ANNE PLICHOTA & CENDRINE WOLF
UND DER
JUNGE
AUS DEM
FILM
Aus dem Französischen von Carolin Müller
Titel der Originalausgabe: Homer Pym et le garçon du film
Erschienen bei Hachette Livre, 2019
Copyright © Hachette Livre, 2019
Deutsche Erstausgabe
Copyright © 2020 von dem Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG,
München
Ein Unternehmen der Média-Participations
Projektleitung: Tatjana Kröll und Theresa Scholz, Knesebeck Verlag
Übersetzung: Carolin Müller, München
Lektorat: Theresa Scholz, Knesebeck Verlag
Umschlaggestaltung: Leonore Höfer, Knesebeck Verlag
Herstellung und Satz: Arnold & Domnick, Leipzig
eISBN 978-3-95728-594-2
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise.
www.knesebeck-verlag.de
Für alle, die zu träumen verstehen und über den Tellerrand hinausschauen .
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
DANKSAGUNG
Homer konnte nicht sagen, dass dieser Tag schlecht gewesen wäre. Aber genauso wenig konnte er behaupten, dass er besonders großartig gewesen wäre.
Er hatte seinen Geburtstag gefeiert und alles war gut verlaufen. Lylou und Sascha, seine besten Freunde, hatten ihm das Computerspiel geschenkt, das er sich so sehr gewünscht hatte, und sie hatten den halben Nachmittag damit verbracht, es einzuweihen. Und dann hatte Nina, seine junge Tante, auch noch einen gigantischen Schokokuchen für ihn gebacken, nach dem sich noch immer alle die Finger leckten.
Ja, alles war gut gelaufen. Traurig gut, genau genommen. Denn seit fünf Jahren erinnerte sein Geburtstag Homer gezwungenermaßen immer auch an den unheilvollen Tag, an dem sein Vater, David Pym, verschwunden war.
Isabelle, Homers Mutter, hatte sich kurz hinzugesellt, als er die zwölf Kerzen auf seinem Kuchen ausblies. Sie hatte ein paar Schnappschüsse mit dem Handy gemacht, ihren Sohn umarmt und an einem Stück Kuchen geknabbert, bevor sie sich, wie immer, wieder in ihrem Arbeitszimmer verschanzt hatte. Denn wenn sie nicht gerade bei der Arbeit war, ein Job, der sowieso schon quasi ihre komplette Zeit in Anspruch nahm, war sie dort anzutreffen, in diesem düsteren, unaufgeräumten und stickigen Arbeitszimmer.
Sein Vater hatte sich damals in Luft aufgelöst, als hätte ein Zauberkünstler ihn mit einem Fingerschnipsen verschwinden lassen. An jenem Tag war alles in sich zusammengebrochen, eine richtige Katastrophe. Seitdem hatte Isabelle sich stark verändert, vor allem Homer gegenüber. Die aufmerksame, strahlende und verständnisvolle Mutter war distanziert, fast schon ausweichend geworden, vom Kummer niedergedrückt.
Ihren Mann unter so rätselhaften Umständen verloren zu haben, machte sie untröstlich. Nicht zu vergessen die langen Monate der polizeilichen Ermittlungen, der Verdächtigungen, der falschen Spuren, der krankhaften Neugier der Nachbarschaft und der Medien, der unerträglichen Anspielungen. Denn für die meisten war David Pym einfach nur ein untreuer Ehemann, der mit seiner Geliebten durchgebrannt war, da musste man sich doch nichts vormachen.
All das hatte Isabelle innerlich mürbe gemacht.
Mit der Zeit war Homer klar geworden, dass er vor fünf Jahren nicht nur seinen Vater verloren hatte, sondern ein Stück weit auch seine Mutter.
Glücklicherweise war Nina bei ihnen eingezogen. Oft wurde die quirlige Neunzehnjährige mit den braunen Haaren für Homers große Schwester gehalten, obwohl sie eigentlich Isabelles kleine Schwester war.
Homers Großeltern mütterlicherseits hatten, als sie in Rente gingen, sofort alles verkauft und ihren Traum, mit dem Wohnmobil um die Welt zu reisen, verwirklicht. Nina hatte sich also sowieso eine neue Bleibe suchen müssen und ein guter Kompromiss war gefunden worden: Solange Nina drei Tage die Woche Gebäudetechnik an einer Ingenieursschule einige Hundert Kilometer entfernt studierte, wohnte sie die restlichen Tage bei Isabelle und Homer, anstatt sich eine kleine Wohnung in der Stadt zu nehmen, denn ihr Neffe brauchte sie. In ihren Augen ging die Familie vor, besonders wenn sie so schwierige Zeiten durchmachte.
Homer schwankte an seinem Geburtstag also zwischen zwei gegensätzlichen Gefühlen: Auf der einen Seite war da die Freude darüber, zwölf geworden zu sein, tolle Freunde und es locker in die siebte Klasse geschafft zu haben – nächste Woche stand die Schulkonferenz an, bei der die Entscheidung offiziell würde. Doch auf der anderen Seite war der Kummer über den Verlust seines Vaters immer da. Der Großteil der Leute um ihn herum dachte, dass sein Vater einfach irgendwo anders ein neues Leben angefangen hatte. Doch weder er noch seine Mutter glaubten daran. David Pym hätte sie beide niemals so zurückgelassen, ohne auch nur die geringste Nachricht. Er hätte es niemals ertragen, seinen Sohn unglücklich zu wissen.
Das war ganz einfach unmöglich.
Homer ließ sich auf den Beifahrersitz des Wagens sinken, der nun seit fünf Jahren in einer der beiden großen Garagen herumstand. Der Duft des Aftershaves seines Vaters war zwar bereits verflogen, doch so viele andere Dinge weckten Erinnerungen … der Sitzbezug mit den Massagekugeln aus Holz gegen Rückenschmerzen, die kakifarbene Mütze hinten auf der Hutablage, das Familienfoto, das in der Sonnenblende klemmte, der Schlüsselanhänger mit dem Bild des griechischen Windgottes Aiolos … und sogar das geknotete Seil, auf dem Aristid, der Hund der Pyms, immer so gerne herumgekaut hatte. Der gutmütige Shiba war zur selben Zeit wie sein Herrchen verschwunden. Von ihm war nichts als dieses etwas streng riechende Spielzeug geblieben und die Haare auf der Fußmatte, die zu reinigen bisher niemand übers Herz gebracht hatte.
Alles wirkte so, als könnte – als werde! – David Pym jeden Moment zurückkommen, den Wagen anlassen und mit voll aufgedrehter Musik zu einem Filmset rasen.
Homer setzte sich oft auf den Fahrersitz, legte die Hände ans Lenkrad, das sein Vater so oft berührt hatte, und hing seinen Gefühlen nach, in der sehnlichen Hoffnung auf ein Zeichen von ihm. Doch egal, wie sehr er es sich wünschte, dies blieb immer aus.
Homer wusste sehr wohl, dass er die Garage besser zusperren und nie mehr einen Fuß hineinsetzen sollte. Denn die zahlreichen und lebhaften Erinnerungen bereiteten ihm mehr Kummer, als dass sie ihm Trost spendeten. Dennoch hatte er nach und nach das Bedürfnis verspürt, sie zu seinem Zufluchtsort, zu seinem Schlupfwinkel zu machen. Nina hatte ihm geholfen, die Garage mit einigen hier und da zusammengesammelten Möbelstücken einzurichten: ein Sofa mit buntem Überwurf, ein Fernseher mit leichten Macken, ausgestattet mit einer Spielkonsole, ein alter Kühlschrank und einige Lichterketten anstelle von Lampen … und natürlich das Auto seines Vaters als ausladendes und skurriles Dekoelement.
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