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Von der Meinungs- und Informationsfreiheit ist nicht nur das Recht umfasst, eine Meinung zu äußern und zu verbreiten und sich zu informieren (positive Meinungsfreiheit), sondern im Rahmen der sog. negativen Meinungsfreiheit auch das Recht, eine Meinung nicht äußern zu müssen.[154] Geschützt ist schließlich das Kommunikationsgeheimnis, welches grundrechtlich durch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gem. Art. 10 GG gewährleistet ist.[155]
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Alle Informationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG und damit auch die Meinungsfreiheit unterliegen der Trias der in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken: Allgemeine Gesetze, Jugendschutz, Recht der persönlichen Ehre.[156]
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Nach der sog. Kombinationstheorie[157] spricht man von einem allgemeinen Gesetz, wenn sich eine die Meinungsfreiheit einschränkende Vorschrift nicht gegen die geäußerte Meinung als solche richtet (Sonderrechtslehre),[158] sondern dem Schutz eines anderen Rechtsguts dient. Dieses muss im konkreten Fall gegenüber der Meinungsfreiheit Vorrang genießen (Abwägungslehre). Die konkrete Abwägung ist im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Kommt es etwa im Rahmen einer medialen Äußerung zu einer Beleidigung, so ist der Straftatbestand des § 185 StGB ein allgemeines Gesetz, da sich sein Schutz nicht gegen bestimmte Meinungen und auch nicht gegen eine Meinung als solche richtet. Der Beleidigungstatbestand dient vielmehr abstrakt der Wahrung der Ehre des von der Meinungsäußerung Betroffenen, dessen berechtigter Achtungsanspruch im Einzelfall schwerer wiegen kann, als die Meinungsfreiheit.[159]
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Auf Schrankenebene treffen häufig Rundfunkfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht, das sich etwa im allgemeinen Gesetz des § 22 KUG konkretisiert, aufeinander. Diese Norm regelt das Recht am eigenen Bild.[160] „Bildnisse dürfen (danach) nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.“ (…) Nach der Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 KUG dürfen ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet und zur Schau gestellt werden. Die Befugnis erstreckt sich nach § 23 Abs. 2 „jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird.“ Grundsätzlich überwiegt hierbei das über die Rundfunkfreiheit geschützte Informationsinteresse der Bürger an einer aktuellen Berichterstattung gegenüber dem Persönlichkeitsschutz.[161] Die Meinungsfreiheit kann zudem mit dem allgemeinen Urheberrecht, insbesondere dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gem. § 19a UrhG oder dem Vervielfältigungsrecht gem. § 16 UrhG, kollidieren. Zu beachten ist hierbei, dass das Urheberrecht nicht dazu instrumentalisiert werden darf, missliebige Meinungsäußerungen zu unterbinden. Zu unterscheiden ist zwischen einer rein wirtschaftlich motivierten Meinungsäußerung und einem Beitrag zu einer öffentlichen Debatte. So kann sich aus einer entsprechenden Einzelfallabwägung (Urheberrecht und Art. 5 GG bzw. Art. 10 Abs. 1 MRK des Medienanbieters bzw. des Nutzers) ggf. die Erlaubnis einer Veröffentlichung ergeben.[162] Konkret hat hierzu der EGMR entschieden, dass die Staaten bei der Regelung der Meinungsfreiheit im wirtschaftlichen Bereich einen weiten Ermessensspielraum haben, der sich regelmäßig dann verengt, wenn es zumindest auch um eine Beteiligung an einer Diskussion über Fragen allgemeinen Interesses geht. Im zu entscheidenden Fall, bei dem sich die Publikation darauf beschränkte, Fotos von Modenschauen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sah der EGMR dieses Kriterium als nicht erfüllt an.[163] Anders seien demgegenüber Beiträgen zur politischen Diskussion zu bewerten, für deren Einschränkung Art. 10 Abs. 1 EMRK kaum Spielraum lasse.[164]
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Eine weitere Schranke der Kommunikationsgrundrechte ist der Schutz der Jugend. Dieser ist insbesondere im Jugendschutzgesetz (JuSchG) sowie im Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutzstaatsvertrag, JMStV) verankert.[165] Das Recht der persönlichen Ehre[166] wird einfachgesetzlich etwa durch das zivilrechtliche Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) und von den Beleidigungsdelikten der §§ 185 ff. StGB geschützt.[167]
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Auch Grundrechte, die mit den Kommunikationsfreiheiten kollidieren, können diese beschränken. Diese Schranken sind dann unabhängig von Art. 5 Abs. 2 GG unmittelbar aus der Verfassung zu entnehmen.[168] Besonders eingeschränkt wird Art. 5 Abs. 1 GG durch Art. 17a Abs. 1 GG im Hinblick auf Meinungsäußerungen im Wehr- und Ersatzdienst[169] sowie im Rahmen von Art. 18 GG (Grundrechtsverwirkung).[170]
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Wenn der Staat Grundrechte einschränkt, unterliegt er dabei seinerseits Grenzen, den sog. Schranken-Schranken.[171] Zu diesen zählt im Hinblick auf die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG die sog. Wechselwirkungslehre, welche insbesondere im Rahmen der Zulässigkeit von Meinungsäußerungen den Abwägungsmaßstab darstellt.[172] Es findet somit eine Wechselwirkung zwischen dem grundrechtlichen Schutzgut und dem hinter der Schranke stehenden Rechtsgut in dem Sinne statt, dass dieses zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzt, seinerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts ausgelegt und so in seiner das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden muss.[173] Hier gilt die Faustformel: „Im Zweifel für die freie Rede“. Kommt der Meinungsfreiheit und dem entgegenstehenden Rechtsgut gleiches Gewicht zu, setzt sich die Meinungsfreiheit durch.[174] Eine besondere Schranken-Schranke für Art. 5 Abs. 1 und 2 GG stellt das (Vor-) Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG dar. Es ist auf alle Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG mit Ausnahme der Informationsfreiheit[175] anwendbar.[176]
4. Träger der Rundfunkfreiheit
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Träger der Rundfunkfreiheit können gem. Art. 19 Abs. 3 GG neben privaten Rundfunkveranstaltern auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sein.[177] Beiden ist das Grundrecht ausdrücklich zugeordnet.[178] Die Grundrechtsträgerschaft erstreckt sich auch auf mit der Rundfunkfreiheit unmittelbar verbundene Grundrechte.[179] Sie können also hier ausnahmsweise mittels Verfassungsbeschwerde gegen Grundrechtsverletzungen vorgehen. Der Schutz der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erstreckt sich auch auf das die Ausübung der Rundfunkfreiheit unterstützende Grundrecht des Art. 10 GG.[180] Umgekehrt gewährleistet die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG im Ergebnis auch die private Rundfunkveranstalterfreiheit[181] und zwar wegen der „Vorwirkungen der Programmfreiheit“ auch schon während der Beantragung einer Lizenz.[182]
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Kontrovers diskutiert wird die App der Tagesschau, zu der der BGH 2015[183] entschieden hat. Geklagt hatten Zeitungsverlage, die geltend machten, die Inhalte der App seien presseähnlich und somit nicht vom (gebührenfinanzierten) Rundfunkauftrag umfasst. Das Verbreiten nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote verstoße gegen den als Marktverhaltensregel i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG einzustufenden § 11d Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Teilsatz 3 RStV. Für den BGH ist die Presseähnlichkeit im Einzelfall zu prüfen. Entscheidend sei, ob das Angebot in der Gesamtheit seiner nichtsendungsbezogenen Beiträge als presseähnlich einzustufen ist, wenn also der Textbestandteil deutlich im Vordergrund stehe. Das OLG Köln erklärte 2016 unter Anwendung der vom BGH vorgegeben Maßstäbe die „Tagesschau-App“ für unzulässig, beschränkte das Urteil aber antragsgemäß auf die streitgegenständliche Version vom 15.6.2011.[184]
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