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Entwickeln im Sinne von § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB bedeutet dabei keine sklavische Umsetzung der Darstellungen des Flächennutzungsplanes.[23] Dies wäre auch oftmals kaum möglich, da der Flächennutzungsplan nur eine grobmaschige Darstellung der beabsichtigten Bauleitplanung in Grundzügen enthält. Der Bebauungsplan ist dessen Überführung in eine höhere Konkretisierungsstufe (Parzellenschärfe). Folglich beachtet ein Bebauungsplan das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB, wenn er die im Flächennutzungsplan angelegte Grundordnung wahrt und diese lediglich inhaltlich näher ausgestaltet.[24] Die Grundkonzeption, die im Flächennutzungsplan geschaffen wurde, ist im Bebauungsplan fortzusetzen. Damit kommt es letztlich auf den jeweiligen Abweichungsgrad von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan an. Löst sich der Bebauungsplan vollständig von den Darstellungen im Flächennutzungsplan, so liegt ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB vor.
Beispiel
Weist der Flächennutzungsplan die Darstellung „Wohnbaufläche“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 BauNVO) auf, und der Bebauungsplan inkorporiert nachfolgend die Festsetzung „Fläche für die Landwirtschaft“ (§ 9 Abs. 1 Nr. 18a BauGB), so ist diese Abweichung in den Planaussagen wesentlich; es liegt eine Verletzung des Entwicklungsgebots in § 8 Abs. 2 BauGB vor. Anders wäre es, wenn der Bebauungsplan in der obigen Konstellation eine Festsetzung eines Allgemeinen Wohngebiets inklusive Kinderspielplatz (§ 4 BauNVO) vorsehen würde. Hier wird die im Flächennutzungsplan angelegte Grundordnung in Fortführung des Bebauungsplans gewahrt. Die zusätzliche Aufnahme eines Kinderspielplatzes ist wohngebietstypisch und damit Folge des zwangsläufig höheren Konkretisierungsgrades des Bebauungsplanes.
2. Teil Kommunale Bauleitplanung› F. Materiell-rechtliche Vorgaben an die Bauleitplanung› VI. Abwägungsgebot, § 1 Abs. 7 BauGB
VI. Abwägungsgebot, § 1 Abs. 7 BauGB
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Die Bestimmung des § 1 Abs. 7 BauGB ist die zentrale materiell-rechtliche Vorgabe für die gemeindliche Bauleitplanung. Nach § 1 Abs. 7 BauGB hat sich die gemeindliche planerische Willensbildung in der Weise zu vollziehen, dass die Gemeinde nach Ermittlung und Bewertung/Gewichtung der für das Plangebiet erheblichen öffentlichen und privaten Belange (formelle Anforderung an das Verfahren nach § 2 Abs. 3 BauGB) diese Belange bei der Aufstellung der Bauleitpläne gemäß § 1 Abs. 7 BauGB gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen hat.
JURIQ-Klausurtipp
Prägen Sie sich an dieser Stelle bereits ein, dass das BauGB mittlerweile zwei Bestimmungen enthält, die sich mit dem Vorgang und dem Ergebnis der Abwägung beschäftigen. § 2 Abs. 3 BauGB erfasst dabei als formelle Vorschrift den Vorgang der Ermittlung und Bewertung der abwägungsrelevanten Tatsachen. § 1 Abs. 7 BauGB verlangt als materielle Vorgabe an die Bauleitplanung den gerechten Ausgleich der Belange untereinander. Daher müssen Sie in Klausuren daran denken, dass Ihnen das Abwägungsgebot sowohl auf der formellen wie der materiellen Seite begegnen kann.
2. Die vier zeitlichen Phasen der Abwägung
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Die Abwägungsentscheidung der Gemeinde vollzieht sich dabei in vier Phasen.[25]
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In der ersten Phasehat die Gemeinde die Belange zu ermitteln und das relevante Abwägungsmaterial zusammenzustellen. Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung, die Planauslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB sowie die Beteiligung der Behörden und der sonstigen Träger öffentlicher Belange dienen der Gemeinde, um das relevante Abwägungsmaterial vollständig zu ermitteln. Dieser Vorgang der Ermittlung der abwägungserheblichen Belange wird unstreitig von § 2 Abs. 3 BauGB erfasst und stellt damit ein formales Erfordernis an die Bauleitplanungdar.[26]
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Die zweite Phaseder Abwägung ist der Einstellung der Belange gewidmet. „Einstellen“ bedeutet dabei die (vollständige) Einbeziehung der konkret abwägungserheblichen gegenwärtigen und zukünftigen Belange in die Entscheidung und ihre Berücksichtigung im Rahmen der zu treffenden Entscheidung. Auch diese zweite Phase der Einstellung der Belange wird von § 2 Abs. 3 BauGB erfasst, da eine ordnungsgemäße Abwägung nicht nur die vollständige Ermittlung der abwägungserheblichen Belange verlangt, sondern auch deren weitere Berücksichtigung im Verfahren. Die Einstellung der Belange in die Entscheidung ist damit notwendige Vorstufe zur Bewertung der einzelnen Belange und zur Vornahme eines gerechten Ausgleichs der Belange untereinander. Als von § 2 Abs. 3 BauGB erfasst, gehört die (vollständige) Einstellung des Abwägungsmaterials in die Entscheidung als verfahrensrechtlicher Vorgangzu den formellen Anforderungen an die Bauleitplanung.[27]
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Die dritte Phasebetrifft den Bewertungsvorgang der abwägungserheblichen Belange. Die Gemeinde hat den objektiven Inhalt der Belange zu bestimmen und die einzelnen Belange zu gewichten. Dabei muss jedem konkret betroffenen Belang das ihm bei der Entscheidung zukommende tatsächliche Gewicht beigemessen werden. Ausgehend vom Wortlaut von § 2 Abs. 3 BauGB, der neben der Ermittlung auch vom Bewerten des Abwägungsmaterials spricht, wird auch diese dritte Phase der formellen Seite der Bauleitplanung zugerechnet. Dies ist insofern sachgerecht, als auch die Bewertung der einzelnen Belange nicht den von § 1 Abs. 7 BauGB verlangten Ausgleich der Belange untereinander betrifft, sondern ähnlich der Ermittlung das Verfahren vor der eigentlichen Abwägungsentscheidung betrifft. Verlangt wird von § 2 Abs. 3 BauGB insoweit die verfahrensrechtlichzutreffende Bewertung des einzelnen Belanges.
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Die vierte Phaseschließlich beschäftigt sich mit der Frage des Ausgleichs der einzelnen Belange untereinander. Die Gemeinde hat konkret zu klären, welchen Belangen sie in der konkreten Situation den Vorrang einräumt. Dies ist der eigentliche Kern der Abwägungsentscheidung, wie er in § 1 Abs. 7 BauGB angesprochen wird. Wesen der Abwägungsentscheidung ist es insoweit, dass sofern die Gemeinde einzelnen Belangen den Vorrang zuerkennt, andere Belange zwangläufig zurücktreten. Da diese vierte Phase den inhaltlichen Ausgleich der verschiedenen Belange betrifft, ist die Vorgabe in § 1 Abs. 7 BauGB der materiellen Seite der Bauleitplanungzuzurechnen.[28]
3. Abwägungsfehlerlehre des Bundesverwaltungsgerichts
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Das Bundesverwaltungsgericht verlangt für eine Beachtung des Gebots gerechter Abwägung,
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dass überhaupt eine Abwägung stattfindet, |
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dass im Rahmen dieser Abwägung diejenigen Belange berücksichtigt werden, die von der Planung berührt sein können, |
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dass die Bedeutung der betroffenen Belange nicht verkannt wird und |
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dass der Ausgleich zwischen den betroffenen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die nicht außer Verhältnis zur objektiven Bedeutung der betroffenen Belange steht.[29] |
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Diese Grundsätze richten sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts sowohl an den Abwägungsvorgangwie auch an das Abwägungsergebnis.[30] Mängel der Abwägung können daher zum einen den Vorgang der Ermittlung der abwägungserheblichen Belange betreffen, als auch den Bauleitplan als Ergebnis der unterschiedlichen Gewichtung der Belange untereinander. Dem tragen auch die beiden abwägungsrelevanten Bestimmungen in § 2 Abs. 3 BauGB einerseits und § 1 Abs. 7 BauGB andererseits Rechnung. Auch in § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB wird im Übrigen zwischen Mängeln im Abwägungsergebnisund im Abwägungsvorgangunterschieden.[31]
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