Koellerer trug ein weisses Hemd mit einer dunkelblauen Krawatte. Er hatte die Ärmel zurückgerollt und setzte sich nun zu Phil Mertens und dessen Vorgesetzter, Forschungs-Chefin Mette Gudbrandsen. Während Phil wie fast immer seinen weissen Laborkittel trug, sass seine Chefin im dunklen Hosenanzug neben ihm und zupfte einige Fusel weg.
«Phil, Mette», begann Carl Koellerer und schaute beide nacheinander an. «Ich gratuliere Ihnen zu diesem Erfolg», fuhr er in nahezu akzentfreiem Englisch weiter. «Die Resultate sind also eindeutig?» An seinem Tonfall war deutlich zu hören, dass Koellerer diesen Satz nicht als Frage, sondern als Bestätigung verstanden haben wollte.
«Ich denke, ja», sagte Phil.
«Mette, was meinen Sie?», fragte Koellerer. Auch bei dieser Frage liess der CEO keine Zweifel darüber offen, welche Antwort er vernehmen wollte.
«Wir haben es mit unseren Teams in Holland und China überprüft», antwortete die grossgewachsene Norwegerin. «Es gibt keine Zweifel.»
«Gut», sagte Koellerer knapp.
«Natürlich handelt es sich ausschliesslich um Resultate im Labor», meldete sich Phil nun wieder zu Wort. «Und an Labortieren. Wie sich BV18m92 ausserhalb unserer Versuchsreihen …»
«Das ist mir auch klar», sagte der Deutsche ein wenig schnippisch. «So viel verstehe ich von der Forschung gerade noch. Es geht bloss darum, was wir unserem Kunden präsentieren können. Wie ich erfreut feststellen darf, haben wir seine Erwartungen sogar übertroffen. Nicht wahr?»
«Ganz ohne Zweifel», bestätigte Mette, nickte ganz leicht, wobei ihr kurzer blonder Pferdeschwanz auf und ab wippte.
«Dann sollten wir nicht zögern, unseren Kunden zu informieren.»
«Carl, darf ich Sie etwas fragen?», warf Phil ein. «Wer ist dieser Kunde, und was hat er mit unseren Forschungsergebnissen vor?»
Carl Koellerer lächelte. Mette Gudbrandsen fixierte Phil mit ihren stechend blauen Augen. Phil lächelte Mette an.
«That’s it, lieber Phil», antwortete Carl Koellerer und stand auf. «Wir sind ein modernes Unternehmen, jeder Mitarbeiter hat eine Kernkompetenz. Solche Fragen gehören nicht zu Ihrer.»
Carl Koellerer lächelte.
REDAKTION «SCHWEIZER PRESSE», ZÜRICH-WOLLISHOFEN
Da Joëls iPhone wegen der Feuchtigkeit und der darauffolgenden Akku-Austausch-Aktion von Polizist Strimer doch nicht mehr hundertprozentig funktionierte – beim Lösen der Schrauben oder beim Entfernen des Displays war wahrscheinlich ein Schaden entstanden, der zu einem Wackelkontakt geführt hatte – sprachen Myrta und Joël übers Festnetz miteinander. Myrta hatte ihn im Spital angerufen und ihn, nachdem er den üblichen Redeschwall beendet hatte, gefragt, wie er zu diesem Bild des flirtenden Superministers gekommen sei.
Sei keine schwierige Sache gewesen, antwortete Joël. Sie müssten es ja nicht an die grosse Glocke hängen, aber im Prinzip sei es purer Zufall gewesen.
«Wo hast du das Bild aufgenommen?»
«In diesem Bergrestaurant unterhalb des Piz Nair.» Trotz der gebrochenen Nase klang Joël wieder ziemlich normal.
Myrta googelte zu einer Website mit einer entsprechenden Landkarte. «Du meinst auf der Corviglia?»
«Nein, unterhalb des Piz Nair.»
Myrta scrollte nach oben. «Lej da la Pêsch?»
«Kann sein. Einfach dort, wo die Abfahrt vom Piz Nair endet und ein Sessellift hochfährt.»
«Ja, das sehe ich, müsste in der Nähe von jenem Ort sein, an dem man dich gefunden hat. Was ist dann passiert?»
«Was soll schon passiert sein?»
«Joël, du wärst schier gestorben da oben, das ist passiert.»
«Ach, das weisst du ja …»
«Nein, ich weiss, was der Polizist sagt. Du hast gesoffen, hast die Bahn verpasst, hast einen in die Fresse gekriegt, bist dann den Hang hochgelaufen, hast noch das Bein irgendwie verstaucht und wärst später fast erfroren. So war es also?»
Joël antwortete nicht.
«Ich warte, Joël. Wie war es wirklich?»
Joël zögerte: «Das bleibt aber unter uns, klar?»
«Ja.»
Seine Schilderung über die dramatischen Ereignisse auf dem Berg hörte an jener Stelle im Schnee auf, an der er nach seinem Sturz vom Sessellift eingeschlafen oder bewusstlos geworden war.
«Dann wurdest du also zufällig von Party-People entdeckt und gerettet», sagte Myrta, nachdem sie während Joëls Vortrag schon mehrmals «Oh mein Gott!» ausgerufen hatte. «Was für ein Glück du hattest!», fügte sie an.
«Jepp!»
«Und wo ist deine Kamera?»
«Weg! Die haben mir diese Idioten gestohlen. Da waren noch tolle Bilder von so einer italienischen Braut drauf!»
«Aha. Und warum sollen sie dir die Kamera gestohlen haben?»
«Weil sie dachten, sie würden Fotos von Battista darauf finden. Ich checke eh nicht, warum ein Bundesrat plötzlich solche Bluthunde an seiner Seite hat, das gab es noch nie.»
Myrta klärte Joël darüber auf, dass die Bodyguards eher wegen der Dame, Karolina Thea Fröhlicher, anwesend seien. Sie erklärte ihm auch gleich, wer diese junge, schwerreiche Dame war. Schliesslich fragte Myrta: «Warum haben sie dir denn das Handy gelassen?»
Joël schwieg. Sollte er ihr sagen, dass er bedroht wurde? Er war sich noch immer nicht sicher.
«Joël!»
«Ja, ja, ich bin noch da.»
«Also, das Handy?»
«Nichts …»
«Hör auf, ich weiss, dass da noch was ist, also raus mit der Sprache.»
Schliesslich erzählte Joël, die Täter hätten vergessen, ihm das Handy wegzunehmen, dass er aber mittlerweile Besuch bekommen habe und bedroht würde. «Aber das bleibt unter uns», betonte er zum Schluss erneut.
«Wir sollten Anzeige erstatten!»
«Vergiss es.»
«Warum?»
«Vergiss es. Ich will das Foto in der Zeitung und ein gutes Honorar dafür, und dann lassen wir die Sache gut sein. Alles andere gibt nur Ärger, zudem weiss ich nicht, wie die Kerle reagieren würden.»
«Okay.»
«Myrta, du musst einfach wissen, diese Typen werden ziemlich böse sein, wenn das Bild erscheint. Ich meine, die haben gedroht, nicht nur mich, sondern auch andere …»
«Keine Sorge. Abwarten.»
«Wie viel bezahlst du mir?», wollte Joël wissen.
«Abwarten.»
«Und erwähne bloss nie und nirgends meinen Namen.»
«Abgemacht.»
«Ich vertraue dir, Myrta. Ich vertraue dir wirklich!»
«Ich dir.»
«Kannst du.»
«Sicher?»
«Natürlich. Die andere Geschichte ist Schnee von gestern. Dumm gelaufen, okay?»
«Du hast mir saufende Fussballer verkauft und der Fotochefin erzählt, du hättest die Bilder mit dem Einverständnis des Clubs gemacht. Kress ist jetzt noch sauer auf dich.»
«Dein dämlicher Unterhund soll sich nicht so aufspielen. Die Story war gar nicht so schlecht, oder?»
«Vergiss es, Joël. Noch so ein Ding, und ich bin weg vom Fenster.»
CORVIGLIA, ST MORITZ
Jachen Gianolas Gäste speisten im exklusiven Bergrestaurant. Da die Damen heute keine grosse Freude am Skifahren gezeigt hatten, ging Jachen davon aus, dass das Essen mehrere Stunden dauern würde. Darauf hatte er keine Lust. Er holte sich sein Mittagessen im Selbstbedienungsrestaurant und setzte sich an den Skilehrertisch. Das aufgeregte Gequatsche seiner jungen Kolleginnen und Kollegen langweilte ihn aber. Er beschloss, ins Zelt hinauszugehen und sich dort ein Bier zu genehmigen.
Vorher rief er seinen Freund Karl Strimer an und erkundigte sich nach dem Zustand des auf der Lej da la Pêsch geretteten Skifahrers. Der Polizist erzählte ihm, der Typ habe wirklich Glück gehabt und werde wohl wieder gesund.
Jachen Gianola war froh.
Als Karl sich erkundigte, warum er an diesem Fall so interessiert sei, gab er zur Antwort, sein Gast, der Bundesrat, habe ihn danach gefragt.
REDAKTION «SCHWEIZER PRESSE», ZÜRICH-WOLLISHOFEN
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