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Konkrete Aussagen zum Eid findet man im GG– etwas versteckt – in Art. 140, der u.a. Art. 136 Abs. 4 WRV in das GG inkorporiert hat. Danach darf niemand zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Dieser verfassungsrechtl. Vorgabe hat der Gesetzgeber des SG mit § 9 Abs. 1 Satz 2und 3entsprochen.[56]
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Das Verhältnis von Eidesvorschriften zur Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GGist weniger klar:
Da die Eidesleistung – jedenfalls dann, wenn sie ohne Anrufung Gottes erfolgt – keinerlei religiösen oder transzendenten Bezug hat, sondern nur eine Bekräftigung der dienstrechtl. ohnehin bestehenden Verpflichtungen darstellt, liegt in der Eidespflicht an sich auch kein Eingriff in Art. 4 Abs. 1 GG vor.[57] Letztendlich dürfte noch nicht einmal der Schutzbereich des Grundrechts berührt sein.
Gleichwohl hat das BVerfG anerkannt, dass infolge der Tradition des Schwurs sich Angehörige bestimmter Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften durch die Pflicht zur Eidesleistung in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG beeinträchtigt sehen könnten. Dem müsse Rechnung getragen werden. Selbst die Leistung eines Eides ohne religiöse Beteuerung könne aus religiösen Gründen und damit unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1 GG abgelehnt werden. Dabei scheint das BVerfG Differenzierungen zwischen dem assertorischen Eid, wie er im Rahmen gerichtl. Verfahren aufgrund gesetzl. Verpflichtung zu leisten ist (z.B. Zeugeneid), und dem Eid, der bei einem auf Freiwilligkeit beruhenden öff.-rechtl. Dienstverhältnis abgelegt werden muss (Amtseid), anzuerkennen.[58] Die Einforderung eines Versprechens, die Dienstpflichten einzuhalten und zu erfüllen, begegnet bei letzterem jedenfalls keinen Bedenken. Allein die Art und Weise der Formulierung kann und muss ggf. auf individuelle Glaubens- und Gewissenspositionen Rücksicht nehmen. Vor diesem Hintergrund ist § 9 Abs. 1 Satz 3zu verstehen, wonach Mitgliedern von Religionsgemeinschaften, denen dies durch Bundesgesetz gestattet ist, andere Beteuerungsformeln verwenden dürfen (sog. „ Sektenprivileg“). In seiner bis 2009 geltenden Fassung enthielt § 58 Abs. 3 BBG a.F. eine identische Regelung. Derartige Bundesgesetze sind aber niemals erlassen worden. Sie wären auch verfassungsrechtl. problematisch gewesen, da es grds. nicht der Disposition des Gesetzgebers unterliegt, zwischen unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften zu differenzieren und ihren Mitgliedern unterschiedliche Rechte zuzubilligen.[59] Der Verweis auf Bundesgesetze läuft damit ins Leere. Im Beamtenrecht hat der Gesetzgeber daraus die Konsequenz gezogen und mit § 64 Abs. 3 BBG generell die Möglichkeit eingeräumt, statt der Worte „ich schwöre“ die Formel „ich gelobe“ oder eine andere Beteuerungsformel zu sprechen.
Solange das Soldatenrecht nicht entspr. angepasst worden ist, bleibt – sofern man die Rspr. des BVerfG konsequent zu Grunde legt – lediglich die Möglichkeit der verfassungskonformen Interpretation,[60] d.h. auch ohne besondere bundesgesetzl. Grundlage muss BS und SaZ ermöglicht werden, lediglich ein Gelöbnis zu sprechen.
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Vereinzelt[61] wird vertreten, die Verpflichtung des länger dienenden Soldaten, einen Eid abzulegen, beschränke die negative Meinungsäußerungsfreiheit i.S.v. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Dies kann man bei öff. Vereidigungen durchaus so sehen. § 9 Abs. 1ist dann ein allg. Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG und damit verfassungsrechtl. nicht zu beanstanden. Auf Art. 17a Abs. 1 GG braucht nicht zurückgegriffen zu werden.[62]
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Das Ablegen des Eides ist für den Soldaten[63] (und den Beamten[64]) eine Dienstpflicht. Dies folgt aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in § 9 Abs. 1 Satz 1(„(...) haben (...) zu leisten (...)“) und der systematischen Stellung des § 9im 2. Unterabschnitt „Pflichten und Rechte der Soldaten“.
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Die Erfüllung dieser Dienstpflicht könnte per Befehldurchgesetzt werden. Hiervon wird, deutscher mil. Tradition[65] folgend, wegen des ethisch/religiösen Gehalts des Eides abgesehen. Der Eidesverweigerer muss daher nicht mit disziplinaren[66] oder wehrstrafrechtl. Konsequenzen rechnen. Die aus § 9 Abs. 1 Satz 1resultierende Dienstpflicht ist eine sog. lex imperfecta, an deren Nichterfüllung allerdings statusrechtl. Konsequenzen geknüpft sind.[67]
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Dieser Bewertung folgend entfaltet der Diensteid keine konstitutive, also statusbegründende, sondern lediglich eine deklaratorische[68] Wirkung. Die soldatischen Pflichten entstehen auch für den Eidesverweigerer. Rechtl. betrachtet geht jede andere Bewertung des Eides fehl. Religiös/ethisch-moralische Überhöhungen des Eides, wie sie gelegentlich zum Ausdruck kommen, sind für die mil. und rechtl. Praxis kein Maßstab.
Verstößtein Soldat schuldhaft gegen den von ihm abgelegten Eid, begeht er kein (isoliertes) Dienstvergeheni.S.v. § 23 Abs. 1. Zu prüfen ist in diesen Fällen jedoch eine Dienstpflichtverletzung gem. § 7, § 23 Abs. 1.
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Für die Reihenfolgeder Ernennung eines Soldaten und dessen Eidesleistung gilt:
Zuerst erfolgt die Aushändigung der Ernennungsurkunde gem. § 41 Abs. 1 Satz 1; danach wird der (ernannte) Soldat vereidigt.[69] Diese Abfolge ergibt sich zwingend aus der Formulierung des § 9 Abs. 1 Satz 1(„Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit haben (...)“). Rechtslogisch folgt dies auch aus der Eidespflicht als Dienstpflicht. Eine Dienstpflicht kann erst nach Begr. des Dienstverhältnisses entstehen.
Eine vorherige Eidesleistungnach Aushändigung, aber vor innerer Wirksamkeit einer Wirkungsurkunde und damit bezogen auf ein konkretes Dienstverhältnis sollte aber möglich sein.[70]
d) Folgen der Eidesverweigerung
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Ein BS[71], der sich weigert, den Eid abzulegen, ist gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 zu entlassen; das Gleiche gilt für einen SaZ aufgrund der Verweisungsvorschrift des § 55 Abs. 1 Satz 1.
Mit der Entlassung verliert der Soldat seinen Dienstgrad(§ 49 Abs. 2, § 56 Abs. 2). Gem. § 49 Abs. 3, § 56 Abs. 3 hat der entlassene Soldat keinen Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgungmit Ausnahme der Beschädigtenversorgung.
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Weigert sich ein früh. SaZ oder BS nach einer Wiedereinstellung, erneut den Diensteid zu leisten, ist er ebenfalls zu entlassen. Der Eid bindet nur für die Dauer eines bestehenden Dienstverhältnisses, abgesehen von nachwirkenden Dienstpflichten nicht darüber hinaus.[72]
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Erklärt ein Bewerberfür den freiwilligen Dienst in der Bw, er werde nach seiner Ernennung den Diensteid nicht ablegen, darf er nicht gem. § 41ernannt werden.[73]
e) Inhalt der Eidesformel
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An dieser Stelle reicht es aus, auf zwei Probleme näher einzugehen, die in erster Linie im Zusammenhang mit § 9und weniger mit § 7diskutiert worden sind bzw. werden. Im Übrigen wird auf die Komm. zu § 7verwiesen.
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Von Anfang an bereitete es Schwierigkeiten, den Soldaten zu erklären, weshalb sie sich auch über die Eidesformel verpflichten sollten, der „Bundesrepublik Deutschland“ treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des „deutschen Volkes“ tapfer zu verteidigen. Die Ausführungen des VertA aus dem Jahre 1956[74] zu § 6 (dem späteren § 7) in der von ihm beschlossenen Fassung waren nicht geeignet, diese Probleme zu beheben. Der Wille, den deutschen Soldaten besonders dem Verfassungsgebot der Wiedervereinigungzu verpflichten und dem Dienst am gesamten deutschen Volk zu verschreiben,[75] war angesichts der polit. Realitäten insbes. nach der sog. Ostannäherung kaum zu vermitteln. Der Versuch in der Lit.,[76] diese Verpflichtung des Soldaten bis zu einer Wiedervereinigung auf die Bewohner der Bundesrepublik Deutschland(und nicht auch auf die der DDR) zu begrenzen, fand keine einhellige Zustimmung.[77] Nach Abschluss der Ostverträge glaubten denn auch einige Offz, sie müssten jetzt „neu“ vereidigt werden, da sie ihren Dienst unter einer anderen „Geschäftsgrundlage“ angetreten hätten. Mit der Wiedervereinigung hat sich diese Debatte erledigt.
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