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Muster 1 Antrag auf Zuweisung eines angemessenen Sitzplatzes für den Angeklagten
An das
Landgericht
…
In der Strafsache gegen…
beantrage ich, dem Angeklagten einen Platz neben mir zuzuweisen und dafür Sorge zu tragen, dass es ihm möglich ist, die von ihm mitgebrachten Verteidigungsunterlagen, u.a. Kopien aus den Ermittlungsakten, vor sich auszubreiten und zu benutzen.
Begründung:
Dem Angeklagten wurde für die heutige Hauptverhandlung ein Platz auf der Bank hinter dem Verteidiger zugewiesen. Es besteht weder Sichtkontakt zwischen mir und meinem Mandanten, noch hat dieser die Möglichkeit, seine Verteidigungsunterlagen vor sich auszubreiten oder Notizen über den Gang der Hauptverhandlung zu machen. Diese Anordnung, die angeblich der Üblichkeit am hiesigen Landgericht entsprechen soll, verletzt den Anspruch des Angeklagten auf Gleichbehandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten und stellt eine Behinderung der Verteidigung i.S.v. § 338 Nr. 8 StPO dar (vgl. OLG Köln NJW 1980, 302 und BayObLG StraFo 1996, 47). Es ist ohne weiteres möglich, einen zweiten Tisch und einen Stuhl an der Seite des Verteidigers aufzustellen, um dem gerügten Mangel abzuhelfen.
[1]
OLG Köln NJW 1961, 1127.
[2]
OLG Köln NJW 1980, 302; BayObLG StraFo 1996, 47.
[3]
BayObLG StraFo 1996, 47.
[4]
OLG Köln NJW 1980, 302, 303.
[5]
Vgl. hierzu Münchhalffen StraFo 1996, 18; Stern StraFo 1996, 47.
[6]
Pfeiffer § 238 Rn. 2.
[7]
So die empfehlenswerten Vorschläge bei Münchhalffen StraFo 1996, 18 ff.
[8]
Burhoff Hauptverhandlung, Rn. 2525.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung› V. Fesselung des in Haft befindlichen Angeklagten
V. Fesselung des in Haft befindlichen Angeklagten
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Es macht einen überaus peinlichen Eindruck,wenn man…einen Angeklagten,dessen Schuld bis zur Beendigung derHauptverhandlung immer noch zweifelhaft sein muss,schon beim Beginne derselben… wie eingefährliches wildes Thier bewacht und behandelt sieht( Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 226) |
Gemäß § 119 Abs. 5 S. 2 a.F. ist der Angeklagte in der Hauptverhandlung in der Regel ungefesselt. Dieser Grundsatz entspricht immer noch der Würde der Angeklagten,[1] gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung. Durch das am 1.1.2010 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.7.2009[2] ist diese Regelung entfallen. Beschränkungen zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr richten sich jetzt nach § 119 Abs. 1. Dieser enthält keine generelle Regelung der Fesselung; sie fällt auch nicht unter die Regelbeispiele des S. 2. Die Maßnahme ist daher unter Beachtung der Tatsache, dass es sich bei der Fesselung um einen gewichtigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt[3] auf ihre konkrete Erforderlichkeit zu prüfenund im Einzelnen zu begründen.[4] Dabei erscheinen die in § 119 Abs. 5 S. 1 a.F. genannten Kriterien für die Anordnung der Fesselung brauchbar, wonach diese bei Gefahr der Gewaltanwendung oder des Widerstandes (Nr. 1), bei Fluchtgefahr oder Gefahr der Befreiung aus dem Gewahrsam (Nr. 2) sowie bei Suizidgefahr oder Gefahr der Selbstschädigung (Nr. 3) als zulässig erachtet wurde. Allerdings ist die „Fluchtgefahr“, die für eine Fesselung erforderlich ist, nicht gleichzusetzen mit der Fluchtgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2. Anderenfalls würde jeder wegen Fluchtgefahr erlassene Haftbefehl die Fesselung rechtfertigen.
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Der Fesselungsgrund muss auf konkreten Tatsachenberuhen[5] und zur Beseitigung oder Verringerung der in § 119 Abs. 5 S. 1 a.F. genannten Gefahren notwendig sein.[6] Die Anordnung für lediglich denkbare künftige Ereignisse reicht nicht aus. Aus der Anordnungskompetenz des Richters ergibt sich, dass dieser die Maßnahme in eigener Verantwortung und nach eigener Prüfung der Sachlage trifft. Es genügt nicht, dass er sich auf die Anordnungen der Haftanstalt beruft, die für den Transport des Angeklagten aus der Haft in die Hauptverhandlung verantwortlich ist. Die Kriterien, die für den Transport gelten, können nicht unbedingt für die Hauptverhandlung Geltung beanspruchen. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der aus der Haft in die Hauptverhandlung verbrachte Angeklagte dort regelmäßig besonders bewacht wird. Zwei vor dem einzigen Ausgang des Verhandlungssaales postierte Polizeibeamte dürften die Fluchtgefahr im Normalfall auf ein Minimum reduzieren. Etwas anderes mag bei einem Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität gelten, wobei in diesem Fall aber auch die sonstigen Sicherungsmaßnahmen der möglichen Gefahr angepasst sein dürften, so dass es auch hier letztlich nicht auf die (Hand-)Fesselung des Angeklagten ankommen wird.
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Auch die Art der Fesselunghat sich an der Notwendigkeit der Maßnahme zu orientieren.[7] Danach ist nur die Fesselung an den Händen oder an den Füßen zulässig. Einer etwa noch bestehenden Fluchtgefahr dürfte in der Regel die Fußfesselung ausreichend entgegen wirken. Sie lässt dem Angeklagten zumindest auch die Möglichkeit, schriftliche Unterlagen zu benutzen und sich Notizen über den Prozess zu machen. Der Vorsitzende, der dies untersagt, riskiert bei entsprechendem Widerspruch des Verteidigers den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8.
Hinweis
Hält der Verteidiger die Voraussetzungen einer Fesselung nicht für gegeben und macht das Gericht zu Beginn der Hauptverhandlung keine Anstalten, die Abnahme der Fesseln anzuordnen, so ist es angebracht, den Vorsitzenden zunächst hieran zu erinnern. Weigert sich dieser, so ist hiergegen gemäß § 238 Abs. 2 ein Gerichtsbeschluss herbeizuführen, da die Anordnung der Fesselung während der Hauptverhandlung eine Maßnahme der Verhandlungsleitung darstellt. Da die Fesselung nicht nur eine Entwürdigung des Angeklagten darstellt, sondern diesen auch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beschränken kann, sollte der Verteidiger diese Gesichtspunkte in die Begründung seines Widerspruchs aufnehmen und, je nach der Begründung der Gerichtsentscheidung, auch die Ablehnung wegen Befangenheit in Erwägung ziehen.
[1]
Burhoff Hauptverhandlung, Rn. 1520.
[2]
BGBl. I, 2274.
[3]
BVerfG B. v. 3.8.2011, HRRS 2011, Nr. 983.
[4]
BT-Drucks. 16/11644, S. 24.
[5]
Meyer-Goßner/Schmitt § 119 Rn. 23; OLG Dresden NStZ 2007, 479.
[6]
Vgl. Hoffmann/Wissmann StV 2001, 706.
[7]
OLG Koblenz StV 1989, 467.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung› VI. Probleme mit der Amtstracht des Verteidigers
VI. Probleme mit der Amtstracht des Verteidigers
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Suaviter in modo, fortiter in re!Es gilt zähe Ausdauer mit gefälliger Form zu verbinden.( Jaques Ueber die Aufgabe der Vertheidigung in Strafsachen, 1873, S. 17) |
Gemäß § 20 BORA hat der Verteidiger vor Gericht die Amtstrachtzu tragen. Weigert er sich, riskiert er nach herrschender Meinung in Anwendung des § 176 GVG für die betreffende Sitzung als Verteidiger zurückgewiesen zu werden.[1] Zur Amtstracht gehört zwar die schwarze Robe,[2] nicht jedoch der berühmte „weiße Quer- oder Längsbinder“,[3] da dieser in der Berufsordnung keine Erwähnung findet. Die Ableitung der Krawattenpflichtdes Verteidigers aus einem angeblichen bundeseinheitlichen Gewohnheitsrecht[4] dürfte, nachdem der Gesetzgeber die Regelung der Berufstracht in § 59b BRAO der Satzungsversammlung der Rechtsanwälte überantwortet hat, nicht mehr vertretbar sein.[5] Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines Verteidigers gegen die auf das Nichttragen einer Krawatte gestützte gerichtliche Zurückweisung in der Hauptverhandlung mit der Begründung zurückgewiesen, der behaupteten Grundrechtsverletzung (Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG) komme kein besonderes Gewicht zu. Um zukünftig Ähnliches zu vermeiden, möge er einfach eine Krawatte anlegen.[6] Dass farbige Krawatten und Hemdenin der Hauptverhandlung zum Stein des Anstoßes werden, ist heute selten.[7] In „dezenter Ausführung“ gewählt, werden diese selbst vom OLG München mittlerweile als angemessen angesehen.[8] Mit der Stellung eines Verteidigers „vor bayrischen Strafgerichten“ soll es jedoch nicht vereinbar sein, wenn der Rechtsanwalt mit weißem T-Shirt unter offener Robe auftritt; dieser könne daher nach § 176 GVG zurückgewiesen werden.[9] Dem tritt Weihrauch zu Recht und mit durchgreifenden Argumenten entgegen, gibt allerdings gleichzeitig zu bedenken, ob ein Verteidiger ohne Hemd, der zu Lasten seines Mandanten sein Ausscheiden aus dem Verfahren in Kauf nimmt, sich auch angemessen und klug verhält.[10] Ob man so streng sein muss, dem Verteidiger die von manchem Richter und Staatsanwalt gepflegte „Unsitte“ des Tragens von Jeans (die es durchaus in hochwertiger Qualität gibt) zu verbieten und nur den Anzug (oder Sakko) für den Herrn und das Kostüm für die Dame zuzulassen,[11] ist jedenfalls nicht zwingend. Am Ende dürfte es aber doch eher im Interesse des Mandanten liegen, sich lieber in Modefragen konziliant zu zeigen und in der Sache hart zu verhandeln, als umgekehrt. Wer in Formfragen nachgibt, „wenn's der Wahrheitsfindung dient“, geht allemal zumindest als moralischer Sieger vom Feld.
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