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Ob das Verhalten des Richtersund seine Äußerungen in oder vor der Hauptverhandlungdie Besorgnis der Befangenheit begründen, ist vom konkreten Einzelfall abhängig. Unsachliche Äußerungen(„Afrikaner lügen, dass sich die Balken biegen“)[37] und Beleidigungengegenüber dem Angeklagten („Gangster“,[38] „Sie lügen nach Aktenlage unverschämt“,[39] die Sacheinlassung ist „schwachsinnig“[40]) oder dem Verteidiger „beim Lesen der Akten und Beiakten habe ich die Einlegung dieser für wenig aussichtsreich erachteten Berufung nahezu als ein Ansinnen an das vielbeschäftigte Gericht betrachtet“,[41] „Ihre erste Niederlage, Herr Verteidiger,“ nach dem Beschluss über die Zulassung der Nebenklage[42] oder im Rahmen eines Gesprächs mit dem Verteidiger über eine Haftbeschwerde die Bemerkung „Solche Leute haben in Freiheit nichts zu suchen“,[43] rechtfertigen in der Regel, anders als die bloße Äußerung einer Rechtsmeinung,[44] die Besorgnis der Befangenheit. Auch Äußerungen im Internet, etwa auf einem Facebook-Account können Anlass geben, an der Unbefangenheit des Richters zu zweifeln. Dies hat der 3. Strafsenat des BGH etwa angenommen bei einem Richter, der sich mit einem Bierglas in der Hand und einem T-Shirt mit der Aufschrift präsentiert: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“, insbesondere weil sich auf derselben Seite noch der Vermerk befand „2. Große Strafkammer beim LG Rostock“.[45]
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Grund für die Besorgnis der Befangenheit kann sich auch durch die einseitige Kontaktaufnahme zu anderen Verfahrensbeteiligten, etwa zu einem Mitangeklagten[46] oder zum sachbearbeitenden Staatsanwalt[47], ergeben. Verhandlungsführung und Verhandlungsstilkönnen das Misstrauen in die Voreingenommenheit des Richters rechtfertigen, wenn diese grob rechtsfehlerhaft oder unsachlich sind, etwa bei Eröffnung des Hauptverfahrens vor Ablauf der Erklärungsfrist zur Anklage,[48] bei unberechtigter Beschränkung des Fragerechts,[49] bei massiver Einwirkungauf den Angeklagten, etwa im Rahmen von Gesprächen über eine einvernehmliche Beendigung des Verfahrens, ein Geständnis abzulegen,[50] die Berufung zurückzunehmen und sich lieber bei der Verletzten zu entschuldigen[51] oder bei der Einwirkung auf einen Zeugen, dieser solle von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen.[52] Auch die Weigerung des Richters, eine konkrete dienstliche Äußerung zu einem Befangenheitsantrag abzugeben, kann ihrerseits die Befangenheit begründen.[53] Die unsachliche Einstellungeines Richters kann sich auch nonverbaläußern, etwa im Verdrehen der Augen als Kommentar zu Ausführungen eines Prozessbeteiligten[54] oder durch die Beschäftigung mit der Urteilsabsetzung während des Verteidigerplädoyers.[55] Auch die Richterin, die in der Sitzung über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten mehrfach ihr Mobiltelefon benutzt und private Kurzmitteilungen schreibt, kann den Eindruck erwecken, sie habe kein uneingeschränktes Interesse mehr an der Beweiserhebung und sich damit hinsichtlich der Schuldfrage bereits festgelegt. Dies rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit.[56]
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Besondere Bedeutung hat die Frage der Befangenheit bei Entscheidungen oder Äußerungen des Richters im Rahmen von Verständigungenerlangt. Die Drohung mit der Sanktionsschere, die im Einzelfall auch die Grenze zur Aussageerpressung überschreiten kann,[57] stellt in jedem Fall einen Ablehnungsgrund dar.[58] Dasselbe gilt für die Ankündigung einer Erhöhung der schuldangemessenen Strafe für den Fall, dass der Angeklagte kein Geständnis ablegt.[59] Auch Absprachen mit anderen Verfahrensbeteiligtenkönnen die Befangenheit begründen. Ist die Hauptverhandlung durch die Konfrontation von Mitangeklagten geprägt, die sich gegenseitig falsche Sacheinlassungen vorwerfen, und sichert das Gericht dem einen Angeklagten bei einem „umfassenden, glaubhaften“ Geständnis eine bestimmte Strafe zu, ohne den gegen die Glaubhaftigkeit des Mitangeklagten gerichteten Beweisanträgen der Verteidigung Bedeutung zuzumessen, und trennt es daraufhin das Verfahren gegen den Mitangeklagten ab, so kann diese Verfahrensweise die Befangenheit der beteiligten Richter begründen, da der Angeklagte von einer bereits abgeschlossenen Meinungsbildung zum Sachverhalt ausgehen muss.[60] Haben Erörterungen mit einzelnen Verfahrensbeteiligten stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei ergebnislosem Verlauf die übrigen Beteiligten umfassend hierüber informieren. Tut er dies nicht, liegt die Besorgnis der Befangenheit nahe.[61]
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Die richterliche Vorbefassungvor oder außerhalb der Hauptverhandlung wird (allerdings unter Missachtung einfachster psychologischer Überlegungen!)[62] von der herrschenden Meinung in der Regel nicht als Befangenheitsgrund angesehen,[63] wenn nicht besondere Gründe hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen.[64] So ist ein Richter nicht allein deshalb wegen Besorgnis der Befangenheit von der Ausübung des Richteramts in einer vom Revisionsgericht zurückverwiesenen Sache ausgeschlossen, weil er bereits an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hatte.[65] Auch die Verurteilung eines Mittäterswegen derselben Straftat macht nach dieser Auffassung den Richter nicht voreingenommen.[66] Dies gilt auch dann, wenn Verfahren gegen Mitbeschuldigte aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung abgetrennt wurden und anschließend ein Schuldspruch wegen Beteiligung an später abzuurteilenden Taten erfolgt.[67] Etwas anderes muss aber jedenfalls dann gelten, wenn die Gründe des früheren Urteils mangelnde Objektivität befürchten lassen,[68] weil es unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den Angeklagten enthält,[69] oder weil der frühere Mitangeklagte darin als glaubwürdig und der jetzige Angeklagte deshalb als unglaubwürdig bezeichnet worden ist.[70]
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Auch rechtsfehlerhafte Entscheidungenrechtfertigen nicht per se die Annahme der Befangenheit.[71] Etwas anderes gilt bei der Äußerung von völlig abwegigen oder den Anschein der Willkür erweckenden Rechtsauffassungen,[72] insbesondere wenn ein Verstoß gegen das Willkürverbot rechtskräftig durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt worden ist.[73] Auch die kategorische Weigerung des Richters, ohne sachlichen Grund einem Terminverlegungsantrag der Verteidigung zu entsprechen, kann die Besorgnis der Befangenheit begründen.[74] Dasselbe gilt für den Fall, dass der abgelehnte Richter objektiv falsche Angaben zur Terminslage der Kammer macht, um seinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu kaschieren.[75] Die Besorgnis der Befangenheit ist auch berechtigt, wenn der abgelehnte Richter wegen eines Verteidigerwechsels während laufender Hauptverhandlung[76] oder unter Hinweis auf konfrontatives Verhalten im Prozess einen Haftbefehl erlässt.[77] Dasselbe gilt, wenn der abgelehnte Richter sich weigert, einen über Monate untätigen Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten zu entpflichten, und trotz der Tatsache, dass der Verteidiger seinen Mandanten in der Hauptverhandlung das erste Mal sieht, diesen für „ordnungsgemäß verteidigt“ bezeichnet.[78]
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Gemäß § 24 Abs. 3 S. 1 steht das Ablehnungsrecht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigtenzu.[79] Kein eigenes Ablehnungsrecht hat der Verteidiger. Zwar ist nach allgemeiner Meinung eine Richterablehnung durch den Verteidiger dahingehend auszulegen, dass dieser für den Angeklagten handelt,[80] auch wenn es um Vorgänge geht, die das Verhältnis zwischen Verteidiger und Richter betreffen.[81] Der Verteidiger sollte sich allerdings, bevor er einen Ablehnungsantrag stellt, mit dem Angeklagten besprechen und sich vergewissern, dass dieser mit seinem Vorgehen einverstanden ist. Wegen des fehlenden Antragsrechts des Verteidigers sind Spannungen zwischen ihm und dem Richter im Allgemeinen auch nicht geeignet, die Befangenheit zu begründen,[82] es sei denn, dass aus dem Verhalten des Richters gegenüber dem Verteidiger auf die Voreingenommenheit gegenüber dem Angeklagten zu schließen ist.[83]
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