Weil Alex nicht antwortete, fragte ihn Henry, ob er sich auch gerade verliebt habe.
«Was? Nein. Aber …» Alex stockte.
«Ja, was denn?»
«Ein verschwundener Hund mit Tasche.»
«Und?»
«Was ist in der Tasche?»
«Na, hast ja gehört, so Kleinkram eben.»
«Kleinkram? Okay. Dann noch diese Schüsse.»
«Alex, was ist los, drehen deine Hormone im roten Bereich?»
«Wetten, dass Rolf tot und sein Halsband weg ist?!»
BUONAS, GEMEINDE RISCH AM ZUGERSEE
Um 19.14 Uhr piepste Emma Lemmovskis Handy und zeigte ihr an, dass sie von der Redaktion eine Mail erhalten hatte. Emma war gerade frisch geduscht und kämmte ihre langen, blonden Haare. In ihrem Ankleideraum streifte sie sich ein enges, ärmelloses T-Shirt über und schlüpfte in einen kurzen Jeansrock. Barfuss ging sie in ihr Büro.
In der Mail informierte sie der stellvertretende Chefredakteur Christian Reich über den neuen Aufmacher, die Exklusivgeschichte von Jonas Haberer über die Abschaffung der Armee und über weitere wichtige Artikel der morgigen Ausgabe. Er hatte Sandra Bosones Beitrag über Jasper als Attachement angehängt. Emma las den Text genau durch.
Sie las ihn ein zweites und ein drittes Mal.
«Das ist verdammt gut», sagte sie schliesslich laut vor sich hin. «Diese Sandra kann tatsächlich etwas. Renner hat schon einen Riecher für Jungtalente.»
Sie mailte Reich, dass sie mit dem Artikel einverstanden sei. Sie schrieb explizit «einverstanden». Beliebte Journalisten-Wörter wie «super», «top» oder «mega» mied Emma Lemmovski. Sie war der Ansicht, ein Lob sollte nur dann ausgesprochen werden, wenn wirklich etwas Ausserordentliches geleistet worden war. Die inflationäre Lobhudelei war ihr zuwider. Sie fügte ausserdem hinzu, dass sie sich sehr über Haberers Primeur freue.
Eine zweite Mail schrieb sie an Renner: «Geht doch, Zecke. Grüsse.»
Dann zappte sie auf die «Aktuell-Online»-Page. Dort hatten die Journalisten die Jasper-Story mittlerweile nach unten verschoben und den Nachzug auf Sandra Bosones Artikel in der heutigen «Aktuell»-Ausgabe über die Spendenaffäre im Hilfswerk «Sonnenaufgang» aufgemacht.
Titel: «Empörung über Spendenskandal – Massnahmen gefordert»
Im Text kamen dann etliche Politiker von rechts bis links zu Wort, die sich zu den veruntreuten Spendengeldern äusserten und schärfere Kontrollen durch staatliche Instanzen forderten. Emma Lemmovski war äusserst zufrieden. Was sie immer verlangte, wurde tatsächlich umgesetzt: Themen, die in der Zeitung angerissen wurden, sollten wenn immer möglich in der Online-Ausgabe aufgegriffen und weitergezogen werden.
Ein Zwischentitel ärgerte sie allerdings: «Sonnenuntergang bei ‹Sonnenaufgang›?»
Na ja, dachte sie, ein solcher Titel über ein Hilfswerk mit dem Namen «Sonnenaufgang», das möglicherweise bald schliessen muss, liegt natürlich auf der Hand. Trotzdem hielt Emma Lemmovski solche Wortspiele weder für originell noch für journalistisch korrekt, sie fand sie einfach nur blöd.
Sie fuhr den Computer herunter und ging zu ihren Söhnen in den Garten. Die beiden hatten bereits zu Abend gegessen, TV geschaut und spielten nun noch eine Runde Tischtennis.
Jana, die sowohl Kindermädchen als auch Hausangestellte war, bereitete in der Küche das Essen für die Eltern Lemmovski zu. Da David Lemmovski meistens erst um 20 Uhr nach Hause kam, war es bei der Familie üblich, dass die Kinder nicht mit den Eltern, sondern mit Jana das Abendbrot einnahmen.
«Hallo zusammen, ich bin da», rief David Lemmovski, als er von der Tiefgarage ins Haus hinaufkam.
Die Kinder unterbrachen sofort den Match und begrüssten ihren Vater. Der 10jährige Rudolf erzählte aufgeregt von der toten Ratte im Pool, sein zwei Jahre älterer Bruder ergänzte, dass die Mama das Tier heldenhaft aus dem Wasser geholt habe.
David Lemmovski schaute seine Frau Emma fragend an, gab ihr einen flüchtigen Kuss und rannte danach mit den Kindern in den Garten.
Emma ging in die Küche zu Jana, half ihr beim Anrichten – es gab kleine Steaks und Salat –, rief ihre drei Männer ins Haus und stieg in der Garderobe beim Entree in weisse Riemchensandalen mit hohen Bleistiftabsätzen.
Marcel und Rudolf sagten «Gute Nacht» und wurden danach von Jana in ihre Zimmer begleitet. David Lemmovski öffnete eine Flasche Wein.
«Was erwartet mich, wenn ich morgen ‹Aktuell› lese?», fragte er.
Emma erzählte von den Ereignissen des Tages. Sie informierte ihn auch darüber, dass sie Chefredakteur Don Muller zum CEO ernannt habe.
«Hoppla, du gibst aber Gas», sagte David.
«Ich musste handeln, Muller ist einfach zu weich. Die Jasper-Story in der heutigen Ausgabe hätte so nicht erscheinen dürfen. Zecke Renner hat viel zu dick aufgetragen mit seinen Mutmassungen. Mittlerweile schmilzt seine ganze aufgeblasene Vielleicht-ist-da-ein-Skandal-versteckt-Story zu einem tragischen, aber simplen Unfall zusammen. Nicht zum ersten Mal.»
«Ich wette mit dir, Renner findet garantiert noch Fleisch am Knochen. Und du hast recht, Muller ist wirklich nicht der ideale Chefredakteur. Tut mir leid, da habe ich mich getäuscht.»
Muller war noch von David Lemmovski zum Chef gemacht worden. Vor fünf Jahren. Damals war David «Aktuell»-Verleger, erst kurz darauf übergab er diesen Job seiner Frau.
«Warum hast du ihn nicht gleich entlassen?», fragte er.
«Ich finde, er repräsentiert das Blatt gegen aussen gut. Deshalb hat er nun den idealen Posten. Als Geschäftsführer und Chefredakteur kann er mit den Werbemenschen ausgehen und wichtig herumlabern, und im Büro wird er sich mit Zahlen herumschlagen müssen.»
«Oh, er wird also das machen, was du so hasst. Superidee.»
«Genau.»
«Und du bist nun die heimliche Chefredakteurin, lässt den Reich spurten und prügelst deinen lieben Renner?»
«Nicht prügeln, David, nein, was denkst du denn, ich werde die Zecke, sagen wir mal, ein bisschen besser begleiten, als dies Muller gemacht hat. Und der Reich steht sowieso auf mich.»
Das Fleisch schmeckte sehr gut, der Salat war für die Gesundheit und die schlanke Linie, der Wein für die gepflegte Stimmung. Emma und David Lemmovski genossen das abendliche Beisammensein, allzu oft kamen sie nicht dazu.
«Was war denn das mit dieser Ratte?», fragte David später.
Emma erklärte ihm die Umstände. Und vor allem ihre Sorge.
«Du meinst doch nicht, dass ein Fremder auf das Grundstück eindrang und diese Ratte im Pool versenkte?»
«Doch, genau das.»
«Ach, ein Bubenstreich.»
«Nein.»
«Emma, du übertreibst. Da will uns jemand belästigen, uns Angst einjagen?»
«Könnte doch sein.»
«Und warum? Weil wir reich sind?»
«Vielleicht.»
«Weil wir erfolgreich sind?»
«Gut möglich.»
«Wegen der Zeitung?»
«Nein, das glaube ich nicht. Einfach ein Neider, ein Irrer?»
David stand auf, stellte sich hinter ihren Stuhl, bückte sich und umarmte sie.
Anders als für ihn war Reichtum für Emma etwas Neues. Sie war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, ihr Vater hatte am Fliessband in einem Autowerk gearbeitet, die Mutter als Kassiererin in einem Supermarkt etwas dazuverdient.
Verzicht kannte David Lemmovski nicht. Geld war in seiner Familie nie ein Thema gewesen, es war einfach da.
«Weisst du was, Emma», sagte er und drückte seine Frau nun ein wenig fester. «Kommt es noch einmal zu einem solchen Vorfall, engagieren wir einen Wachmann oder installieren eine neue Alarmanlage. Was meinst du?»
«Ja, vielleicht hast du recht, vielleicht übertreibe ich wirklich. Ich will einfach nicht, dass etwas passiert.»
«Es wird nichts passieren.»
Emma löste sich aus Davids Umarmung, stand auf und küsste ihn. Sie schlang ihr rechtes Bein um seine Beine, küsste ihn weiter, wurde dabei immer fordernder und griff dann mit der linken Hand plötzlich an seinen Po. Davids Hände glitten unter ihren Jeansrock, und als er spürte, dass sie nichts darunter trug, löste er sich schnell von seiner Frau, schloss die Türen zum Esszimmer, streifte die Kleider ab und packte Emma an den Hüften. Fest und gierig, erregt und liebevoll.
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