»Ein entzückender Wunsch!«
»Übrigens bin ich durchaus bereit, mit dabei zu sein.«
»Noch besser!« (Immer wieder dieselbe Stimme.)
Die andern blieben immer noch stumm, alle schauten mich an und musterten mich genau; jedoch es begann von verschiedenen Seiten des Zimmers her ein Kichern zu mir zu dringen, leise noch, aber sie kicherten mir alle direkt ins Gesicht. Nur Wasin und Kraft kicherten nicht. Der Mensch mit dem schwarzen Backenbart lächelte auch; er sah mich so recht frech an und horchte.
»Meine Herren,« sagte ich, am ganzen Körper zitternd, »meine Idee sage ich ihnen um keinen Preis, sondern ich frage Sie, ganz im Gegenteil, von Ihrem Gesichtspunkte aus, – glauben Sie nur nicht, ich fragte von meinem eigenen aus, denn ich liebe die Menschheit vielleicht tausendmal mehr, als Sie alle zusammengenommen! Sagen Sie doch – und Sie sind jetzt unbedingt verpflichtet, mir zu antworten, Sie sind dazu verpflichtet, weil Sie lachen –, sagen Sie doch: wodurch wollen Sie mich verlocken, mich Ihnen anzuschließen? Sagen Sie doch, wodurch Sie mir beweisen wollen, daß es in Ihrer Idealwelt besser sein wird? Was wird in Ihrer Kaserne mit dem Protest meiner Persönlichkeit geschehen. Meine Herren, ich hatte schon lange gewünscht, mal mit Ihnen zusammen zu kommen! Sie werden die Kaserne haben, gemeinsame Wohnungen, stricte nécessaire, Atheismus und gemeinsame Frauen ohne Kinder, das ist Ihr Finale, ich weiß es ja doch. Und für dies alles, für dies Quentchen mittelmäßigen Vorteils, das mir Ihre Vernünftigkeit garantieren will, dafür daß Sie mir satt zu essen und ein geheiztes Zimmer geben, soll ich Sie mit dem Preis meiner Persönlichkeit bezahlen! Erlauben Sie mal ein Beispiel: man nimmt mir meine Frau weg; wollen Sie mir dann auch meine Persönlichkeit nehmen, damit ich meinem Gegner nicht den Schädel einschlage? Sie werden sagen, unter solchen Bedingungen würde ich schon von selbst klüger werden; aber was wird die Frau zu einem so vernünftigen Manne sagen, wenn sie nur ein klein wenig Selbstachtung hat? Das ist ja doch unnatürlich; Sie sollten sich schämen!«
»Was die Frauen betrifft, sind Sie wohl Spezialist?« erklang schadenfroh die Stimme der Null.
Einen Augenblick hatte ich Lust, mich auf den Kerl zu stürzen und ihn mit meinen Fäusten durchzuwalken. Er war klein, rothaarig und sommersprossig . . . ach, übrigens der Teufel hole sein Äußeres!
»Sie können sich beruhigen, ich habe noch kein Weib gekannt«, sagte ich abschneidend und wendete mich zum erstenmal an ihn selbst.
»Ein kostbares Bekenntnis, nur hätte es der Damen wegen etwas verblümter sein dürfen!«
Aber alles geriet auf einmal in Bewegung, alle suchten sie ihre Hüte und begannen aufzubrechen, – selbstverständlich nicht meinetwegen, sondern weil ihre Zeit gekommen war; aber dies schweigsame Verhalten mir gegenüber fiel mir sehr schwer und beschämend auf die Seele. Ich erhob mich auch.
»Gestatten Sie mir, Sie nach Ihrem Namen zu fragen: Sie haben mich die ganze Zeit so angeschaut?« Mit diesen Worten trat plötzlich der Lehrer zu mir. Er lächelte dabei ganz infam.
»Dolgorukij.«
»Fürst Dolgorukij?«
»Nein, einfach Dolgorukij, ich bin der Sohn des ehemaligen Leibeigenen Makar Dolgorukij und das uneheliche Kind meines früheren Herrn, des Herrn Wersilow. – Haben Sie keine Angst, meine Herren: ich sage das absolut nicht, um Sie zu veranlassen, mir dafür um den Hals zu fallen und mit mir vor lauter Rührung zu heulen wie junge Kälber!«
Eine laute und sehr wenig förmliche Lachsalve knatterte los, so daß das schlafende Kind im Nebenzimmer erwachte und zu quäken anfing. Ich zitterte vor Wut. Dann drückten sie alle Dergatschow die Hand und gingen, ohne mir die geringste Beachtung zu schenken.
»Kommen Sie«, sagte Kraft und stieß mich an.
Ich trat auf Dergatschow zu und drückte ihm aus allen Kräften die Hand und schüttelte sie ein paarmal, gleichfalls aus aller Kraft.
»Entschuldigen Sie bitte, daß Kudriumow (so hieß der Rote) Sie in einem fort beleidigt hat«, sagte Dergatschow zu mir.
Ich folgte Kraft hinaus. Ich fühlte mich nicht im geringsten beschämt.
Selbstverständlich, zwischen dem Menschen, der ich damals war und dem, der ich heute bin, ist ein gewaltiger Unterschied.
Wie ich also, »ohne mich im geringsten beschämt zu fühlen«, hinausging, holte ich noch auf der Treppe Wasin ein – Kraft ließ ich ruhig vorausgehen, wie einen Menschen, der für mich nur in zweiter Linie Interesse hat –, ich holte also Wasin ein und fragte ihn mit der unbefangensten Miene, als ob gar nichts passiert wäre:
»Ich glaube, Sie kennen meinen Vater, das heißt, ich meine Wersilow?«
»Eigentlich bekannt bin ich nicht mit ihm,« antwortete mir Wasin ohne Zögern (und ohne eine Spur von jener beleidigenden, besonders verfeinerten Höflichkeit, die taktvolle Leute anzunehmen pflegen, wenn sie mit jemand sprechen, der sich grade blamiert hat), »aber ich kenne ihn flüchtig: ich habe ihn gelegentlich getroffen und habe ihn sprechen hören.«
»Wenn Sie ihn sprechen gehört haben, dann kennen Sie ihn natürlich, weil Sie eben Sie sind! Was denken Sie von ihm? Entschuldigen Sie die plötzliche Frage, aber ich muß es wissen. Gerade, wie Sie darüber denken, gerade Ihre Meinung ist mir unentbehrlich.«
»Sie fragen viel auf einmal. Ich bin der Ansicht, daß er ein Mensch ist, der fähig ist, ungeheure Forderungen an sich zu stellen und sie vielleicht auch zu erfüllen, – nur mag er keinem Rechenschaft geben.«
»Das ist wahr, das ist sehr wahr, er ist ein sehr stolzer Mensch. Aber ist er ein reiner Mensch? Sagen Sie doch, wie denken Sie über seinen Katholizismus? Übrigens, ich habe gar nicht daran gedacht, Sie wissen am Ende überhaupt nicht, daß er . . .«
Wenn ich nicht so erregt gewesen wäre, hätte ich ihn wohl nicht mit solchen Fragen bombardiert, es war doch schließlich ein Mensch, mit dem ich noch nie gesprochen hatte, nur gehört hatte ich von ihm. Ich wunderte mich, daß Wasin die Verrücktheit meines Gebahrens überhaupt nicht zu bemerken schien.
»Ich habe davon gehört, aber ich weiß nicht, wieviel Wahres daran ist«, antwortete er ruhig und in demselben Ton wie zuvor.
»Kein Wort! Das dichtet man ihm an! Denken Sie denn wirklich, daß er an Gott glauben könnte?«
»Er ist ein sehr stolzer Mensch, wie Sie eben selbst bemerkt haben, und viele von diesen sehr stolzen Menschen lieben es, an Gott zu glauben, besonders die, die eine gewisse Verachtung für die Menschen besitzen. Viele starke Menschen haben, glaube ich, ein gewisses natürliches Bedürfnis, jemand oder etwas zu finden, vor dem sie sich beugen können. Für einen starken Menschen ist es oft schwer, seine Stärke zu ertragen.«
»Hören Sie, das ist sicher höchst wahr!« rief ich wieder, »aber ich verstehe nur nicht . . .«
»Die Ursache ist ganz klar: sie suchen sich Gott aus, weil Sie sich nicht vor Menschen beugen wollen; – natürlich haben sie selbst keine Ahnung davon, wie sich das alles in ihnen bildet; sich vor Gott zu beugen, das ist nicht so demütigend. Aus ihrem Kreise rekrutieren sich die feurigsten Gläubigen, – richtiger gesagt, die, die den feurigsten Wunsch hegen, zu glauben; aber ihren Wunsch halten sie schön für den richtigen Glauben. Und zu guter Letzt werden sie gar oft zu Enttäuschten. Was ich von Herrn Wersilow denke? Ich glaube, er besitzt ungewöhnlich aufrichtige Züge in seinem Charakter. Und überhaupt, er hat mich interessiert.«
»Herr Wasin!« rief ich, »Sie machen mir so eine Freude! Ich staune nicht über Ihren Geist, sondern ich staune, daß Sie, ein Mensch, der so rein ist und so hoch über mir steht, – daß Sie hier mit mir gehen und so einfach und freundlich mit mir sprechen, als ob gar nichts geschehen wäre!«
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