Seine Worte überraschten Malvina so sehr, daß es ihr die Sprache verschlug und sie ihn entsetzt anstarrte. Für einen Edelmann, und dafür hielt sie ihn, war er ein wenig zu lässig gekleidet. Er trug keine Kopfbedeckung, und seinen Schal hatte er lose um den Hals geschlungen. Aber seine Reithose war offensichtlich aus bestem Tuch geschneidert.
»Libelle« zitterte immer noch am ganzen Leib. Der Fremde klopfte ihr beruhigend auf den Hals, und während er die Zügel sorgfältig verknotete, sagte er zu Malvina: »Sehen Sie mir zu! So macht man das.«
»Das weiß ich«, antwortete Malvina kühl. »Welch ein Glück, daß Sie gerade in der Nähe waren! Aber darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich auf fremdem Eigentum befinden?«
»Sagten Sie fremdes Eigentum«?« erwiderte der Mann und verzog spöttisch seine Brauen. »Das wollte ich gerade Ihnen vorwerfen.«
Da wußte Malvina, mit wem sie es zu tun hatte.
Sie fragte erstaunt: »Dann sind Sie...«
»... das schwarze Schaf der Familie Flore«, vollendete er ihren Satz. »Um es noch deutlicher zu sagen, ich bin der verlorene Sohn, bei dessen Heimkehr kein Festmahl veranstaltet wurde.«
»Dann sind Sie... Lord Flore?«
»Ja, der bin ich. Und ich vermute, da Sie diesen Wald für sich in Anspruch nehmen, daß Sie die unbarmherzige Millionenerbin sind. Verzeihen Sie bitte meine Unverfrorenheit«, fügte er hinzu, »aber seit ich in England bin, reden alle nur von Ihnen.«
Malvina lächelte.
»Ein Kompliment ist das aber nicht«, meinte sie.
»Wirklich nicht? Alle Frauen lieben es, wenn sie in die Klatschspalten kommen.«
»Dann bin ich eben eine Ausnahme«, erwiderte Malvina.
»Das bezweifle ich«, sagte Lord Flore kühn und blickte sich suchend um. »Sind Sie allein hier? Ich vermisse Ihre Dienerschaft, Ihre Anbeter, Ihre liebeskranken Verehrer.«
Malvina errötete.
»Ich verbiete Ihnen diesen Ton!« befahl sie ihm.
»Entschuldigen Sie vielmals!« erwiderte er. »Ich erwartete schon, daß Sie mit Schmuck behängt und auf einem Sattel aus purem Gold daherkämen.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich!« fuhr Malvina ihn an. »Sie sollten angesichts Ihrer schlechten finanziellen Lage wichtigere Dinge im Kopf haben als Vorurteile, die meine Person betreffen.«
»Da haben Sie leider recht«, antwortete der Lord ernsthaft, und sein Gesicht verfinsterte sich. »Aber was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
»Sie könnten verkaufen. Ich habe gehört, daß Priory House sehr schön sein soll.«
»Das stimmt«, gab der Lord zu. »Aber Sie wären die letzte Person, an die ich verkaufen würde!«
Verdutzt fragte Malvina: »Und weshalb nicht? Sie kennen mich doch gar nicht. Was wissen Sie von mir?«
»Ich weiß mit Sicherheit, meine liebe Miss Maulton, daß Sie die ehrwürdigen Mauern von Priory House auf Ihre Weise verunstalten würden; vielleicht würden Sie jeden einzelnen Stein mit Ihren Initialen versehen, um sich zu schmeicheln«, behauptete der Lord.
»Was gibt Ihnen das Recht, so mit mir zu reden?« fragte Malvina eisig. »Sie sind der ungehobeltste Mensch, dem ich jemals begegnet bin!«
»Nicht ungehobelt, nur ehrlich«, verteidigte sich der Lord. »Frauen können eben die Wahrheit nicht ertragen.«
»Wie Sie meinen!« gab Malvina gereizt zur Antwort. »Da Sie so sehr auf Ihren Vorurteilen bestehen, erübrigt sich ja jedes weitere Gespräch.«
Eigentlich wäre sie jetzt gerne stolz fortgeritten, aber sie fürchtete, sich lächerlich zu machen, denn da sie allein war, mußte sie auf den umgestürzten Baumstamm klettern, um aufsteigen zu können. Auf keinen Fall wollte sie aber die Hilfe des Lords in Anspruch nehmen, und so beschloß sie, zu Fuß fortzugehen.
Sie bemerkte energisch: »Ich will Sie nicht länger aufhalten. Vielen Dank!«
Der Lord lachte.
»Das haben Sie schön gesagt. Reden Sie mit Ihren Verehrern auch in diesem Ton?«
Malvina wollte sich eilig entfernen, um nichts mehr sagen zu müssen, aber der Lord hielt sie zurück.
»So schnell entkommen Sie mir nicht, meine Liebe. Ich finde, wir sollten endgültig klären, wem dieser Wald gehört.«
»Sie wissen von dem Streit unserer Väter?« fragte Malvina überrascht. »Sie waren doch schon lange fort, ehe wir uns hier niederließen.«
Ihr war sehr wohl bekannt, weshalb der junge Lord Flore vor einigen Jahren außer Landes gegangen war. Er hatte sich leidenschaftlich in die schöne Gattin eines Nachbarn verliebt, der sich nicht hatte scheiden lassen wollen. Daraufhin beschlossen die Liebenden, bei Nacht und Nebel zu fliehen. Aber diese romantische Affäre war nicht von Dauer. Sie trennten sich bald wieder, und die Frau kehrte nach England zurück, um sich wieder zu verheiraten, nachdem ihr Gatte gestorben war. Lord Shelton Flore blieb im Ausland. Da die Felder der Flores und der Maultons aneinandergrenzten, blieb es nicht aus, daß die Landarbeiter und die Bediensteten der beiden Familien auch Magnamus Maulton davon berichteten.
Lord Flore konnte seinem einzigen Sohn diese Jugendsünde nie verzeihen. Im Lauf der Zeit wurde er ein verbitterter, kranker alter Mann. Er vernachlässigte seinen Besitz, die Felder blieben unbestellt, Priory House, so erzählte man sich, verfiel immer mehr. Die vorbildlich bewirtschafteten Felder von Magnamus Maulton mußten ihm ein Dorn im Auge gewesen sein; vielleicht hatte er auch nur deshalb den Streit um den Wald begonnen. Bald hatte er keine Einnahmen mehr und mußte alle seine Angestellten entlassen.
Es stand dann wirklich schlecht um Priory House.
Die Dorfältesten sagten immer wieder: »Lord Shelton müßte hier sein, dann käme alles in Ordnung.«
Malvina erinnerte sich, daß ihr Vater einmal zu ihrer Mutter gesagt hatte: »Ich kann das Gerede um diesen aufsässigen jungen Mann nicht verstehen. Man könnte meinen, er sei der einzige Abenteurer, der auszog, um das Fürchten zu lernen.«
»Da stimme ich dir zu«, hatte ihre Mutter darauf geantwortet. »Aber sein Vater macht ihm die Heimkehr nicht leicht. Mir tut der alte Mann leid, er muß sehr einsam sein.«
»Mag sein«, hatte Magnamus Maulton erwidert. »Aber unsere Freundschaft sucht er nicht, es sei denn, ich gebe nach; doch genau das werde ich nicht tun.«
Shelton Flore jedoch ließ sich nicht blicken. Die Polizei hatte mehrmals an ihn geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Schließlich glaubte jedermann, dem Lord seien sein alter Vater und der Familienbesitz völlig gleichgültig.
Jetzt, ein Jahr nach dem Tode seines Vaters, war er endlich aufgetaucht.
»Weshalb sind Sie nicht früher gekommen?« fragte ihn Malvina.
»Ich bin zeitweise in einer schwer zugänglichen Gegend gewesen«, erzählte der Lord, »wo mich keine Briefe erreichen konnten. Erst vor zwei Monaten, als ich wieder in die Zivilisation zurückkehrte, habe ich vom Tode meines Vaters gehört und bin sofort nach Hause geeilt.«
»Sie waren also unerreichbar«, antwortete Malvina nachdenklich. »An diese Möglichkeit hat hier niemand gedacht.«
»Das verwundert mich nicht«, fuhr der Lord fort. »Ich bin immer schon ein Außenseiter und ein Taugenichts gewesen. Keiner hat von mir etwas Gutes erwartet; aber ich bereue nichts.«
»Das klingt ziemlich überheblich«, stellte Malvina fest.
»Das bin ich auch, meine Liebe. Sie haben mich durchschaut!« gab der Lord lachend zu.
»Haben Sie wenigstens ein kleines Vermögen mitgebracht, um Priory House wieder in die Höhe zu bringen?« erkundigte sich Malvina.
»Leider nicht«, erwiderte der Lord. »Wie ich Ihnen schon sagte, bin ich der verlorene Sohn und habe alles verjubelt.«
»Das ist sehr bedauerlich. Und was gedenken Sie jetzt zu tun?« wollte Malvina wissen.
Lord Flore zuckte die Schultern.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Man hat mir vorgeschlagen, Sie zu heiraten.«
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