicht ohnedies bald in andere Bahnen gelenkt würde. Aber sie schwieg. Wozu sollte sie Tante Laura noch mehr aufreizen mit ihren Ansichten?
„Sei nicht böse, Tante Laura, ich werde es ja auch nicht tun. Es war nur so ein Gedanke, weil es doch schade ist, dass ich ein Talent nicht ausnützen kann, das einer anderen vielleicht ein Schatz sein würde.“
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