Prägen Sie sich ein, dass eine Baugenehmigung nicht wegen entgegenstehender privater Rechte versagt werden kann.[6] Privatrechtliche Rechtsvorschriften gehören nicht zum Prüfungsgegenstand des öffentlich-rechtlich determinierten bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahrens.
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Lediglich in Fällen, in denen von vornherein feststeht, dass ein Bauvorhaben wegen offensichtlich entgegenstehender privatrechtlicher Gründe unter keinen Umständen ausgeführt werden kann, darf die Bauaufsichtsbehörde einen Bauantrag wegen fehlenden Sachbescheidungsinteressesablehnen.[7]
Beispiel
Wenn der bekannte Stadtstreicher A sich einen Scherz dahingehend erlaubt, dass er für das Villengrundstück des Großindustriellen B einen Bauantrag für ein Wohnhaus stellt, und dieser Sachverhalt offensichtlich ist, darf die Bauaufsichtsbehörde ausnahmsweise die Durchführung eines bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahrens ablehnen, da offenkundig ist, dass A keine private Berechtigung hat, ein Gebäude auf dem Grundstück des B zu errichten. Es fehlt dann am Sachbescheidungsinteresse für ein Baugenehmigungsverfahren des A.
4. Zusammenhänge zwischen Bauplanungs- und Bauordnungsrecht
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Anders als privates und öffentliches Baurecht können Bauplanungsrecht und Bauordnungsrecht nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die Grenzen zwischen Bauplanungsrecht und Bauordnungsrecht sind fließend. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist wiederum die Bestimmung des Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO, wonach die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn sie nicht öffentlich-rechtlichen Bestimmungen widerspricht, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Unter diesen Begriff des öffentlichen Rechts lassen sich nicht nur Bestimmungen der BayBO fassen, sondern insbesondere auch solche des Bauplanungsrechts. Art. 59 S. 1 Nr. 1 und Art. 60 S. 1 Nr. 1 BayBO bestätigen diese Überlegung. Unabhängig von der Art der zu errichtenden Anlage ist stets im Genehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den bauplanungsrechtlichen Vorschriftender §§ 29–38 BauGB zu untersuchen. Art. 60 S. 1 Nr. 2 BayBO bestimmt darüber hinaus, dass weiterer Prüfungsgegenstand bei Vorliegen eines Sonderbaus (Art. 2 Abs. 4 BayBO) die Vereinbarkeit mit Normen der BayBO ist. Bei Vorhaben, die nicht dem Art. 2 Abs. 4 BayBO (Sonderbau) unterfallen, ist die Prüfung der BayBO hingegen eingeschränkt. Geprüft werden hier nur die Vorschriften über das Abstandsflächenrecht (Art. 6 BayBO), örtliche Bauvorschriften (Art. 81 Abs. 1 BayBO und Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 BayBO (Art. 59 S. 1 Nr. 1b, 1c, Nr. 2).
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Bauplanungs- und Bauordnungsrecht durchaus materiell-rechtliche Schnittstellen aufweisen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO, Art. 59, 60 BayBO) und auch verfahrensrechtlich verknüpft sind.[8]
Beispiel
Wenn Bauträger A ein Hochhaus (vgl. Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 BayBO) im Innenbereich der Gemeinde B errichten will, beurteilt sich dessen bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 bzw. 2 BauGB. Es ist bauplanungsrechtlich insoweit die Frage zu stellen, ob sich das Hochhaus in seine nähere Umgebung „einfügt“. Ob das Hochhaus die Abstandsflächen zum Nachbargrundstück einhalten kann, ist dagegen eine objektbezogene Frage an das Einzelbauvorhaben. Diese Frage der Abstandsflächen ist bauordnungsrechtlich über die Bestimmung in Art. 6 BayBO zu beantworten. Wegen Art. 60 S. 1 Nr. 1 (Prüfung der Vereinbarkeit mit § 34 BauGB) bzw. Art. 60 S. 1 Nr. 2 BayBO (Vereinbarkeit mit Art. 6 BayBO), Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 BayBO (Hochhaus), darf die Bauaufsichtsbehörde die Genehmigung für das Hochhaus nur dann erteilen, wenn das Vorhaben kumulativ die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen aus BauGB und BayBO einhält.
Hinweis
Beachten Sie aber an dieser Stelle bereits, dass die bauliche Tätigkeit nicht ausschließlich durch das Bauplanungsrecht des BauGB und das Bauordnungsrecht der BayBO geregelt wird, sondern dass auch eine Vielzahl anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften relevant werden kann. Dies können beispielsweise Vorschriften aus dem Bereich des Naturschutzrechts, Wasserrechts, Denkmalschutzrechts oder auch des Glücksspielrechts sein. Letztlich ist dies abhängig von der Art des zu verwirklichenden Vorhabens (vgl. Art. 59 S. 1 Nr. 3 bzw. Art. 60 S. 1 Nr. 3 BayBO; näheres dazu später) und seiner Umgebung.
[1]
Brenner Öffentliches Baurecht S. 2 Rn. 5.
[2]
Brenner Öffentliches Baurecht S. 3 Rn. 8.
[3]
Dürr/König Baurecht Bayern S. 16 Rn. 3.
[4]
Brenner Öffentliches Baurecht S. 4 Rn. 15.
[5]
Ziegler/Tremel Nr. 63.
[6]
BayVGH BayVBl. 1966, S. 351 ff.
[7]
BVerwGE 42, 115; BVerwGE 20, 124.
[8]
Brenner Öffentliches Baurecht S. 5 Rn. 16.
1. Teil Grundlagen und Grundbegriffe› B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das öffentliche Baurecht
B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das öffentliche Baurecht
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Die bauliche Tätigkeit wird maßgeblich durch verfassungsrechtliche Vorgaben beeinflusst. Zu nennen sind hier die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG sowie die in Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV verfassungsrechtlich abgesicherte gemeindliche Planungshoheit.
1. Teil Grundlagen und Grundbegriffe› B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das öffentliche Baurecht› I. Eigentumsgarantie und Baufreiheit
I. Eigentumsgarantie und Baufreiheit
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Der verfassungsrechtlichen Garantie des Eigentums kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch die eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen.[1] Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schafft damit eine grundsätzliche Herrschafts- und Nutzungsbefugnis des Eigentümers über sein Grundstück.
Bestandteil dieser durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten Eigentumsgarantie ist die Baufreiheit. Zum Inhalt des Eigentums gehört das Recht, den Boden zu nutzen und Erträge aus dem Grundeigentum zu ziehen.[2]
Die bauliche Nutzbarkeit eines Grundstücks ist damit wesentlicher Bestandteil des Eigentums.[3]
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Für den Grundstückseigentümer bestimmen nun die Normen des öffentlichen Baurechts Inhalt und Schrankenseines Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.[4] Die das Eigentum beschränkenden Normen des Baurechts sind dabei wiederum im Lichte des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auszulegen.
Die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie äußert sich insbesondere in den nachfolgenden baurechtlichen Regelungsbereichen:[5]
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Gebundener gesetzlicher Anspruchauf Erteilung einer Baugenehmigung in Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO. |
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Bestandsschutzin der Gestalt, dass eine bisher gesetzeskonforme Nutzung auch nach einer dem Bauherrn nachteiligen Rechtsänderung unverändert fortgesetzt werden kann. |
• |
Entschädigungsregelungenin den §§ 39 ff. BauGB. |
Bei einem Bauherrn, der nicht Eigentümer ist (vgl. gesetzlicher Wortlaut in Art. 50 BayBO), findet die Baufreiheit als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ihre Grenzen ebenfalls in den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Baurechts.[6]
1. Teil Grundlagen und Grundbegriffe› B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das öffentliche Baurecht› II. Planungshoheit der Gemeinde (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV)
II. Planungshoheit der Gemeinde (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV)
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