2. Der Relativsatz als Umschreibung der „Rechtsgutsbeeinträchtigung“
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Ausgehend von der Prämisse, dass der Bankrott den Vermögensdelikten zuzuordnen sei und das Vermögen der Konkursgläubiger oder ihre Befriedigungsinteressen schütze, stellten sich die Autoren in einem zweiten Schritt die Frage, worin nun der Angriff durch den Bankrotteur auf dieses Rechtsgut liege.[163] Hierbei waren die Autoren der Ansicht, dass dem Relativsatz bei der Bestimmung des Unrechts entscheidende Bedeutung zukomme.[164] Die Elemente der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung kennzeichneten gerade den „Vermögensverfall“, also den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners, weshalb die „Rechtsgutsbeeinträchtigung“ gerade in diesem Umstand „ zu Tage trete “.[165] Erst, wenn entweder eine Befriedigung der Gläubiger wegen Forderungsausfalls gänzlich unterbleibt (wegen ZE) oder aber die Gläubiger eine quotale Befriedigung hinnehmen müssen (nach einer Entscheidung des Gerichts im Konkursverfahren), sei „dieses“ Rechtsgut betroffen.[166] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung besäßen mithin „rechtsgutsumschreibende Funktion“, der Eintritt des Bankrotts mache aus einer Handlung erst eine Bankrott handlung.[167] Die Bankrotthandlung sei für sich genommen eine bloße Einwirkung auf den eigenen Vermögensstand, die ohne Eintritt des „Falliments“ straflos bleibe.[168] Für den Schutzzweck der Norm sei „die Herrschaftsbeziehung des Verletzten zu seinem Rechtsgute entscheidend, das durch die vom Täter ausgehende normwidrige Handlung angegriffen wird, welches bei den Konkursverbrechen erst durch die Zahlungseinstellung ins Dasein berufen wird“.[169] Die Konkurseröffnung bzw. Zahlungseinstellung verhalte sich daher zum Rechtsgut und dessen Subjekt wie „die Ursache zur Wirkung“.[170] Insofern folgte das Schrifttum den Ausführungen des Reichsgerichts. Die Merkmale der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien daher den „Tatbestandsmerkmalen“ zuzuordnen.[171] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien ein „objektives Merkmal bzw. Element der tatbestandsmäßigen Handlung “[172], eine Art „Erfolg“[173] oder ein besonderes persönliches Tätermerkmal.[174] Unabhängig davon, dass dem Relativsatz kein genauer Platz innerhalb des Tatbestandes zugewiesen werden konnte, spreche nach Ansicht der Vertreter jedenfalls der Sinn und Zweck der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung für eine Einordnung als gesetzliches Tatbestandsmerkmal, wegen der Nähe dieser Merkmale zum geschützten Rechtsgut.[175]
3. Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und „Rechtsgutsbeeinträchtigung“?
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Letztlich war offen, was nun das Verhalten des Täters mit der „Rechtsgutsbeeinträchtigung“, also der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung, „zu tun haben“ musste.[176] Sieht man in den Merkmalen der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung die Rechtsgutsbeeinträchtigung in Form der Schädigung oder Gefährdung des Vermögens der Gläubiger, ihrer Rechte oder ihrer Interessen, dann liegt die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen Handlung und Konkurs nahe. Wenn gerade die Zahlungseinstellung jener Zustand ist, der die Befriedigungsinteressen oder das Vermögen der Gläubiger und damit das geschützte Rechtsgut gefährdet oder verletzt, weshalb Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung die Umstände sind, um deren Willen der Schuldner bestraft wird, dann kann der Schuldner außerdem nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn er diesen Umstand verschuldet.[177] Angesichts des eindeutigen Wortlauts und dem Willen des historischen Gesetzgebers sei jedoch auf beides gerade zu verzichten.[178] Stattdessen vertrat das Schrifttum in Anlehnung an das RG, dass der Zusammenhang zwischen Handlung und Rechtsgutsbeeinträchtigung ausnahmsweise kein Kausalzusammenhang sei, sondern ein „Zusammenhang sui generis“:
1.) |
Nach einer Ansicht sei das Verhältnis zwischen Bankrotthandlung und Bankrott durch einen schuldindifferenten äußeren, tatsächlichen Zusammenhang hinreichend beschrieben.[179] |
2.) |
Die Gegenansicht sah ein, dass es sich im Kern um einen Kausalzusammenhang handelte. Um den Wortlaut der Vorschrift nicht zu überdehnen müsse dieser Kausalzusammenhang allerdings ausnahmsweise nicht positiv festgestellt werden, sondern werde präsumiert.[180] |
a) Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „schuldindifferenter äußerer Zusammenhang“ zwischen Handlung und Erfolg?
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Zur Begründung führten die Vertreter an, Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien lediglich „ äußere Tatbestandsmerkmale “.[181] Danach bestehe der Tatbestand eines Deliktes nicht nur aus Tatbestandsmerkmalen, die vom Täter verschuldet werden müssen (Tathandlung und Erfolg), sondern darüber hinaus enthalte jeder Tatbestand weitere äußere, schuldindifferente Tatbestandsmerkmale .[182] Die Zahlungseinstellung sei als solche nicht verboten und müsse demgemäß auch nicht schuldhaft begangen werden.[183] Die Beziehung zwischen der Handlung und den schuldindifferenten Tatbestandsmerkmalen sei daher, wie vom RG zutreffend definiert, mit dem Begriff des „äußeren, tatsächlichen Zusammenhangs“ hinreichend erfasst.[184] Ein Definitionsvorschlag oder eine nähere Konkretisierung für diesen „Zusammenhang“ fehlte.
b) Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „präsumtiver Kausalzusammenhang“?
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Angesichts der Schwierigkeiten im Hinblick auf einen derart unbestimmten Zusammenhang, bediente sich die Gegenansicht sog. „Präsumtionen“.[185] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien ein „Symptom“, ein „Indiz“,[186] für das Verursachen einer Rechtsgutsbeeinträchtigung.[187] Lägen die Merkmale der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung vor, würden die Kausalbeziehung und die Schuld des Täters schlichtweg präsumiert.[188] Um von einem ahndungsbedürftigen Angriff des Täters ausgehen zu können, ohne zugleich eine kausale Rechtsgutsverletzung zu verlangen, sei zwar maßgeblich auf den Konkurseintritt abzustellen, allerdings gelte eine Besonderheit: Für den Fall, dass der Täter eine Bankrotthandlung vornahm und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung tatsächlich (irgendwann) eintraten, werde nunmehr „vermutet“, dass eine „Rechtsgutsbeeinträchtigung“ (irgendwie, vermutlich kausal) stattgefunden hat.[189] Der bloße Eintritt von Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung genüge also, um annehmen zu können, dass die zuvor vorgenommene Bankrotthandlung die Gläubigerinteressen oder das Gläubigervermögen beeinträchtigt hat. Der Eintritt von Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung begründen demnach eine Vermutung dafür, dass durch die Bankrotthandlung die Gläubiger gefährdet oder geschädigt worden sind. Die Straftat des einfachen Bankrotts bestehe folglich in der „präsumtiven Verursachung eines Gläubigerschadens bzw. einer Gläubigergefährdung durch die Bankrotthandlung“, wobei dies bereits durch den Eintritt der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung als bewiesen gilt.[190] Präsumiert werde damit bei Vorliegen von Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung der „Schädigungserfolg“, der kausale Zusammenhang zwischen dem Täterverhalten und dem präsumierten Erfolg und der Schuldvorwurf (sog. Präsumtionstheorie).[191] Das Gesetz enthalte mithin eine Fiktion, indem es alle Bankrotthandlungen, in denen der ursächliche Zusammenhang zur Zahlungseinstellung nicht bewiesen, nicht vorhanden oder sogar unmöglich ist, denjenigen, in welchen er nachweisbar ist, unter die gleiche Strafandrohung stellt.[192]
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Die Verwendung solcher gesetzlicher Präsumtionen sei hierbei eine verfahrensökonomische Notwendigkeit.[193] Sie fänden ihre Rechtfertigung in der Methode des Gesetzgebers bei der Schaffung von Gesetzen.[194] Jeder Deliktstypus im Strafrecht komme auf dem Weg der Abstraktion zu Stande, was bedeutet, dass der Gesetzgeber auf bestimmte Merkmale im Gesetz abstellt, während er andere Merkmale unberücksichtigt lässt, um eine möglichst große Zahl von Einzelfällen tatbestandlich zu erfassen.[195] Verzichtet der Gesetzgeber hierbei auf wichtige Merkmale, so läge der Grund dafür stets in dem Bestreben Beweisschwierigkeiten zu vermeiden.[196] Je schwieriger also einzelne Merkmale zu beweisen sind, umso größer sei „die Versuchung, sie womöglich nicht mit aufzunehmen“.[197] Je einfacher aber die deliktische Natur, umso leichter ist die Anwendbarkeit und damit die Praktikabilität der Norm. Auf den Bankrotttatbestand angewandt bedeutete dies, dass das Gesetz auf die nach außen unproblematisch in Erscheinung tretenden Merkmale A (hier: Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung) und B (Vornahme der Bankrotthandlung) abstellte, obwohl außer diesen Beiden noch ein weiteres Merkmal C den „rechtlichen Unwert“ der Tat mitbestimme (= sog. praesumptio juris et jure).[198] Dieses zusätzliche Merkmal (C) bestünde in der Schädigung des Handlungsobjekts, vielfach „Rechtsgutsverletzung“ genannt, wobei sich die Vertreter nicht einig waren, ob es sich um die Verletzung oder nur die Gefährdung des Vermögens der Gläubiger handeln sollte. Dies hing auch damit zusammen, dass nicht klar war, wie ein Interesse oder sonstige ideelle Objekte (Sicherheit des Handels) überhaupt „verletzt“ werden können. Würde der Gesetzgeber aber den Eintritt einer konkreten Gläubigergefahr oder gar eines Gläubigerschadens verlangen, so müsste diesbezüglich immer auch Kausalität, Vorsatz und Schuld nachgewiesen werden können. Dieser Nachweis wird nur oftmals schwer zu erbringen sein, vor allem in Bezug auf die Herbeiführung des eigenen Konkurses. Deshalb sei der Tatbestand des Bankrotts so konzipiert, dass, falls der Beweis für A (Eintritt der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung) und B (schuldhafte Vornahme der Handlung) erbracht werden kann, die Tatsache C (Rechtsgutsbeeinträchtigung) als erwiesen angesehen wird.[199] Die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise, die zu Recht scharf kritisiert wurde,[200] hänge hierbei entscheidend von dem Verhältnis zwischen A/B und C ab. Wenn das Merkmal C notwendigerweise mit A/B verbunden sei, soll es sich um eine unschädliche Präsumtion handeln.[201] Für diesen Fall seien Präsumtionen unbedenklich, da nur „diejenigen Handlungen vertatbestandlicht werden, die typischerweise , also regelmäßig mit einer Rechtsgutsgefährdung verbunden sind“, ergo „je typischer die Handlung für die Rechtsgutsgefährdung ist, desto erträglicher wird die Präsumtion“.[202] Anders liegt der Fall, wenn C niemals oder nur selten mit B verbunden ist. Dann handele es sich um eine Präsumtion in Form einer „Fiktion im objektiven Sinn“, die zu unerträglichen Ergebnissen führe, weil es zu einer Vielzahl an Fehlbewertungen von konkreten Einzelfällen käme.[203] Die Vertreter der Präsumtionstheorie stellten hierbei fest, dass bei einem der Schuldner, der seine Zahlungen einstellte davon ausgegangen werden könne, dass er tatsächlich zahlungsunfähig ist.[204] Für den Fall der Zahlungsunfähigkeit könne sicher davon ausgegangen werden, dass die Befriedigungsinteressen der Gläubiger betroffen sind.[205] Strittig war nur, wie mit den Fällen umzugehen war, in denen eine Rechtsgutsbeeinträchtigung „ widerlegt “ werden konnte. Wenn die Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen nachweisbar auf einer völlig anderen Ursache beruhte, wie z.B. ein Konkurs basierend auf Zufall, Krieg oder Naturkatastrophe, sah die überwiegende Auffassung die Präsumtion als widerlegt an.[206] Die Handlung des Schuldners hatte dann erwiesenermaßen nichts mit der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu tun. Eine Einschränkung des Tatbestandes sei da geboten, „wo der Erfolg aus einem ganz anderen als dem mit der Handlung in Verbindung stehenden Ursachenkomplex hervorgegangen ist.“[207] Wenn der Täter eine erwiesen ungefährliche Handlung vorgenommen hat, könne er nicht bestraft werden.[208]
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