Beispiel
Stellen Sie bei Überprüfung eines Bebauungsplanes fest, dass aus der Darstellung „Grünfläche-Landwirtschaft“ im Flächennutzungsplan nachfolgend ein Bebauungsplan erlassen wurde, der ein „Allgemeines Wohngebiet“ nach § 4 BauNVO schafft, so ist dieser Verstoß gegen das Entwicklungsgebot in § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB grundsätzlich unbeachtlich. Allerdings gilt es hierbei die bloße relative Unbeachtlichkeit zu beachten. Mit der Formulierung „ohne dass“ schafft der Gesetzgeber hier eine mögliche Rückkehr zur Beachtlichkeit des Fehlers, wenn die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt worden ist. Aufgrund der gravierenden Abweichung zwischen den jeweiligen Aussagen in Flächennutzungsplan und Bebauungsplan ist dies hier der Fall. Damit liegt ein ausnahmsweise beachtlicher Fehler im Bereich des Entwicklungsgebotes nach § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB vor.
Beispiel
Verstößt der Bebauungsplan gegen die Anpassungspflicht an die Zielvorgaben der Raumordnung, § 1 Abs. 4 BauGB, oder ist der Bebauungsplan als reine Negativplanung nach § 1 Abs. 3 BauGB schon gar nicht städtebaulich erforderlich, so sind diese materiellen Verstöße in § 214 Abs. 2 BauGB nicht genannt. Damit sind sie im Gegenschluss immer beachtlich.
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§ 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB und 214 Abs. 3 BauGBbetrifft die Relevanz von Abwägungsmängeln.Dabei geht das Gesetz davon aus, dass Mängel im Abwägungsergebnis(insbesondere Abwägungsdisproportionalität, die sich im Abwägungsergebnis niederschlägt) stets beachtlichsind. Eine grundsätzliche Unbeachtlichkeit ist nur für Mängel im Abwägungsvorgangdenkbar, soweit diese nicht offensichtlich und für das Abwägungsergebnis ohne Einfluss sind.
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Ausgehend vom Wortlaut des § 2 Abs. 3 BauGB empfiehlt es sich, die Abwägungsfehler Ausfall, Defizit und Fehleinschätzung(fehlerhafte Bewertung des Abwägungsmaterials) als Fehler zu begreifen, die von § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGBerfasst werden. Diese sind nach der oben dargestellten Grundsystematik des § 214 Abs. 1 BauGB grundsätzlich unbeachtlich, es sei denn, der Mangel ist offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen.
Offensichtlichin diesem Sinne sind etwa Mängel, die sich aus Akten, Protokollen oder aus der Begründung des Bebauungsplans, also aus objektiv feststellbaren Umständen positivergeben. Kann hingegen nach den Unterlagen nur negativ nicht ausgeschlossen werden, dass die Gemeinde sich mit einem abwägungsrelevanten Punkt nicht befasst hat, so darf allein aus diesem Grund noch nicht von einem offensichtlichen Mangel ausgegangen werden.[6]
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Ein Einfluss auf das Abwägungsergebniswird dann angenommen, wenn die Planung ohne den Abwägungsfehler anders ausgefallen wäre.[7] § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB normiert nun für diese von § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erfassten Abwägungsmängel, dass diese nicht als Mangel der Abwägung geltend gemacht werden können. Damit meint das Gesetz, dass die von §§ 2 Abs. 3, 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erfassten Fehler ausschließlich formelle Fehler des Abwägungsvorgangs darstellen und nicht als materielle Fehler im Abwägungsergebnis nach § 1 Abs. 7 BauGB begriffen werden können und dürfen.
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Sofern man die Mängel Ausfall, Defizit und Fehleinschätzungdem Abwägungsvorgang zurechnet (vgl. § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) und die Abwägungsdisproportionalitätdem Ergebnis zuschlägt, bleibt nun allerdings für §§ 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 und § 215 Abs. 1 Nr. 3 BauGB kein eigenständiger Inhalt. Der Gesetzgeber geht demnach davon aus, dass es über die von §§ 2 Abs. 3, 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erfassten formellen Fehler Fehler im Abwägungsvorgang geben muss, die unter § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB fallen.
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Um §§ 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 und § 215 Abs. 1 Nr. 3 BauGB nicht sinnentleert stehen zu lassen, empfiehlt es sich, die als Abwägungsfehler verbleibende Abwägungsdisproportionalitätsowohl unter dem Blickwinkel des Vorgangs und des Ergebnisses zu würdigen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat immer wieder festgestellt, dass die angenommenen Abwägungsfehler sich sowohl an den Vorgang wie auch an das Ergebnis richten.[8] Dazu ist die Frage aufzuwerfen, ob das vorliegende Ergebnis der Bauleitplanung mit einer ordnungsgemäßen Abwägung so begründbar wäre. Ist dies der Fall, liegt nur ein Mangel im Abwägungsvorgang (§ 214 Abs. 3 S. 2 BauGB) vor; ist hingegen das Ergebnis der Bauleitplanung irreparabel fehlerhaft, liegt ein Mangel im Abwägungsergebnisvor, der als solcher stets beachtlich ist, da § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB überhaupt nur Fehler im Abwägungsvorgangfür einer Unbeachtlichkeit zugänglich erachtet.
4. Unbeachtlichkeit durch Zeitablauf
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§ 215 Abs. 1 , 2 BauGBbestimmt, welche nach § 214 BauGB grundsätzlich beachtlichen Fehler durch Zeitablaufihre Beachtlichkeit verlieren. Die Frist wurde mittlerweile in Anpassung an § 47 Abs. 1 und 2 VwGO auf ein Jahr verkürzt. Hier gilt es insbesondere zu berücksichtigen, dass § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB für die Fehler des § 214 Abs. 1 Nr. 4 BauGB keine Geltung beansprucht, d.h. diese bleiben stets relevant.
Darüber hinaus gilt § 215 Abs. 1 Nr. 3 BauGB nur noch für Mängel im Abwägungsvorgang, wobei nach der hier vertretenen Auffassung bereits § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB die Mängel Abwägungsausfall, -defizit, und -fehleinschätzungregelt. Einheitlich wird jetzt für alle von § 215 BauGB erfassten Fälle eine Unbeachtlichkeitsfristvon einem Jahr gesetzt.
§ 215 Abs. 1 BauGB steht unter dem Vorbehalt des § 215 Abs. 2 BauGB. Eine Irrelevanz kann sich demnach durch Zeitablauf nurergeben, wenn der entsprechende Hinweis seitens der Gemeinde erfolgt ist.
Eine fristgerechte Rüge nach § 215 Abs. 2 BauGB hat Wirkung inter omnes[9]. Allerdings muss die Rüge so gefasst sein, dass sie der Gemeinde Gelegenheit gibt, den Fehler zu beheben.[10] Mit der fristgerechten Rüge bleibt der Fehler generell beachtlich. In einem eventuellen Normenkontrollverfahren ist es damit nicht ausschlaggebend, dass der Rechtsbehelfsführer selbst die Rüge nach § 215 Abs. 1 BauGB erhoben hat.
5. Ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB
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§ 214 Abs. 4 BauGBbestimmt, dass nach den §§ 214, 215 BauGB beachtliche Mängel dann nicht zur Nichtigkeit führen, wenn sie in einem ergänzenden Verfahrenbehoben werden können. Das ergänzende Verfahren kommt nach der Neufassung des BauGB grundsätzlich bei jedem Fehlerin Betracht, bei dem eine Behebung nicht von vornherein ausgeschlossen scheint. Ausgenommen sind Abwägungsentscheidungen, die den Kern der Abwägungsentscheidung berühren (es ist die Frage aufzuwerfen, ob das vorliegende Ergebnis auch nicht in einem ordnungsgemäßen Verfahren so begründbar wäre).[11] Weitere Ewigkeitsfehlersind der Verstoß gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz (§ 1 Abs. 3 BauGB), gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Fehlen jeglicher oder der Überschreitung einer Rechtsgrundlage.[12] Ausgehend vom Wortlaut des § 214 Abs. 4 BauGB („ergänzen“) erlaubt ein nachträgliches Verfahren nur punktuelle Nachbesserungenbei im Wesentlichen gleichem Planinhalt. Führt das ergänzende Verfahren zu einem gänzlich anderen Planinhalt, verlässt man den Anwendungsbereich von § 214 Abs. 4 BauGB. Bei schwerwiegenden Fehlern, die das Abwägungsergebnis betreffen, ist daher eine Heilung begrifflich ausgeschlossen.
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