»Wissen Sie, schreien Sie nicht so!« unterbrach ihn Nikolai Wsewolodowitsch sehr ernst. »Diesem Werchowenski ist es zuzutrauen, daß er uns jetzt vielleicht mit seinen eigenen Ohren oder durch fremde Ohren belauscht, womöglich auf Ihrem eigenen Flur. Sogar der Trunkenbold Lebjadkin war wohl verpflichtet, Sie zu beobachten, und vielleicht auch umgekehrt Sie ihn, nicht wahr? Sagen Sie mir lieber: hat sich Werchowenski jetzt mit Ihren Argumenten einverstanden erklärt oder nicht?«
»Er war einverstanden; er sagte, ich dürfte es und ich hätte das Recht ...«
»Nun, dann hat er Sie betrogen. Ich weiß, daß sogar Kirillow, der fast gar nicht zu ihnen gehört, Nachrichten über Sie geliefert hat; Agenten haben sie in Menge, sogar solche, die gar nicht wissen, daß sie dem Bunde dienen; Sie sind fortwährend beaufsichtigt worden. Peter Werchowenski ist unter anderm auch zu dem Zwecke hierher gekommen, um Ihre Angelegenheit endgültig zu erledigen, und hat dazu Vollmacht erhalten, nämlich Sie in einem geeigneten Momente als einen, der zuviel weiß und denunzieren könnte, beiseite zu schaffen. Ich wiederhole Ihnen, daß das zuverlässig richtig ist; und gestatten Sie mir hinzuzufügen, daß man aus irgendwelchem Grunde vollkommen davon überzeugt ist, daß Sie ein Spion sind und, wenn Sie nicht schon denunziert haben, es doch tun werden. Hat denn das seine Richtigkeit?«
Schatow zog den Mund schief, als er hörte, wie eine solche Frage in einem so gewöhnlichen Tone an ihn gerichtet wurde.
»Wenn ich ein Spion wäre, bei wem sollte ich dann eine Denunziation anbringen?« fragte er zornig, ohne geradezu zu antworten. »Nein, kümmern Sie sich nicht um mich; mag mich der Teufel holen!« rief er, und griff auf einmal auf den andern Gedanken zurück, der ihn heftig erschüttert hatte, nach allen Anzeichen unvergleichlich viel mehr als die Nachricht von seiner eigenen Gefahr. »Sie, Sie, Stawrogin, wie konnten Sie sich nur in eine so schamlose, talentlose, lakaienhafte, abgeschmackte Gesellschaft verirren? Sie ein Mitglied dieses Bundes! Ist das Nikolai Stawrogins würdig?« rief er beinah in Verzweiflung.
Er schlug sogar die Hände zusammen, als ob es nichts Betrübenderes und Trostloseres für ihn geben könne als diese Entdeckung.
»Entschuldigen Sie,« sagte Nikolai Wsewolodowitsch, der wirklich erstaunt war; »aber Sie scheinen mich als eine Art Sonne zu betrachten und sich selbst im Vergleich mit mir als ein kleines Käferchen. Ich habe das bei dem Briefe bemerkt, den Sie mir aus Amerika schrieben.«
»Sie ... Sie wissen ... Ach, lassen wir mich lieber ganz beiseite!« brach Schatow plötzlich ab. »Wenn Sie etwas zur Erklärung Ihrer Handlungsweise sagen können, so tun Sie es ... Antworten Sie auf meine Frage!« wiederholte er in starker Erregung.
»Mit Vergnügen. Sie fragen, wie ich in eine so gemeine Gesellschaft habe hineingeraten können. Nach meiner Mitteilung von vorhin fühle ich mich Ihnen gegenüber sogar zu einiger Offenherzigkeit in bezug auf diesen Punkt verpflichtet. Sehen Sie, strenggenommen gehöre ich diesem Bunde gar nicht an, habe ihm auch früher nicht angehört und bin weit mehr als Sie berechtigt, mich von ihnen loszusagen, weil ich gar nicht beigetreten bin. Im Gegenteil habe ich gleich zu Anfang erklärt, daß ich nicht ihr Genosse bin, und wenn ich ihnen gelegentlich geholfen habe, so habe ich das nur so aus Langerweile getan. Ich habe mich bis zu einem gewissen Grade an der Reorganisation des Bundes auf Grund eines neuen Planes beteiligt, das ist alles. Aber sie sind jetzt anderen Sinnes geworden und haben sich gesagt, daß auch meine Entlassung gefährlich sei, und es scheint, daß auch ich verurteilt bin.«
»Oh, bei denen wird immer gleich Todesstrafe verhängt, alles nach den Vorschriften, auf einem Blatt Papier mit einem Siegel, und drei bis vier Leute unterschreiben es. Und Sie glauben, daß diese Menschen imstande sind, etwas zu leisten!«
»Da haben Sie zum Teil recht, zum Teil unrecht,« fuhr Stawrogin in dem früheren gleichmütigen, sogar matten Tone fort. »Ohne Zweifel besitzen sie viel Phantasie, wie das in solchen Fällen immer ist: ein kleines Häufchen hat übertriebene Vorstellungen von seiner Größe und von seiner Bedeutung. Meiner Ansicht nach ist der einzige wirkliche Kopf unter ihnen Peter Werchowenski, und es ist gar zu bescheiden von ihm, wenn er sich nur für einen Agenten des Bundes hält. Übrigens ist die Grundidee nicht dümmer als andere dieser Art. Sie haben Verbindungen mit der Internationale; sie haben es verstanden, Agenten in Rußland anzustellen, und sind dabei sogar auf recht originelle Methoden verfallen ... aber selbstverständlich nur theoretisch. Was aber ihre hiesigen Absichten anlangt, so ist ja die Bewegung unserer russischen Organisation etwas so Dunkles und fast immer etwas so Unerwartetes, daß man bei uns in der Tat auf alles gefaßt sein muß. Beachten Sie auch, daß Werchowenski ein hartnäckiger Mensch ist!«
»Diese Wanze, dieser Ignorant, dieser Dummkopf, der von Rußland nichts versteht!« schrie Schatow aufgebracht.
»Da kennen Sie ihn schlecht. Allerdings verstehen sie überhaupt alle wenig von Rußland, aber doch nicht viel weniger als Sie und ich; und außerdem ist Werchowenski ein Schwärmer.«
»Werchowenski ein Schwärmer?«
»O ja. Es gibt einen Punkt, wo er aufhört, ein Hansnarr zu sein, und sich in einen Halbverrückten verwandelt. Erinnern Sie sich, bitte, an einen Ausspruch, den Sie selbst einmal getan haben: ›Wissen Sie, wie stark ein einzelner Mensch sein kann?‹ Bitte, lachen Sie nicht; er ist sehr wohl imstande, den Hahn einer Pistole abzudrücken. Diese Menschen sind überzeugt, daß auch ich ein Spion bin. Weil sie ihre Sache nicht durchzuführen verstehen, sind sie alle sehr geneigt, jemanden der Spionage zu beschuldigen.«
»Aber Sie fürchten sich ja nicht.«
»N-nein ... Ich fürchte mich nicht sehr ... Aber Ihre Sache liegt ganz anders. Ich habe Sie gewarnt, damit Sie sich jedenfalls in acht nehmen. Meiner Ansicht nach brauchen wir uns nicht dadurch gekränkt zu fühlen, daß uns von Dummköpfen Gefahr droht: die Sache selbst geht über ihren Verstand, und gegen Leute, die, wie Sie und ich, von anderer Art sind als sie, heben sie die Hand auf. Indessen es ist ein Viertel auf zwölf,« sagte er nach einem Blicke auf die Uhr und stand vom Stuhle auf. »Ich möchte gern noch eine ganz andersartige Frage an Sie richten.«
»Um Gottes willen!« rief Schatow und sprang hastig auf.
»Was haben Sie?« Nikolai Wsewolodowitsch sah ihn fragend an.
»Fragen Sie, fragen Sie, wenn es sein muß!« rief Schatow in unbeschreiblicher Aufregung. »Aber unter der Bedingung, daß auch ich Ihnen eine Frage vorlegen darf. Ich bitte Sie inständig, es mir zu erlauben ... ich muß notwendig ... Sprechen Sie Ihre Frage aus!«
Stawrogin wartete einen Augenblick und begann dann:
»Ich habe gehört, daß Sie hier auf Marja Timofejewna einigen Einfluß hatten, und daß sie Sie gern sah und gern reden hörte. Verhält es sich so?«
»Ja ... sie hörte mich gern reden,« erwiderte Schatow etwas verlegen.
»Ich habe die Absicht, in den nächsten Tagen meine Ehe mit ihr hier in der Stadt öffentlich bekannt zu geben.«
»Ist das denn möglich?« flüsterte Schatow ganz erschrocken.
»Wie meinen Sie das? Die Sache hat keine Schwierigkeiten; die Trauzeugen sind hier. Es ist damals in Petersburg alles in völlig gesetzlicher, ordnungsmäßiger Weise zugegangen, und wenn es bisher nicht veröffentlicht worden ist, so ist dies nur deshalb unterblieben, weil die beiden einzigen Trauzeugen, Kirillow und Peter Werchowenski, und schließlich Lebjadkin selbst (den ich die Ehre habe jetzt meinen Verwandten zu nennen) ihr Wort darauf gaben, zu schweigen.«
»Das meinte ich nicht ... Sie sprechen so ruhig davon ... aber fahren Sie fort! Hören Sie, sind Sie nicht etwa mit Gewalt zu dieser Ehe gezwungen worden? Wie?«
Читать дальше