Die Bringschuld ergibt sich indirekt aus § 269 Abs. 3, nämlich als diejenige Schuldart, bei der der Ort, nach welchem die Versendung zu erfolgen hat, auch der Leistungsort sein soll. Leistungs- und Erfolgsort fallen hier zusammen. Das ist beispielsweise beim Kauf mit Montageverpflichtung anzunehmen, wenn die Sache beim Empfänger montiert werden soll.[32]
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Um § 447 anwenden zu können, genügt die Feststellung, dass sich die Parteien darauf verständigt haben, dass der Käufer die Ware nicht abholen muss, sondern geliefert bekommt, noch nicht. Dann ist erst einmal nur entschieden, dass keine Holschuld vorliegen kann. Es kommen aber noch Bringschuld und Schickschuld (= Versendungskauf) in Betracht, die nun voneinander abgegrenzt werden müssen.
Ob eine Schickschuld i.S.d. § 447 oder eine Bringschuld vereinbart wurde, bedarf meistens der Auslegung, da eine ausdrückliche Vereinbarung zum Leistungsort regelmäßig fehlt. Da die Übernahme der Transportkosten durch den Verkäufer nach § 269 Abs. 3 noch kein Indiz für die Vereinbarung einer Bringschuld ist und § 269 Abs. 1 und Abs. 2 den Leistungsort „im Zweifel“ dem Sitz des Schuldners zuweist, ist bei Versendungsfällen im Zweifel von einer Schickschuld auszugehen.[33]
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Die h.M. interpretiert das Merkmal „Ort“i.S.d. § 447 Abs. 1 als konkrete Lieferadresse und nicht im Sinne „Gebietskörperschaft“, also nach den kommunalen Grenzen. Damit ist § 447 auch bei Versendungen innerhalb einer Gemeinde anwendbar.[34]
Beispiel
V hat seinen Geschäftssitz in Berlin-Friedrichshain. K möchte, dass V ihm die Ware zu sich nach Hause in Berlin-Zehlendorf zusendet.
Die andere Ansicht mag zwar den Wortlaut auch für sich in Anspruch nehmen, führt aber zu unsinnigen Ergebnissen und ist deshalb abzulehnen: Versendet ein Verkäufer einen Gegenstand in ländlicher Gegend, so können die Gemeindegrenzen schon bei einem Transportweg von wenigen Kilometern überschritten werden. Es ist aber nicht einzusehen, warum dieser Verkäufer besser stehen sollte als derjenige, der eine Sache innerhalb einer Großstadt 30 km weit transportieren muss. Das Transportrisiko wird von der Frage, ob die „virtuellen“ Grenzen einer Gebietskörperschaft überquert werden, nicht berührt.
dd) Sonderfall: Absendung außerhalb des Verkäufersitzes
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Es kann vorkommen, dass der Verkäufer die Ware gar nicht bei sich hat, sondern ausgelagerte oder „rollende“, auf dem Antransport befindliche Ware verkauft hat. Denkbar ist auch, dass die verkaufte Ware direkt vom Lieferanten des Verkäufers an den Käufer verschickt werden soll.
Beispiel
V mit Geschäftssitz in Köln soll die Ware dem K nach Berlin (Ablieferungsort) versenden. Die Ware befindet sich im Lager des V in Kassel und wird von dort direkt per Kurier nach Berlin geschickt.
Wenn sich der Käufer mit einer Versendung von einem anderen Ort als dem Sitz des Verkäufers aus (Vereinbarung etwa: „Lieferung ab Lager Kassel“) einverstanden erklärt hat, haben die Parteien den Absendeort einvernehmlich festgelegt und damit einen speziellen Leistungsort i.S.d. § 269 Abs. 1 bestimmt. Die Gefahr geht dann bei Übergabe der Ware an die Transportperson am betreffenden Ort auf den Käufer über. In diesen Fällen fallen Absendeort und Leistungsort in Wahrheit gar nicht auseinander.
Hinweis
Denken Sie immer daran, dass sich der Leistungsort nach § 269 nur „im Zweifel“ am Sitz des Schuldners befindet. Er kann bei abweichender Festlegung auch ganz woanders liegen!
120
Kommt § 447 aber auch dann zur Anwendung, wenn die Versendung von einem anderen Ort als dem Leistungsort erfolgt? Im Beispiel liegt dieser Fall vor, wenn K keine Kenntnis vom Lagerort der Ware hatte und nach der Vereinbarung davon ausgehen konnte, die Lieferung erfolge ab dem Sitz des Verkäufers in Köln.
Die h.M. hält § 447 nur für anwendbar, wenn der Leistungsort Ausgangspunkt der Versendungist. Sie argumentiert, anderenfalls liege in der Versendung gerade keine dem Käufer ersparte Wegstrecke (= Abholung der Sache am Leistungsort) vor.[35] Schließlich hätte der Verkäufer ohne Versendungsvereinbarung die Ware ohnehin zu sich verschaffen müssen. Es erscheint unbillig, das Transportrisiko wegen des Versendungsverlangens nun vollständig auf den Käufer abwälzen zu können. Andere vertreten demgegenüber, § 447 müsse auch in diesen Fällen anwendbar sein, solange nur die Transportgefahr durch die Verschiedenheit von Leistungs- und Absendeort nicht erhöht werde.[36]
JURIQ-Klausurtipp
Beide Ansichten sind gut vertretbar. Für die Auffassung der h.M. spricht, dass sie den Anwendungsbereich des § 447 klarer eingrenzt und dass der Verkäufer den Leistungsort nicht eigenmächtig verlegen kann. Die Gegenauffassung muss sich vorhalten lassen, dass sie mit dem Kriterium der „Gefahrerhöhung“ keine verlässliche Eingrenzung des § 447 erreichen kann.
ee) Auslieferung an Transportperson
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Nach § 447 geht die Gefahr in dem Moment auf den Käufer über, in dem der Verkäufer „die Sache dem Spediteur, dem Frachtführer oder der sonst zur Ausführung der Versendung bestimmten Person oder Anstalt ausgeliefert hat.“
Eine „Auslieferung“ i.S.d. § 447 liegt in dem Moment vor, in dem der Verkäufer alles getan hat, um den erfolgreichen Transport an die Versandadresse zu bewirken:[37] Übergabe der ordnungsgemäß verpackten Ware an den Transporteur, Kennzeichnung der Versandadresse, Zahlung des Beförderungsentgelts, etc.
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Umstritten ist, ob auch eigene Mitarbeiter des Verkäufers bzw. dieser selberTransportperson i.S.d. § 447 sein kann. Dies hätte zur Folge, dass im Versendungskauf auch der eigene Transport mit Mitteln des Verkäufers den frühen Gefahrübergang nach § 447 herbeiführt.
Beispiel
Winzer W hat dem K 10 Kisten Riesling verkauft. K bittet ihn, den Wein an seinen Wohnort zu übersenden. W hat etliche Kunden zu beliefern, die in der Nähe des K wohnen. Er beauftragt deshalb seinen Angestellten A damit, den Transport durchzuführen. Die gesamte Ware geht infolge eines von A nicht verschuldeten Verkehrsunfalls unter. Der Unfallverursacher bleibt unbekannt. Muss K den vereinbarten Kaufpreis entrichten, obwohl er den Wein nicht erhält?
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Im Beispiel ist nun entscheidend, ob der Angestellte A eine „sonst zur Versendung bestimmte Person“ im Sinne des § 477 Abs. 1 ist: Dafür spricht auf den ersten Blick der Wortlaut der Norm, die keinerlei Einschränkung erhält. Zweifel ergeben sich allenfalls aus dem Zusammenhang mit den beispielhaft genannten Transportpersonen. Denn Spediteur und Frachtführer sind gegenüber dem Verkäufer eigenverantwortliche, selbstständige Dritte.
Die wohl h.M. wendet § 447 auf den Transport durch eigene Leute und sogar auch auf den Transport durch den Verkäufer persönlichan.[38] Der Verkäufer verdiene das mit dem frühen Gefahrübergang verbundene Privileg auch dann, wenn er den Versand selber übernehme. Schließlich dürfe er wegen seiner freiwilligen und häufig auch sicheren Vorgehensweise nicht benachteiligt werden. Außerdem bestehe kein wesentlicher Wertungsunterschied, da in allen Fällen entscheidend sei, dass der Verkäufer dem Käufer entgegenkomme und ihm die Abholung der Sache erspare.
Die Gegenansicht beruft sich auf den Wortlaut und darauf, die Rechtfertigung für den frühen Gefahrübergang sei vor allem in der Tatsache zu sehen, dass der Transport außerhalb des Herrschaftsbereichs des Verkäufers erfolge. Führe der Verkäufer den Transport selbst oder mit eigenen Leuten durch, sei die Sache aber weiterhin in seiner Obhut und seinem Herrschaftsbereich, so dass er des Schutzes durch § 447 nicht bedürfe.[39]
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