4
Lesen Sie § 1 Abs. 1 OBG und § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW!
Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht überträgt der Polizei und der Ordnungsverwaltung die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren(sog. Gefahrenabwehr).
Diese Aufgabenzuweisung ist für die Ordnungsverwaltung in § 1 Abs. 1 OBG[1] und für die Polizei in § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW[2] geregelt.
Hinweis
Bei der Gefahrenabwehr handelt es sich um eine im Kern staatliche Aufgabe. Das schließt aber nicht aus, dass Private an der Wahrnehmung dieser Aufgaben beteiligt werden. In der Praxis werden Private auch tatsächlich an der Gefahrenabwehr beteiligt, so z.B. im privaten Bewachungs- und Sicherheitsgewerbe.[3] Da diese Beteiligung in der juristischen Ausbildung aber nur eine untergeordnete Rolle spielt, wird sie in diesem Skript nicht näher behandelt.
5
Die Aufgabe der Gefahrenabwehr umfasst vor allem die Abwehr konkreter Gefahren im Einzelfall.
Beispiel
Die zuständige Ordnungsbehörde erhält Kenntnis davon, dass R schadstoffbelastete Kanister im städtischen Badesee versenken will. – Um dies zu verhindern, kann die Behörde gegenüber R tätig werden.
6
Zur Gefahrenabwehr gehört erst recht, bereits eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen. In diesem Falle können die Folgen einer bereits realisierten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung beseitigt werden, wenn von der Störung eine Gefahr (für die Zukunft) ausgeht.
Beispiel
Wie Beispiel oben ( Rn. 5). Allerdings hat R hat die ersten Kanister bereits im Badesee versenkt. – Im Gegensatz zum Beispiel oben ( Rn. 5) hat sich die Gefahr für die öffentliche Sicherheit bereits realisiert. Die Behörde kann hier zur Beseitigung der Folgen der Störung der öffentlichen Sicherheit tätig werden, weil die versenkten Kanister z.B. eine Gefahr für die Gesundheit der Benutzer des Badesees darstellen.
Hinweis
Näher zur Abgrenzung zwischen einer Gefahr und einer Störung s.u. Rn. 275 f.
7
Zur Gefahrenabwehr gehört jedoch auch, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bereits im Vorfeld zu verhindernbzw. die Abwehr künftiger Gefahren vorzubereiten(sog. Gefahrenvorsorge).[4]
Beispiel
Wie Beispiel oben ( Rn. 5). Allerdings weiß die Behörde noch nicht sicher, ob die Kanister des R tatsächlich schadstoffbelastet sind. – Hier kann die Behörde Maßnahmen durchführen, um herauszufinden, ob die Kanister überhaupt schadstoffbelastet sind. Die Behörde wird in diesem Fall bereits im Vorfeld einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit tätig.
8
Die Aufgabe der Gefahrenvorsorge ist Ausfluss des sozialen Rechtsstaatesund verpflichtet den Staat, durch die technische Entwicklung bedingte Gefahren für die Allgemeinheit und den Einzelnen durch Gesetze und durch verwaltungsorganisatorische Maßnahmen zu begrenzen, zu steuern und zu überwachen. Hierzu gehört z.B. der Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen.[5]
9
Speziell zu dem gerade erwähnten Bereich der Gefahrenvorsorge gehört vor allem auch die Aufgabe der Polizei, Straftaten zu verhüten sowie vorbeugend zu bekämpfenund die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen(vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW).
Hinweis
Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten wird vom Bundesverfassungsgericht als Unterfall der Verhütung von Straftaten betrachtet[6] und fällt daher in die Gesetzgebungskompetenz der Länder.
10
Zur Erfüllung der gesetzlich übertragenen Aufgabe der Gefahrenabwehr sind die Polizei und die Ordnungsverwaltung mit Handlungsbefugnissenausgestattet. Das Polizei- und Ordnungsrecht bildet damit die Grundlage der sog. präventivpolizeilichen Tätigkeit.[7] Merken Sie sich daher: Das Polizei- und Ordnungsrecht regelt die Tätigkeit des Staates, die der Gefahrenabwehr dient, und ist damit Gefahrenabwehrrecht.
Hinweis
Unterscheiden Sie im Polizei- und Ordnungsrecht sorgfältig zwischen Aufgaben- und Befugnisnormen: Eine Aufgabennorm beschreibt einen Aufgabenbereich und setzt äußere Grenzen, innerhalb derer die Polizei und die Ordnungsverwaltung tätig werden können. Mit § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW und § 1 Abs. 1 OBG haben Sie Aufgabennormen bereits kennengelernt. Eine Befugnisnorm enthalten demgegenüber die für die Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben erforderlichen Eingriffsermächtigungen zugunsten der Polizei bzw. der Ordnungsverwaltung. Eine Befugnisnorm ist z.B. die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel (§ 8 Abs. 1 PolG NRW bzw. § 14 Abs. 1 OBG).
11
Von der präventivpolizeilichen Tätigkeit ist die sog. repressivpolizeiliche Tätigkeitzu unterscheiden. Diese Tätigkeit besteht in der Ermittlung und Verfolgung von (begangenen) Straftaten und Ordnungswidrigkeitenund unterliegt den Regelungen der Strafprozessordnung und des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Die repressivpolizeiliche Tätigkeit bleibt in diesem Skript außer Betracht.
[1]
Ordnungsbehördengesetz.
[2]
Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen.
[3]
Vgl. hierzu näher Schenke Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 472 ff.
[4]
Vgl. Wehr Examens-Repetitorium Polizeirecht Rn. 10.
[5]
Vgl. zum Ganzen Wolffgang/Hendricks/Merz Polizei- und Ordnungsrecht in Nordrhein-Westfalen Rn. 3.
[6]
Vgl. BVerfGE 113, 348.
[7]
Vgl. Götz/Geis Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht § 1 Rn. 1.
2. Teil Grundlagen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts› B. Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Polizei- und Ordnungsrecht
B. Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Polizei- und Ordnungsrecht
12

[Bild vergrößern]
Das allgemeine Polizei- und Ordnungsrechtnormiert die allgemeinen Regelungen und Grundsätze des Rechts der Gefahrenabwehr. Demgegenüber hält das besondere Polizei- und Ordnungsrechtfür bestimmte Bereiche des Gefahrenabwehrrechts spezialgesetzliche Vorschriftenbereit. Spezialgesetzlich geregelte Bereiche des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts gibt es insbesonderefür das gefahrenabwehrrechtliche Handeln der Ordnungsbehörden. Dazu gehören z.B. das Ausländerrecht, das Bauordnungsrecht, das Bodenschutzrecht, das Gewerberecht, das Gesundheitsschutzrecht, das Gentechnikrecht, das Handwerksrecht, das Immissionsschutzrecht, das Lebensmittelrecht, das Recht der Veranstaltung von Wetten, das Spielbankenrecht, das Straßenverkehrsrecht, das Versammlungsrecht, das Waffen- und Sprengstoffrecht etc.
2. Teil Grundlagen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts› C. Historische Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts
C. Historische Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts
13
Das heute geltende allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht ist das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung. Deren Kenntnis ist unerlässlich für das Verständnis des Systems des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts und wird daher im Folgenden in der gebotenen Kürze nachgezeichnet.[1]
Читать дальше