Fall 21:
Der Witwer W schloss 1990 mit seinem Neffen N einen Erbvertrag, indem er N zum Alleinerben einsetzte. Zugleich verpflichtete er sich, sein Hausgrundstück ohne Zustimmung des N weder zu veräußern noch zu belasten. N verpflichtete sich seinerseits, den W „in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen, ohne dass dafür Geldmittel von mir oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden sind“. N zog daraufhin in eine Wohnung im Haus des W ein, aus der er jedoch 2003 wieder auszog. Als W 2009 pflegebedürftig wurde, forderte er N schriftlich unter Hinweis auf den Erbvertrag auf, ihn zu pflegen. Dies geschah jedoch nicht. 2017 zog W in ein Alten- und Pflegeheim. Im Januar 2018 erklärte er den Rücktritt vom Erbvertrag, weil er seit 2009 pflegebedürftig sei und N ihn nicht gepflegt habe. Anschließend klagt er auf Feststellung der Unwirksamkeit des Erbvertrags. Ist die Klage begründet? Lösung: → Rn. 322
Literatur:
Buchholz , Zur bindenden Wirkung des Erbvertrags, FamRZ 1987, 440; Grziwotz , Der Erbvertrag nicht ehelicher Partner, ZEV 1994, 299; Hohmann , Die Sicherung des Vertragserben vor lebzeitigen Verfügungen des Erblassers, ZEV 1999, 133; Horn, Prüfung der Wirksamkeit von Testamenten und Erbverträgen, NJW 2017, 2392; Hülsmeier , Der Vorbehalt abweichender Verfügungen von Todes wegen beim Erbvertrag, NJW 1986, 3115; Kanzleiter , Die Beeinträchtigung des durch Erbvertrag bindend eingesetzten Erben durch die einvernehmliche Aufhebung eines Pflichtteilsverzichts, DNotZ 2009, 86; Keim , Änderungsvorbehalte in Ehegattenerbverträgen, NJW 2009, 818; ders., Der Wegfall des vertragsmäßig eingesetzten Erben und seine Auswirkung auf beeinträchtigende Verfügungen von Todes wegen des Erblassers, ZEV 1999, 413; ders ., Die Aufhebung von Erbverträgen durch Rücknahme aus amtlicher oder notarieller Verwahrung, ZEV 2003, 55; ders., Die Überwindung der erbvertraglichen Bindung beim mehrseitigen Erbvertrag, RNotZ 2012, 496; Keller , Aufhebung, Änderung und Ergänzung eines Erbvertrags durch die Vertragspartner, ZEV 2004, 93; Kirchner , Pflicht zur Begründung des Rücktritts vom Erbvertrag, MittBayNot 1996, 19; Kohler , Erblasserfreiheit oder Vertragserbenschutz und § 826, FamRZ 1990, 464; Mayer , Der Änderungsvorbehalt beim Erbvertrag, DNotZ 1990, 755; ders., Der entgeltliche Erbvertrag – Wer erben will, soll auch gelten –, DNotZ 2012, 89; Musielak , Zur Bindung an den Erbvertrag und zu den rechtlichen Möglichkeiten einseitiger Änderungen, ZEV 2007, 245; Nolting , Der Erbvertrag, JA 1993, 129; Paal , Übungsklausur – Bürgerliches Recht: Drei Hochzeiten und ein Erbfall, JuS 2006, 236; Röthel , Der Erbvertrag. Einige Grundlagen, JURA 2014, 781; Schindler, Beeinträchtigende Schenkungen gem. § 2287 BGB aus forensischer Sicht, ErbR 2015, 526; Schmitz , Die Verteilung der Beweislast in den Fällen des § 2287 BGB, ErbR 2010, 45; Schmucker , Die Bindung beim gemeinschaftlichen Testament und Erbvertrag, ZNotP 2006, 414; Tanck , Die Absicherung der Unternehmensnachfolge als lebzeitiges Eigeninteresse i.S.v. § 2287 BGB, ZErb 2015, 220; Weiler , Änderungsvorbehalt und Vertragsmäßigkeit der erbvertraglichen Verfügung, DNotZ 1994, 427; Weirich , Das Rücknahmeverbot beim Erbvertrag, DNotZ 1997, 7.
Teil III Die gewillkürte Erbfolge› § 10 Der Erbvertrag› I. Allgemeines
262
Die zweite Art der Verfügung von Todeswegen – neben dem Testament – ist der Erbvertrag. Er ist jedoch zugleich ein echter Vertrag, hat also Doppelnatur.[1] Eben diese vertragliche Bindungswirkung stellt einen grundlegenden Unterschied zwischen Erbvertrag und Testament dar und macht das Charakteristische des Erbvertrags als erbrechtliches Gestaltungsinstrument aus: Einseitige Testamente sind generell frei widerruflich (→ Rn. 186 ff.), beim gemeinschaftlichen Testament besteht erst nach dem Tod eines Ehegatten und auch nur in Bezug auf wechselbezügliche Verfügungen eine Bindungswirkung (→ Rn. 250 ff.).
263
In der Praxiswerden Erbverträge meist von Ehegatten abgeschlossen[2], denen die durch ein gemeinschaftliches Testament vermittelte Bindungswirkung nicht genügt. Häufig werden auch Ehe- und Erbvertrag miteinander kombiniert[3], um die emotionale Verbundenheit durch die Ehe auch rechtlich umfassend zu fundamentieren. Erbverträge sind aber gerade nicht nur Ehegatten vorbehalten und werden daher häufig auch zwischen anderen nahestehenden Personen abgeschlossen (z.B. Geschwister, „Erbtante“, nichteheliche Lebensgemeinschaften).[4] Ein weiterer Anwendungsfall sind sog. entlohnende Erbverträge, bei denen der Erblasser das Entgelt für die Gegenleistung (z.B. lebzeitige Pflege oder Sicherung der Unternehmensnachfolge) erst nach seinem Tode durch eine Erbeinsetzung (→ Rn. 728 ff.) oder ein Vermächtnis (→ Rn. 900 ff.) erbringt.[5]
Teil III Die gewillkürte Erbfolge› § 10 Der Erbvertrag› II. Arten von Erbverträgen
II. Arten von Erbverträgen
1. Einseitige, zweiseitige und mehrseitige Erbverträge
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Je nachdem, wie vieleder Beteiligten als Erblasserfungieren, kann man zwischen einseitigen, zweiseitigen und mehrseitigen Erbverträgen differenzieren. EinseitigeErbverträge sind solche, in denen nur ein Vertragspartner (mindestens) eine vertragsmäßige Verfügung (→ Rn. 272) trifft. Der andere Teil nimmt lediglich die Erklärung an und führt damit die Bindungswirkung herbei – und zwar auch dann, wenn nicht er, sondern ein Dritter Begünstigter ist (→ Rn. 265). In einem zweiseitigen(oder auch: gemeinschaftlichen) Erbvertrag treffen beide Vertragsparteien vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen. Dabei können sie sich entweder gegenseitig bedenken (dann spricht man von einem gegenseitigen bzw. reziproken Erbvertrag) oder sie können einem Dritten etwas zuwenden (→ Rn. 265). Möglich ist aber auch ein sog. mehrseitiger Erbvertrag, bei dem drei oder mehr Personen vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen treffen.[6]
2. Erbverträge zugunsten der Beteiligten und zugunsten Dritter
265
Wie bereits angesprochen, können die Beteiligten eines Erbvertrags sowohl einander als auch einem Dritten etwas zuwenden (vgl. auch § 1941 Abs. 2). Im letzteren Fall spricht man von einem „ Erbvertrag zugunsten Dritter“. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Vertrag i.S.d. §§ 328 ff., weil die Beteiligten durch den Erbvertrag keine schuld-, sondern nur erbrechtliche Verpflichtungen begründen und für den Dritten kein eigenes Forderungsrecht begründet wird.[7]
3. Entgeltliche und unentgeltliche Erbverträge
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Der Erbvertrag an sich ist ein abstraktes und unentgeltliches Rechtsgeschäft von Todes wegen.[8] Er kann jedoch mit einem anderen (schuldrechtlichen) Vertrag verbunden werden, in dem der Vertragspartner sich mit dem Rücksicht auf die im Erbvertrag getroffenen Verfügungen zu einer Leistung an den Erblasser verpflichtet (vgl. auch § 2295); dann spricht man von einem sog. „ entgeltlichen Erbvertrag“.[9] Dieser Begriff sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich – trotz Verbindung in einer Urkunde – um zwei separate Verträge handelt, die lediglich in einem besonderen inneren Zusammenhang stehen.[10] Bei dieser Kombination eines Erbvertrags mit einem Leistungsvertrag ergeben sich Probleme, wenn die „Gegenleistung“ nicht oder schlecht erfüllt wird, aufgehoben wird bzw. anderweitig wegfällt oder nicht wirksam entstanden ist.
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