VI. Vergütungsvereinbarung und Pflichtverteidigung
141
Auch der notwendige Verteidiger kann eine Vergütungsvereinbarung mit seinem Mandanten schließen.[23] Nichtig ist gem. § 3a Abs. 3 Satz 1 RVG lediglich die Vergütungsvereinbarung des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts. Diese Differenzierung liegt im unterschiedlichen Zweck der beiden Rechtsinstitute begründet. Im Gegensatz zur Prozesskostenhilfe dient die notwendige Verteidigung nicht dem bedürftigen Mandanten, sondern der Verfahrenssicherung und ordnungsgemäßen Verteidigung im rechtsstaatlichen Interesse. Schließlich wird kein notwendiger Verteidiger gezwungen, überhaupt einen Kostenfestsetzungsantrag zu stellen. Der Verteidiger kann sowohl vor als auch nach der Bestellung zum Pflichtverteidiger eine Vergütungsvereinbarung schließen. Er darf nur sein Tätigwerden nicht von dem Abschluss oder der Leistung eines Vorschusses abhängig machen.[24]
Hinweis
Zu beachten ist unbedingt, dass die Vergütungsvereinbarung, die der Wahlverteidiger schließt, nach der Bestellung neu geschlossenwerden muss, wenn der Wahlverteidiger sein Mandat niederlegt, um zum notwendigen Verteidiger bestellt werden zu können. Anderenfalls steht ihm nur der bis zur Bestellung verdiente Teil der Vergütung zu.[25]
142
Die vereinbarte Vergütung kann gefordert werden, ohne dass zuvor ein Beschluss gem. § 52 Abs. 2 RVG (Feststellung der Leistungsfähigkeit des Mandanten) ergehen muss, da nicht die gesetzlichen Gebühren betroffen sind, sondern eben ein vereinbartes Honorar.[26]
143
Der notwendige Verteidiger, der eine Vergütungsvereinbarung mit seinem Mandanten abschließen möchte, sollte besonderen Wert darauf legen, dass der Mandant nicht in unzulässigen Druck gerät.[27] Dies gilt umso mehr, wenn der Mandant inhaftiert ist. Nach Auffassung des KG kann es zumindest zu einer Zurücknahme der Bestellung als notwendiger Verteidiger wegen einer ernsthaften Störung des Vertrauensverhältnisses führen, wenn der Pflichtverteidiger den Angeklagten wiederholt drängt, eine Vergütungsvereinbarung über ein Honorar abzuschließen, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigen würde, und hierbei zum Ausdruck bringt,ohne den Abschluss sei seine Motivation für den Angeklagten tätig zu werden gemindert.[28]
Hinweis
Zur Sicherheit bietet sich in einer solchen Konstellation die Aufnahme eines Hinweises in die Vereinbarung an, dass sie freiwilligerfolgt ist und über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht.
144
Schließlich ist bei der Kalkulation des zu vereinbarenden Honorars § 58 Abs. 3 RVGzu beachten.[29] Demnach sind Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der gerichtlichen Bestellung für seine Tätigkeit für bestimmte Verfahrensabschnitte nach den Teilen 4 bis 6 VV erhalten hat, auf die von der Staatskasse für diese Verfahrensabschnitte zu zahlenden Gebühren anzurechnen. Die Anrechnung erfolgt jedoch nur, soweit der Rechtsanwalt insgesamt mehr als den doppelten Betrag der ihm aus der Staatskasse zustehenden Gebühren erhalten hat, § 58 Abs. 3 Satz 3 RVG, und der Betrag nicht höher ist als die Höchstgebühr eines Wahlverteidigers, § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG.[30]
Hinweis
Der notwendige Verteidiger verdient (will er die Pflichtverteidigervergütung geltend machen) an einer Vergütungsvereinbarung nur bis zu einer Höhe, die den doppelten Pflichtverteidigergebühren, gedeckelt von den Höchstgebühren eines Wahlanwalts, entspricht. Diese sollten also zunächst genau berechnet werden.
[1]
So auch in der Praxis am Gebräuchlichsten, vgl. Hommerich/Kilian S. 125; Hommerich/Kilian/Jackmuth/Wolf StV 2007, 320 ff.
[2]
BGH Urt. v. 4.2.2010 – IX ZR 18/09, StRR 2010, 236, 237 m. Anm. Volpert .
[3]
Vgl. Rn. 43 ff.
[4]
Burhoff Anm. zu OLG Saarbrücken Urt .v. 21.8.2011 – 1 U 505/10-151, StRR 2012, 39, 39; BGH Urt. v. 7.2.2012 – IX ZR 138/11, StRR 2013, 278.
[5]
BGH Urt. v. 4.2.2010, IX ZR 18/09, NJW 2010, 1364 ff.
[6]
„Platzt“ durch die Niederlegung ein Hauptverhandlungstermin, kann das sogar eine Kostentragungspflicht des Verteidigers auslösen (§ 145 Abs. 4 StPO).
[7]
Burhoff Anm. zu BGH Urt. v. 7.2.2013 – IX ZR 138/11, StRR 2013, 278, 279.
[8]
Zum Erfolgshonorar siehe Rn. 36 ff.
[9]
Hommerich/Kilian S. 51; aktualisiert in Hommerich/Kilian NJW 2009, 1569.
[10]
Kilian AnwBl. 2013, 882 ff.
[11]
Barchewitz AnwBl. 2015, 630, 631.
[12]
Dabei ist noch nicht das Risiko zeitweiser Einkommensausfälle, etwa aus gesundheitlichen oder privaten Gründen, bei gleichbleibenden Kosten berücksichtigt.
[13]
Vgl. beispielhaft Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curcovic/Mathias/Uher- Bischof RVG, § 3a Rn. 34.
[14]
Kilian AnwBl. 2013, 882, 883 f.: Eine negative Einkommensentwicklung beruhe nicht auf dem Größenwachstum der Anwaltschaft.
[15]
Hommerich/Kilian S. 48.
[16]
Hommerich/Kilian S. 73; Hommerich/Kilian/Jackmuth/Wolf StV 2007, 320, 322.
[17]
Instruktiv: Mayer/Kroiß- Müllerschön RVG, Anhang zu § 34.
[18]
Vgl. dazu die grundlegende Entscheidung BVerfG Urt. v. 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01 und 2 BvR 1521/01, NJW 2004, 1305 ff., wonach die Strafbarkeit nach § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf die Fälle zu begrenzen sei, bei denen der Verteidiger im Zeitpunkt der Entgegennahme des Honorars (oder des Vorschusses) sichere Kenntnis von dessen bemakelter Herkunft habe. Anhaltspunkte dafür könnten die außergewöhnliche Höhe des Honorars oder die Art und Weise der Erfüllung der Honorarforderung sein. Zu Nachforschungen über die legalen oder illegalen Einnahmequellen des Mandanten sei der Verteidiger vor Annahme des Honorars jedenfalls nicht verpflichtet; instruktiv: Bockemühl- Köllner 1. Teil, Rn. 47 ff.
[19]
Beulke/Ruhmannseder Rn. 193.
[20]
Vgl. Bülte NStZ 2014, 680, 680.
[21]
Freyschmidt/Nadeborn StRR 2012, 364, 364.
[22]
Freyschmidt/Nadeborn StRR 2012, 364, 364; Kilian/Terrluolo AnwBl. 2012, 226, 227.
[23]
Burhoff Anm. zu BGH NJW 1980, 1394; verfehlt insoweit: LG Marburg Beschl. v. 22.5.2012 – 7 StVK 442/10, StRR 2012, 349, 350.
[24]
Klemke/Elbs Rn. 259; These 62 der Thesen zur Strafverteidigung, vorgelegt vom Strafrechtsauschuss der Bundesrechtsanwaltskammer 1992: www.brak.de/w/files/01_ueber_die_brak/thesen-zur-strafverteidigung-band-8.pdf(letzter Aufruf 26.10.2015).
[25]
KG KG-Report 1995, 156.
[26]
BGH Urt. v. 3.5.1979 – III ZR 59/78, NJW 1980, 1394.
[27]
BGH JurBüro 1979, 1793; im Ausnahmefall kann sogar eine Strafbarkeit wegen Erpressung gegeben sein, vgl. Beulke/Ruhmannseder Rn. 336 ff.
[28]
KG Beschl. v. 23.1.2012 – 4 Ws 3/12, StV 2013, 142, 142; Müller/Schmidt NStZ 2014, 501, 503.
[29]
Vgl. Rn. 456 ff.
[30]
Vgl. Rn. 456, 460.
Teil 2 Vergütungsvereinbarung› E. Checkliste für die Vergütungsvereinbarung des Strafverteidigers
E. Checkliste für die Vergütungsvereinbarung des Strafverteidigers
145
• |
Form – Textform – Bezeichnung als Vergütungsvereinbarung – Absetzen von anderen Vereinbarung, v.a. Vollmacht |
• |
Genaue Bezeichnung der Parteien sowie als Vergütungsvereinbarung, Verfahren bzw. Vertragsgegenstand bezeichnen |
• |
Erfolgshonorar – Vereinbarung im Einzelfall – wirtschaftliche Verhältnisse des Mandanten verschriften – voraussichtliche gesetzliche Vergütung darstellen – welche Vergütung bei Eintritt welcher Bedingung |
• |
Grenzen – § 138 BGB – kein Ausnutzen einer besonderen Zwangslage – kein besonders krasses Missverhältnis – AGB – keine überraschende Klausel – keine unangemessene Benachteiligung – Angemessenheit – Einzelfallprüfung – keine grundsätzliche Beschränkung auf das Fünffache der gesetzlichen Vergütung |
• |
Vergütungsformen – angelehnt an gesetzliche Vergütung – Zeithonorar – Abrechnungstakt festlegen – genaue Dokumentation – Vergütungshöhe (evtl. differenziert) – Pauschalhonorar – Vergütungshöhe (nicht unangemessen hoch) – Sonderregelung für den Fall der vorzeitigen Mandatsbeendigung – Kombinationen |
• |
Weitere Bestandteile – Auslagenregelung – Umsatzsteuer aufnehmen – Hinweise – vereinbarte Vergütung höher ist als die gesetzliche Vergütung – Bei Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung! Auch nicht von der eigenen RS! – Mindestens ist die gesetzliche Vergütung geschuldet – Für weitere Verfahrensabschnitte bleiben weitere Vergütungsvereinbarungen vorbehalten – Regelungen von Fälligkeit und Vorschusszahlungen – Datum, Unterschrift als räumlicher Abschluss des Vertrages |
• |
Praktisches – Grundsätzlich möglichst früh abschließen – kein unzulässiger Druck – Preisfindung – Rechtsschutzversicherung prüfen (Schweigepflichtentbindungserklärung) – neue Vergütungsvereinbarung erforderlich nach Bestellung zum Pflichtverteidiger (Anrechnung und Freiwilligkeit beachten) |
Teil 3 Gesetzliche Gebühren
Читать дальше