Wir ritten ins Tal hinunter auf einem kleinen Trampelweg, der zum Haus führte. Vor der Veranda hielt Liam das Pferd mit einem tiefen Hohw an und schwang sich hinab. Dann nickte er mir zu, auch abzusteigen. Meine Pobacken und Oberschenkel schmerzten höllisch, und als ich mich bewegen wollte, leisteten sie gehörig Widerstand. Ich stöhnte, und Liam sagte lachend: «Muskelkater ist ganz normal, mit der Zeit wird er vergehen. Los, schwing dein Bein über den Rücken und lass dich dann langsam hinuntergleiten. Ich werde dich auffangen.»
Ich folgte seinen Anweisungen und schwang mein Bein über Heyokas Rücken. Aber ich hatte zu viel Schwung und landete auf allen Vieren auf dem Boden. Liam konnte sich kaum halten vor Lachen, und Heyoka schaute mich verwundert an. Es kam mir vor, als würde sogar das Pferd über mich schmunzeln. Ich stand auf und klopfte mir den Staub von den Shorts. Ich boxte Liam in die Rippen und erwiderte: «Hey, ich dachte du fängst mich auf!»
«Entschuldige! Darauf war ich nicht gefasst. Es sah zu komisch aus.»
Wir lachten erneut.
Schliesslich kam Bill mit dem Truck um den Hügel gefahren, und Liam verabschiedete sich von mir. Er ging zu seinem Pferd, das vor dem Haus graste, schwang sich darauf und galoppierte den Hügel hinauf. Ich schaute ihnen nach, bis sie verschwunden waren.
Bill kam auf mich zu, klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter und fragte: «Und wie war es?»
«Es war toll! Ich will unbedingt reiten lernen! Kann ich eure Pferde reiten? Wirst du mir zeigen, wie es geht?», sprudelte es aus mir heraus. Ich klang und fühlte mich, wie ein zehnjähriges Mädchen, doch das war mir egal. Ich war voller Elan und spürte seit Langem endlich wieder Freude und Begeisterung.
Bill lachte. «Ganz langsam, Samira. Wir gehen jetzt ins Haus und essen zuerst. Ich bin am Verhungern.»
Meinen Hunger hatte ich nicht bemerkt. Jetzt spürte ich meinen Bauch deutlich reklamieren, und man hörte ein Knurren. Bill und ich lachten und traten in die Küche, wo Jul gerade mit dem Kochen des Abendessens fertig war.
Ich erwachte am nächsten Morgen sehr früh und fühlte mich topfit. Ich spürte zwar meinen Hintern deutlich, und es spannte in den Oberschenkeln, aber ich mochte es, wenn ich Muskelkater hatte. Dann spürte ich meinen Körper, und das gefiel mir. Es war kurz vor sechs Uhr, so früh war ich seit einer Ewigkeit nicht mehr freiwillig aufgestanden. Ich hatte noch keinen Hunger, trank nur einen Kaffee und rauchte danach meine obligatorische Zigarette. Es war ein friedlicher, ruhiger Morgen. Ich hörte Vögel zwitschern und die Grillen zirpen. Ich holte meine Kamera aus dem Zimmer und versuchte, diese herrliche Stimmung kurz vor Sonnenaufgang festzuhalten. Als die Sonne aufging, rannte ich, dicht gefolgt von Sky, den Hügel hinauf, um die Sonne von dort oben aufgehen zu sehen. Ich keuchte, als ich oben war und setzte mich auf einen Felsbrocken. Sky liess sich neben mir zu Boden fallen und hechelte. Ich kraulte sie hinter den Ohren und schaute, wie die Landschaft um mich herum von der Sonne in Beschlag genommen wurde. Ich stand auf und drehte mich auf dem Felsbrocken einmal rundherum. Von hier oben hatte man einen herrlichen Blick über das ganze Land. Es war ein magischer Moment, ich fühlte mich leicht und frei.
Sky bellte laut, sie wollte zurück zum Hof. Ich sprang vom Felsen hinunter und folgte ihr nach Hause. Als ich ins Haus kam, waren alle schon aufgestanden und wollten gerade frühstücken.
Jul schaute mich überrascht an und bemerkte: «Du bist aber früh aufgestanden!»
«Ja, ich war hellwach und dachte mir, wieso noch länger im Bett herumliegen. Ich sah den Sonnenaufgang auf dem Hügel, das war wunderschön.»
Ich setzte mich an den Tisch. Es war das erste Mal, dass die ganze Familie zusammen frühstückte. Niemand musste irgendwo hin, und so genoss die Familie Blackfooth das gemeinsame Frühstück. Nach dem Essen wollte Bill zu den Bisons reiten, um nach dem Rechten zu sehen. Er fragte mich, ob ich mitkäme. Ich war sofort dabei, denn das Reiten hatte mir grossen Spass bereitet, und ich war begierig, es nun richtig zu lernen. Wir waren auf dem Weg zur Pferdekoppel, als Ron gerannt kam und fragte, ob er auch mitkommen dürfe. Bill war einverstanden, und Ron hüpfte vor Freude auf und ab. Bill und Jul besassen insgesamt fünf Pferde, sie stammten alle von reinrassigen Mustangs ab. Aber sie waren bis auf den grossen, braunen Wallach nicht in der Wildnis geboren worden. Bill nahm den Wallach. Er hiess Eyota, was so viel wie der Grösste bedeutete. Ron holte den Schecken von der Weide, er hiess Ashki, was Junge oder Bub hiess, und ich bekam Kholàya. Sie war eine ruhige, freundliche und geduldige Stute, genau das Richtige für mich als totale Anfängerin. Nachdem ich sie gestriegelt und ihre Hufe ausgekratzt hatte – Ron zeigte mir alles – erklärte mir Bill, wie man richtig sattelt. Ich legte die Decke auf den Rücken des Pferdes, und als Bill mir den Sattel in die Hände drückte, wäre ich beinahe umgefallen. Ich war nicht gefasst, dass er so schwer war. Ich fluchte.
Lachend sagte Bill: «Wenn du ihn richtig hältst und Schwung holst, dann wirst du ihn auf den Pferderücken bringen. Du musst darauf achten, ihn nicht auf Kholàyas Rücken fallen zu lassen. Das wäre nicht sehr angenehm für sie.»
Ich dachte: Okay, das klingt alles super einfach, kein Problem. Schwingen wir dieses Monster von Sattel auf den Pferderücken und fangen ihn ab, damit er nicht mit voller Wucht auf den Rücken prallt. Bill stand auf der anderen Seite des Pferdes und nickte mir aufmunternd zu. Ich stellte mich mit dem Rücken zur Stute und während ich mich zum Pferd drehte, schwang ich den Sattel auf den Rücken und liess ihn langsam hinunter.
«Na siehst du, war nicht so schwer», meinte Bill und zeigte mir, was ich alles beachten musste. Der Sattel durfte nicht zu weit hinten liegen, aber auch nicht zu weit vorne, die Decke musste ich vorne leicht anheben und dann vorsichtig den Gurt anziehen, so fest, dass noch eine Hand zwischen Gurt und Bauch Platz hatte. Zum Schluss kam das Zaumzeug. In den Ställen in der Schweiz hatte ich Trensen gesehen mit Gebiss und Hunderten von Riemen. Es sah schrecklich aus. Bill ritt seine Pferde mit einem Bosal, einer gebisslosen Zäumung, oder mit einer einfachen Westerntrense.
Bevor wir aufbrachen, hatte ich auf Bills Empfehlung lange Hosen angezogen und mich mit Sonnencreme eingeschmiert, um mir die Beine nicht aufzuschürfen und mich in der Mittagssonne nicht zu verbrennen.
Nun waren wir bereit. Bill half Ron in den Sattel, dann kam er zu mir und lehnte auf der anderen Seite in den Steigbügel, damit mir der Sattel nicht entgegenkam, wenn ich aufstieg. Mit dem linken Fuss stieg ich in den Steigbügel, mit der einen Hand konnte ich mich in der Mähne festhalten, mit der anderen am Sattelhorn. Dann zog ich mich mit Schwung hoch, schwang das Bein über den Rücken und sass sanft ab. Bill stellte mir die Steigbügel auf die richtige Länge ein und schwang sich selbst in den Sattel. Er zeigte mir, wie ich dem Pferd die Signale geben musste, wie ich die Zügel in einer Hand zu halten hatte und wie ich sie führen sollte. Dann ging es endlich los!
Um Kholàya in den Schritt zu bringen, musste ich kurz die Beine leicht zusammendrücken, und sie lief los. Um anzuhalten, musste ich Hohw sagen und die Zügel leicht anheben. Wenn ich nach links oder rechts reiten wollte, musste ich mit der Hand in diese Richtung lenken. Was ganz wichtig war: Ich musste immer dort hinschauen, wo ich hinreiten wollte, und mich dementsprechend nach links oder rechts drehen. Es waren kleine Bewegungen und Hilfen, doch Kholàya regierte schnell und sensibel auf meine Signale. Alles war neu und aufregend für mich, und ich musste mich erst einmal an Kholàyas Bewegungen gewöhnen. Sie waren geschmeidig, und jeder Tritt war sicher. Ich konnte mich auf sie verlassen, da war ich mir sicher, schliesslich hatte sie nicht um sonst den Namen Kholàya, was übersetzt «Mein Freund» hiess.
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