Fjodor M Dostojewski - Briefe

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Eine Zeitreise aus der Feder Dostojewskis – was einen der wichtigsten und herausragendsten Schriftsteller Russlands beschäftigte, lässt sich in Form seiner Briefe nachvollziehen. Von Dostojewski gibt Hunderte von Briefen, die in Büchern veröffentlicht wurden. Dieser Sammelband stellt eine Mischung aus geschäftlicher und privater Korrespondenz dar, die der berühmte Autor unter anderem an seinen Bruder Michail Michailowitsch Dostojewski und seine Ehefrau Anna Grigorjewna Dostojewskaja gerichtet hat. Sie gibt Einblick in das private Leben, das Denken und Fühlen von Dostojewski.-

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Fjodor M Dostojewski

Briefe

Übersezt von Alexander Eliasberg

Saga

Briefe

Übersezt von Alexander Eliasberg

Titel der Originalausgabe: Bukvy

Originalsprache: Russischen

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1920, 2021 SAGA Egmont

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 9788726981483

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Vorwort

Eine vollständige Sammlung von Briefen Dostojewskijs existiert heute noch nicht. Der erste Band der ersten Gesamtausgabe von Dostojewskijs Werken (St. Petersburg, 1883) enthält nur eine Auswahl, die in den späteren Auflagen überhaupt fehlt. Eine Reihe von Briefen, die in diese Sammlung aufgenommen werden sollten, wurde im letzten Augenblick von der Witwe des Dichters zurückbehalten; die Korrekturabzüge werden in einer versiegelten Mappe im Moskauer Dostojewskij-Museum verwahrt.

Vorliegender Ausgabe liegt das Buch von W. Tscheschichin : »Dostojewskij in der Erinnerung der Zeitgenossen, in seinen Briefen und Notizen« (Moskau, 1912), zugrunde. Die Briefe XXXVIII, XLIV, L, LVI und LVIII unseres Bandes, die in dieser Sammlung fehlen, habe ich der historischen Monatsschrift »Rußkaja Starina« entnommen; die bei Tscheschichin unvollständig wiedergegebenen Briefe XXXIX, XLVI, XLVIII und LIX habe ich ergänzt.

Dem Werke Tscheschichins wurden auch eine Anzahl der Anmerkungen sowie die Erinnerungen der Zeitgenossen im »Anhang« entnommen. Weitere Erinnerungen an Dostojewskij – von seinem Bruder Andrej und Nikolaj Strachow – finden sich in Bd. 11 und 12 der im gleichen Verlag erscheinenden Gesamtausgabe von Dostojewskijs Werken.

A. E.

I.

An den Vater, den 10. Mai 1838

Mein lieber guter Vater! Können Sie denn wirklich denken, daß Ihr Sohn zu viel verlangt, wenn er Sie um eine Unterstützung angeht? Gott sei mein Zeuge, daß ich Sie weder aus Eigennutz, noch aus wirklicher äußersten Not irgendwie schädigen will. Wie bitter ist es mir, wenn ich meine Blutsverwandten um eine Gefälligkeit bitten muß, die sie so schwer bedrückt! Ich habe meinen eigenen Kopf und eigene Hände. Wäre ich frei und selbständig, so hätte ich von Ihnen auch nicht eine Kopeke verlangt; ich hätte mich selbst an die bitterste Not gewohnt. Ich würde mich schämen, auch nur ein Sterbenswörtchen von einer Unterstützung zu schreiben. Jetzt kann ich Sie nur mit Versprechungen für die Zukunft vertrösten; doch diese Zukunft ist nicht mehr fern, und Sie werden sich mit der Zeit selbst davon überzeugen.

Jetzt bitte ich Sie, lieber Papa, zu berücksichtigen, daß ich im wahren Sinne des Wortes diene . Ich muß mich, ob ich will oder nicht, nach den Gepflogenheiten meiner jetzigen Umgebung richten. Warum sollte ich auch eine Ausnahme bilden? Solche Ausnahmestellungen sind oft mit den größten Unannehmlichkeiten verbunden. Das werden Sie auch selbst verstehen, lieber Papa. Sie haben ja genug unter Menschen gelebt. Beachten Sie also bitte folgendes: das Lagerleben eines jeden Zöglings der Militärlehranstalten erfordert mindestens vierzig Rubel. (Ich schreibe dies, weil ich zu meinem Vater spreche.) In dieser Summe sind solche Bedürfnisse, wie Tee, Zucker usw., nicht inbegriffen. Denn dies alles muß ich auch ohnehin haben, und zwar nicht nur des Anstandes wegen, sondern aus wirklicher Not. Wenn man bei feuchter Witterung und Regen in einem leinenen Zelte liegen muß, oder bei solchem Wetter müde und durchfroren von einer Übung heimkommt, so kann man ohne Tee leicht krank werden, wie ich es schon im vorigen Jahre beim Manöver erlebt habe. Ich will aber Ihre Notlage berücksichtigen und gänzlich auf Tee verzichten; ich will Sie daher nur um das Allernotwendigste bitten: um sechzehn Rubel für zwei Paar einfacher Stiefel. Ferner: ich muß ja meine Sachen, wie Bücher, Schuhwerk, Schreibzeug und Papier usw., irgendwo verwahren. Ich brauche für diesen Zweck einen Koffer, denn im Lager gibt es keine anderen Bauten als Zelte. Unsere Betten sind mit Leintüchern bedeckte Strohbündel. Nun frage ich Sie, wie ich ohne Koffer alle meine Sachen verwahren soll? Sie müssen wissen, daß der Fiskus sich gar nicht darum kümmert, ob ich einen Koffer habe oder nicht. Denn die Examina sind bald zu Ende, und dann brauche ich ja keine Bücher; der Fiskus sorgt für meine Equipierung, folglich brauche ich auch keine Stiefel usw. Wie soll ich mir aber ohne Bücher die Zeit vertreiben? Die Stiefel, mit denen uns der Fiskus versorgt, sind so schlecht, daß drei Paar davon in der Stadt für kaum ein halbes Jahr reichen.

[Es folgt eine weitere Aufzählung der notwendigen Anschaffungen.]

Von Ihrer letzten Sendung habe ich mir fünfzehn Rubel zurückgelegt. Sie sehen also selbst, lieber Papa, daß ich unbedingt noch fünfundzwanzig Rubel brauche. Anfang Juni verlassen wir das Lager. Wenn Sie also Ihrem Sohne in seiner bitteren Not beistehen wollen, so schicken Sie ihm dieses Geld zum 1. Juni. Ich wage nicht, auf meiner Bitte zu bestehen; ich verlange nicht zu viel, doch mein Dank wird grenzenlos sein.

II.

An den Bruder Michail, Petersburg, den 9. August 1838

[Der Brief beginnt mit Erklärungen, warum D. seinem Bruder so lange nicht geschrieben hat: er hat keine Kopeke Geld gehabt.]

Es ist wahr, ich bin faul, sehr faul. Was soll ich aber tun, wenn das ewige Faulenzen meine einzige Bestimmung im Leben ist? Ich weiß nicht, ob meine trüben Gedanken mich je verlassen werden. Dem Menschen ist ja nur dieser einzige Seelenzustand beschieden: die Atmosphäre seiner Seele besteht aus einer Vermengung des Himmlischen mit dem Irdischen: welch ein unnatürliches Kind ist also der Mensch; denn das Gesetz der geistigen Natur ist in ihm verletzt ... Unsere Erde erscheint mir als ein Fegefeuer für himmlische Geister, die von sündigen Gedanken getrübt worden sind. Mir scheint, daß unsere Welt eine negative Größe geworden ist und daß alles Erhabene, Schöne und Geistige sich in eine Satire verwandelt hat. Wenn nun in dieses Bild eine Person gerät, die weder in der Idee noch im Effekt mit dem Ganzen übereinstimmt, mit einem Worte eine ganz unbeteiligte Person, was kann da aus dem Bilde werden? Das Bild ist verdorben und kann nicht weiter bestehen.

Wie schrecklich ist es aber, nur die rauhe Hülle, unter der das Weltall verschmachtet, zu sehen! Zu wissen, daß eine einzige Anspannung des Willens genügt, um diese Hülle zu sprengen, um mit der Ewigkeit eins zu werden; dies alles zu wissen und dabei wie die letzte der Kreaturen zu leben ... Wie schrecklich! Wie kleinmütig ist der Mensch! Hamlet! Hamlet! Wenn ich an seine aufrührerische wilde Rede denke, in der das Stöhnen der ganzen erstarrten Welt wiederklingt, so entringt sich meiner Brust kein einziger Vorwurf, kein einziger Seufzer ... Die Seele ist dann so sehr von Gram bedrückt, daß sie sich scheut, diesen Gram ganz zu erfassen, um sich selbst nicht zu zerfleischen. Pascal hat einmal gesagt: Wer gegen die Philosophie protestiert, der ist selbst Philosoph. Eine armselige Philosophie!

Ich habe mich aber verplaudert. Von allen deinen Briefen habe ich außer dem allerletzten nur zwei bekommen. Nun, Bruder, du klagst über deine Armut. Auch ich bin nicht reich. Du wirst mir wohl gar nicht glauben wollen, daß ich beim Auszug aus dem Lager nicht eine Kopeke hatte; unterwegs habe ich mich erkältet (es regnete den ganzen Tag und wir waren ohne Obdach), bin auch vor Hunger erkrankt, und hatte dabei kein Geld, um mir die Kehle mit einem Schluck Tee anzufeuchten. Ich habe mich später erholt, litt aber im Lager die bitterste Not, bis endlich das Geld von Papa kam. Ich bezahlte meine Schulden und verbrauchte den Rest.

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