JURIQ-Klausurtipp
Prägen Sie sich ein, dass der nicht abschließende Katalog der Planungsleitlinien in § 1 Abs. 6 BauGB keine Wertung und keinen Vorrang einzelner dort genannter Belange enthält. Die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange stehen grundsätzlich gleichrangig nebeneinander, was es aber nicht ausschließt, dass die Gemeinde innerhalb der konkret zu treffenden Abwägungsentscheidung einzelnen in § 1 Abs. 6 BauGB angesprochenen Belangen den Vorrang vor anderen Belangen einräumt, so dass letztere zwangsläufig zurücktreten müssen. Gerade dies ist letztlich Wesen der Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB. Merken Sie sich an dieser Stelle die gedankliche Verbindung von § 1 Abs. 6 und § 1 Abs. 7 BauGB. In der Klausur ist die Beachtung der planerischen Leitlinien deshalb auch sachgerecht unter dem Gesichtspunkt der Abwägungsentscheidung in § 1 Abs. 7 BauGB anzusprechen. Die Entscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB konkretisiert die abstrakten Vorgaben für die Planung aus § 1 Abs. 5 und 6 BauGB.
Die die Planungsziele und Planungsleitlinien bezeichnenden Begriffe sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die im Rahmen der Kontrolle des Abwägungsvorgangs der Gemeinde nach § 2 Abs. 3, § 1 Abs. 7 BauGB in ihrer Auslegung und Anwendung uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolleunterliegen.[15]
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Wesentliche Aspektein § 1 Abs. 6 BauGB sind insbesondere die Wahrung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse (Nr. 1). Dies bedeutet, dass die Gemeinde bei Ausweisung von Wohngebieten (§§ 3, 4 BauNVO) darauf zu achten hat, dass diese künftigen Wohngebäude ausreichend belüftet und belichtet werden. Auch ist darauf zu achten, dass die beabsichtigte Wohnnutzung keinen schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG ausgesetzt wird.
Daneben bestimmen § 1 Abs. 6 Nr. 7 und § 1a BauGB, dass den Belangen des Umweltschutzes, des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der zu treffenden Abwägungsentscheidung ein erhebliches Gewicht zukommt. Allerdings führt die besonders hervorgehobene Stellung der Umweltschutzbelange in §§ 1a, 2 Abs. 4, 2a S. 2 Nr. 2, 4c BauGB nicht zwangsläufig dazu, dass Umweltschutzbelangen ein absoluter Vorrang vor anderen betroffenen Belangen geschuldet ist. Auch Umweltschutzbelange sind dem Grunde nach einer abwägenden Entscheidung zugänglich und sind damit auch dem Grunde nach überwindbar.[16]
Mit der Aufnahme der Belange des Hochwasserschutzes (§ 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB) hat der Gesetzgeber auf die Flutkatastrophen der letzten Jahre reagiert, um sicherzustellen, dass entsprechende Rückhalteflächen auch im Rahmen der Bauleitplanung zur Verfügung gestellt werden.
Hinweis
Ziehen Sie an dieser Stelle eine gedankliche Verbindung zu § 78 Abs. 1 Nr. 1 WHG und § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB, wonach grundsätzlich keine Baugebiete in festgesetzten Überschwemmungsgebieten ausgewiesen werden dürfen (unüberwindbares rechtliches Hindernis).
2. Teil Kommunale Bauleitplanung› F. Materiell-rechtliche Vorgaben an die Bauleitplanung› IV. Interkommunale Abstimmungspflicht, § 2 Abs. 2 BauGB
IV. Interkommunale Abstimmungspflicht, § 2 Abs. 2 BauGB
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§ 2 Abs. 2 BauGB verpflichtet die planende Gemeinde zur Abstimmung ihrer Bauleitplanung mit den Belangen der Nachbargemeinden. Nicht erforderlich ist dabei für den Begriff der Nachbargemeinde, dass diese mit ihrem Gebiet unmittelbar an das Gebiet der planenden Gemeinde angrenzt.[17] § 2 Abs. 2 BauGB enthält dabei das materielle Gebot interkommunaler Abstimmung.[18] Die Berücksichtigung beachtlicher Interessen der Nachbargemeinde hat dabei im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung (§ 1 Abs. 7 BauGB) zu erfolgen.[19]
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Beachten Sie an dieser Stelle die gedankliche Verknüpfung von materieller interkommunaler Abstimmung nach § 2 Abs. 2 BauGB und der Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB. Liegen beachtliche Auswirkungen der Bauleitplanung auf das Gebiet einer Nachbargemeinde vor, so ist deren Nichtberücksichtigung im Rahmen der Abwägung nach §§ 2 Abs. 3 bzw. 1 Abs. 7 BauGB anzusprechen.
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Formell wird das Abstimmungsgebot über die gesetzliche Bestimmung des § 4 Abs. 1, 4 Abs. 2 BauGB sichergestellt. Die möglicherweise von der Bauleitplanung betroffene Nachbargemeinde ist ein Träger öffentlicher Belange im Sinne von § 4 BauGB.[20]
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Beachten Sie daher, dass Sie, wenn eine planbetroffene Nachbargemeinde nicht am Bauleitplanverfahren beteiligt wird, sowohl einen Verstoß gegen die Bestimmung in § 4 Abs. 1 und 2 BauGB (formelle interkommunale Abstimmung) als auch das materielle Gebot interkommunaler Abstimmung aus § 2 Abs. 2 BauGB zu würdigen haben. Daneben ist auch an einen eventuell beachtlichen Abwägungsfehler zu denken.
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Das interkommunale Abstimmungsgebot in § 2 Abs. 2 BauGB ist nach der Rechtsprechung bereits dann verletzt, wenn eine Bauleitplanung gewichtige negative Auswirkungen auf die Nachbargemeinde hat. Eine konkrete Planung ist hierfür nicht Voraussetzung.[21]
Beispiel
Die planende Gemeinde A beabsichtigt die Ausweisung eines neuen Gewerbegebiets an ihrem Ortsrand. Unmittelbar angrenzend hat die Gemeinde B seit längerem ein Sondergebiet (§ 11 BauNVO) für einen Kurpark mit Kurklinik ausgewiesen. Hier muss es sich der planenden Gemeinde aufdrängen, die Nachbargemeinde nach § 4 BauGB am Verfahren zu beteiligen. Daneben muss über § 2 Abs. 2 BauGB ein Ausgleich der gleichgewichtigen örtlichen Planungen angestrebt werden. Dieser dürfte jedoch aufgrund der Unterschiedlichkeit und Unverträglichkeit der konkurrierenden Nutzungen ausgeschlossen sein.
Nach § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB kann sich die Nachbargemeinde auch auf ihr durch Ziele der Raumordnung zugewiesene Funktionen sowie auf Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche berufen. Letztere Konstellation spielt insbesondere bei der Ansiedlung von Factory-Outlet-Centern eine Rolle, die in den umliegenden Gemeinden zu einem nennenswerten Abzug der Kaufkraft führen.
Hinweis
Gestützt auf die Verletzung von § 2 Abs. 2 BauGB kann die Nachbargemeinde gegen die Zulassung eines Einzelbauvorhabens auf der Grundlage eines nicht abgestimmten Bebauungsplans vorgehen. § 2 Abs. 2 BauGB stellt insoweit eine die Nachbargemeinde schützende Norm des materiellen Rechts dar. Gegen den nicht abgestimmten Bebauungsplan bleibt der Nachbargemeinde die Möglichkeit der prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes kann die Nachbargemeinde Rechtsschutz im Rahmen einer vorbeugenden Unterlassungsklage gegen die Fortführung der Bauleitplanung erheben. Diese Möglichkeit wird der Nachbargemeinde eröffnet, weil es ihr nicht zumutbar ist, gegen Einzelbaugenehmigungen, die vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes auf der Grundlage von § 33 BauGB ergehen, jeweils im Klagewege (Anfechtungsklage) vorzugehen.[22]
2. Teil Kommunale Bauleitplanung› F. Materiell-rechtliche Vorgaben an die Bauleitplanung› V. Entwicklungsgebot, § 8 Abs. 2 BauGB
V. Entwicklungsgebot, § 8 Abs. 2 BauGB
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§ 8 Abs. 2 S. 1 BauGB schafft den Grundsatz, dass Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln sind. In dieser Bestimmung wird nochmals die Zweistufigkeit der Bauleitplanung (vgl. § 1 Abs. 2 BauGB) deutlich.
Zwangsläufig ist das Entwicklungsgebot nach § 8 Abs. 2 S. 2 BauGB nicht zu beachten, wenn ein Bebauungsplan ausreicht, um die städtebauliche Entwicklung zu ordnen.
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