bb) „Tapfer zu verteidigen“ – out of area?
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Nach der Herstellung der deutschen Einheit und der zunehmenden Teilnahme der Bw an internationalen Militäreinsätzen (auch solchen außerhalb des NATO-Vertragsgebiets, sog. out-of-area-Einsätze) wurde – ausgelöst durch einen Beitrag von Walz [78] – kontrovers diskutiert, ob eine „Neuvereidigung“der Soldaten vorzunehmen sei, nachdem diese weit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden. Unstr. reicht, grammatikalisch interpretiert, die Pflicht des Soldaten, Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, nicht bis Afghanistan. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die §§ 7und 9 „dynamisch“zu interpretieren.[79] Nach der sog. amtl. Auffassung[80] des BMVg umfasst das in der Eidesformel zum Ausdruck kommende Bekenntnis des Soldaten jeden Einsatz, der im Einklang mit dem GG steht. Die Pflicht zum treuen Dienen beschränkt die Einsatzmöglichkeiten des Soldaten der Bw weder auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland noch auf das deutsche Volk. Die Formulierung des Gesetzes hat nur den Zweck, die Tapferkeit besonders hervorzuheben; sie ist ein Wesensmerkmal der Treuepflicht und keine selbstständige Verpflichtung des Soldaten.
Dem entspricht, dass das BVerwG in einem Beschl. vom 8.11.1993[81] ausgeführt hat, eine „zusätzliche rechtsgrundsätzliche Klärung“ sei durch die seit 1990 veränderte polit. Situation nicht geboten.
f) Einzelfragen
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Eignungsübende haben gem. § 87 Abs. 1 Satz 5 für die Dauer der Eignungsübung die Rechtsstellung eines SaZ. Da – anders als für den Personenkreis des § 59 Abs. 3, der zu Dienstleistungen gem. § 60herangezogen wird[82] – im SG nicht ausdrücklich vorgesehen ist, dass sie zu vereidigen sind oder ein feierliches Gelöbnis abzulegen haben, sind sie von beidem befreit.[83] Dies ist bemerkenswert, da eine Eignungsübung länger als vier Monate dauern kann ( § 87 Abs. 1 Satz 1Halbs. 2), der Eignungsübende ansonsten wie ein SaZ behandelt wird (§ 87 Abs. 1 Satz 5) und deshalb auch der Grundpflicht des § 7unterliegt. Eignungsübende sind – abgesehen von Rekruten in den ersten Wochen der Grundausbildung und Teilnehmern an einer DVag – die einzigen Soldaten der Bw, die in keinerlei Form die Einhaltung ihrer gesetzl. Pflichten (feierlich) bekräftigen müssen. Diese unterschiedliche Behandlung ist aus systematischer und teleologischer Sicht nicht unproblematisch.
Wird der Eignungsübende nach der Eignungsübung zum SaZ oder BS ernannt (§ 87 Abs. 2), ist er nachzuvereidigen.
bb) Eidesleistung unter Vorbehalt
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Leistet der länger dienende Soldat den Eid unter einem insgeheimen Vorbehalt (reservatio mentalis), ist dies rechtl. unbeachtlich (§ 116 Satz 1 BGB). Äußert er den Vorbehalt offen, z.B. gegenüber einem Vorg., ist die Eidesleistung nichtig(§ 116 Satz 2 BGB).[84] Der Soldat ist dann so zu behandeln, als ob er sich geweigert hätte, den Eid überhaupt abzulegen.[85]
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Gelegentlich versuchen Soldaten, ihr Dienstverhältnis dadurch aufzulösen, dass sie den früher geleisteten Eid widerrufen oder „aufkündigen“. Das SG sieht eine solche Möglichkeit nicht vor; der Widerruf ist daher rechtl. bedeutungslos.[86] Der Soldat sollte auf die Entlassungsvorschriften der § 46 Abs. 3 und 6 bzw. § 55 Abs. 3 verwiesen werden. Die Bindungswirkung des Eides endet, sobald sich der Soldat nicht mehr in einem aktiven Dienstverhältnis befindet.
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Über die Vereidigung eines BS oder SaZ ist eine Niederschriftaufzunehmen. Diese ist von dem DiszVorg. und dem Soldaten zu unterschreiben und zur PA zu nehmen.[87] Verweigert der Soldat seine Unterschrift, gilt der Eid als nicht geleistet.
2. Feierliches Gelöbnis ( Absatz 2)
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Die obigen Ausführungen zum Eid gelten grds. auch für das feierliche Gelöbnis gem. Abs. 2. In diese Best. sind jetzt auch Soldaten einbezogen, die freiwilligen Wehrdienst nach § 58bleisten.
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Das BMVg vertritt seit Jahrzehnten den Standpunkt, das Ablegen des feierlichen Gelöbnisses gehöre zu den gesetzl. Dienstpflichtendes Soldaten.[88] Weder bei den Beratungen im VertA noch im Plenum des BT sei bezweifelt worden, dass das Gelöbnis zum Pflichtenkatalog des Soldaten zu rechnen sei.
Die Lit.[89] folgt überwiegend dieser Auffassung.
Das OVG Münster[90] leitete die Dienstpflicht zur Ablegung des Gelöbnisses aus dem Wortlaut von § 9, der Stellung dieser Norm im Gesetz, aus ihrem Sinn und Zweck und ihrer Entstehungsgeschichte ab.
Die Gegenmeinung[91] argumentiert ebenfalls mit dem Wortlaut von § 9 Abs. 2. Die Formulierung „bekennen sich (...)“ sei nicht „imperativisch“; sie könne keine Dienstpflicht begründen.
Der h. M. ist zuzustimmen. Die zit. Gesetzespassage lässt auf eine Dienstpflicht schließen. „Bekennen sich“meint nichts anderes als „haben sich zu bekennen“. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem Beamtenrecht, wenn es in § 38 Abs. 3 BeamtStG heißt: „(...) kann an Stelle des Eides ein Gelöbnis vorgeschrieben werden“. Dem Gesetzgeber des SG kann nicht unterstellt werden, er habe es der Entscheidung des Soldaten überlassen wollen, ein Gelöbnis abzulegen oder nicht. Dass der Erlass-/Befehlsgeber diese Dienstpflicht nicht wie die anderen Pflichten des Soldaten konsequent („mit der Härte des Gesetzes“) umgesetzt hat[92], lässt einen Rückschluss auf den Rechtscharakter des feierlichen Gelöbnisses nicht zu.[93]
b) Durchsetzung per Befehl?
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Die Einhaltung der soldatischen Pflichten kann durch Befehl erzwungen werden. Ein solcher Befehl diente dienstl. Zwecken und entspräche § 10 Abs. 4[94]. Deswegen ist früher[95] angenommen worden, dem Soldaten könne befohlen werden, das feierliche Gelöbnis abzulegen.
Ein solcher Befehl würde heute nicht mehr erteilt, insbes., weil jedenfalls seine Durchsetzung für unvereinbar mit dem ethischen und religiösen Gehalt (des feierlichen Gelöbnisses) sowie der unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat eigenen Rücksichtnahme auf die Gewissensfreiheit des Staatsbürgers angesehen würde. Der sich weigernde Soldat ist aber darüber zu belehren, dass er gleichwohl in vollem Umfang den soldatischen Pflichten unterliegt.[96]
c) Folgen der Gelöbnisverweigerung
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Das Dienstverhältnis eines Soldaten, der nach Maßgabe des WPflGWehrdienst leistet, bleibt von der Gelöbnisverweigerung unberührt.[97] Er wird i.d.R. nicht entlassen,[98]es sei denn, es läge eine über die bloße Gelöbnisverweigerung hinausgehende Dienstpflichtverletzung i.S.v. § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG vor. Die Begr. für diese Verfahrensweise ist formal darin zu sehen, dass das WPflG im Gegensatz zum SG bei länger dienenden Soldaten keinen besonderen Entlassungstatbestand für Gelöbnisverweigerer enthält.
Gleiches gilt für einen Dienstleistungspflichtigen, der nach seiner Heranziehung das gem. § 59 Abs. 3 Satz 2 abzulegende Gelöbnis verweigert. Er unterliegt uneingeschränkt den sich aus der Dienstleistungspflicht ergebenden Pflichten. Die Weigerung bleibt grds. ohne Einfluss auf das Wehrdienstverhältnis; § 75sieht die Gelöbnisverweigerung als solche nicht als Entlassungsgrund (je nach Sachverhalt kann allenfalls eine zusätzliche Dienstpflichtverletzung nach § 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 gegeben sein).
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