»Lebt wohl auf lange, meine Lieben,
Ich muß nun in die Ferne gehn,
Ein einziger Trost ist mir geblieben,
Das kleine Wort: auf Wiedersehn!«
(Ich weiß nicht, warum das so in meinem Gedächtnis haften geblieben ist.) Ich kam zu dem Schlusse, daß ich »hereingefallen« wäre; wenn es etwas gab, das kein Mensch brauchen konnte, war es dies Ding.
»Macht nichts,« dachte ich kurz entschlossen, »auf die erste Karte muß man unbedingt verlieren; das ist sogar eine gute Vorbedeutung.«
Ich war entschieden vergnügt.
»Ach, ich bin zu spät gekommen; Sie haben es? Sie haben es gekauft?« klang plötzlich neben mir die Stimme eines Herrn in blauem Paletot, der stattlich aussah und gut gekleidet war. Er war zu spät gekommen.
»Ich bin zu spät gekommen. Ach, wie schade! Für wieviel?«
»Zwei Rubel fünf Kopeken.«
»Ach, wie schade! Würden Sie es mir nicht abtreten?«
»Kommen Sie mit«, flüsterte ich ihm zu, und mein Herzschlag stockte.
Wir gingen auf die Treppe hinaus.
»Ich gebe es Ihnen für zehn Rubel«, sagte ich und fühlte, wie es mir kalt im Rücken wurde.
»Zehn Rubel! Lieber Gott, was denken Sie!«
»Wenn Sie nicht wollen –«
Er verschlang mich förmlich mit den Augen: ich war gut gekleidet: ich sah nicht entfernt einem Juden oder einem Trödler ähnlich.
»Um Gottes willen, das ist aber doch nur ein schäbiges altes Album, wer kann das brauchen? Das Futteral ist doch, bei Licht besehen, nichts wert, Sie glauben doch nicht, daß Sie einen Käufer dafür finden?«
»Sie wollen es ja kaufen.«
»Ja, aber doch aus einem ganz besonderen Grund, ich habe erst gestern davon erfahren: es gibt doch sonst niemanden, der es kaufen würde! Was denken Sie denn?«
»Ich hätte eigentlich fünfundzwanzig Rubel verlangen sollen, aber da ich dabei immerhin riskierte, Sie könnten von dem Handel zurücktreten, so habe ich der Sicherheit halber nur zehn verlangt. Ich lasse keine Kopeke herunter.«
Ich drehte mich um und ging.
»Ich geb' Ihnen vier Rubel,« mit diesen Worten holte er mich schon auf dem Hofe ein, »also, fünf.«
Ich sagte nichts und ging weiter.
»Na, dann also!« Er zog zehn Rubel aus der Tasche, ich gab ihm das Album.
»Aber Sie werden mir zugeben, daß das nicht ehrlich ist! Zwei Rubel und zehn – nicht wahr?«
»Wieso nicht ehrlich? Das ist eben der Markt!«
»Was heißt Markt?« (Er wurde wütend.)
»Wo eine Nachfrage ist, da ist auch ein Markt; – wenn Sie nicht gekommen wären, ich hätte nicht einmal vierzig Kopeken dafür gekriegt.
Ich hätte beinah laut herausgelacht und war doch ganz ernst, aber innerlich lachte ich, – nicht, daß ich vor Entzücken gelacht hätte, ich weiß selbst nicht weshalb, ich kam dabei etwas außer Atem.
»Hören Sie,« fuhr es mir unaufhaltsam heraus, aber ich sprach in freundschaftlichem Ton und hatte ihn dabei furchtbar lieb: »hören Sie mal: der verstorbene James Rothschild, der Pariser, wissen Sie, der tausendsiebenhundert Millionen Franken hinterlassen hat (er nickte mit dem Kopf), also dieser Rothschild erfuhr, er war damals noch jung, zufällig ein paar Stunden früher als alle anderen von der Ermordung des Herzogs von Berry; er machte gewissen Leuten Mitteilung davon und verdiente durch diesen einen Schlag in einem Augenblick ein paar Millionen – so machen es solche Leute!«
»Sie sind wohl der Rothschild, was?« schrie er mich unwillig an, als hielte er mich für einen Narren.
Ich entfernte mich schnell. Der eine Schritt – und ich hatte sieben Rubel fünfundneunzig verdient! Dieser Schritt war ganz sinnlos gewesen, das reinste Kinderspiel, das geb' ich gern zu, aber ganz einerlei, er war doch mit meinem Gedanken zusammengefallen und mußte mich ungeheuer tief erregen . . . Es hat übrigens keinen Zweck, Gefühle schildern zu wollen. Der Zehnrubelschein steckte in meiner Westentasche, ich steckte zwei Finger hinein, um ihn zu fühlen – und so ging ich weiter, ohne die Hand herauszuziehen. Als ich etwa hundert Schritte auf der Straße gegangen war, zog ich den Schein heraus, um ihn anzusehen, ich sah ihn an und wollte ihn küssen. Vor die Tür eines Hauses rasselte auf einmal eine Equipage: der Portier öffnete die Tür, und aus dem Hause trat eine Dame, um in den Wagen zu steigen, sie war hochgewachsen, jung, hübsch, reich, in Seide und Samt, mit einer zwei Ellen langen Schleppe. Plötzlich glitt ihr ein hübsches, kleines Portefeuille aus der Hand und fiel auf die Erde; sie stieg ein; der Diener bückte sich, um das kleine Ding aufzuheben, aber ich sprang schnell hinzu, hob es auf und überreichte es der Dame, dabei zog ich meinen Hut. (Einen Zylinderhut, ich war gut gekleidet, wie ein feiner junger Mann!) Die Dame sagte gehalten, aber mit dem freundlichsten Lächeln: »Merci, m'sieu.« Die Equipage rasselte davon. Ich küßte meinen Zehnrubelschein.
Ich mußte an jenem Tage auch noch Jefim Sweriow aufsuchen, einen früheren Schulkameraden von mir, der seinerzeit das Gymnasium verlassen und nach Petersburg gegangen war, um dort eine höhere Fachschule zu besuchen. Ihn persönlich näher zu beschreiben, ist der Mühe nicht wert, und eigentlich freundschaftlich hatte ich mich nie mit ihm gestanden; aber in Petersburg hatte ich ihn aufgesucht; er konnte mir (infolge verschiedener Umstände, die auch nicht erwähnenswert sind) die Adresse eines gewissen Herrn Kraft mitteilen, sobald dieser aus Wilna zurückgekehrt sein würde, und dies war ein Mensch, den ich sehr nötig hatte. Und jetzt erwartete Sweriow ihn heute oder morgen zurück, das hatte er mich vor zwei Tagen wissen lassen. Mein Weg führte mich nach der Petersburger Seite, aber ich fühlte keine Müdigkeit.
Sweriow (er zählte auch neunzehn Jahre) traf ich im Hofe des Hauses seiner Tante, bei der er zur Zeit wohnte. Er hatte gerade Mittag gegessen und ging auf Stelzen im Hof herum. Er sagte mir gleich, daß Kraft schon gestern angekommen und in seiner früheren Wohnung abgestiegen sei, ganz in der Nähe, auch auf der Petersburger Seite, und daß er auch den Wunsch hegte, mich möglichst bald zu sehen, da er mir eine dringliche und wichtige Mitteilung zu machen hätte.
»Er muß wieder irgendwohin reisen«, fügte Jefim hinzu.
Da es, wie die Umstände lagen, für mich von der allerhöchsten Wichtigkeit war, Kraft zu treffen, so bat ich Jefim, mich sofort in seine Wohnung zu führen, die übrigens nur zwei Schritte von dort in irgendeiner Seitenstraße lag. Aber Sweriow erklärte mir, er hätte Kraft schon vor einer Stunde getroffen und dieser wäre zu Dergatschow gegangen.
»Gehen wir also zu Dergatschow, was sträubst du dich immer; hast du Angst?«
Es war richtig, Kraft konnte am Ende lange bei Dergatschow sitzen bleiben und wo sollte ich dann auf ihn warten? Ich hatte keine Angst zu Dergatschow zu gehen, aber ich hatte keine Lust, obgleich es schon das dritte Mal war, daß mich Jefim hinschleppen wollte. Und dies »hast du Angst?« brachte er noch dazu immer mit einem Lächeln vor, das wenig Schmeichelhaftes für mich hatte. Von Feigheit war da gar keine Rede, das möchte ich gleich sagen, und wenn ich mich fürchtete, war es aus einem ganz anderen Grunde. Diesmal entschloß ich mich, hinzugehen; es war auch nur ein Weg von zwei Schritten. Unterwegs fragte ich Jefim, ob er noch immer die Absicht hätte, nach Amerika auszuwandern.
»Vielleicht warte ich auch noch«, erwiderte er mit einem leichten Auflachen.
Ich liebte ihn nicht besonders, ich liebte ihn sogar überhaupt nicht. Er war sehr weißblond und hatte ein volles, gar zu weißes Gesicht, unästhetisch weiß sogar, bis zur Kindlichkeit; von Wuchs war er sogar größer als ich, aber man konnte ihn kaum für älter als siebzehn halten. Mit ihm ein Gespräch zu führen war unmöglich.
»Was ist denn da los? Am Ende immer ein Haufen Leute?« erkundigte ich mich genau.
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